Der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm „Rhythm is it!“,über das groß angelegte Tanzprojekt mit Berliner Kindern und Jugendlichen, den Berliner Philharmonikern und dem renommierten britischen Choreographen Royston Maldoom, erregte viel positives Aufsehen und hat die Diskussion und die Realisierung von Tanzprojekten mit Schüler_innen sehr vorangetrieben . Die Kunstform Tanz trägt laut Tanzkünstlern, Tanzpädagogen und kulturellen Bildungseinrichtungen viele Potenziale zur Persönlichkeits- und Sozialentwicklung mit sich: Tanzen fördere das Selbstvertrauen und die soziale Kompetenz, Tanz entwickele kreative Fähigkeiten, Tanzen überwinde sprachliche Barrieren.. In Deutschland sind Schülerinnen und Schüler immer mehr dazu angehalten, sogenannte Schlüsselkompetenzen während der Schulzeit zu erwerben, welche ihnen eine positive und aktive Lebensgestaltung ermöglichen sollen. Können Tanzprojekte in Schulen hierzu einen Beitrag leisten? Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage anhand der Analyse und pädagogischen Reflexion des Berliner Tanzprojektes Carmina Burana von 2006, das ebenfalls unter der Leitung von Royston Maldoom stattfand. Carmina Burana ist ein Nachfolgeprojekt des von Rhythm is it! verfilmte Le sacre du printemps-Tanzprojekt. Von Interesse sind bei der pädagogischen Reflexion des Projektes und Maldooms pädagogischen Herangehensweise die Lernprozesse, Lernerfolge, und die Wirkungen des Tanzprojektes hinsichtlich wichtiger Schlüsselkompetenzen bei den Schüler_innen. Ich konzentriere mich bei den Ausführungen auf Jugendliche einer teilnehmenden Hauptschule aus einem sogenannten Brennpunktviertel aus Kreuzberg, weil mich besonders die Wirkungen auf diese Schülerinnen und Schüler interessieren. Diese stammen zum größten Teil aus bildungs-und kulturfernen Familien und waren damit mit dem Vorurteil behaftet, kulturuninteressiert und unmotiviert zu sein. Vor diesem Hintergrund lautet die Leitfrage der Arbeit: Welche Lern-und Entwicklungsprozesse konnten bei den teilnehmenden Hauptschüler_innen aus Kreuzberg während des Tanzprojektes Carmina Burana unter der Leitung Royston Maldooms beobachtet und welche erworbenen Schlüsselkompetenzen konnten gefördert werden?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ein neues Forschungsfeld: Tanz in der Schule
3. Kontextualisierung und Begriffsbestimmungen
3.1 Bildung durch die Kunstform Tanz im gesellschaftlichen Kontext
3.2 Schlüsselkompetenzen und kulturelle Bildung
4. Carmina Burana: Das Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker 2006
4.1 Ein community-dance-basiertes Projekt
4.2 Der Projektaufbau
4.3 Royston Maldooms Pädagogik
5. Bilanz
5.1 Selbstdisziplin und Selbstmotivation
5.2 Kennenlernen einer neuen Lernkultur
5.3 Interkulturelles Miteinander
5.4 Die gesellschaftliche Dimension
6. Fazit
Quellen
1.Einleitung
Der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm (2003) „ Rhythm is it! “ , über das groß angelegte Tanzprojekt mit berliner Kindern und Jugendlichen, den Berliner Philharmonikern und dem renommierten britischen Choreographen Royston Maldoom, erregte viel positives Aufsehen und hat die Diskussion und die Realisierung von Tanzprojekten mit Schüler_innen sehr vorangetrieben (vgl. u.a. Foik 2008; Klinge 2012: 882). Die Kunstform Tanz trägt laut Tanzkünstlern, Tanzpädagogen und kulturellen Bildungseinrichtungen viele Potenziale zur Persönlichkeits- und Sozialentwicklung mit sich: Tanzen fördere das Selbstvertrauen und die soziale Kompetenz, Tanz entwickele kreative Fähigkeiten, Tanzen überwinde sprachliche Barrieren. (vgl. Kosubek/Barz 2009: 9).
