Die europäischen Gesellschaften haben ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie und von wem Kinder im Vorschulalter betreut werden sollten. Das ausdifferenzierte Angebot an Betreuungseinrichtungen und an Konzepten hängt eng mit kulturellen Kontexten zusammen, mit Vorstellungen über Kindheit, Privatheit und Öffentlichkeit, mit dem Verhältnis der Gesellschaften gegenüber "ihrem" Staat, mit den jeweils vorherrschenden Geschlechterbildern, der Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt und der Integration der Väter in die Familie. Die Kenntnisnahme und Umsetzung der Bedürfnisse von Kindern und Eltern in politisches Handeln variiert ebenfalls je nach Land.
Frankreich und Schweden werden oft, was Kinderbetreuung, Fertilitätsrate und Frauenerwerbsarbeit betrifft, als Vorzeigebeispiele angeführt. Deshalb sollen diese beiden Länder auch für diese Arbeit herangezogen werden. Die Entwicklung in Italien befindet sich in einem besonderen Spannungsfeld von Tradition und Wandel. Die Frauenerwerbsquote ist gering, die Geburtenrate (1,23 Kinder pro Frau) ist die niedrigste aller EU-Staaten. (vgl. Kytir 2004, Folie 128). In dieser Arbeit sollen die unterschiedlichen Zugangsweisen zur Kinderbetreuung dargestellt und verglichen werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entwicklung der Kinderbetreuung
3. Kinderbetreuung in den Vergleichsländern
3.1. Kinderbetreuung in Schweden:
3.1.1. Gesellschaftlicher Kontext der Kinderbetreuung
3.1.2. Einrichtungen und Betreuungsangebote
3.2. Kinderbetreuung in Italien
3.2.1. Gesellschaftlicher Kontext der Kinderbetreuung
3.2.2. Einrichtungen und Betreuungsangebote
3.3. Kinderbetreuung in Frankreich
3.3.1. Gesellschaftlicher Kontext der Kinderbetreuung
3.3.2. Einrichtungen und Betreuungsangebote
4. Schweden, Frankreich und Italien im Vergleich
4.1. Gesellschaftlicher Kontext im Vergleich
4.2. Kinderbetreuungsangebote im Vergleich
4.3. Kinderbetreuung und Frauenerwerbstätigkeit
4.4. Kinderbetreuung und Geburtenrate
5. Quellen
5.1. Bücherquellen:
5.2. Internetquellen:
1. Einleitung
Die europäische Perspektive gewinnt auch in Fragen der Kinderbetreuung in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Bei verschiedensten Studien zu Beschäftigungszahlen, Geburtenraten und Bildungsniveau (siehe letzte PISA-Studie) taucht unweigerlich auch die Frage nach den Kinderbetreuungssystemen auf. Welche Einrichtungen gibt es in anderen Ländern? Welche Ausbildung haben die Fachkräfte? (vgl. Oberhuemer/Ulich 1997, S. 7) Welche Auswirkungen haben die Angebote zum Beispiel auf Frauenerwerbsquote und Geburtenrate?
Die Betreuungssysteme der EU-Staaten sind vielfältig und heterogen.
Die Diskussion über Kinderbetreuung ist aktueller denn je, und sie spiegelt immer Werthaltungen einer Gesellschaft wieder. Jede Art von Kinderbetreuung greift in den Alltag einer Familie, die kleinste und wichtigste Einheit jeder Gesellschaft, ein und entbindet diese gleichzeitig von Aufgaben. Grund genug für ein Thema um zu polarisieren. Stehsätze wie „ein Kind gehört zur Mutter“, „Frauen haben ein Recht arbeiten zu gehen“, „Karriere oder Familie“, … und so weiter tauchen in Diskussionen dieser Art immer wieder auf, ändern aber nichts an der Situation. Gefragt sind flexible Denkansätze, ein „über-den-Tellerrand-Schauen“ aus der Sicht aller Beteiligten. Die Art und Weise der Kinderbetreuung nimmt auf kurze und vor allem auf lange Frist auf die gesamte Gesellschaft eines Staates Einfluss.
