Wer Französisch und Italienisch als Fremdsprache erlernt und keine romanische Sprache zur Muttersprache hat, dem wird schon recht bald klar, dass es eine Weile dauern kann, das Prinzip der Vergangenheitsformen der romanischen Sprachen zu verinnerlichen. Die Schwierigkeit, das Imparfait bzw. das Imperfetto als Nichtmuttersprachler richtig einzusetzen, ist vergleichbar mit dem Gebrauch des Subjonctif; man benötigt oftmals viele Jahre, um sich in das System einzudenken.
Zusammen mit dem Subjonctif gilt das französische Imparfait unter Linguisten als "le morphème le plus redoutable" (Confais 1995: 322). Das macht die Zeitform für wissenschaftliche Untersuchungen besonders interessant.
Im Rahmen eines Seminars setzte ich mich unter anderem mit aktuellen Entwicklungen der französischen Grammatik auseinander. Wir beschäftigten uns im Seminar mit dem System der französischen Sprache im Allgemeinen, den Unterschieden im gesprochenen und geschriebenen Französisch, der histo-linguistischen Entwicklung aus dem Vulgärlatein, aber speziell auch mit aktuellen Entwicklungen des Neu- und Postfranzösischen. Zudem wurden im Rahmen des Seminars auch Vergleiche zu anderen romanischen Sprachen wie zum Italienischen und Spanischen angestellt.
Die Zeitform des Imparfait ist laut einiger Linguisten eine der schwierigeren Zeitformen, was ihren Gebrauch betrifft. So ist es nicht die Bildung des Imparfait, die Nichtmuttersprachlern Probleme bereitet, sondern die Entscheidung zwischen Perfekt und Imperfekt, die in den romanischen Sprachen in der Zeitstufe der Vergangenheit stets getroffen werden muss.
Gegenstand dieser Arbeit soll allerdings keine kontrastive Analyse zwischen den französischen und italienischen Vergangenheitszeiten sein. Es wurde stattdessen eine besondere Form des Imparfait als Untersuchungsgegenstand gewählt: das Imparfait narratif, das sich als Sonderform des Imparfait herauskristallisiert. Die Zeitform kommt ebenfalls im Italienischen vor, unter anderem unter dem Namen Imperfetto narrativo. Ziel der Arbeit soll es sein, herauszufinden, ob das Imparfait narratif und das Imperfetto narrativo gleich in ihrem Gebrauch sind oder ob es Unterschiede gibt und wenn ja, wie sich diese manifestieren.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Imparfait narratif im Französischen
2.1 Bildung des Imparfait narratif
2.2 Gebrauch des Imparfait narratif
3 Das Imperfetto narrativo im Italienischen
3.1 Bildung des Imperfetto narrativo
3.2 Gebrauch des Imperfetto narrativo
4 Dauses' Vergleich zwischen Imparfait narratif und Imperfetto narrativo
5 Das narrative Imperfekt - nichts als eine Illusion?
6 Schlussbetrachtung, Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Dire imparfait narratif, c'est indiquer sa déviance par rapport à son fonctionnement type, traditionnellement appréhendé comme descriptif. Mutant ? Travesti ? L'imparfait narratif attirerait parce qu'il troublerait l'identité verbo-temporelle... (Bres 1999a: 2)
Wer Französisch und Italienisch als Fremdsprache erlernt und keine romanische Sprache zur Muttersprache hat, dem wird schon recht bald klar, dass es eine Weile dauern kann, das Prinzip der Vergangenheitsformen der romanischen Sprachen zu verinnerlichen. Die Schwierigkeit, das Imparfait bzw. das Imperfetto als Nichtmuttersprachler richtig einzusetzen, ist vergleichbar mit dem Gebrauch des Subjonctif; man benötigt oftmals viele Jahre, um sich in das System einzudenken. Zusammen mit dem Subjonctif gilt das französische Imparfait unter Linguisten als ,,le morphème le plus redoutable“ (Confais 1995: 322). Das macht die Zeitform für wissenschaftliche Untersuchungen besonders interessant.
Im Rahmen des Seminars Postfranzösisch, Neufranzösisch und Frühneufranzösisch unter der Leitung von Herrn Dr. Bauske setzte ich mich unter anderem mit aktuellen Entwicklungen der französischen Grammatik auseinander. Wir beschäftigten uns im Seminar mit dem System der französischen Sprache im Allgemeinen, den Unterschieden im gesprochenen und geschriebenen Französisch, der histo-linguistischen Entwicklung aus dem Vulgärlatein, aber speziell auch mit aktuellen Entwicklungen des Neu- und Postfranzösischen. Zudem wurden im Rahmen des Seminars auch Vergleiche zu anderen romanischen Sprachen wie zum Italienischen und Spanischen angestellt.
Die Zeitform des Imparfait ist laut einiger Linguisten eine der schwierigeren Zeitformen, was ihren Gebrauch betrifft. So ist es nicht die Bildung des Imparfait, die Nichtmuttersprachlern Probleme bereitet, sondern die Entscheidung zwischen Perfekt und Imperfekt, die in den romanischen Sprachen in derZeitstufe der Vergangenheit stets getroffen werden muss.