In Deutschland sind Schülerinnen und Schüler immer mehr dazu angehalten, sogenannte Schlüsselkompetenzen während der Schulzeit zu erwerben, welche ihnen eine positive und aktive Lebensgestaltung ermöglichen sollen. Können Tanzprojekte in Schulen hierzu einen Beitrag leisten? Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage anhand der Analyse und pädagogischen Reflexion des berliner Tanzprojektes Carmina Burana von 2006, das ebenfalls unter der Leitung von Royston Maldoom stattfand. Carmina Burana ist ein Nachfolgeprojekt des von Rhythm is it! verfilmte Le sacre du printemps- Tanzprojekt.
Von Interesse sind bei der pädagogischen Reflexion des Projektes und Maldooms pädagogischen Herangehensweise die Lernprozesse, Lernerfolge, und die Wirkungen des Tanzprojektes hinsichtlich wichtiger Schlüsselkompetenzen bei den Schüler_innen. Ich konzentriere mich bei den Ausführungen auf Jugendliche einer teilnehmenden Hauptschule aus einem sogenannten Brennpunktviertel aus Kreuzberg, weil mich besonders die Wirkungen auf diese Schülerinnen und Schüler interessieren. Diese stammen zum größten Teil aus bildungs- und kulturfernen Familien und waren damit mit dem Vorurteil behaftet, kulturuninteressiert und unmotiviert zu sein.
Vor diesem Hintergrund lautet die Leitfrage der Arbeit:
Welche Lern- und Entwicklungsprozesse konnten bei den teilnehmenden Hauptsch ü ler_innen aus Kreuzberg w ä hrend des Tanzprojektes Carmina Burana unter der Leitung Royston Maldooms beobachtet und welche erworbenen Schl ü sselkompetenzen konnten gef ö rdert werden?
Im Kapitel 2 wird der bisherige Stand der Forschung zu Tanz-in-Schulen- Projekte hinsichtlich Ergebnissen und Lernprozessen bei Schüler_innen umrissen. Kapitel 3 befasst sich mit einer Kontextualisierung, bei der Tanzbildung im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext betrachtet wird (3.1) und mit Begriffsbestimmungen, bei denen der Begriff kulturelle Bildung im Zusammenhang mit dem Begriff der Schlüsselkompetenzen erläutert wird (3.2). Im anschließenden Kapitel 4 steht das Tanzprojekt Carmina Burana im Zentrum, Dies wird zunächst als communitydance-basiertes -Tanzprojekt charakterisiert (4.1) und anschließend dessen Aufbau skizziert (4.2). Um die bei den Schüler_innen zu beobachtenden Lern- und Entwicklungsprozesse nachvollziehen zu können, ist es notwendig, den pädagogischen Ansatz Royston Maldooms zu erfahren. Als Materialbasis dient hierbei das Buch Royston Maldoom. Community Dance - Jeder kann tanzen: Das Praxisbuch, welches von Jacalyn Carley, einer engen Mitarbeiterin und Maldoom selbst verfasst wurde.
Zur vollständigen Beantwortung der Leitfrage werden die beobachteten Entwicklungsprozesse - Selbstdisziplin und Selbstmotivation, Wege in eine neue Lernkultur, Interkulturelles Lernen - im Kapitel 5 detalliert dargestellt. Als Materialbasis dienen hierbei insbesondere die Ausführungen der Kulturwissenschaftlerin und Pädagogin Jovana Foiks (2008), die Carmina Burana mitverfolgte und pädagogisch aufarbeitete. Die Arbeit endet mit einem Fazit und einer kurzen Darstellung der Diskussion um Tanz als Schulfach.
