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Essay, 2017
10 Seiten
Didaktik für das Fach Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, DaF
„Lerner von Deutsch als Fremdsprache sehen sich häufig vor unerwartete Schwierigkeiten gestellt, wenn sie versuchen außerhalb des Unterrichts mit Muttersprachlern des Deutschen zu kommunizieren, die nicht die Standardsprache verwenden“ (Baßler/Spiekermann 2001: 205).
Man könnte annehmen, dass es ein leichtes sei die deutsche Sprache als Fremdsprache zu unterrichten und zu erlernen. Als Orientierung der Schriftlichkeit dienen die deutsche Rechtschreibung sowie die Grammatik. Im sprechsprachlichen Bereich kann man sich an den orthographischen Vorgaben für die Standardsprache orientieren, wie man sie in Wörterbüchern oder Aussprachewörterbüchern findet (Hirschfeld 1996: 187, Hirschfeld & Stock 2014: 263). Wie kann es dann dennoch zu Problemen im Sprachkontakt kommen?
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war es kaum problematisch sich für eine angemessene Sprache zu entscheiden. Aufgrund des damaligen diglossischen Verhältnisses von Standardsprache auf der einen und den Dialekten auf der anderen Seite (Mattheier 1990: 7). Diese Diglossie durchlief jedoch in den letzten Jahrzehnten einige Veränderungen.
Die bekannteste Veränderung ist wohl der Rückgang des Gebrauches verschiedener Dialekte (Dialektabbau) (Bellmann 1983: 112, Spiekermann 2007). Doch die sprachliche Entwicklung zeigte nicht nur auf dialektaler Ebene einen Rückgang, sondern auch eine Abkehr der Sprecher[1] von standardsprachlichen Normen (Standardabbau) (Spiekermann 2007). Bellmann (1983) benannte die Veränderungen in der deutschen Sprache schon in den 80er Jahren als den „Neuen Substandard“: eine Sprachvarietät die sich sowohl standardsprachlicher als auch dialektaler Elemente bedient.
Betrachtet man heute die deutsche Sprache stellt man fest, dass diese mittlerweile „in eine Vielzahl unterschiedlicher Varietäten aufgesplittert ist“ (Spiekermann 2007). Baßler und Spiekermann (2001/2) veranschaulichen diese Varietäten des Deutschen anhand des folgenden Modells[2].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Modell regionaler Varietäten – Diaglossie, nach Baßler/Spiekermann (2001)
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Abb. 2 Modell regionaler Varietäten – Diaglossie nach Baßler/Spiekermann (2001)
Neben dem Dialekt- und Standardabbau wird eine Vielzahl an neuen sprachlichen Variationen im deutschen Sprachraum verwendet. „Deutsch“ steht somit nur als Sammelbezeichnung für diverse sprachliche Varietäten (Baßler/Spiekermann 2001: 205). Baßler und Spiekermann (Baßler/Spiekermann 2001/2) lösen sich von der Vorstellung dieser ‚einen Standardsprache‘.
Die Sprecher im deutschen Sprachraum befinden sich - sprechsprachlich gesehen - im mittleren Bereich des Modells und bedienen sich der regionalen Standards und Regionalsprachen. Die Verwendung der Standardsprache und Dialekte geht stark zurück und ist sogar, laut Baßler/Spiekermann (2001/2), kaum mehr vorhanden.
Folgt man diesen Annahmen würde dies bedeuten, dass es im Deutschen nicht mehr ‚die eine Standardsprache‘ gibt. Somit könnte sie nicht mehr als Zielvarietät für den Deutsch als Fremdsprache-Unterricht[3] in Frage kommen.
Ausgehend von dieser Annahme sollte die logische Konsequenz die Einführung regionaler Varietäten im DaF-Unterricht sein. Denn die Standardsprache gleicht viel mehr einem Konstrukt als einer tatsächlich angewandten Sprache (Spiekermann 2007).
„Tatsächlich wird es niemanden geben, der diesen Standard perfekt beherrscht. Selbst geschulte Sprecher sind wie Schauspieler oder Nachrichtensprecher sind nicht in der Lage, einen völlig variationsfreien oder von regionalen Einflüssen unberührten Standard zu artikulieren“ (ebd.).
Die Auffassung, man müsse regionale Varietäten im DaF-Unterricht stärker einbinden, gewinnt seit einiger Zeit immer mehr Zuspruch (Hinsken: 288). Den Gebrauch der Varietäten und Nicht-Einhaltung einer Standardsprache bestätigen mittlerweile auch diverse Umfragen unter DaF-Lehrern und -Lernern (Baßler/Spiekermann 2001/2; Langer 2013). Es ließ sich sogar feststellen, „dass die von DaF-Experten […] geforderte und erwartete ‚variationslose Zielsprache‘, die sich an der Standardnorm orientiert, in der Praxis nicht vorhanden ist“ (Langer 2013: 429).
