Das Konstrukt der Erinnerungskultur wurde durch die Kulturwissenschaftlerin Assmann deutlich gemacht. Der Begriff des Erinnerns wird näher durch den Gedächtnis- oder Erinnerungsrahmen definiert. Der Soziologe Maurice Halbwachs prägte den Begriff des kollektiven Erinnerns. Seiner Meinung nach rekonstruieren die Individuen einer Gesellschaft ihre Erinnerungen immer unter dem Druck der Gesellschaft.
Somit wird ein normatives Raster über die heterogenen individuelle Erinnerungen gespannt, welches dann als sozialer und politischer Gedächtnisrahmen Wirkung zeigt. Dieses normative Raster ist die Grundlage für die Entwicklung eines kollektiven Gedächtnisses, welches sich durch den Zusammenschluss individueller Erinnerungen zu einer Erinnerungsgesellschaft bilden kann. Die individuellen Erinnerungen gehen in den Besitz der Gruppe ein und werden durch Verallgemeinerung zu einem gemeinsamen Ziel formuliert.
Es kann jedoch passieren, dass eine Diskrepanz zwischen der individuellen Erinnerung und dem gesellschaftlichen kollektiven Erinnerungsrahmen vorherrscht. Assmann beschreibt diese Diskrepanz und den möglicherweise darauf folgenden Vorgang oder den Druck des Angleichens der individuellen Erinnerung in den kollektiven Gedächtnisrahmen als "Diktat der Gegenwart über die Vergangenheit im öffentlichen Diskurs".
Inhalt
1 Inhaltliche Einführung in das Thema
2 Exkursion zu verschiedenen Erinnerungsorten in Berlin
3 Das verbindende Element zwischen der inhaltlichen Einführung „Erinnerungsrahmen und Gedächtniskultur“ und dem Besuch der Erinnerungsorte 3.1 Filmische Erinnerung
4 Inhaltlich und thematische Vorbereitung auf die Reise nach Israel
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
1 Inhaltliche Einführung in das Thema
Die erste Sitzung der Werkstatt galt der inhaltlichen wie methodischen Einführung in den Themenkomplex ´Jüdisches Leben in Deutschland seit 1945 im Zeichen der Erinnerungskultur`. Grundlage der Diskussion waren die Texte von Aleida Assmann, Oliver Guez sowie Michael Wolffsohn.[1] Das Konstrukt der Erinnerungskultur wurde durch die Kulturwissenschaftlerin Assmann deutlich gemacht. Der Begriff des Erinnerns wird näher durch den Gedächtnis- oder Erinnerungsrahmen definiert. Der Soziologe Maurice Halbwachs prägte den Begriff des kollektiven Erinnerns. Seiner Meinung nach rekonstruieren die Individuen einer Gesellschaft ihre Erinnerungen immer unter dem Druck der Gesellschaft. Somit wird ein normatives Raster über die heterogenen individuelle Erinnerungen gespannt, welches dann als sozialer und politischer Gedächtnisrahmen Wirkung zeigt.[2] Dieses normative Raster ist die Grundlage für die Entwicklung eines kollektiven Gedächtnisses, welches sich durch den Zusammenschluss individueller Erinnerungen zu einer Erinnerungsgesellschaft bilden kann. Die individuellen Erinnerungen gehen in den Besitz der Gruppe ein und werden durch Verallgemeinerung zu einem gemeinsamen Ziel formuliert. Es kann jedoch passieren, dass eine Diskrepanz zwischen der individuellen Erinnerung und dem gesellschaftlichen kollektiven Erinnerungsrahmen vorherrscht. Assmann beschreibt diese Diskrepanz und den möglicherweise darauf folgenden Vorgang oder den Druck des Angleichens der individuellen Erinnerung in den kollektiven Gedächtnisrahmen als „Diktat der Gegenwart über die Vergangenheit im öffentlichen Diskurs“.[3] Der Politikwissenschaftler geht in seinen Ausführungen auf den Holocaust als Konstrukt des Erinnerungsrahmens ein. Er sieht den Holocaust auf der einen Seite als historisches Ereignis mit individuellen Erinnerungen der Opfer und auf der anderen Seite als ideologisches Konstrukt. Der Erinnerungsrahmen im Bezug zum Holocaust fand in den 60er Jahren mit der identitätsstiftenden Namensgebung den Anfang. Davor war eine Vielzahl an Namen bekannt, die jedoch nicht den Aspekt der kollektiven Gültigkeit hatten (Endlösung, Greul, Nazibarbarei, Auschwitz). Erst durch die Namensgebung und die darauf folgende Erinnerungskultur wurde der Holocaust zu dem Konstrukt, wie wir ihn heute kennen.