Der Vergleich mit anderen Ländern rückt das eigene System schärfer ins Blickfeld - mögliche oder notwendige Entwicklungen können in ihrer Reichweite zuverlässiger eingeschätzt werden. Trotz der jeweils spezifischen gesellschaftlichen und historischen Entwicklungen, lassen sich doch Herausforderungen und offene Fragen feststellen, die für die meisten Länder relevant sind und sein werden:
Die Verwirklichung eines doppelten Auftrags von Tageseinrichtungen: einerseits als Bildungs- und Entwicklungschance für Kinder, andererseits als soziale Dienstleistungen für Familien.
Die qualitative und quantitative Verbesserung der Versorgungslage für Kinder unter 6 Jahren, insbesondere für Kinder von 0 bis 3 Jahren und für Schulkinder.
Die Entwicklung von Qualitätskriterien zur Einschätzung und Verbesserung der Tagesbetreuung von Kindern. (vgl. Oberhuemer/Ulich 1997, S. 8)
Die europäischen Gesellschaften haben ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie und von wem Kinder im Vorschulalter betreut werden sollten. Das ausdifferenzierte Angebot an Betreuungseinrichtungen und an Konzepten hängt eng mit kulturellen Kontexten zusammen, mit Vorstellungen über Kindheit, Privatheit und Öffentlichkeit, mit dem Verhältnis der Gesellschaften gegenüber "ihrem" Staat, mit den jeweils vorherrschenden Geschlechterbildern, der Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt und der Integration der Väter in die Familie. Die Kenntnisnahme und Umsetzung der Bedürfnisse von Kindern und Eltern in politisches Handeln variiert ebenfalls je nach Land. (vgl. Veil, M. 2003, http://www.bpb.de/themen /T3GGDU,,0,KinderbetreuungsKulturen_in_Europa:_Schweden_Frankreich_Deutschland.html)
Frankreich und Schweden werden oft, was Kinderbetreuung, Fertilitätsrate und Frauenerwerbsarbeit betrifft, als Vorzeigebeispiele angeführt. Deshalb sollen diese beiden Länder auch für diese Arbeit herangezogen werden. Die Entwicklung in Italien befindet sich in einem besonderen Spannungsfeld von Tradition und Wandel. Die Frauenerwerbsquote ist gering, die Geburtenrate (1,23 Kinder pro Frau) ist die niedrigste aller EU-Staaten. (vgl. Kytir 2004, Folie 128). In dieser Arbeit sollen die unterschiedlichen Zugangsweisen zur Kinderbetreuung dargestellt und verglichen werden.
Zum Begriff Kinderbetreuung
Der Begriff „Kinderbetreuung“ wird in dieser Arbeit als Überbegriff für alle Formen der außerfamiliären Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern benutzt.
2. Entwicklung der Kinderbetreuung
Das Leitbild der Exklusivität der Kinderbetreuung durch die Mutter entstand in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Allerdings war dies nur einer Minderheit der Mütter möglich. Gemessen am Leitbild, dass die natürlichste Form der Betreuung der Kinder die von der Mutter sei, galt die nicht mütterlich Betreuung von kleinen Kindern als negativ und defizitär für das Kind.
Die Kinderbetreuung verlegte sich aus dem informellen Bereich der erweiterten Familie, der Nachbarschaft und anderen Netzwerken in den formellen Bereich spezialisierter Betreuungseinrichtungen. Die Verantwortung der Kinderbetreuung hat sich von einer vorwiegend privaten in eine öffentliche Angelegenheit gewandelt. (vgl. Tietze 2003, S. 250)
Kinderbetreuung in öffentlichen Institutionen hat zwei Ursprünge: einerseits die staatliche Schulpflicht und zum andern die Betreuung von Kindern, deren familiäres Umfeld ein gesundes Aufwachsen erschwerte, mit dem Ziel des Defizitausgleichs, besonders für Arbeiterkinder. (vgl. Dienel 2002, S. 114f).
Mittlerweile kommt der Kinderbetreuung eine zentrale Funktion für die Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbstätigkeit zu.
