Der Ethnologe Arnold van Gennep hat in seinem Werk ‚Übergangsriten‘ herausgestellt, dass alle Übergangsriten bzw. ‚rites de passage‘ drei verschiedene Phasen aufweisen: Trennungs-, Schwellen-, und Angliederungsphasen. Diesen Gedanken greift der Ethnologe Victor Turner in seinen Werken auf und setzt sich dabei insbesondere mit der mittleren ‚Schwellenphase‘ auseinander, die er auch als ‚liminale‘ Phase bezeichnet. Personen, die sich im Zustand der ‚Liminalität‘ befinden, sind statuslos und sozial ‚undefiniert‘; sie befinden sich ‚außerhalb der normativen Sozialstruktur‘, was Turner mit dem Begriff ‚Anti-Struktur‘ benennt. In dieser Übergangsphase entwickelt sich zwischen den ‚liminalen Personen‘ ein besonderes Gemeinschaftsgefühl, für das Turner den Begriff ‚Communitas‘ einführt. Während van Gennep die ‚Schwellenphase‘ in seiner Arbeit auf Übergangsrituale beschränkt, stellt Turner die These auf, dass beinahe alle Riten eine ‚Übergangsphase‘ beinhalten und dass zahlreiche weltliche sowie religiöse Bewegungen Formen von Liminalität, Communitas und Anti-Struktur aufweisen. Turner schreibt dabei unter anderem auch der Hippiebewegung eine gewisse Form von Communitas vor.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist eben dieses Auftreten von Communitas und Anti-Struktur in der Hippiebewegung zu untersuchen. Zunächst wird dabei die Theorie Turners genauer betrachtet und die Begriffe Schwellenzustand, Liminalität, Communitas und Anti-Struktur genauer definiert. Im nächsten Schritt soll gezeigt werden, dass sowohl liminale Phasen als auch Communitas und Anti-Struktur in der Hippiebewegung erkennbar sind und gezeigt werden, wie diese sich konkret äußern. Als Analysegegenstand dienen dabei das Kommunenleben, Musik, Festivals (insbesondere das Woodstock-Festival, das den Höhepunkt der Festival-Kultur darstellte und in dieser Arbeit exemplarisch für die übrigen, zahlreichen Festivals stehen soll) sowie Drogengebrauch und spirituelle Hervorbringungen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Schwellenzustand und Communitas
2.1 Liminalität und das Liminoide
2.2 Communitas
2.3 Communitas und Anti-Struktur
2.4 Formen von Communitas
3. Communitas und Anti-Struktur in der Hippie-Bewegung
3.1 Werte der Bewegung: Hippies als ,Aussteiger‘
3.2 Leben in der Kommune
3.3 Communitas in der Musik
3.4 Woodstock und die Festival-Kultur
3.5 Drogengebrauch und Spirituelles
3.6 Das Ende der Hippie-Bewegung
4. Schluss
1. Einleitung
Der Ethnologe Arnold van Gennep hat in seinem Werk ,Übergangsriten‘[1] herausgestellt, dass alle Übergangsriten bzw. ,rites de passage‘ drei verschiedene Phasen aufweisen: Trennungs-, Schwellen-, und Angliederungsphase (vgl. Turner 1969/1989, S.94). Diesen Gedanken greift der schottische Ethnologe Victor Turner in seinen Werken auf und setzt sich dabei insbesondere mit der mittleren ,Schwellenphase‘ auseinander, die er auch als ,liminale‘ Phase bezeichnet (vgl. Turner 1982/1989, S.35).
Personen, die sich im Zustand der ,Liminalität‘ befinden, sind statuslos und sozial ,undefiniert‘; sie befinden sich ,außerhalb der normativen Sozialstruktur‘, was Turner mit dem Begriff ,Anti-Struktur‘ benennt (vgl. Turner 1982/1989, S.35). In dieser Übergangsphase entwickelt sich zwischen den ,liminalen Personen‘ ein besonderes Gemeinschaftsgefühl, für das Turner den Begriff ,Communitas‘ einführt. Während van Gennep die ,Schwellenphase‘ in seiner Arbeit auf Übergangsrituale beschränkt, stellt Turner die These auf, dass beinahe alle Riten eine ,Übergangsphase‘ beinhalten und dass zahlreiche weltliche sowie religiöse Bewegungen Formen von Liminalität, Communitas und Anti-Struktur aufweisen (vgl. Turner 1989b, S.34).