[4] [5] Merkmal des Konstrukts war auf der einen Seite die nun aktive und auch öffentliche Bewältigung eines Traumas, welches zum kollektiven Trauma wurde und der Identitätsbildung half. Diese Entwicklung nahm Einfluss auf die Gesellschaft und Kultur und war nicht nur in der veränderten Geschichtswissenschaft und dem Historikerstreit bemerkbar. Der neue Erinnerungsrahmen schuf nun eine eigene Erinnerungskultur, die bis zu einer neuen jüdisch- amerikanischen Identität durch Privilegierung des Opferstatus reichte, was jedoch von Finkelstein als religiöse Überhöhung, symbolische Verdichtung und rituelle Inszenierung kritisiert wurde.[6] Die Gründe für die Entstehung des Gedächtnisrahmens und der Erinnerungskultur sind für Herrn Dr. Wilenchik die neue Generation, die den Opferstatus nicht mehr unmittelbar mit sich trägt, jedoch auch der wirtschaftliche Aufschwung, die neue globalisierte Welt und der Zustand, dass Opfer nach einer Phase des Verdrängen und Vergessen- wollens nun gesprochen haben, wie im Falle der Auschwitzprozesse und den Zeugenaussagen erkennbar war. Ein weiterer Aspekt der Erinnerungskultur ist auch an der Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Jenniger vom 10.11.1988 erkennbar. Obwohl er bei der Gedenkfeier für die Reichskristallnacht eine thematisch, faktisch und politisch korrekte Rede hielt, wurde sie durch die Reaktion des Publikums als nicht passend für den Gedächtnisrahmen der Zeit eingeordnet, sogar als inkorrekte Rede eingeordnet. Hier wird die Grenze zwischen sozialem und politischem Gedächtnis als Unterteilung des Gedächtnisrahmen deutlich. Dies konnte Ignatz Bubis Mitte der 90er deutlich machen, in dem er dieselbe Rede wie Jenniger hielt und sie diesmal als sozial und politisch angemessen eingestuft wurde und auf Zustimmung traf.[7]
Um den Übergang zur thematischen Einführung über das jüdische Leben nach 1945 in Deutschland zu gestalten, wurde über das kommunikative Beschweigen als Erinnerungsrahmen gesprochen. Tony Judt beschreibt die erste Phase des Kalten Krieges als Eiszeit der Erinnerung, in der das kollektive Beschweigen und symbolische Vergessen die Wiederaufnahme Westdeutschlands in das westeuropäische Bündnis beschleunigen und das neu zu gründende Haus Europas bestärken sollte. Besonders deutlich wurde dies durch eine Rede Churchills 1947, bei der er die Nürnberger Prozesse als Ende der Abrechnung bezeichnet und der Zweite Weltkrieg zum europäischen Bürgerkrieg degradiert wird.[8] Erst mit dem Eichmannprozess 1961 in Israel sowie den Auschwitzprozessen in den 60er Jahren kehrt Erinnerung in die´Holocaust`, abgeleitet vom Griechischen, bedeutet so viel wie ´vollständig verbrannt` wodurch die direkte Verbindung zu den Taten im Dritten Reich hergestellt werden kann. Der Begriff der Shoa, welcher als innere Tragödie verstanden werden kann, beinhaltet die Zeit des Holocausts, ist jedoch umfassender und zeitlich weitreichender zu verstehen. (http://www.antisemitismus.net/shoah/holocaust.htm, letzter Zugriff 25.01.2017) Gesellschaft zurück. Erst das öffentliche Erinnern macht es möglich, dass die individuelle wie kollektive Identität der Opfer nicht vollends zerstört wurde. Der in den Auschwitzprozessen verliehene Doppelstatus von Opfer und Zeuge stärkte die nun aufkommende kollektive Erinnerung. Habermas geht in seinen Ausführungen der 80er Jahre auch auf das Haus Europa ein, jedoch im Sinne der Erinnerungsgemeinschaft und dem Erbe der gemeinsamen Geschichte.
