Frau Ava gilt als die erste namentlich überlieferte Verfasserin von Gedichten in frühmittelhochdeutscher Sprache. Sie lebte wohl zwischen 1060 und 1127 im heutigen Niederösterreich, falls sie mit der Ava Inclusa übereinstimmt, deren Tod in den Annalen des Benediktinerklosters von Melk und anderen Klöstern in dessen Umgebung für das Jahr 1127 verzeichnet wird. Frau Ava werden insgesamt fünf epische Gedichte geistlichen Inhalts zugeschrieben, die in zwei Handschriften, der Vorauer Sammelhandschrift und einer späteren überlieferten Görlitzer Handschrift, die heute verschollen ist, übermittelt. Weitere Angaben sind bisher nicht bekannt. Dennoch ist die Forschung größtenteils der Auffassung, dass Frau Ava die fünf Gedichte verfasst hat.
Warum hält der überwiegende Teil der Forschung Frau Ava für die Autorin der fünf Gedichte? Konnte sie tatsächlich die Gedichte verfasst haben? Diese Hausarbeit zielt darauf ab, die Fragestellung zu beantworten. Das geschieht nach der deduktiven Methode, indem zunächst Antworten auf die folgenden Fragen hinsichtlich früh- und hochmittelalterlicher Schriftlichkeit gegeben werden: Ab welchem Zeitpunkt entwickelte sich in Kontinentaleuropa eine kontinuierliche volkssprachige Schriftlichkeit? Wer konnte zu der Zeit schreiben? Wie wurde damals geschrieben? Wer hatte geschrieben? Auf Basis dieser Antworten wird anschließend der Frage nachgegangen, weshalb die Forschung überwiegend davon ausgeht, dass Frau Ava die Verfasserin der fünf Gedichte gewesen war und ob sie tatsächlich als deren Autorin gelten kann. Im Hinblick auf die in der Hausarbeit verwendete Forschungsliteratur kann insbesondere auf die folgenden Arbeiten verwiesen werden: Zur Darstellung der Entwicklung einer volkssprachigen Schriftlichkeit auf dem europäischen Kontinent wird beispielsweise die Arbeit von Peter Stein, „Schriftkultur. Eine Geschichte des Schreibens und Lesens“, herangezogen, der zu dieser Thematik einen knappen und dennoch überzeugenden Überblick gibt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zur Schriftlichkeit im frühen und hohen Mittelalter
2.1 Zur Entwicklung der volkssprachigen Schriftlichkeit
2.2 Lese- und Schreibfertigkeiten im frühen und hohen Mittelalter
2.3 Der Schreibprozess
2.4 Zur Schriftlichkeit der Frauen
3 Leben und Schreiben der Frau Ava
3.1 Zur Biographie der Frau Ava
3.2 Zu den Gedichten
3.3 Zur Überlieferung der Gedichte
3.4 Zur Schriftlichkeit der Frau Ava
4 Fazit
5 Bibliographie
5.1 Quellen
5.2 Literatur
Anhang Epilog zum „Jüngsten Gericht“
1. Einleitung
Frau Ava gilt als die erste namentlich überlieferte Verfasserin von Gedichten in frühmittelhochdeutscher Sprache. Sie lebte wohl zwischen 1060 und 1127 im heutigen Niederösterreich, falls sie mit der Ava Inclusa übereinstimmt, deren Tod in den Annalen des Benediktinerklosters von Melk und anderen Klöstern in dessen Umgebung für das Jahr 1127 verzeichnet wird. Frau Ava werden ins- gesamt fünf epische Gedichte geistlichen Inhalts zugeschrieben, die in zwei Handschriften, der noch aus dem 12. Jahrhundert stammenden Vorauer Sam- melhandschrift (Kodex 276) und einer aus dem 14. Jahrhundert überlieferten Görlitzer Handschrift (Codex A III.1.10), die heute verschollen ist, übermittelt. Weitere Angaben sind bisher nicht bekannt. Dennoch ist die Forschung größ- tenteils der Auffassung, dass Frau Ava die fünf Gedichte verfasst hat. Warum hält der überwiegende Teil der Forschung Frau Ava für die Autorin der fünf Gedichte? Konnte sie tatsächlich die Gedichte verfasst haben? Diese Hausarbeit im Rahmen des Moduls G2 Alteuropäische Schriftkultur zielt da- rauf ab, die Fragestellung zu beantworten.