Gegenstand dieser Arbeit soll allerdings keine kontrastive Analyse zwischen den französischen und italienischen Vergangenheitszeiten sein. Es wurde stattdessen eine besondere Form des Imparfait als Untersuchungsgegenstand gewählt: das Imparfait narratif, das sich als Sonderform des Imparfait herauskristallisiert. Die Zeitform kommt ebenfalls im Italienischen vor, unter anderem unter dem Namen Imperfetto narrativo.
Ziel der Arbeit soll es sein, herauszufinden, ob das Imparfait narratif und das Imperfetto narrativo gleich in ihrem Gebrauch sind oder ob es Unterschiede gibt und wenn ja, wie sich diese manifestieren.
Ich selbst habe während meiner Schulzeit und während des Studiums festgestellt, dass die Vergangenheitsformen in den romanischen Sprachen zum Teil unterschiedlich eingesetzt werden, auch wenn die Unterschiede manchmal nur ganz subtil festzustellen sind. Coseriu (1976: 9) schreibt darüber:
So sind beispielsweise die Schwierigkeiten, die Germanen oder Slawen in bezug auf den Gebrauch des romanischen Imperfekts haben, ziemlich dieselben für alle romanischen Sprachen. Kein Romane aber hat Schwierigkeiten mit dem Imperfekt einer anderen romanischen Sprache, und das trotz gewisser Unterschiede im Gebrauch.
Meine These ist daher, dass auch der Gebrauch des Imperfetto narrativo und des Imparfait narratif ähnlich, aber nicht identisch ist, sondern dass feine Unterscheidungen im Gebrauch auszumachen sind. Dies wird im Folgenden überprüft.
Im zweiten Kapitel wird zunächst das Imparfait narratif definiert. Ganz klassisch wird zuerst kurz auf die Bildung und dann vor allem auf den Gebrauch der Zeitform eingegangen, um das Imparfait in Hinblick aufseine Funktionen einordnen zu können. Genauso wird mit dem Imperfetto narrativo verfahren - es wird über seine Bildung und vor allem über seinen Gebrauch in Kapitel 3 definiert. Schließlich, um Antworten auf die Fragestellung der Arbeit geben zu können, folgt in Kapitel 4 ein Vergleich der beiden Zeitformen: Ist der Gebrauch des Imparfait narratif identisch mit dem des Imperfetto narrativo? Werden sie laut der Grammatiken normativ unterschiedlich verwendet und wenn ja, wie? Oder sind die Zeitformen gar nur eine Illusion? Zu letzterem Aspekt folgt in Kapitel 5 eine kurze Einführung in Bres' These, weshalb seiner Meinung nach das Imparfait narratif nur eine Illusion sein könnte.
Das letzte Kapitel 6 schließt die Arbeit mit einem Fazit und einem Ausblick ab, indem noch einmal darauf eingegangen wird, in welchen Bereichen und mit welchen Mitteln es anhand der Ergebnisse dieser Seminararbeit sinnvoll wäre, sich weiter wissenschaftlich mit dem Imparfait narratif und dem Imperfetto narrativo auseinanderzusetzen.
2 Das Imparfait narratif im Französischen
Im Lexikon der Sprachwissenschaft (Bußmann 2008: 278) liest man, dass das Imperfekt vom lateinischen Begriff imperfectus abgeleitet wird, was so viel bedeutet wie „nicht vollendet“. Bußmann (ebd.) definiert das Imperfekt allgemein als „Bezeichnung für Zeitstufe und Form der in die Gegenwart hineinreichenden .Vergangenheit' in Sprachen, die zwischen Aorist [...], Perfekt und Imperfekt unterscheiden“. Das Imperfekt[1] ist also zunächst einmal ganz allgemein eine Form der Vergangenheitszeit. Es stellt für gewöhnlich eine Handlung oder einen Zustand in einem Verlauf dar, dessen Anfangs- und Endpunkt nicht genannt werden. Coseriu (vgl. 1971: 91) schreibt in seinem Werk Das romanische Verbalsystem von einer funktionalen Gleichheit des Imperfekts in den romanischen Sprachen. Wenn es in den romanischen Sprachen Unterschiede zwischen dem Imperfekt gebe, so werden sie laut Coseriu durch die Norm und nicht durch das Sprachsystem ausgelöst.
Das Imperfekt kommt im Französischen im Indikativ, aber auch im Modus Subjonctif als Imparfait du subjonctif vor und wird heute zumindest noch in der Schriftsprache verwendet, wobei die Tendenz zu beobachten ist, dass der Subjonctif imparfait und plus-que-parfait durch die Formen des Passé und Präsens des Modus ersetzt werden (vgl. Krassin 1994: 79). „Ebenso wie Passé simple und Passé antérieur gehört der Konjunktiv Imperfekt nicht mehr dem code parlé an“ (Söll/Hausmann1985: 126). Der Subjonctif imparfait sollte der Vollständigkeit halber genannt werden, wird in der folgenden Arbeit allerdings außer Acht gelassen. Untersuchungsgegenstand ist rein das narrative Imperfekt im französischen und italienischen Indikativ.