Eine der Bewegungen, der Turner ,Communitas‘ zuschreibt, ist die Hippiebewegung:
„Es sind die ,coolen‘ Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die - ohne die Vorzüge nationaler Übergangsriten - aus der statusgebundenen Sozialordnung ,aussteigen‘ und die Stigmata der Niederen erhalten, indem sie sich wie ,Landstreicher‘ kleiden, umherziehen, ,Folk‘-Musik lieben und wenn siegelegentlich arbeiten, niedere Arbeiten verrichten.“ (Turner 1969/1989, S.111)
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist das Auftauchen von Communitas und AntiStruktur in der Hippie-Kultur. Im folgenden Kapitel werden zunächst die Begriffe ,Liminaliät‘, ,Communitas‘ und ,Ansti-Struktur‘ erläutert. In den darauffolgenden Kapiteln soll aufgezeigt werden, an welchen Stellen in der Hippie-Bewegung der Communitas-Gedanke und Anti-Struktur auftauchen. Als Anhaltspunkte dienen dabei das Kommunenleben, Musik, Festivals (insbesondere das Woodstock-Festival, das den Höhepunkt der Festival-Kultur darstellte und in dieser Arbeit exemplarisch für die übrigen, zahlreichen Festivals stehen soll) sowie Drogengebrauch und spirituelle Hervorbringungen.
Der Fokus liegt dabei auf der amerikanischen Hippie-Bewegung, die in der kalifornischen Stadt San Francisco begann.
2. Schwellenzustand und Communitas
Die Schwellenphase, oder auch ,Liminalität‘, stellt eine ,Art soziales Zwischenstadium‘ dar, in dem die soziale Ordnung ,auf den Kopf gestellt scheint; die ,Schwellenwesen‘ besitzen keine weltlichen Status- oder Rangunterschiede und sind somit sozial ,undefiniert‘, was zum einen bedeutet, dass sie keine Rechte besitzen, zum anderen unterliegen sie aber auch keinen strukturellen Verpflichtungen (vgl. Turner 1989a, S.39). In dieser Phase entsteht das Gefühl der ,Communitas‘, welches im Wesentlichen eine Beziehung zwischen gleichen Individuen bezeichnet, die sich durch eine besondere Kameradschaft miteinander verbunden fühlen (vgl. Turner 1989a, S.127). Für die Communitas ist der Begriff ,Anti-Struktur‘ von zentraler Bedeutung, da Communitas und Anti-Struktur einen Zustand erfassen, der sich wesentlich von der etablierten sozialen Ordnung unterscheidet und gegensätzliche Eigenschaften aufweist (vgl. Turner 1989a, S.95).
2.1 Liminalität und das Liminoide
Den Begriff ,Liminalität‘ verwendete Turner ursprünglich, um die mittlere Phase von Übergangsritualen zu bezeichnen, die Eigenschaften wie Heiligkeit, Homogenität und Statuslosigkeit aufweist. In dieser Phase entziehen sich Personen dem Netz der Klassifikationen, das in der Regel ,Zustände und Positionen im kulturellen Raum fixiert1 (vgl. Turner 1989a, S.95ff.). Die, die normalerweise Kategorien und Gruppen bestimmen und unterscheiden, haben in der Schwellenphase zeitweise keine Geltung; es tritt das Gefühl einer heterogenen Gemeinschaft, der ,Communitas‘ auf.
