Wahlen sind ein zentrales Element in einer Demokratie. Sie ermöglichen die politische Partizipation der Bürger und eine zeitliche begrenzte Legitimation von Macht. Neben den Stammwählern, die immer die selbe Partei wählen, gibt es eine weitere stetig wachsende Gruppe von Wählern: Die Wechselwähler.
Diese Arbeit widmet sich daher der Frage, mit welchen soziologischen oder politischen Erklärungsansätzen sich die wachsende Anzahl von Wechselwählern empirisch am besten erklären lässt. Dazu wird zunächst erläutert, was man unter einem Wechselwähler versteht. In der Forschung wird der Begriff oft unterschiedlich interpretiert und bedarf daher einer Eingrenzung.
Es wird hier lediglich die politische Bedeutung der Wechselwähler erläutert, um zu zeigen, dass deren Einfluss auf die Politik innerhalb der letzten Jahre gestiegen ist. Bevor auf die verschiedenen Theorien für Wahlverhalten eingegangen wird, werden
zunächst die unterschiedlichen Messverfahren zur Erfassung von wechselnden Wahlverhalten betrachtet, denn Wechselwähler sind keine leicht zu erfassende Wählergruppe.
In der Forschung bedient man sich unterschiedlicher Messverfahren, die alle
verschiedene Vor- und Nachteile bei der Analyse von Wechselwahl mit sich bringen. Das letzte Kapitel widmet sich dem eigentlichen Forschungsproblem. Welcher soziologische oder politische Erklärungsansatz ist am besten geeignet, um wechselndes Wahlverhalten zu erklären? Dazu beschäftigt sich die Arbeit zuerst mit den soziologischen Erklärungsansatz der Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan. Daraufhin wird das Michigan-Modell und den Rational-Choice-Ansatz hinsichtlich ihrer Erklärungskraft analysiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Wechselwähler
2.1 Definition der Wechselwähler
2.2 Politische Bedeutung der Wechselwähler
3. Messung der Wechselwahl
3.1 Messverfahren auf der Aggregatebene
3.2 Messverfahren auf der Individualebene
3.2.1Recall-Methode
3.2.2Panel-Methode
4. Erklärungsansätze für wechselndes Wahlverhalten
4.1 Cleavage-Theorie
4.2 Michigan Modell
4.3Rational-Choice Theorie
5. Fazit
Literaturverzei chnis
Anhang
1.Einleitung
Wahlen sind ein zentrales Element in einer Demokratie. Sie ermöglichen die politische Partizipation der Bürger und eine zeitliche begrenzte Legitimation von Macht. Neben den Stammwählern, die immer die selbe Partei wählen, gibt es eine weitere stetig wachsende Gruppe von Wählern: Die Wechselwähler.
In meiner Hausarbeit widme ich mich daher der Frage, mit welchen soziologischen oder politischen Erklärungsansätzen sich die wachsende Anzahl von Wechselwählern empirisch am besten erklären lässt. Dazu werde ich zunächst erläutern, was man unter einem Wechselwähler versteht. In der Forschung wird der Begriff oft unterschiedlich interpretiert und bedarf daher einer Eingrenzung. Auf die Frage, zwischen welchen Parteien gewechselt wird, werde ich allerdings nicht eingehen, da es nicht relevant für meine Forschungsfrage ist. Es wird lediglich die politische Bedeutung der Wechselwähler erläutert, um zu zeigen, dass deren Einfluss auf die Politik innerhalb der letzten Jahre gestiegen ist. Bevor ich auf die verschiedenen Theorien für Wahlverhalten eingehe, werde ich zunächst auf die unterschiedlichen Messverfahren zur Erfassung von wechselnden Wahlverhalten eingehen, denn Wechselwähler sind keine leicht zu erfassende Wählergruppe. In der Forschung bedient man sich unterschiedlicher Messverfahren, die alle verschiedene Vor- und Nachteile bei der Analyse von Wechselwahl mit sich bringen.
Das letzte Kapitel widmet sich dem eigentlichen Forschungsproblem. Welcher soziologische oder politische Erklärungsansatz ist am besten geeignet, um wechselndes Wahlverhalten zu erklären? Dazu beschäftige ich mich zuerst mit den soziologischen Erklärungsansatz der Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan. Daraufhin analysiere ich das Michigan-Modell und den Rational-Choice-Ansatz hinsichtlich ihrer Erklärungskraft.