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass zunächst in gängigen Schulgrammatiken wie PONS, Langenscheidt, CLE International sowie eine Grammatik der Alma Edizioni konsultiert wurden, in denen das Imparfait narratif allerdings an keiner Stelle erwähnt wird. Bei etwas tiefgründigerer Recherche konnte das Imparfait narratif allerdings z. B. in den Werken von Klein und Kleineidam (2007) oder Bocchiola und Gerolin (1999) aufgespürt werden.
August Dauses (1981: 3) nennt den „gewöhnlichen“ Imperfekt auch „relativen Imperfekt“, von dem er den „absoluten“[2] und den „narrativen Imperfekt“ abgrenzt. Das Imparfait narratif als spezielle Form des Imparfait wird auch als Imparfait de rupture, als Imparfait journaliste oder Imparfait pittoresque bezeichnet (vgl. Klein/Kleineidam 2007: 272). Es handelt sich um eine „stilistische Variante von Passé composé und Passé simple, die nur der geschriebenen Sprache und dort vor allem dem Récit angehört“ (ebd.[3] ). Außerdem wird analog zur Bezeichnung Présent historique auch das Synonym Imparfait historique verwendet (vgl. Dethloff/Wagner2014: 267). Confais (vgl. 1978: 35) verwendet synonym zu den Bezeichnungen Imparfait narratif, Imparfait de rupture und Imparfait pittoreque auch die Bezeichnung Imparfait dynamique. Breš (vgl. 1999: 1f.) nennt noch weitere Bezeichnungen, die er inhaltlich alle mit dem Imparfait narratif gleichsetzt: Imparfait de narration, Imparfait impressionniste, aoris- tique, perspectif oder de perspective, d'événement.
2.1 Bildung des Imparfait narratif
Die Bildung des Imparfait narratif unterscheidet sich nicht vom gewöhnlichen Imparfait. Der Zusatz „narratif“ bezieht sich nicht auf eine abweichende Bildung, sondern trägt Informationen über den Gebrauch bzw. die Funktion der Zeitform in sich. So schreibt Dauses (1981: 35): „Unter narrativem Imperfekt (auch pittoresk genannt) verstehen wir die Verwendung einer Imperfekt-FORM anstelle einer Perfekt-FORM.“
Das Imparfait bildet sich, indem an den Stamm der ersten Person Plural Präsens Indikativ die Imparfait-Endungen -ais, -ais, -ait, -ions, -iez, -aient angehängt werden. Eine Ausnahme in der Bildung stellt das Verb être dar, das nicht vom Stamm der ersten Person Plural abgeleitet werden kann (étais, étais, était, étions, étiez, étaient). Da die Bildung des Imparfait keine Aussagen über das Imparfait narratif machen kann, geht es im nächsten Kapitel um die Funktionalität des Imparfait. Es wird zunächst auf den Gebrauch des Imparfait im Allgemeinen eingegangen, um den Gebrauch des Imparfait narratif besser nachvollziehen zu können.
2.2 Gebrauch des Imparfait narratif
Klein und Kleineidam (2007: 272) definieren in ihrer Grammatik den Gebrauch des Imparfait folgendermaßen: „In der Mehrzahl der Fälle steht das Imparfait dem Passé composé oder dem Passé simple als imperfektives Aspektglied gegenüber“. So oder so ähnlich lernt man den Gebrauch ganz allgemein in den Schulgrammatiken. In dieser Definition steht das Imparfait also den beiden anderen Zeitformen der Vergangenheit in Bezug auf den Gebrauch gegenüber. Klein und Kleineidam schreiben allerdings auch, dass dies nur „in der Mehrzahl der Fälle“ so sei, und grenzen die Abweichung von dieser Regel auf nur einen Sonderfall ein: das Imparfait narratif.
[...]
[1] Zum Genus ist zu sagen, dass man in verschiedenen Grammatiken sowohl „der“ als auch „das“ Imparfait liest. Bußmann verwendet beim Eintrag „Imperfekt“ den neutralen Artikel „das“, der auch im Folgenden in dieser Arbeit verwendet werden soll. Ausgenommen sind selbstverständlich Zitate, bei denen der maskuline Artikel im Originaltext steht.
[2] „Wir sprechen von .absolutem Imperfekt' (oder auch Perfekt) bzw. vom .Imperfekt in absoluter Verwendung' (oder auch Perfekt), wenn entweder kein Zeitpunktbezug möglich oder ein Zeitpunktbezug mit Sicherheit nicht intendiert ist“ (Dauses 1981: 57f.).
[3] vgl. auch Confais (1978: 35): ,,[l]m Gegensatz zum Passé simple ermöglicht das Imparfait eine stilistisch interessante Wirkung.“