Das geschieht nach der deduktiven Methode, indem zunächst Antworten auf die folgenden Fragen hinsichtlich früh- und hochmittelalterlicher Schriftlich- keit gegeben werden: Ab welchem Zeitpunkt entwickelte sich in Kontinental- europa eine kontinuierliche volkssprachige Schriftlichkeit? Wer konnte zu der Zeit schreiben? Wie wurde damals geschrieben? Wer hatte geschrieben? Auf Basis dieser Antworten wird anschließend der Frage nachgegangen, wes- halb die Forschung überwiegend davon ausgeht, dass Frau Ava die Verfasserin der fünf Gedichte gewesen war und ob sie tatsächlich als deren Autorin gelten kann.
Im Hinblick auf die in der Hausarbeit verwendete Forschungsliteratur kann insbesondere auf die folgenden Arbeiten verwiesen werden:
Zur Darstellung der Entwicklung einer volkssprachigen Schriftlichkeit auf dem europäischen Kontinent wird beispielsweise die Arbeit von Peter Stein, „Schriftkultur. Eine Geschichte des Schreibens und Lesens“, herangezogen, der zu dieser Thematik einen knappen und dennoch überzeugenden Überblick gibt (Stein 2006). Zur Betrachtung der Lese- und Schreibfertigkeiten im frühen und hohen Mittelalter wird sowohl ältere als auch jüngere Forschungsliteratur berücksichtigt, wie etwa die Abhandlung von Alfred Wendehorst, „Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben?“, zur Verbreitung der Schriftlichkeit oder die Untersuchung von Cordula Fink, „Das Auge kann hören - das Ohr kann sehen“, zur Situation der Bildungsverhältnisse im europäischen Mittelalter (Wendehorst 1986; Fink 2003). Zur Darstellung der früh- und hochmittelalter- lichen Schreibpraxis wird vor allem auf Otto Ludwigs „Geschichte des Schrei- bens. Band 1 Von der Antike bis zum Buchdruck“ Bezug genommen, der plau- sibel die Organisation des damaligen Schreibprozesses sowie die historische Schreibpraxis aufzeigt (Ludwig 2005).
Zu Frau Ava wird vor allem jüngere Forschungsliteratur berücksichtigt wie etwa die Dissertationen von Barbara Gutfleisch-Ziche, „Volkssprachliches und bildliches Erzählen biblischer Stoffe“, und von Arianna Doria, „Frau Ava: Forschungsbericht, Kommentar“, oder die neue kommentierte Ausgabe der Frau Ava zugewiesenen Gedichte von Maike Claußnitzer und Kassandra Sperl, „ Ava: Geistliche Dichtungen“ (Gutfleisch-Ziche 1997; Doria 2003; Claußnitzer/Sperl 2014). Diese Werke zeigen den aktuellen Forschungsstand zu Frau Ava und den Gedichten auf und geben zusätzlich Einblicke in ältere Forschungsergebnisse und Betrachtungen.
Abschließend seien noch diese Anmerkungen zur zeitlichen und geographischen Verortung der Hausarbeit gemacht:
Da viele der in dieser Arbeit beschriebenen Sachverhalte sich auf beide Zeiträume beziehen, wird in den Kapiteln der Arbeit häufig sowohl vom frühen wie vom hohen Mittelalter die Rede sein.
Sofern explizit keine anderen Angaben gemacht werden, wird der geographische Rahmen der Hausarbeit das Gebiet des heutigen Deutschlands und Österreichs umfassen.
Schließlich werden, der besseren Lesbarkeit wegen, an Textstellen, die sich nicht konkret auf männliche oder weibliche Personen beziehen, lediglich die männlichen Bezeichnungen verwendet.
2 Zur Schriftlichkeit im frühen und hohen Mittelalter
2.1 Zur Entwicklung der volkssprachigen Schriftlichkeit
Bis zum Beginn des hohen Mittelalters, etwa bis zur Mitte des 11. Jahrhun- derts, stellten schriftlich überlieferte Zeugnisse in den Volkssprachen in Kon- tinentaleuropa eher die Ausnahme dar. Im Gegensatz zu England und Irland, Ländern in denen volkssprachige Schriftlichkeit, etwa im Urkundenwesen, schon zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert Verbreitung fand, wurde auf dem europäischen Kontinent die überwiegende Mehrzahl der übermittelten Schrift- stücke bis ins 11. Jahrhundert auf Latein geschrieben (Stein 2006, S. 167-168). Zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert entwickelte sich dann in Kontinental- europa eine kontinuierliche Schriftlichkeit in den jeweiligen Volkssprachen, sowohl in pragmatischen Schriftstücken - zum Beispiel Rechnungen - als auch in literarischen Texten, zunächst klerikaler, danach immer mehr weltlicher Art (Stein 2006, S. 168; Grundmann 1935/1978, S. 69).