Ungeachtet dieser Tatsache bestehen dennoch einige DaF-Experten auf die Alleinstellung der Standardsprache und ihrer beizubehaltenden Position als Spracherwerbsziel (ebd.).
„Die vorherrschende Meinung insbesondere bei DaF-Lehrern und bei den meisten Lehrbuchverlagen scheint zu sein, dass sich der DaF-Unterricht hauptsächlich auf die Vermittlung der deutschen Standardsprache beschränken muss und soll“ (Baßler/Spiekermann 2001/2).
Die Vorstellung einer variationslosen Standardsprache ist scheinbar tief in der Vorstellung der Sprecher verankert. Auch die Tatsache, dass dies nicht der Sprachrealität entspricht, wird konsequent ignoriert (Schröter/Langer 2011: 5). Maitz und Elspaß (2013: 35) sehen die Gründe hierfür in den sprachlichen Ideologien, welche „auf unterschiedlich beeinflussten Überzeugungen, nicht aber auf rationaler Erkenntnis“ basieren. Die Vorstellung, dass es „das elementare Interesse eines jeden Sprechers, […]“ sei, die Standardsprache „[…] zu erlernen und zu verwenden“ (ebd.) ist sowohl unter linguistischen Laien als auch Experten verbreitet.
So findet sich der DaF-Lerner also in einem durch ideologische Annahmen verzerrten realitätsfernen Sprach(lern)raum wieder.
Folglich sieht sich ein Nicht-Muttersprachler mit dem Erlernen der Standardsprache einer Sprachrealität ausgesetzt, welche nicht seiner Auffassung und seinem Wissen von der deutschen Sprache entspricht (Baßler/Spiekermann 2001: 205). Nicht nur, dass dies zu Kommunikations- bzw. Verständnisschwierigkeiten führen kann. Die Sprache des Nicht-Muttersprachlers, als auch die Reaktion des Muttersprachlers kann zu Irritation führen (Mattheier 1990:10).
Laut Hirschfeld (1996: 188) wird schon seit den 70er Jahren eine „verständliche“ Aussprache und nicht die Standardsprache angestrebt. Dennoch lässt sich noch heute in den DaF-Unterrichtsmaterialien die Standardsprache als Zielvarietät und die Vernachlässigung der regionalen Varietäten feststellen:
Der Klett-Verlag wirbt mit authentischen Charakteren und einer natürlichen Sprache (Klett 2017). Das Arbeitsbuch Aussichten A1 [4] beginnt vielversprechend mit regionalen Begrüßungen (Ros-El Hosni/Swerlowa/Klötzer 2014: 14). Im gesamten Rest des Lehrwerkes findet man jedoch weder einen Hinweis auf die Wichtigkeit der regionalen Varietät, noch eine Fortführung dieser in den Übungen. Eine Übung zu verschiedenen Wendungen, inkl. des Hinweises auf die Wichtigkeit diese auswendig zu lernen, weckt Hoffnung (ebd.: 63). Es bleibt jedoch dabei, dass Fremdsprachlern weiterhin vor allem standardsprachliche und somit meist weniger geläufige Ausdrücke beigebracht werden, wie das folgende Beispiel zeigt: „Beim Frühstück sieht sie fern“ (ebd.: 30). „Fernsehen“ ist grammatikalisch und standardsprachlich gesehen der richtige Ausdruck. Heutzutage mag man ihn jedoch eher als den ‚eleganteren‘ und nicht als den geläufigen Ausdruck bezeichnen. Davon zeugen nicht diverse Diskussionen in Online-Foren[5], geführt sowohl von DaF-Lernern als auch Muttersprachlern (Forum DaF 2015, Linguisten.de 2011).
Dass nicht nur die Sprachwissenschaft, sondern auch die DaF-Lerner, eine zeitgemäße Entwicklung und Anpassung an die Sprachrealität fordern, zeigt u.a. die Bemängelung des Fremdsprachenunterrichts durch Lehrer und Lerner in Zufriedenheitsumfragen (Baßler/Spiekermann 2001/2, Langer 2013). Hier sprechen sich vor allem DaF-Lerner für mehr Kenntnisse der regionalen Varietäten (bzw. Dialekte) aus.
[...]
[1] Aus platzökonomischen Gründen verwende ich für die Bezeichnung von Personen nur das generische Maskulinum.
[2] Das Modell ist gültig für Süddeutschland, weite Teile des Mitteldeutschen und für Österreich (Spiekermann 2007).
[3] Im Folgenden „DaF“.
[4] Stellvertretend für weitere DaF-Lehrwerke, wird hier das DaF-Lehrbuch Aussichten A1 (2014) – das Anfänger-Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache – eines der aktuellsten Lehrbücher, als Anschauungsbeispiel verwendet.
[5] Internet-Foren für DaF-Lerner und-Lehrer, sprachwissenschaftlich Interessierte u.a.