2. Der Wechselwähler
2.1 Definition des Wechselwählers
Um analysieren zu können, welche Erklärungsansätze für wechselndes Wahlverhalten die größte Erklärungskraft haben, bedarf es zunächst einer genaueren Definition des Begriffes „Wechselwähler“. In der Wechselwählerforschung gibt es keine verbindliche Definition.1 Ich richte mich daher nach der Definition von Max Kaase. Dieser unterschied die Wechselwahl nach drei Kriterien: Den „effektiven Wechsel“ (Wahl verschiedener Parteien in zwei aufeinander folgenden Wahlen, „intendierten Wechsel“ (Veränderung der Wahlabsicht in der Zeit vor der Wahl) und dem „Wechsel politischer Sympathien“.2 Relevant für meine Forschungsfrage sind lediglich die Parteiwechsler, also Wähler die ihr Stimmverhalten bei zwei aufeinander folgenden Wahlen ändern. Der Untersuchungszeitraum für die Stabilität des Wahlverhaltens wird auf zwei Wahlen beschränkt, da es in der Forschung kaum Datenmaterial zu mehr als zwei Wahlen gibt. Des weiteren schließt eine solche engere Definition Bewegungen zwischen Nichtwahl und der Wahl einer Partei bei zwei aufeinander folgenden Wahlen aus, da die Entscheidung zur Nichtwahl andere Ursachen als die der Wechselwahl haben kann.3
2.2 Politische Bedeutung der Wechselwähler
Regierungswechsel, wie bei der Bundestagswahl 2009, indem die Große Koalition von Union und SPD durch eine Koalition von Union und FDP abgelöst wurde, sind nur durch eine Verschiebung von Stimmanteilen zwischen den Parteien möglich. Diese Stimmverschiebungen können verschiedene Ursachen haben. Zum einen aufgrund von Bevölkerungsbewegungen (z.B. sterben bisheriger Wähler/ erster Umengang junger Menschen) oder Schwankungen in der Wahlbeteiligung. Den weitaus größeren Einfluss auf Stimmverschiebungen bewirken jedoch die Wechselwähler. Direkte Wanderungen zwischen Parteien wirken wesentlich unmittelbarer als demografische Verschiebungen oder eine Veränderung der Wahlbeteiligung. Die Stimmen von Wechselwählern sind demnach doppelt wichtig, da die gewonnene Stimme für eine Partei der anderen verloren geht.Für die politischen Akteure spielen die Wechselwähler daher eine herausragende Rolle, weil sie als treibende Kraft die Verschiebung von Kräfteverhältnissen zwischen Parteien begünstigen.4
Eine große Bedeutung kommt Wechselwählern zu Gute, die zwischen Regierungs- und Opposition wechseln. Kehren besonders viele Wähler der Regierungspartei den Rücken, dann steigt die Chance auf einen Machtwechsel.5 Für Politiker sind Wechselwähler daher eine wichtige Wählergruppe für den Machterhalt bzw. den Machterwerb. Kurz vor der Wahl sind insbesondere die unentschlossenen Wähler das Ziel vom Wahlkampfkampagnen. So ist es zur Bundestagswahl 2009 besonders der FDP gelungen, durch passive Wahlkampfformen wie Werbespots und Plakate, ungebundene Wähler zu erreichen. Auch die Linke konnte durch Kundgebungen und Gespräche am Wahlkampfstand besonders viele Unentschlossene für sich aktivieren. Bei Union und SPD machten sich hingegen kaum Aktivierungseffekte bemerkbar.6
Aufgrund ihres großen Einflusses auf die Wahlentscheidung gibt es bedenken, ob Wechselwähler nicht eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Angesichts der Vielzahl von Wechselwählern wären sie durchaus in der Lage, bestimmte politische Diskurse nach ihren Interessen zu beeinflussen. Doch die Wechselwähler sind keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich sowohl in ihrem Alter, ihrer Bildung und im politischen Interes- se.7 Eine Gefahr für das demokratische System stellen Wechselwähler daher nicht dar. Sie sorgen im Gegenteil eher dafür, dass Parteien den politischen Wettbewerb ankurbeln um die Gunst der für sie so wichtigen Wechselwähler zu erlangen.8