Die Gründe dafür waren vielfältig. Im Zuge der Klosterreformen im 11. Jahr- hundert war die römisch-katholische Kirche bestrebt, die christliche Lehre der nicht lateinkundigen Bevölkerungsmehrheit noch deutlicher zu verkünden. Auf der weltlichen Seite stärkte ab etwa 1060 der Investiturstreit die Selbstwahr- nehmung des Adels; es entstand allmählich das Interesse an einer auch sprach- lich bekundeten eigenen Identität (Scholz 1994, S. 560; Stein 2006, S. 168). Auf Seiten der „normalen“ Bevölkerung bildete sich vor allem das Verlangen nach Verschriftlichung bisher mündlich vermittelter Literatur aus. Stein geht davon aus, dass die nun stattfindende Ausdehnung der Schriftlichkeit in die Volkssprachen insgesamt darauf zurückzuführen sei, dass mehr und mehr Lai- en, die kein Latein beherrschten, Interesse an schriftlich Vermitteltem bekun- deten (Ebd.). Besonders von den im 11. Jahrhundert entstandenen volksspra- chigen Bibeldichtungen wird angenommen, dass sie für die Bevölkerungs- schichten verfasst wurden, die größtenteils kein oder nur wenig Latein verstan- den aber über einige Lesekenntnisse verfügten (Gutfleisch-Ziche 1997, S. 11). Es wird davon ausgegangen, dass die in Kapitel 3 ausführlicher vorgestellte Autorin, Frau Ava, ihre frühmittelhochdeutschen religiösen Gedichte in erster Linie für lesekundige Laien verfasst hatte, die sich für geistliches Schrifttum interessierten aber nur geringe Lateinkenntnisse besaßen, und Grundmann vertrat sogar die Überzeugung, dass das volkssprachige Schrifttum hauptsäch- lich für die adligen Frauen entwickelt wurde, die häufig nur wenig Latein ver- standen jedoch im Gegensatz zu den nicht-geistlichen adligen Männern bereits viel gelesen hätten (Grundmann 1935/1978, S. 70; Bumke 2002, S. 474). Die Lese- und Schreibfertigkeiten der früh- und hochmittelalterlichen Bevölke- rungsschichten werden im nächsten Kapitel näher betrachtet werden.
2.2 Lese- und Schreibfertigkeiten im frühen und hohen Mittelalter
Wer hatte im frühen und hohen Mittelalter überhaupt geschrieben? Wer konnte zu der Zeit lesen und schreiben?
Ab dem frühen Mittelalter lag die Vermittlung von Bildung und Wissen in Kontinentaleuropa nahezu ausschließlich in den Händen der römisch-katholi- schen Kirche (Haug 1983, S. 141). Lesen und Schreiben beherrschte praktisch nur der Klerus sowie „die höhere, eher höchste Verwaltung des Reiches, deren Beamte diese aufgrund einer klerikalen Ausbildung“ ausübten (Knoop 1994, S. 861).
Karl der Große (800-814) hatte zwar die Idee gehabt, jedem im Reich, unab- hängig seines Standes, zumindest eine rudimentäre Schulbildung zukommen zu lassen, konnte seine Pläne jedoch nicht wirklich umsetzen (Kartschoke 1994, S. 179). Dennoch gingen wohl schon etliche Laien in die frühmittelalterlichen Klosterschulen, so dass es bereits ab dem frühen 9. Jahrhundert zur Aufteilung innerhalb des Klosters in eine „äußere Schule“ für alle und in eine „innere Schule“ für die geistliche Laufbahn gekommen war (Ebd.).
Stein behauptet, ohne nähere Angaben zu machen, dass die damaligen Schulen für Laien nicht nur zugänglich waren, sondern durchaus auch von ihnen besucht wurden (Stein 2006, S. 151-152).