In Frankreich wurden bereits 1881 die salles d'asile, die Vorläufer der heutigen Vorschulen (école maternelles), in das allgemeine Bildungssystem integriert. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist ihr Angebot aufgrund des Bevölkerungswachstums und der verstärkten Erwerbsbeteiligung von Frauen stark expandiert. (vgl. Fix, B. , http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Programme/a_Familienpolitik/s_ 877.html)
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren die ideologischen Unterschiede in Europa groß und die Ansichten über Familienpolitik ebenso. In Italien (und auch in Österreich) entschied man sich für ein traditionelleres Modell des Familienerhalters und der Hausfrau, aufbauend auf eine geschlechterspezifische Arbeitsteilung.
Im Gegensatz dazu entschlossen sich die skandinavischen Länder für eine starke staatliche, gleichheitsorientierte Sozialpolitik, welche familiale Belange als Politik der Gleichstellung von Männer und Frauen, Klassen und Lebenslagen berücksichtigt, ohne sie explizit als Familienpolitik zu thematisieren.
Frankreich wird als Pionierland mit einer expliziten Familienpolitik gesehen. Typisch für das französische Modell ist eine ausgebaute zentralstaatliche Familienpolitik, welche eine lange Tradition hat.
Das südeuropäische Modell baut auf Traditionalität und subsidiären Ansatz, der auf privaten Arrangements basiert. (vgl. Gauthier 2001, S. 27 und Henry-Huthmacher 2004, S. 78f)
3. Kinderbetreuung in den Vergleichsländern
3.1. Kinderbetreuung in Schweden:
3.1.1. Gesellschaftlicher Kontext der Kinderbetreuung
Kinderbetreuungskultur in Schweden ist im Kontext eines Wohlfahrtsmodells zu sehen, das auf Vollbeschäftigung und Integration aller Bürgerinnen und Bürger in den Arbeitsmarkt beruht. Darauf ist die schwedische Familienpolitik seit den siebziger Jahren ausgerichtet. (vgl. Veil, M. 2003, http://www.bpb.de/themen /T3GGDU,,0,KinderbetreuungsKulturen_in_Europa:_Schweden_Frankreich_Deutschland.html) Eine gute Kinderbetreuung wird in Schweden als Grundvoraussetzung für eine Gesellschaft gesehen, in der beide Elternteile berufstätig sind. Die meisten Schwedinnen arbeiten bis zur Geburt ihres ersten Kindes und kehren innerhalb eines Jahres wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Seit den frühen 1970er Jahren erfolgte daher eine große Ausweitung der Kinderbetreuungseinrichtungen. (vgl. Schwedisches Institut 2003, www.sweden.se)
Alle erwerbstätigen Eltern, die eine Kinderbetreuung benötigen, haben einen gesetzlichen Anspruch auf Vorschultagesstätten für Kinder im Alter von 1-6 Jahren und auf Freizeitzentren für Kinder im Alter von 7-12 Jahren. 76 Prozent der Vorschulkinder nehmen diese Einrichtungen in Anspruch. Die Öffnungszeiten richten sich nach den Arbeitszeiten der Eltern. (vgl. Schwedisches Institut 2003, www.sweden.se).
Die staatliche Verantwortung für Fürsorge und Betreuung hat quasi zu einem Monopol des Staates in der Kinderbetreuung geführt, private Einrichtungen sind äußerst selten und betriebliche Angebote kaum vorhanden.
Die stark institutionalisierte Kleinkindbetreuung und –erziehung, die ein wesentlicher Bestandteil des Wohlfahrtsstaates geworden ist, zeichnet sich durch hohe Qualität ihrer pädagogischen Arbeit aus. Das Konzept Kindheit beruht auf demokratischen Werten und auf dem Respekt vor den Rechten der Kinder. Das Verhältnis der Erzieher/innen zu den Kindern basiert nicht auf einem hierarchischen Erziehungsverhältnis, sondern ist durch eine Kultur der Verhandlungen geprägt; statt die Kinder zu beherrschen, werden sie zur Teilnahme am gesellschaftlichen Geschehen aufgefordert. (vgl. Veil, M. 2003, http://www.bpb.de/themen/T3GGDU,,0
, KinderbetreuungsKulturen_in_Europa:_Schweden_Frankreich_Deutschland.html)
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- Arbeit zitieren
- Mag. Viktoria Lehner (Autor:in), 2005, Kinderbetreuung im Vorschulalter. Schweden, Frankreich und Italien im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/40935