In Europa eilen rechts- und linkspopulistische Parteien und Bewegungen von Erfolg zu Erfolg. Die aufstrebenden populistischen Parteien in Deutschland, den Niederlanden oder Frankreich, in denen dieses Jahr Parlamentswahlen anstehen, aber auch in Polen, Ungarn oder Griechenland, der Brexit, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten: Sind derartige Strömungen in manchen Ländern bereits seit längerem Bestandteil des politischen Spektrums, wie etwa in Frankreich, Italien oder der Schweiz, sind sie in anderen noch junge Phänomene oder zumindest erst seit kurzem elektoral erfolgreich, wie etwa in Deutschland, Großbritannien oder Polen.
Was, wenn Finanzkrise und Populismus beide durch eine gemeinsame Drittvariable beeinflußt wären, jene also quasi Symptom und dieser Reaktion auf diese wäre? Diese Drittvariable könnte das neoliberale Regime sein, der Neoliberalismus, der als ökonomische Maxime seinen Aufstieg im Westen vor allem in den 1980ern begann und in dessen Kielwasser der Populismus aufzublühen begann. Der Neoliberalismus ist dabei nicht durch seine unmittelbaren wirtschaftspolitischen oder direkten sozioökonomischen Implikationen wirksam, wie bereits Mudde konstatiert (Mudde/ Kaltwasser 2012: 2). Vielmehr geht es um die strukturellen Rahmenbedingungen des Neoliberalismus, die seine Implementierung in globalen Institutionen und durch transnationale Eliten bedingen, gegen diese sich der Populismus als Phänomen wendet. Dieser Frage einer Verbindung des Regimes Neoliberalismus einerseits und des Phänomens Populismus andererseits soll diese Arbeit nachgehen oder - anders formuliert - wird die Frage gestellt: Wirkt das neoliberale Regime katalytisch auf das Phänomen Populismus?
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Hauptteil
2.1 Forschungsstand
2.2 Analyseraster
2.2.1 Populismus
2.2.2 Klientelismus
2.2.3 Neoliberalismus
2.2.4 Neoliberale Globalisierung
2.2.5 Populistische Reaktion
2.3 Forschungsausblick
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
In Europa eilen rechts- und linkspopulistische Parteien und Bewegungen von Erfolg zu Erfolg. Die aufstrebenden populistischen Parteien in Deutschland, den Niederlanden oder Frankreich, in denen dieses Jahr Parlamentswahlen anstehen, aber auch in Polen, Ungarn oder Griechenland, der Brexit, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten: Sind derartige Strömungen in manchen Ländern bereits seit längerem Bestandteil des politischen Spektrums, wie etwa in Frankreich, Italien oder der Schweiz, sind sie in anderen noch junge Phänomene oder zumindest erst seit kurzem elektoral erfolgreich, wie etwa in Deutschland, Großbritannien oder Polen.
All diese Länder mit populistischen Parteien unterscheiden sich untereinander fundamental. Einige sind parlamentarische Demokratien, andere präsidentielle. Es sind, um Lijpharts Modell einzubeziehen, föderale und unitarische Demokratien darunter, Konsensdemokratien und Mehrheitsdemokratien (Lijphart 2012). Es sind alte und junge Demokratien darunter. Die meisten sind indirekte, die Schweiz aber z.B. ist eine direkte Demokratie. Es sind florierende und weniger erfolgreiche Volkswirtschaften darunter, Länder mit hoher Arbeitslosigkeit und geringer, Länder, in die immigriert wird und Länder, aus denen die Menschen auswandern, vergleichsweise ethnisch homogenere (etwa Finnland oder Island, aber auch Deutschland) und ethnisch heterogenere (etwa Montenegro, Bulgarien oder die Niederlande) (CIA 2013). Ein Blick auf den Timbro-Index zeigt, daß auch die einzigen Länder Europas ohne erfolgreiche populistische Parteien eine sehr ungleiche Gruppe darstellen, nämlich Island, Malta und Montenegro (Heinö 2016: 22).[1] Darüber hinaus sind auch die populistischen Parteien selbst schwer zu fassen, sind unter ihnen doch ökonomisch rechte wie linke Parteien, manche eher rassistisch, xenophob oder antiislamisch orientiert, andere wiederum eher antielitär, antiglobalistisch oder radikaldemokratisch, antisupranational, antieuropäisch oder schlicht nationalistisch. Es wirkt, als koche etwas heran, von dem man weder weiß, woraus es wirklich besteht, noch was es mal werden wird.
Diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch, die Frage nach der Ursache von Populismus beantworten zu wollen und auch nicht, das Phänomen Populismus an sich erschöpfend erklären zu wollen. Statt dessen soll ein Aspekt moderner populistischen Parteien herausgearbeitet werden, und zwar der anti-neoliberale Impetus. Judis spricht im Titel seines Buches von einer Explosion des Populismus, den er - in einem breiter gefassten Sinn - für eine Art Frühwarnsystem politischer Krisen hält (Judis 2016: 16 und 157-158), für dessen momentan sprunghaften Erfolg er mit Kriesi und Pappas vor allem die weltweite Finanzkrise von 2008 verantwortlich macht (Kriesi/ Pappas 2015: 323).[2] Die Auffassung von Antiestablishment-Wahlerfolgen als krisenbedingt ist weit verbreitet, empirisch aber zumindest in Osteuropa nicht haltbar, wie Hanley und Sikk dargelegt haben (Hanley/ Sikk 2016: 8).
Was aber, wenn Finanzkrise und Populismus beide durch eine gemeinsame Drittvariable beeinflußt wären, jene also quasi Symptom und dieser Reaktion auf diese wäre? Diese Drittvariable könnte das neoliberale Regime sein, der Neoliberalismus, der als ökonomische Maxime seinen Aufstieg im Westen vor allem in den 1980ern begann und in dessen Kielwasser der Populismus aufzublühen begann. Der Neoliberalismus ist dabei nicht durch seine unmittelbaren wirtschaftspolitischen oder direkten sozioökonomischen Implikationen wirksam, wie bereits Mudde konstatiert (Mudde/ Kaltwasser 2012: 2). Vielmehr geht es um die strukturellen Rahmenbedingungen des Neoliberalismus, die seine Implementierung in globalen Institutionen und durch transnationale Eliten bedingen, gegen diese sich der Populismus als Phänomen wendet. Dieser Frage einer Verbindung des Regimes Neoliberalismus einerseits und des Phänomens Populismus andererseits soll diese Arbeit nachgehen oder - anders formuliert - wird die Frage gestellt:
Wirkt das neoliberale Regime katalytisch auf das Phänomen Populismus?
Es wird Ziel dieser Arbeit sein, diesen Zusammenhang zu belegen und aufzuzeigen, daß der Aufstieg des Neoliberalismus gleichsam den Aufstieg des modernen Populismus in Europa mitbestimmt hat und besonders der Antineoliberalismus die verbindende Komponente sowohl des linken als auch rechten Populismus in Europa darstellt.
Dazu wird nach einer Übersicht des Forschungsstandes zunächst gleichsam einer Konzeptspezifikation anhand einer Begriffsanalyse relevanter Konzepte, wie etwa Populismus, Extremismus und Klientelismus, Neoliberalismus und des mit ihm eng verknüpften Prozesses der Globalisierung, ein logisches Analyseraster geschaffen für den Vergleich der Konzepte Neoliberalismus und Populismus.
Hiernach wird das Wirkgeflecht zwischen neoliberalem Anspruch und populistischer Reaktion strukturlogisch durchleuchtet und die systeminhärenten Wirkmechanismen des Neoliberalismus auf die politische Landschaft Europas dargelegt. Aufgrund dieser Implikationen wird dann der Zusammenhang mit dem Aufstieg populistischer Parteien und „Bewegungen“ erläutert.