2. Ein neues Forschungsfeld: Tanz in der Schule
Tanz-in-Schulen-Projekte sind aktuell bei Schulen immer gefragter und werden zunehmend realisiert. Da dies eine relativ neue Entwicklung darstellt, gibt es allerdings noch wenig wissenschaftliche Evaluierungen und Begleitforschung dazu. Diese ist aber notwendig für die Legitimation und Realisierung der Tanzprojekte, um Finanzierungsmittel zu akquirieren und um überzeugende Argumente für Tanzprojekte bei Eltern und Lehrer bieten zu können. (vgl. Kosubek/Barz 2009: 37,42). Die wenigen nennenswerten Untersuchungen bieten sehr positive Ergebnisse hinsichtlich der Wirkungen auf die Schüler. Lobo und Winsler (2006) legten eine der ersten Studien mit streng wissenschaftlichem Design zur Auswirkung von tanzpädagogischen Interventionen auf die Sozialkompetenz von Kindern - in diesem Fall von Vorschulkindern aus den USA - vor. Aus dieser Studie „The Effects of a Creative Dance and Movement Program on the Social Competence of Head Start Preschoolers” resümieren sie: “Children who participated in the twice-a-week, eight-week dance program made both significant gains in their social skills and significant reductions in their behavior problems over the course of the program, whereas the children not exposed to the dance program did not show much improvement” (Lobo/Winsler 2006: 512).
Eine wichtige, größer angelegte Untersuchung zu Tanz-in-Schulen-Projekten in Deutschland, ist die Studie des Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) in NRW, in der im Schuljahr 2007/2008 230 durchgeführte Tanzprojekte von Susanne Keuchel 2009 evaluiert und miteinander verglichen wurden. Bezüglich der Wirkungen und Erfolge der Tanzprojekte bei den Schülern, um die es sich in der vorliegenden Arbeit dreht, hält das ZfKF (2009) nachfolgende Abbildung fest:
Dieses Diagramm zeigt, dass neben tänzerischen Fertigkeiten auch andere persönliche wie soziale Kompetenzen erworben werden können. Die Lernerfolge der Schüler_innen wurden von den Schulvertretern insgesamt positiv beurteilt, sehr positiv vor allem die Vermittlung von Kreativität und rhythmischen wie musikalischen Fähigkeiten und die Selbst- /Körperwahrnehmung. Eher mittelmäßig wird die Vermittlung theoretischen Wissens eingestuft. Die Tanzpädagogen gaben dazu an, diesem Aspekt auch keinen großen Stellenwert in den Proben eingeräumt zu haben. Mit diesen positiven Einschätzungen der Schulvertreter verwundert es nicht, dass diese teilweise eine deutliche Verbesserung des gesamten Schulklimas erkannten. (Vgl. Keuchel 2009: 31). 83% der befragten Schulen drückten sich ausdrücklich für eine Fortsetzung der Tanzprojekte in ihren Schulen aus. Weitere 8% machten die Fortsetzung von dem Finden eines geeigneten, also vermutlich anderen, Tanzpädagogen abhängig.
Neben der genannten Evaluierung finden vermehrt kleinere Evaluierungen in Eigenregie von den Projektkoordinatoren oder anderen Mitwirkenden der Tanzprojekte statt. Carmina Burana ist solch ein Beispiel, da dieses von der Projektmitarbeiterin und Kulturwissenschaftlerin Jovana Foik evaluiert wurde.
Im Folgenden wird Bildung und Erziehung durch die Kunstform Tanz in den momentanen gesellschaftlichen Kontext eingebettet.
3. Kontextualisierung und Begriffsbestimmungen
3.1 Bildung durch die Kunstform Tanz im gesellschaftlichen Kontext Der Kinofilm
„ Rhythm is it! “ hat die unterschiedlichsten Bereiche im wahrsten Sinne des Wortes ‚in Bewegung‘ gesetzt und einen regelrechten ‚Tanzboom‘ in Schulen als auch in Tanzeinrichtungen ausgelöst (vgl. u.a. Klinge 2012:882). Aber wie lässt sich das ansteigende Interesse und die zunehmende Nachfrage nach tanzkünstlerischen Projekten neben einem öffentlichkeitswirksamen Kinohit auch gesellschaftlich erklärbar machen?