Der Autor Olivier Guez geht in seinen Ausführungen auf den Zustand der jüdischen Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg aus Sicht eines emigrierten Juden ein. Gershom Scholem, von der hebräischer Universität und Nationalbibliothek Jerusalem berufen, kehrt in das Land der Mörder und Täter zurück, um den Lebenszustand der Überlebenden zu analysieren. Er sucht in den zerstörte Städten und Lagern für displaced persons und kann feststellen, dass von den1933 in Deutschland lebenden 600000 Juden, die Hälfte ins Exil gegangen ist, 150000 deportiert worden waren und nun noch circa 14000 überlebende Juden in Deutschland um das Überleben kämpften oder versuchten, das Land zu verlassen. Gesellschaftlich gesehen stellt Scholem fest, dass die meisten Juden keinerlei Verbindung zum Judentum mehr haben und somit das religiöse Leben fast vollkommen zum erliegen gekommen ist. Somit wurde die Phase der deutsch-jüdischen Assimilation, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts anherrschte und auch zweite europäische Renaissance genannt wurde, durch den Zweiten Weltkrieg nicht nur unterbrochen, sondern beendet.[9] Die Diskussion von Guez, inwiefern es eine deutsch-jüdische Assmiliation oder gar Symbiose gegeben hatte, wurde im Seminar besprochen.[10] [11]
2 Exkursion zu verschiedenen Erinnerungsorten in Berlin
Als Einstimmung auf die Exkursion zu den Erinnerungsorten in Berlin galt der Text Aleida Assmanns über Gedächtnisorte in Raum und Zeit. Die Autorin macht die Perspektiven des Ortes und der Zeit für das kollektive Gedächtnis deutlich. Der Ort gilt als Sicherungsform der Dauer, wie zum Beispiel bei verschiedensten Formen der Gedächtnisorte erkennbar ist. Diese wurden erhalten, erschaffen oder museal aufbereitet, um individuelle Erfahrungen und Erinnerungen als Teil und Ursprung des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses für kommende Generationen erfahrbar zu machen. Sie geht soweit, die Besucher als Vergangenheitstouristen zu betiteln.[12] Die Perspektive der Zeit gilt als Sicherungsform der Wiederholung, wie an Feiern bei Jahrestagen erkennbar ist. Hier betont sie allerdings, dass nicht jedes traumatische Ereignis in eine geregelte soziale Kommemoration übergehen muss. Ein Jahrestag wird erst dann zu einem gesellschaftlichen Ereignis, wenn sich eine Erinnerungsgemeinschaft bildet, deren spezifisches Anliegen in einer verallgemeinerten und institutionellen Botschaft zu einem Sinnund Identitätsangebot führt. Wird dieses Anliegen durch eine regelmäßige Botschaft erinnert, ist eine zukunftsgerichtete und gesellschaftliche Handlungsverpflichtung entstanden, in diesem Falle, die Feier oder das Gedenken an einem speziellen Tag.[13] Hier wird die Parallele der eher abstrakten Erklärung der Entstehung einer Erinnerungskultur deutlich. Grundlage hierfür ist ein vergangenes Ereignis, welches von einer oder mehreren Personen erinnert wird. Der Zusammenschluss einzelner Individuen und ihrer Erinnerungen schafft eine Erinnerungsgesellschaft, in der die spezifischen Anliegen und Erlebnisse verallgemeinert und somit „öffentlichkeitstauglich“ gemacht werden. Wird hiermit ein Sinn- oder Identitätsangebot geschaffen, ist der Boden für die Entstehung einer Erinnerungskultur und des kollektiven Gedächtnisses bereitet.