Die Gleichheit und die Herabsetzung aller Personen auf das gleiche Statusniveau im Schwellenzustand finden auf verschiedene Art und Weise Ausdruck: Besitzlosigkeit, das Tragen gleicher Kleidung, sexuelle Enthaltsamkeit oder sexuelle Gemeinschaft (weil beide die strukturellen Ehe- und Familienbeziehungen aufheben), Minimierung der Geschlechtsunterschiede, Abschaffung von Rangunterschieden, Gleichgültigkeit gegenüber dem äußeren Erscheinungsbild, Passivität, Demut, Akzeptieren von Schmerz und Leiden, Selbstlosigkeit sowie extreme Betonung religiöser Einstellungen und Aufhebung verwandtschaftlicher Rechte und Pflichten (alle sind Geschwister oder Kameraden) (vgl. Turner 1989a, S.110).
Liminalität hat spielerischen Charakter, der sich darin zeigt, dass die Schwellenwesen Elemente aus einer oder mehreren Kulturen isolieren und auf vielfältige oder sogar ,groteske‘ Weise neu kombinieren; gewissermaßen spielen sie folglich mit den Elementen, verfremden sie und bringen daraus neue Formen hervor. Der Spieltheoretiker Brian Sutton-Smith bezeichnet liminale Situationen als ,Samenbeet kultureller Kreativität und schreibt den kreativen Hervorbringungen gesellschaftliche Relevanz zu, da sie zurück auf den strukturellen Bereich wirken und dort Veränderungen hervorrufen können (vgl. Turner 1989b, S.40).
Turner weitet die Bezeichnung ,Liminalität‘ aus und sieht sie nicht nur als eine Phase der Übergangsriten, sondern als Teil zahlreicher sozialer Übergangsphänomene, denen allen gemeinsam ist, dass es sich bei den ,Schwellenwesen‘ um Personen handelt, die entweder Lücken in der Sozialstruktur ausfüllen, sich an deren Grenzen aufhalten oder ihre niedersten Sprossen‘ besetzen (vgl. Turner 1989a, S.123). Während Turner den Begriff ,liminal‘ in ,Das Ritual‘[2] überwiegend verwendet, um Übergangsphänomene in ,tribalen‘ und frühagrarischen Gesellschaften, deren Mitglieder durch ihren Status sozial gekennzeichnet sind, zu bezeichnen, führt er in seinem späteren Werk ,Vom Ritual zum Theater‘[3] die Bezeichnung ,liminoid‘ ein, um Phänomene zu beschreiben, die der Liminalität ähneln, aber keine ritualtypischen Eigenschaften aufweisen (vgl. Turner 1989b, S.66).
,Liminale‘ Phänomene sind vorherrschend kollektive Erscheinungen, die im Verlauf von sozialen Prozessen, insbesondere zu Krisenzeiten, auftreten und sich dabei auf kalendarische, biologische und sozialstrukturelle Rhythmen beziehen. Sie sind Ausdruck soziokultureller Notwendigkeit und damit immer ein integraler Bestandteil des gesamten sozialen Prozesses, können aber zugleich neue Ideen, Symbole, Modelle oder Glaubensvorstellungen hervorbringen (vgl. Turner 1989b, S.85f.).
Im Gegensatz dazu sind ,liminoide‘ Phänomene vermehrt individuelle Hervorbringungen, die allerdings häufig eine kollektive Wirkung haben. Sie treten nicht zyklisch auf und entstehen abseits von den zentralen ökonomischen und politischen Prozessen‘, an den Rändern, in den Zwischenräumen und in den Lücken zentraler Institutionen. Liminoide Formen werden von ,besonderen‘ Gruppen hervorgebracht und sind meist Teil sozialer Kritik oder sogar von Revolutionen (vgl. Turner 1989, S.46).
2.2 Communitas
Der Begriff ,Communitas‘ bezeichnet nach Turner eine Form des sozialen Miteinanders, das in liminalen bzw. liminoiden Situationen auftaucht (vgl. Mattig 2009, S.49). Communitas meint ein, von der grundlegenden Gleichheit der Individuen ausgehendes, ,Verbundensein‘ mit anderen Menschen, die sich alle in demselben Zustand befinden (vgl. Mattig 2009, S.50ff.). Turner beschreibt Communitas mit dem ,Gefühl, alle Menschen seien eins‘ (vgl. Turner 1989b, S.73). Diese ,Verbundenheit‘ der Communitas tritt nicht nur zwischen Menschen auf, sondern auch zwischen dem Menschen und der Natur, was häufig durch symbolische Bezüge zu Tieren und Pflanzen ausgedrückt wird (vgl. Mattig 2009, S.51).