3. Messung von Wechselwahl
3.1 Messverfahren auf der Aggregatebene
Innerhalb der Wechselwählerforschung bedient man sich verschiedener Verfahren um wechselndes Wahlverhalten zu messen. Aggregatdatenbasierende Verfahren versuchen Wechselwahlverhalten anhand von offiziellen Wahlergebnissen zu rekonstruieren.9 Der von Pedersen popularisierte Volitalitätsindex ist das am häufigsten verwendete Messverfahren auf der Aggregatebene. Es beruht auf dem aus Großbritannien stammenden Konzept des swing. Da diese Methode jedoch nur auf Zweiparteiensysteme wie in Großbritannien angewendet werden kann, wurde das Maß zu einem Volatilitätsindex, dem sog. Pedersen-Index, erweitert. Dabei wird der Stimmanteil einer beliebigen Partei zur ersten Wahl mit der der zweiten Wahl subtrahiert und durch 2 dividiert. Ein Volatilitätsindex von 0 bedeutet folglich eine vollständige Stabilität, Werte größer 0 zeigen Stimmverschiebungen.10
Dieses Messverfahren hat den Vorteil, dass es leicht berechnet werden kann, da zu jeder durchgeführten Wahl offizielle Wahlergebnisse vorliegen. Ein entscheidender Nachteil ist jedoch die Tatsache, dass der Umfang der direkten Wählerbewegung zwischen Parteien nicht erfasst werden kann. Der Volatilitätsindex erfasst lediglich die Salden der Wählerströme, indem die Resultate zweier Wahlen verglichen werden. Im Extremfall könnte der Pedersen-Index eine Volatilität von 0 und somit eine vollständige Stabilität anzeigen, während alle Wähler wechselseitig die Partei wechseln.11 Der Volatilitätsindex neigt daher zur systematischen Unterschätzung von Wechselaktivität. Außerdem können keine Aussagen über den Umfang von individueller Wechselaktivität getroffen werden. Es bleibt unklar, wie viele Bürger sich bei einer Wahl in welchem Umfang anders entschieden haben, als bei der vorhergehenden Wahl. Das Problem, das von aggregatdatenbasierenden Messungen nicht zuverlässig auf individuelles Wechselwahlverhalten geschlossen werden kann, lässt sich zwar durch Schätzverfahren abmildern, jedoch nicht vollständig beseitigen.12
Für die Messung von wechselnden Wahlverhalten ist dieses Messverfahren deshalb nicht geeignet. Aggregatdatenbasierende Messverfahren werden hingegen häufig für historische Wahlforschungen verwendet, da mangels Individualdaten nur auf offizielle Wahlergebnisse zurückgegriffen werden kann.13
3.2 Messverfahren auf der Individualebene
3.2.1 Recall-Methode
Messverfahren auf der Individualebene versuchen die Stabilität des Wahlverhaltens durch Befragung von Wahlberechtigten zu ermitteln. Dazu werden die Befragten zu ihrer Wahlentscheidung in zwei aufeinander folgenden Wahlen befragt. In der Recall- Methode werden bei einer Befragung sowohl das aktuelle Wahlverhalten als auch das der vorangegangenen Wahl erfragt. Aufgrund des geringen Erhebungsaufwandes, da beide Wahlentscheidungen in einer Befragung ermittelt werden können, ist die Recall- Methode innerhalb der Forschung weitaus verbreiteter als die Panel-Methode.14 Ein Problem dieses Messverfahrens ist jedoch die Validität der Messung, da innerhalb der Erhebung systematische Messfehler auftreten können. Eine Ursache ist der zeitliche Abstand zwischen der Befragung und dem Urnengang. Während die Erinnerung an die aktuelle Wahl noch frisch ist, liegt die vorangegangene Wahl schon drei bis vier Jahre zurück. Aufgrund des geringen Politikinteresses einiger Menschen sind Erinnerungslücken deshalb unvermeidlich. Das kann dazu führen, das die Befragten die Antwort auslassen oder ein Votum für eine Partei angeben ohne sich an ihre eigentliche Entscheidung erinnern zu können. Um die Frage nach der vergangenen Wahlentscheidung nicht auslassen zu müssen, tendieren daher einige Umfrageteilnehmer dazu, ihre aktuelle Wahlentscheidung auf die vorangegangene Wahl abzuleiten. So werden Wechselwähler fälschlicherweise als stabile Wähler erfasst.15 16 17