Bezüglich der Exkursionen ist jedoch die Betrachtung der Perspektive ´Ort` von größerer Bedeutung, da wir verschiedene Erinnerungsorte besichtigt haben. Hier kann der Ausdruck des Vergangenheitstouristen erneut aufgegriffen werden, da er die Verbindung zwischen der Reise zu authentischen Orten sowie dem Ort als Zone zwischen Gegenwart und Vergangenheit symbolisiert.[14] Bezogen auf das Thema des Kurses sowie die gesamte Thematik des Holocaust als Erinnerungsrahmen muss auch die Nationalisierung des negativen Gedenkens angesprochen werden. Aleida Assmann sieht die Entstehung von Mahnmalen und Gedenkstätten, wie dem Denkmal der ermordeten Juden Europas, nicht als Folge einer politischen Verordnung, sondern aus dem kontinuierlichen Prozess und dem Interesse einzelner Initiativen heraus. Dies ist auch am Gleis 17 am Bahnhof Grunewald zu sehen, da die erste Erinnerungsstätte aus der Initiative der evangelischen Gemeinde entstand und nicht durch die Stadt Berlin. Die Institutionalisierung des negativen Gedenkens bedeutet, dass nicht erlittene sondern begangene und zu verantwortenden Verbrechen erinnert werden und somit ein Tätergedächtnis geschaffen wird. Bemerkenswert wie erschreckend bemerkt sie, dass dies im internationalen Vergleich einzigartig und neuartig sei.[15] Diese Ausprägung zum Tätergedächtnis ist bei der Erinnerungsstätte am Gleis 17 nicht überall deutlich. Die Gemeinde hat auf der Gedenktafel die Informationen über Opfer und Täter offen gelassen. Dies wird erst durch die zweite Tafel deutlicher, bei der auf die Verbrechen des nationalsozialistischen Staates eingegangen wird. Jedoch ist auch hier noch die Möglichkeit einer emotionalen Distanzierung gegeben, welche erst bei der dritten Tafel durch den Wortlaut „jüdische Bürger/ Nazi Henker/ Deportation und Totenlager“ allmählich genommen wird.
Aleida Assmann geht auf vier Aspekte traumatischer Orte als Gedenkstätten ein, von denen manche bei den Exkursionsorten wiederzufinden waren: die anäische Magie, der Konflikt zwischen Authentizität und Inszenierung, die Palimpseste sowie die Aspekte des Überdeterminierten und Multiperspektivischen. Der erste Aspekt ist die anäische Magie, die von traumatischen Orten auszugehen scheint. Hierbei ist gemeint, dass sich der Besucher den thematischen Gegenstand durch die Kombination von kognitiver Erfahrung und persönliche Auseinandersetzung aneignen will. Wissen und Erlebnis wird an einem traumatischen Ort verknüpft und erfährt dadurch eine Erlebnisverstärkung durch die sinnliche Anschauung. Es wird jedoch auch gesagt, dass je geringer das Vorwissen oder die emotionale Betroffenheit im Vorhinein ist, desto höher ist die Erwartung an die Eindruckskraft des Ortes. Für manch einen kann das Gleis 17 schlicht und unscheinbar erscheinen. Die Aufzählungen am Boden sind auf den ersten Blick nicht erkennbar, die Tafel schlicht gehalten und an den Skulpturen wir der Besucher nicht notgedrungen vorbeigeleitet. Je weniger Vorwissen oder Interesse vorliegt, desto höher ist die Erwartung an die Aufklärung über die Deportation der Juden und desto größer eventuell die Enttäuschung. Für Wissende oder Interessierte hat die Authentizität des Ortes jedoch mehr Aufklärungscharakter als jede Informationstafel. Dann erkennt man die Banalität des Terrors: die Deportation der jüdischen Bürger mitten im