Seit den durch die PISA-Studie mittelmäßig bis schlecht bewerteten Ergebnissen deutscher Schüler_innen, wurde die Diskussion um neue Lernformen- und methoden in der Schule laut. Es sollen mehr nicht-kognitive Fähigkeiten neben rein kognitiven Fächern gefördert werden. Fähigkeiten, die eine ganzheitlichere Bildung gewährleisten, sollen auch in Regelschulen mehr Bedeutung erfahren. (Foik 2008: 11f.).
Als weiterer Grund für das zunehmende Interesse an Tanzprojekten in Schulen kann das interkulturelle Potenzial genannt werden, welches der Tanz als sprachenunabh ä ngige Kunstform beinhaltet. In einem von Multikulturalität geprägten Deutschland kann das Tanzen, für das keine bestimmte Sprache nötig ist, als verbindendes Element, zum interkulturellen Miteinander beitragen (vgl. Fleischle-Braun 2010).
Eine postmoderne Welt, die multiple Optionen bietet und einem rapiden sozialen und technischen Wandel ausgesetzt ist, kann viele Unsicherheiten birgen, beispielsweise hinsichtlich der eigenen Zukunft und dem eigenen Lebenslauf. In einer Wissensgesellschaft, in welcher ständig neues Wissen produziert wird, kann es im Bildungssystem nicht mehr nur darum gehen, sich neues Wissen anzueignen. Bestimmte Kompetenzen werden wichtiger - Kompetenzen, die helfen sich das Wissen anzueignen aber auch helfen, sich sozial und persönlich in der Welt zurecht zu finden. Anstatt reines Wissen sollen zunehmend bestimmte Schlüsselqualifikationen erworben werden, die für eine positive und aktive Lebensgestaltung maßgeblich sind (Foik 2008: 58).
Um sich der Fragestellung zu widmen, welche Schlüsselkompetenzen durch Tanzprojekte gefördert werden können, soll kulturelle Bildung als übergeordneter Bildungsbereich der Tanzprojekte, im Zusammenhang mit dem Begriff der Schlüsselkompetenzen Erläuterung finden.
3.2 Schlüsselkompetenzen und kulturelle Bildung
Wenn die Kunstform Tanz kulturvermittelnd eingesetzt wird und auch unerfahrenen Tänzern zugänglich gemacht wird, ist sie dem Bereich der kulturellen Bildung zuzuordnen . Die Bildungskommission NRW definiert diese wie folgt:
Die kulturelle Bildung, als Allgemeinbildung verstanden, hat ihre Besonderheiten in den ästhetisch-gestalterischen und künstlerischen Arbeitsformen und- methoden. Sie arbeitet ‚konkret‘, stützt sich auf Wahrnehmungen und stärkt diese. […] Von anderen Formen der Bildung und Selbstbildung unterscheidet sie sich dadurch, dass sie künstlerische Ausdrucksformen integriert. (Bildungskommission NRW 1995: 110)
Kulturelle Bildung ist also ein Bindeglied zwischen den Künsten und der Bildung. Dabei fungiert die Kunst nicht als Selbstzweck, vielmehr wird sie zum Medium, das den Menschen und seine individuelle Fähigkeit und Entwicklung in den Mittelpunkt rückt. Es geht um eine positive Lebensgestaltung, die durch kreatives Schaffen und aktive Teilnahme am künstlerischen Prozess in jedem Menschen gefördert werden kann (vgl. Foik 2008: 1).
Die Auseinandersetzung mit der Kunst kann zentrales Element für die Vermittlung von verschiedenen Fertigkeiten sein. Neben kultureller und künstlerischer Kompetenz, vermittelt sie auch andere sogenannte Schlüsselkompetenzen, die zunehmend an Bedeutung gewinnen (Rychen 2003: 19ff.)
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