Formen von Communitas treten meist an den Rändern der Sozialstruktur auf: ,Schwellenwesen‘ sind gekennzeichnet durch strukturelle Unterlegenheit, niedrigsten Status und Außenseitertum‘. Diese Eigenschaften stehen zumeist im Zusammenhang mit Werten wie Frieden, Harmonie, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Gleichheit (vgl. Turner 1989a, S.131).
In der Communitas zeigt sich oftmals eine Umkehrung der sozialen Normen und Strukturen, was Turner mit dem Begriff ,Anti-Struktur‘ bezeichnet, der im folgenden Kapitel definiert wird.
2.3 Communitas und Anti-Struktur
Turner unterscheidet gewissermaßen zwei ,Modelle menschlicher Sozialbeziehungen‘: zum einen gibt es die Gesellschaft als ein strukturiertes, differenziertes und zumeist hierarchisch geordnetes System mit politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Positionen; zum anderen gibt es eine unstrukturierte bzw. lediglich in Ansätzen strukturierte und eher undifferenzierte Gesellschaft, wie sie in der Schwellenphase erkennbar wird (vgl. Turner 1989a, S.96). Beide Modelle bestehen nebeneinander bzw. wechseln einander in einer Art dialektischem Prozess‘ ab, in dem die Unmittelbarkeit der Communitas dem Strukturzustand weichen muss, während in den Übergangsriten die von Struktur befreiten Menschen Communitas erfahren (vgl. Turner 1989a, S.126).
Communitas stellt eher einen Kontrast zur Sozialstruktur dar, als einen ,aktiven‘ Gegensatz; jene ist gewissermaßen abhängig von der Sozialstruktur, da sie aus ihr hervorgeht und nur durch Gegenüberstellung mit ihr ,erreichbar wird (vgl. Turner 1989a, S.124). Communitas stellt keine strukturelle Umkehrung oder ,illusionäre Ablehnung der strukturellen Notwendigkeiten dar, sondern vielmehr können strukturell Ausgestoßene die normative Struktur verurteilen und zugleich alternative Strukturen entwickeln. Im Vergleich zur Sozialstruktur hat die Communitas einen inklusiven Charakter (alle Personen sind gleich), während die Sozialstruktur eher exklusiv ist und ,Gefallen an Unterscheidung‘ findet (vgl. Turner 1989b, S.80).
Turner erachtet Liminalität als ,kreativer‘ und zugleich ,zerstörischer‘ als die strukturelle Norm, d.h. Liminalität haftet neben Unsicherheit immer auch etwas Bedrohliches an, andererseits lädt sie den Menschen zur Reflexion über die geltenden Strukturen ein (vgl. Turner 1989b, S. 73). Zum Potential der liminalen Phase, Strukturen zu verändern, merkt Turner an: „Die Bedingungen der Liminalität, Marginalität und strukturellen Inferiorität bringen oft Mythen, Symbole, Rituale, philosophische Systeme und Kunstwerke hervor. Diese kulturellen Formen statten die Menschenmit einer Reihe von Schablonen und Modellen aus, die einerseits die Wirklichkeit und die Beziehung des Menschen zur Gesellschaft, zur Natur und zur Kultur periodisch neu klassifizieren. Andererseits sind diese Modelle mehr als Klassifikationen, da sie die Menschen nicht nur zum Denken, sondern auch zum Handeln anspornen.“ (Turner 1989a, S.125f.)
Er verdeutlicht an dieser Stelle, dass liminale Phasen die soziale Entwicklung beeinflussen und einen Wechsel der kulturellen Zustände einleiten können.