Es ist klar, daß angesichts des Rahmens der Arbeit keine erschöpfende Analyse aller populistischen Parteien im europäischen Raum stattfinden kann und ebensowenig eingegangen werden kann auf die diversen länderspezifischen Bedingungen, die zu dem Erstarken dieser oder jener populistischer Partei geführt haben, doch anhand des Aufzeigens allgemeiner Wirkmechanismen des Neoliberalismus und des expliziten antineoliberalen Konsenses aller populistischen Parteien und deren Anti-Establishment-Diskurses kann dennoch ein Zusammenhang aufgezeigt werden.
Dabei ist das Thema der Arbeit von hoher gesellschaftlicher Relevanz angesichts des diskutierten illiberalen Gefahrenpotentials für die Demokratie sowohl durch den Neoliberalismus an sich als auch in besonderem Maße durch seinen reaktiven Widerpart, den Populismus. Politikwissenschaftliche Relevanz leistet diese Arbeit durch die Wegführung der Ursachenforschung des Populismus von Wirtschaftssymptomen wie Finanzkrisen, Arbeitslosigkeit, Einkommensungleichheit oder ähnlichem hin zu der ihnen zugrundeliegenden ökonomischen Struktur neoliberaler Natur, welche sich auf den Populismus auswirkt. In den Demokratie-Debatten soll die Arbeit einen Beitrag leisten zur Verknüpfung dieser beiden verschiedenen Konzepte, Neoliberalismus und Populismus, deren Gefahrenpotential für die liberale Demokratie kontrovers betrachtet wird. Auch hierin ähneln sich beide Konzepte.
2 Hauptteil
2.1 Forschungsstand
Populismus als Forschungsgegenstand ist ein vielbeachtetes Sujet, in welchem vor allem im Bereich einer einheitlichen Definition als auch in seiner normativen Beurteilung (Chance oder Gefahr für die Demokratie?) kein Konsens herrscht.[3] Pappas stellt sogar zehn Hindernisse für die empirische Forschung am Populismus fest (Pappas 2016: 8-15).[4] Dafür ist dieses Forschungsfeld aber auch eines der dynamischsten in der politikwissenschaftlichen Forschung (Pappas 2016: 1).
Populismus als Forschungsgegenstand kam erstmals in den 1960ern bei einer Konferenz an der London School of Economics im Rahmen des modus operandi der Herrscher vor allem neuerer, erst seit kurzem unabhängiger Staaten auf, aber auch anderer Staaten, pluralistischen wie kommunistischen, und bereits in den damaligen Betrachtungen war man sich uneins, ob den Populismus eine zugrundeliegende Eigenschaft eint oder er die Klammer einer Vielzahl unverbundener Tendenzen darstellt (Ionescu/ Gellner 1969: 1). Konzeptuelle Unklarheit war also von Anfang an Bestandteil der Forschung (Pappas 2016: 3).
In den 70ern und 80ern verlagerte sich die politikwissenschaftliche Forschung auf die Betrachtung der Massenbewegungen in Lateinamerika, um die Bedingungen zu untersuchen, unter welchen die politische Teilhabe der Unterschicht durch populistische Bewegungen vonstatten geht (Germani 1978: 95). Daraus entwickelten sich zwei verschiedene Ansätze: Die Anhänger der Modernisierungstheorie sahen im Populismus ein Mittel, die neue urbane Arbeiter- und Mittelschicht dieser Länder in der Transitionsphase zum Kapitalismus politisch einzubinden (Pappas 2016: 4). In den Abhängigkeitstheorien dagegen verwies man auf den Populismus als Reaktion auf die importsubstituierende Industrialisierung (ISI) der lateinamerikanischen Entwicklungsländer, deren etatistische und nationalistische Wirtschaftspolitik es populistischen Führern erlaube, klassenübergreifende Allianzen zu bilden (ebenda). In beiden Schulen also wurde Populismus vor allem als Mittel zum Zweck gesehen, als Methode, und der Fokus lag auf dem autoritären und vor allem staatsbasierten Populismus in Entwicklungsländern, war also wenig tauglich, Populismus als Phänomen in modernen liberalen Demokratien zu erklären (Pappas 2016: 5).