Andere Forscher, wie Köhn und Wendehorst, oder Krohn, gehen dagegen da- von aus, dass die Mehrzahl der Adligen noch im 12. Jahrhundert nicht lesen und schreiben konnte, weil sie in den meisten Fällen keinerlei Schulbildung genossen hätten. Vor allem in der ritterlichen Ausbildung des hohen Mittel- alters hätten Lesen und Schreiben höchstens einen untergeordneter Bestandteil gebildet, und sogar Könige wären bis ins 12. Jahrhundert in der Regel An- alphabeten gewesen (Köhn 1986, S. 215; Wendehorst 1986, S. 27; Krohn 1988, S. 30). Zum Verfassen und Vorlesen eines Schriftstücks hätten die Herrscher die Dienste eines Klerikers benötigt, der lesen und schreiben konnte und dazu eigens von ihnen eingestellt wurde (u. a. Köhn 1986, S. 215; Bumke 2002, S. 617). Lediglich Adlige, die ursprünglich einmal eine geistliche Laufbahn einschlagen sollten, hätten als Kind Schulunterricht erhalten (Knapp 1992, S. 34). Jedoch hätten manche von ihnen dann dafür gesorgt, dass die nachfolgende Generation lesen und schreiben lernte, um auf die Art und Weise deren zukünftigen Machtanspruch zu unterstützen (Krohn 1988, S. 30). Bumke geht davon aus, dass es in Deutschland erst Ende des 12. Jahrhundert in den höchsten Adelskreisen üblich geworden war, den Kindern eine intensivere Bildung zu vermitteln (Bumke 2002, S. 600).
Grundmann behauptet explizit, dass, da fast bis ins 12. Jahrhundert nahezu sämtliches Schriftgut auf Latein verfasst und überliefert worden war, Schreiben und Lesen lernen gleichbedeutend mit Latein lernen gewesen wäre. Latein wurde jedoch nur im Kloster gelehrt, was somit bedeutete, dass im Prinzip nur diejenigen Lesen und Schreiben gelernt hatten, die ursprünglich für eine geist- liche Karriere vorgesehen waren (Grundmann 1958/1978, S. 3-9; vgl. auch Kapitel 2.1).
Neddermeyer ist wie Grundmann davon überzeugt, dass damals Lateinkennt- nisse nötig waren, um Lesen und Schreiben zu lernen (Neddermeyer 1998, S. 28). Scholz dagegen geht davon aus, dass im Prinzip nicht zu ermitteln sei, ob zum Lesen und Schreiben lernen, nicht auch volkssprachige Schriftstücke herangezogen wurden (Scholz 1980, S. 207).
Jedoch hatten wohl, im Gegensatz zu den Männern, adlige Frauen im frühen und hohen Mittelalter durchaus häufiger über Lese- und Schreibkenntnisse verfügt, wobei bei ihnen Lesekenntnisse verbreiteter gewesen wären als Schreibkenntnisse (Krohn 1988, S. 32). Grundmann ist sogar überzeugt, dass damals ein großer Teil der adligen Frauen so gut lesen konnte, wie sonst nur der Klerus, während das bei den Männern nur ausnahmsweise der Fall gewesen wäre (Grundmann 1935/1978, S. 70, vgl. Kapitel 2.1). Dagegen behauptet Bumke, dass es im hohen Mittelalter nicht außergewöhnlich gewesen wäre, dass weibliche Adlige lesen und schreiben lernten (Bumke 2002, S. 474). Fink geht ebenfalls von einer verbreiteten Lese- und Schreibfertigkeit bei weltlichen adligen und geistlichen Frauen aus (Fink 2003, S. 436).
Andererseits behaupten Krohn und Bumke, dass das Bildungsniveau in den Klosterschulen zum Teil sehr niedrig gewesen wäre und etwa die dort gelehr- ten Lateinkenntnisse häufig nicht genügt hätten, um lateinische Predigten zu verstehen, was mit ein ausschlaggebender Grund für die Entwicklung eines geistlichen Schriftguts in der jeweiligen Volkssprache gewesen wäre (Krohn 1988, S. 32; Bumke 2002, S. 474; vgl. auch Kapitel 2.1). Freytag spricht davon, dass etwa ab dem 10. Jahrhundert adlige Mädchen häufig im Frauenkloster zur Schule gingen, um den Psalter lesen und auswendig zu ler- nen (Freytag 1988, S. 67; Tischler 1994, S. 543). Jedoch nur, wenn die Mäd- chen wenigstens für eine gewisse Zeit ein geistliches Leben wählten, hätten sie in einer der ebenfalls im Kloster angesiedelten weiterführenden Schulen quali- fizierteren Unterricht genießen können (Freytag 1988, S. 67). Der Schreib- und der Leseunterricht waren im frühen und hohen Mittelalter grundsätzlich nicht miteinander verbunden (Scholz 1980, S. 204). Es wird davon ausgegangen, dass das Schreiben erst nach dem Lesen gelehrt wurde (Köhn 1986, S. 226). Der Schreibunterricht war kein Bestandteil des elementaren Unterricht, und nur die begabteren Schülerinnen kamen in seinen Genuss (Tischler 1994, S. 543). Somit gehörten Lese- und Schreibfertigkeiten bis in späte Mittelalter in aller Regel nicht automatisch zusammen (Krohn 1988, S. 32).