In der Wechselbeziehung von Struktur und Communitas ist letztere nur von kurzer Dauer, eine Art ,Aufflackern‘, das zwangsläufig wieder in die Struktur integriert wird. Communitas kann Menschen nur für kurze Zeit aneinander binden, denn zur Sicherung lebensnotwendiger Güter ist die Verrichtung von Arbeit unvermeidbar, die wiederum soziale Organisation erfordert, wozu zumindest eine teilweise Errichtung von Strukturbeziehungen (Menschen geben Anstoß und Befehle, andere befolgen und gehorchen) erforderlich ist, was allerdings der Spontaneität und Unmittelbarkeit der Communitas entgegengesetzt ist. Damit sich die freien Beziehungen zwischen Individuen zu normengeleiteten Beziehungen zwischen sozialen Personen entwickeln können, bildet die Communitas selbst eine Struktur aus (vgl. Turner 1989a, S.129ff.)
In diesem Zusammenhang unterscheidet Turner drei verschiedene Formen von Communitas, deren Eigenschaften sowie ihr Verhältnis zur Struktur nachfolgend erläutert werden.
2.4 Formen von Communitas
In ,Das Ritual‘ unterscheidet Turner drei verschiedene Formen von Communitas: die ,existentielle‘ oder ,spontane‘ Communitas, die ,normative‘ Communitas und die ,ideologische‘ Communitas.
Die ,spontane‘ Communitas bezeichnet den direkten und unmittelbaren Kontakt zwischen Individuen, bei dem die Agierenden durch eine Art ,Fluß‘ geprägt werden, was ein Verschmelzen von Bewusstsein und Handeln meint. Ein modernes Beispiel für die spontane Communitas ist nach Turner das ,Happening‘, wie es in der HippieBewegung vorkommt (vgl. Turner 1989a, S.129).
In der Communitas wird persönlicher Aufrichtigkeit und Offenheit sowie dem Verzicht auf ,Ambitionen und Dünkel‘ ein großer Wert beigemessen (vgl. Turner 1989b, S.74f.).
Allerdings weist Turner auch auf den ,zerstörerischen‘ Charakter der Communitas hin: „Dennoch ist sehr oft ein Gefühl der Bedrohung oder der Gefahr vorherrschende - und tatsächlich stellen das Messer des Beschneiders, die vielen Torturen und die strenge Disziplin gewöhnlich eine reale Gefahr dar. Und diese Gefahr gehört zur Entstehung existentieller Communitas dazu, so wie die Möglichkeit eines.schlechten Trips‘ für die Drogencommunitas gewisser Bewohner einer modernen Stadt, die den Namen des hl. Franz trägt, dazugehört.“ (Turner 1989a, S. 148)
Er überträgt an dieser Stelle bereits die Merkmale der Übergangsrituale auf moderne, weltliche Bewegungen, was in Kapitel 3 am Beispiel der Hippies detaillierter dargelegt wird.
In der Struktur wird der Mensch mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert, während die Communitas meist von angenehmen Gefühlen sowie etwas ,Magischem‘ (vgl. Turner 1989a, S.135) begleitet wird. Spontane Communitas unterscheidet sich außerdem dadurch von der Struktur, dass sie häufig in Bildern zum Ausdruck kommt. Turner verdeutlicht den Zusammenhang von spontaner Communitas und bildhaftem Denken am Beispiel des heiligen Franziskus: „Vor allem - und hier gleicht Franz von Assisi vielen anderen Gründern von Communitas-Gruppen - war sein Denken immer unmittelbar, persönlich und konkret. Ideen kamen ihm in Form von Bildern.“ (Turner 1989a, S.137)
Turner bezeichnet Abstraktion als den ,Feind des lebendigen Kontakts‘, weshalb spontane Communitas ihren ursprünglichen Charakter verliert, sobald sie nicht mehr direkt erlebt wird, sondern auf ,Sprache und Kultur als Vermittlungsinstanz für das früher unmittelbar Erlebte‘ angewiesen ist (vgl. Turner 1989b, S.75). Benötigt Communitas bereits Symbole und Inszenierungen, um die (Verbundenheit einzufordern‘, tritt Communitas in normativer bzw. ideologischer Form auf (vgl. Mattig 2009, S.52).