Ein weiteres Problem ist die Neigung der Befragten in einem Interview sozial erwünschte Antworten zu geben. Einige Interviewte beantworten die Frage absichtlich falsch, obwohl sie sich an ihr tatsächliches Votum erinnern können, da sie ein als sozial unerwünscht geltendes Wahlverhalten an den Tag legen. Dies ist vor allem bei Wechselwählern der Fall. Die Recall-Methode zeigt zwar eine Entwicklungsrichtung der Wechselaktivität, neigt aber aufgrund der oben genannten Probleme zu einer systematischen Unterschätzung von wechselnden Wahlverhalten.[1617]
3.2.2 Panel-Methode
Die Panel-Methode gilt neben der Recall-Methode als das am besten geeignete Messverfahren, um wechselndes Wahlverhalten zu erfassen. Im Gegensatz zur Recall- Methode werden die Befragten direkt nach den jeweiligen Urnengängen nach ihrem Stimmverhalten befragt. Durch die unmittelbare zeitliche Nähe zur Wahlentscheidung ermöglicht die Panel-Methode eine valide Datenerhebung.18
[...]
1 Vgl. Kort-Krieger: Wechselwähler: verdrossene Parteien - routinierte Demokraten, Pfaffenweiler 1994, S. 20
2 Kaase, Max: Wechsel von Parteipräferenzen. Eine Analyse am Beispiel der Bundestagswahl 1961, Meisenheim am Glan, S. 86-87
3 Vgl. Schoen, Harald: Wählerwandel und Wechselwahl : eine Vergleichende Untersuchung, Wiesbaden 2003, S. 28-31
4 Vgl. Rudi, Tatjana/Steinbrecher, Markus: „Die Wechselwähler“ in: Rattinger, Hans (Hrsg.): Zwischen Langeweile und Extremen: Die Bundestagswahl 2009, Baden-Baden 2011, S. 91
5 Nach der Rückerinnerungsmethode hat sich der Anteil von Wechselwählern von 14% im Jahr 1972 auf 35% im Jahr 2009 erhöht. (Zur Verdeutlichung siehe Anhang Tab. 1)
6 Vgl. Schmitt-Beck, Rüdiger/ Wolsing, Ansgar: „ Der Wähler begegnet den Parteien. Direkte Kontakte mit der Kampagnenkommunikation der Parteien und ihr Einfluss auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009“ in: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2009 : Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations-, undRegierungsforschung, Wiesbaden2010, S. 60-63
7 Vgl. Weßels, Bernhard: „Schwankende Wähler: Gefährden Wechselwähler die Demokratie? in: Byt- zek, Evelyn/Roßteutscher, Sigrid (Hrsg.): Der unbekannte Wähler?: Mythen und Fakten über das WahlverhaltenderDeutschen, S. 56
8 Vgl. Schoen: Wählerwandel, S. 34
9 Vgl. ebd.,S.87
10 Vgl. Schoen, Harald: „Wechselwähler“ in: Falter, Jürgen/Schoen, Harald (Hrsg.): Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden 2005, S. 368-369
11 Vgl. Bürklin, Wilhelm/ Klein, Markus: Wahlen und Wahlverhalten: Eine Einführung, Opladen 2011, S. 35-39 und Schoen: Wechselwahl, S. 369-370
12 Vgl. Bürklin/Klein: Wahlenund Wahlverhalten, S.35-39
13 Vgl. Schoen: Wählerwandel, S. 89
14 Vgl. Schoen: Wechselwahl, S.372
15 Vgl. Schoen: Wählerwandel, S. 95
16 Vgl. Schoen: Wechselwähler, S.372
17 Zwischen 1994 und 1998 lag die Wechselrate nach der Recallmethode in Westdeutschland bei 20,9%, nach der Panelmethode jedoch bei 31,6% (Vgl. Zelle, Carsten: Der Wechselwähler: eine Gegenüberstellung politischer und soziologischer Erklärungsansätze des Wählerwandels in Deutschland und den USA, Opladen 1995, S. 143)
18 Vgl. Schoen: Wählerwandel, S. 99