Stadtgebiet, bis zum März 1945, als die sowjetische Armee schon vor Berlin stand; die Tragödie und Aussagekraft hinter der letzten Zahl, dass an diesem Märztag mitten im zerbombten Berlin noch 17[16] Juden gefunden und deportiert wurden; die Bedeutung, dass die „Endlösung“ sogar vor dem militärischen Sieg stand. Durch den Erhalt der Gleisanlage und der Rampe wurde ein Stück des authentischen Ortes erhalten, wobei der Informationsgehalt durch eine Inszenierung geschaffen wurde, die jedoch in den Ort integriert wurden. Das Palimpsest und die Multiperspektivität eines Erinnerungsortes sind am Bayrischen Viertel erkennbar. Das stark ausgebombte Viertel wurde restauriert und durch Gedenktafeln und das Cafe Haberland museal aufbereitet. Durch die heutige Nutzung als Wohnraum ist erkennbar, dass die Geschichte auch an, als historisch bedeutsam eingestuften, Orten weiterläuft und sich Schicht über Schicht legt. Jedoch geschah später in diesem Viertel keine politische Überschreibung der eigentlichen Bedeutung, außer während der Phase der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus ihren Wohnungen. Das Bayrische Viertel ist Symbol für verschiedene Bedeutungen, die an einem Erinnerungsort auftreten können. Für Historiker ist es archäologischer Schauplatz, für ehemalige Bewohner oder deren Familienangehörige ist es Ort der Erinnerung an die eigene Geschichte, für die Familie der verdrängten jüdischen Bevölkerung wie für die Kinder, die danach darin aufwuchsen. Für Passanten und Interessierte hat es durch die Informationstafeln musealen Charakter, für manche die Eigenschaft eines Wallfahrtsortes, wenn man daran denkt, dass Einstein und viele weitere Intellektuelle und Künstler dort lebten.[17]
Als Abschluss währt Aleida Assmann einen weiteren Aspekt der Erinnerungsorte, der auch hier nicht unerwähnt bleiben soll: das Gedenken und Vergessen. Wir haben Erinnerungsorte besucht, die ohne die Initiative von Einzelpersonen oder Erinnerungskollektiven nicht zustanden gekommen wären, daher ist es kaum verwunderlich, dass viele Erinnerungsorte nicht erhalten werden konnten und somit der Natur oder Neunutzung überlassen wurden. Sie werden somit aus der Kommunikation des sozialen Gedächtnisses verbannt und sind nur noch für diejenigen sichtbar, die durch die geschichtete Geschichte hindurchsehen.[18] Dann ist ein Bahnhof nicht nur ein Bahnhof und ein Haus nicht nur ein Haus, sondern der Ort an dem die jüdische Bevölkerung in mitten der Gesellschaft zusammengetrieben und deportiert wurde und die jüdischen Intellektuellen und Künstler aus ihrem Eigentum vertrieben und dessen enteignet wurden.
3 Das verbindende Element zwischen der inhaltlichen Einführung „Erinnerungsrahmen und Gedächtniskultur“ und dem Besuch der Erinnerungsorte
Jeder Student kennt die Gedanken, wenn ein wissenschaftlicher Text für ein Seminar vorgegeben wird: ´Ist ja ganz interessant, aber was bringt mir das jetzt persönlich?` Wenn ich mich mit einem Thema auseinandersetze, versuche ich immer, einen persönlichen Bezug oder eine Erklärung für mich zu finden, warum der Inhalt für mich jetzt interessant ist, welche Verbindungen zu anderen Themen es gibt und wie ich mich damit beschäftigen kann, damit er gefestigt und durchdacht im Langzeitgedächtnis gespeichert wird. So auch bei den vorliegenden Texten der ersten Einheit.