Die 80er und 90er Jahre waren eine Phase, in der die Mesalliance zwischen Neoliberalismus und Populismus die Betrachtung des modernen Populismus veränderte, wenngleich wieder vor allem in Bezug auf die Länder Lateinamerikas, wo bereits Chile nach Pinochets Putsch in den 70ern das Testlabor dieser ökonomischen Schule geworden war (Valdés 1996: 17-19) und von dort aus in den 80ern seinen Siegeszug über die Welt antrat (Harvey 2007: 1). Insbesondere der Widerspruch zwischen Populismus, respektive populistischen Führungspersönlichkeiten einerseits und Neoliberalismus andererseits stellte für Politikwissenschaftler ein interessantes Puzzle dar (Roberts 1995: 82 und 114). Allerdings waren wiederum die tendenziösen Untersuchungen des lateinamerikanischen Raumes wenig geeignet, den Populismus in Europa oder den USA mit zu erfassen (Pappas 2016: 6). Die Rolle des charismatischen Führers wurde stärker in den Fokus gerückt - als Teil des Establishments, der direkte Legitimation durch seine Anhängerschaft erheischt (Weyland 2001: 14) oder als Außenseiter, der sich gegen die Eliten wendet (Barr 2009: 44) - und der Populismus darin wurde vor allem als Strategie dieser charismatischen Führer betrachtet.
Seit den frühen 90er Jahren konstatiert Mudde einen wachsenden „populistischen Zeitgeist“ in den westlichen Demokratien (Mudde 2004: 551), aufgrund dessen auch die Versuche, den Begriff Populismus zu fassen, an Zahl zunahmen. So wurde Populismus zu fassen versucht im Rahmen seiner Akteure (Volk, Elite, Führer) oder bestimmter Aktionen (Massenmobilisierung, strategische Führerschaft), eines Stils (moralisch, dichotom oder majoritär), abgegrenzter Bereiche (alter und neuer Populismus, linker und rechter Populismus, demokratischer und antidemokratischer Populismus, europäisch und nicht-europäischer Populismus), seiner Konsequenzen (Polarisierung, soziale Homogenisierung, Charisma) und/oder normativer Implikationen (Bedrohung oder Korrektiv der Demokratie) (Pappas 2016: 7).
Deswegen schlug Pappas als Minimaldefinition von Populismus illiberale Demokratie als Konzept vor, das sich zwischen Demokratie und Autokratie einreiht (Pappas 2016: 17). Dabei greift Pappas weiterentwickelnd zurück auf den Gedanken Krastevs, der im demokratischen Illiberalismus eine gefährliche Neuentwicklung moderner Demokratien erkennt, indem Kapitalismus über Demokratie gestellt wird, den demokratischen Illiberalismus aber - anders als Pappas‘ illiberale Demokratie - nicht mit Populismus gleichsetzt (Krastev 2007: 56 und 62).
[...]
[1] Heinö spricht hierbei von autoritären populistischen Parteien, die er unterscheidet von nicht-autoritär populistischen Parteien wie etwa bloßen Antikorruptions-Parteien/Bewegungen, um explizit auf die illiberale Tendenz jener Bezug zu nehmen (Heinö 2016: 8-9).
[2] Kriesi und Pappas sprechen von einem europaweiten Anstieg des Populismus um 4,1% und stellten in ihrer Analyse einen Zusammenhang zwischen Krise und Populismus auf, indem stärker betroffene Länder einen stärkeren populistischen Zulauf verzeichneten (etwa Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) als Regionen Europas, in denen die Krise geringere Auswirkungen auf die Bevölkerung hatte (etwa Nord- und Mitteleuropa).
[3] Wie so schön formuliert wurde: „There can be no doubt about the importance of populism. But no one is quite clear just what it is” (Ionescu/ Gellner 1969: 1, Hervorhebungen im Original).
[4] „unspecified empirical universe, lack of historical and cultural context specificity, essentialism, conceptual stretching, unclear negative pole, degreeism, defective observable-measurable indicators, a neglect of micromechanisms, poor data and inattention to crucial cases, and normative indeterminacy ” (Pappas 2016: 1).