Knapp nimmt an, dass in religiösen Frauengemeinschaften nicht selten welt- liche Frauen unterrichtet wurden, die dann mit etwa 12 Jahren das Kloster wieder verlassen hätten. (Knapp 1992, S. 61-62).
Fink geht davon aus, dass es zusätzlich außerinstitutionelle Lehrtätigkeit gegeben hatte, wie zum Beispiel privaten Unterricht. Oft wären Mädchen, bevor sie zur Klosterschule gingen, schon zuhause von ihren Müttern unterrichtet worden (Fink 2003, S. 170). Scholz dagegen sieht keine ausreichenden Belege, um konkrete Aussagen bezüglich Heimunterricht bzw. Unterweisung durch die Eltern, zu treffen (Scholz 1980, S. 205).
Neuere Untersuchungen, wie die von Ulrich Ernst, stellen einen hohen Anteil lese- und schreibkundiger Frauen ebenfalls nicht infrage, gehen jedoch davon aus, das alles in allem die Relation von Frauen und Männern, die lesen und schreiben konnten, zumindest bezogen auf das hohe Mittelalter, verhältnismäßig gleich gewesen wäre (Ernst 2006, S. 143).
Obwohl wirklich gesicherte Angaben fehlen, ist somit durchaus anzunehmen, dass spätestens im hohen Mittelalter bereits etliche adlige Frauen lesen und auch schreiben konnten.
Fink stellt zudem fest, dass es offenbar häufig vorkam, dass des Schreibens und Lesens Kundige sich trotzdem vorlesen ließen (Fink 2003, S. 60). Rosamond McKitterick behauptet, dass, einen Schreiber zu beschäftigen, nicht bedeuten musste, dass der- oder diejenige nicht schreiben konnte. Dass Schreiben quasi als Beruf ausgeübt werden konnte, machte es für die oberen Schichten unnötig, es selbst zu praktizieren (McKitterick 1991, S. 66). Diese Thematik wird im folgenden Kpitel noch ausführlicher eraläutert werden.
Grundsätzlich ist aber festzuhalten: Die Klosterschule zu besuchen, um Lesen und Schreiben zu lernen und eine gewisse Bildung zu erwerben, war zu der Zeit praktisch ausschließlich adligen Kindern vorbehalten (Arnold 1989, S. 724). Selbst wenn bereits Karl der Große anderes geplant hatte: erst am En- de des 12. Jahrhunderts entstanden die „Pfarrschulen“, die auch Kindern einfa- cher Herkunft offen standen (Scholz 1980, S. 204). Dennoch war es für die An- gehörigen unterer Bevölkerungsschichten in den allermeisten Fällen nicht mög- lich, auch nur eine elementare Bildung zu erhalten (Scholz 1980, S. 206). Als Beschreibstoff diente damals in der Regel Pergament. Bis zum 11. Jahr- hundert wurde für Briefe und Urkunden zum Teil noch Papyrus verwendet (Stein 2006, S. 132). Papier wurde in Europa erst ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hergestellt (Mazal 1994, S. 128). Für Notizen wurden Holz- tafeln benutzt, die mit Wachs bestrichen waren. Als Schreibgeräte dienten Holzstäbe, Gänsefedern und diverse Tinten (Ong 1987, S. 96; Stein 2006, S. 132).
Solange nicht nur Literatur, sondern auch Informationen und Wissen lediglich auf Handschriften festgehalten werden konnten, war Schriftlichkeit in der Regel mit erheblichen Kosten verbunden, schon weil der Beschreibstoff Pergament sehr teuer gewesen war (Haarmann 2007, S. 123; Knoop 1994, S. 861). Zwar wurden Handschriften durchaus kopiert, ihre Verbreitung war dennoch so gering gewesen, dass der größte Teil der Bevölkerung nicht mit ihnen in Berührung kommen konnte (Haarmann 2007, S. 123).
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