Das Konstrukt des Erinnerungsrahmens, der sich als gesellschaftliche Vorgabe über das individuelle Erinnern legt oder auch erst ein individuelles Erinnern fördert, war mir als Gedankengang nicht neu. Die Entstehung eines Erinnerungsrahmes, als individueller, gesellschaftlicher oder politischer Prozess, zeigte mir jedoch die eigene Verantwortung und die Bedeutung jedes einzelnen Individuums für die Aufrechterhaltung oder Gestaltung des Erinnerns auf. Erst der Zusammenschluss verschiedener Individuen, mit der gemeinsamen Motivation zu Erinnern oder etwas nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hat das Potenzial einen Erinnerungsrahmen oder eine Erinnerungskultur zu schaffen. Dem zu Grunde liegt jedoch, laut Maurice Halbwachs, das sich immer weiter entwickelnde normative Raster.[19] Dieses entsteht durch allgemeine politische Prozesse, dem Wandeln durch die Erziehung einer neuen Generation sowie viele weitere Einflüsse. Erst dies legt den Grundstein für das Entstehen einer Erinnerungsgesellschaft, die als Mittel und Ziel eine Erinnerungskultur schafft. Am Beispiel des Denkmals der ermordeten Juden Europas wird deutlich, dass die Mitglieder einer Erinnerungsgesellschaft nicht nur durch gemeinsame Erfahrungen, sondern durch eine gemeinsame Motivation geeint sind. Eine der Hauptinitiatorinnen, Lea Rosh, war nicht durch ein persönliches Schicksal an das Thema gebunden, sondern durch persönliches Interesse und Engagement. Entscheidende Frage für das Entstehen einer Erinnerungskultur ist jedoch, welche Mittel eine Erinnerungsgesellschaft hat, um den von ihnen gewollten Erinnerungsrahmen zu etablieren, das heißt zu einem kollektiven Gedächtnis zu formen, eine soziale Kommemoration zu schaffen und ein öffentliches Erinnern zu ermöglichen. Genau hier findet die Verbindung zwischen der ersten und zweiten Sitzung statt.
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1 Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München 2006, S. 153-168/ Guez, Olivier: Heimkehr der Unerwünschten. München 2011, S. 27-42/ Wolffsohn, Michael: Über den Abgrund der Geschichte hinweg. Deutsch-jüdische Blicke auf das 20. Jahrhundert, Olzog Verlag 2012, S. 173-191
2 Vgl. Assmann 2006, S. 157
3 Vgl. ebd. S.160
4 Vgl. ebd. S.154f.
5 Besonderes im Bereich der Namensgebung muss auf die Abgrenzung zum Begriff der Shoa eingegangen werden.
6 Vgl. Assmann 2006, S. 156
7 Vgl. ebd. S. 164/ 166
8 Vgl. Assmann 2012
9 Vgl. ebd. S. 28f.
10 Scholem sieht eine Symbiose in der vollkommenen Gleichstellung, welche in der deutsch-jüdischen Gesellschaft nie erreicht wurde. Er sieht das Zusammenleben als Assmilitation, da die Juden sich dem Deutschtum angeglichen hatte, welches ihr Judentum verdrängte.
11 Vgl. Guez 2011, S. 30
12 Vgl. Assmann 2006, S. 217
13 Vgl. ebd. S. 227/ 229
14 Vgl. ebd. S. 217
15 Vgl. Assmann 2006, S. 219
16 Eventuell waren es auch 18. Ich habe dazu leider keine Mitschriften.
17 Vgl. Assmann 2006, S. 223ff.
18 Vgl. ebd. S. 225
19 Vgl. Assmann 2006, S. 157