Die spontane Communitas kann nur von kurzer Dauer sein, da sie sehr bald ein dauerhaftes soziales System etablieren muss, um notwendige ,Ressourcen zu mobilisieren‘, und aus diesem Grund die Gruppenmitglieder sozialer Kontrolle unterstellen muss, wodurch die ,spontane‘ zur ,normativer Communitas wird (vgl. Turner 1989a, S.129). Dadurch dass die normative Communitas versucht, die sozialen Beziehungen der spontanen Communitas dauerhaft zu erhalten, verliert sie ebendiesen spontanen Charakter; Communitas kann nicht ,per Gesetz entlassen oder ins normale Leben überführt werden‘, weshalb die normative Communitas sich notwendigerweise wieder in den Bereich der Struktur eingliedert:
„Beide, die normative wie die ideologische Communitas, gehören bereits dem Bereich der Struktur an. Esist das Schicksal einer jeden, in der Geschichte auftretenden spontanen Communitas, sich in einem, vonden meisten Menschen als .Niedergang und Verfall1 aufgefaßten Prozep in Struktur und Gesetz zu verwandeln.“ (Turner 1989a, S.129).
Sowohl die normative als auch die ideologische Communitas entwickeln sich aus der spontanen Communitas; dabei bezeichnet die ,ideologische‘ Communitas theoretische Konzepte, die Interaktionen zu beschreiben versuchen, die in der spontanen Communitas unmittelbar erlebt werden, und ist dabei oft auf Sprache und Schrift angewiesen (vgl. Turner 1989b, S.75).
Der Begriff ,ideologische Communitas‘ kann eine Reihe von ,utopischen‘ Gesellschaftsmodellen bezeichnen, allerdings betrachtet Turner nicht einmal die Mehrzahl der utopischen Modelle tatsächlich als Modelle ideologischer Communitas (vgl. Turner 1989b, S.76).
Spontane Communitas ist lediglich eine kurzweilige Erscheinung, die mit der Zeit wieder in Struktur überläuft, zu der die normative und die ideologische Communitas bereits gehören, dennoch erfüllt Communitas nach Turner eine wichtige gesellschaftliche Funktion:
„Sie ist kein Ersatz für klares Denken und festes Wollen. Andererseits bekommt strukturelles Handelnleicht etwas Nüchternes und Mechanisches, wenn die Handelnden nicht immer wieder in den regenerierenden Abgrund der Communitas getaucht werden.“ (Turner 1989a, S.135)
Communitas bzw. ,Anti-Struktur‘ und Struktur stehen demgemäß in einer Wechselbeziehung, in der die Communitas zwar immer wieder zu Struktur wird, umgekehrt aber in der Lage ist, die Strukturen aufzuweichen oder zu verändern.
Das folgende Kapitel soll aufzeigen, inwiefern Hippies als eine liminale bzw. liminoide Erscheinung zu verstehen sind und welche Aspekte der Bewegung Formen von Communitas und Anti-Struktur aufweisen.[4]
Wertvorstellungen zu suchen (vgl. Glaser 2007, S.48). Es war ihr Ziel, eine Lebensform zu entdecken, die frei von hierarchischen Strukturen ist und in der keine vorgeschriebenen Verhaltensmuster das Handeln bestimmen (vgl. Gäsche 2008, S.25).
[...]
[1] Die französische Originalausgabe erschien erstmals 1909 unter dem Titel ,Les rites de passage'.
[2] Die englische Originalausgabe erschien 1969 unter dem Titel ,The Ritual Process. Structure and AntiStructure.'.
[3] Erschienen 1982 unter dem englischen Originaltitel ,From Ritual to Theatre. The Human Seriousness of Play.'.
[4] Communitas und Anti-Struktur in der Hippiebewegung Das Wort ,Hippie‘ bezeichnet im Wesentlichen eine Bewegung Jugendlicher, die sich in den sechziger Jahren gegen die Normen und Zwänge der etablierten Gesellschaft, des ,Establishments‘, wendete, um abseits von Karriere und materiellem Wohlstand eigene