Diese Arbeit bietet eine Analyse und eine systematische Deutung des Schöpfungsberichtes.
Der Schöpfungsbericht in Gen 1 ist eine eigentümliche Mischung von Theologie und Naturwissenschaft. Theologisch vermittelt der priesterliche Zeuge, dass Gott ewig, allmächtig und gütig ist. Er war da, bevor die Zeit begann. Er hat die Welt und alles auf der Welt geschaffen, durch seinen Segen macht er Menschen und Tiere fruchtbar und schenkt ihnen das Leben. Naturwissenschaftlich ist der Bericht in seinen genauen Klassifizierungen. Es wird unterschieden zwischen Gras und Kraut, das Samen bringt, sowie zwischen Bäumen, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Die Tiere werden unterschieden nach Vögeln, Wasser- und Landtieren. Den Lichtern am Himmel weist er die Funktion der Kalenderbestimmung zu.
Inhalt
1. Einordnung
2. Analyse
3. Systematische Deutung
4. Literaturverzeichnis
1. Einordnung
Der Schöpfungsbericht in Gen 1 wird einem priesterlichen Zeugen zugeordnet. Priester im Judentum haben die Aufgabe über genaue Unterscheidungen zu wachen. Sie unterscheiden beim Opfer, was rein und was unrein ist; sie grenzen die Bezirke von heilig und profan gegeneinander ab. Die priesterlichen Gesetze in den Mosebüchern verbieten etwa den sexuellen Umgang von Mensch und Tier (3. Mose 18,23), die Paarung von Vieh verschiedener Art, die Bestellung des Feldes mit Samen verschiedener Art oder das Tragen von Kleidern aus Fäden verschiedener Art (3. Mose 19,19).[1] Die priesterlichen Gesetze zeigen, was als göttliche Ordnung verstanden wird und wie streng über die Einhaltung dieser Ordnung gewacht wird. Der Schöpfungsbericht des priesterlichen Zeugen ist diesem Denken entsprechend ein Bericht über klare Unterscheidungen. Gott scheidet Tag und Nacht, er trennt mit der Erschaffung des Himmels das Meer von der Urflut, er scheidet das Meer von der Erde. So entsteht aus dem Chaos der Urflut durch klare Unterscheidungen eine göttliche Ordnung.
Der Schöpfungsbericht in Gen 1 ist darüber hinaus eine eigentümliche Mischung von Theologie und Naturwissenschaft.[2] Theologisch vermittelt der priesterliche Zeuge, dass Gott ewig, allmächtig und gütig ist. Er war da, bevor die Zeit begann. Er hat die Welt und alles auf der Welt geschaffen, durch seinen Segen macht er Menschen und Tiere fruchtbar und schenkt ihnen das Leben. Naturwissenschaftlich ist der Bericht in seinen genauen Klassifizierungen. P unterscheidet zwischen Gras und Kraut, das Samen bringt, sowie zwischen Bäumen, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Die Tiere unterscheidet er nach Vögeln, Wasser- und Landtieren. Den Lichtern am Himmel weist er die Funktion der Kalenderbestimmung zu.
Der Grundstock der Priesterschrift ist das 3. Buch Mose (Levitikus).[3] Durch ihren spezifischen Charakter, die Vorliebe für exakte Zahlenangaben (Chronologie, biografische Daten, Maße) und Listen (Genealogien, Völkertafeln, Listen von Tieren, Opfergaben), die Neigung zum Klassifizieren und Schematisieren, die Verwendung einer deutlichen Sprache und häufige Wiederholungen lässt sich die Priesterschrift aber auch im zweiten und vierten Mosebuch ausmachen.[4] Da in der Priesterschrift eindeutig ein monotheistisches Gottesbild beschrieben wird, kommt als Datierung frühestens die Zeit des babylonischen Exils (597-539 v. Chr.) in Frage. In der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts muss Pg (Priestergrundschrift) aber auf jeden Fall fertiggestellt worden sein, weil sie vor der Einarbeitung in den dann fertigen Pentateuch noch durch Ps (sekundärer Zuwachs zur Priestergrundschrift bzw. P Supplement) erweitert worden war.[5]
2. Analyse
1,1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Der erste Vers liest sich wie eine Überschrift. Er fasst in knappen Worten zusammen, was im Folgenden detailreich und anschaulich beschrieben wird. Das hebräische Verb barâ, schaffen, ist Gott vorbehalten. Nie ist bei diesem Verb ein Stoff angegeben. Es beschreibt Gottes unvorstellbares Schaffen, das keines Stoffes bedarf.[6] Der erste Satz der Bibel korrespondiert mit ihrem letzten. Der erste Satz beschreibt den Anfang. Der letzte Satz kündigt mit „Ja, ich komme bald“ das Ende an. Gott hat die Welt geschaffen und das Leben geschenkt. Alles, was ist, ist durch ihn und kann durch ihn wieder genommen werden.[7]
1,2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Eine Schwierigkeit, die sich durch den ganzen Schöpfungsbericht zieht, ist die, dass der priesterliche Zeuge mit dem ihm zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln sowie in den Grenzen seiner Vorstellungskraft etwas anschaulich beschreiben will, was eigentlich unvorstellbar ist. Durch die Verwendung des Verbs barâ hatte er in Vers 1 festgestellt, dass Gott die Welt auf seine nur ihm eigene Weise geschaffen hat. Diese theologische Leitaussage gilt, auch wenn er sich jetzt Vorstellungen seiner altorientalischen Umwelt bedient.[8] Im babylonischen Schöpfungsmythos Enūma eliš kämpft Schöpfergott Marduk gegen Tiâmat, der das chaotische Urmeer verkörpert. Aus seinem Leichnam baut Marduk Himmel und Erde. In der ägyptischen wie in der phönizischen Kosmogonie stehen Urmeer und Finsternis am Anfang. Es gilt als sicher, dass der priesterliche Zeuge das Motiv der Urflut aus der ihm bekannten Tradition von Schöpfungserzählungen übernommen hat. Entscheidend für seine theologische Aussage jedoch ist, dass er das Motiv des Kampfes nicht übernimmt.[9]
1,3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
Gottes Wort bricht das Urschweigen. Der Herr offenbart sich und der eigentliche Schöpfungsvorgang beginnt. Gott spricht und es geschieht. Die unbedingte Souveränität des Schöpfungsbefehls ist das Gegenteil von Kampf. Keine Macht stellt sich dem Herrn entgegen.[10] Dem heutigen Leser mag es unschlüssig erscheinen, dass P die Erschaffung des Lichts der Erschaffung der Gestirne voranstellt. Ohne das Licht wäre jedoch seine Anordnung in ein Sieben-Tage-Schema unmöglich. Erst muss die Grundordnung der Zeit geschaffen werden, damit am nächsten Tag die räumliche Welt geschaffen werden kann. Die Frage, ob Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen hat, ist dem Text nicht gemäß. Erst griechisches Denken hat den Begriff der creatio ex nihilo ins Judentum gebracht.[11]
1,4-5 Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
Gott betrachtet sein Werk und sieht, dass es gut ist. Dieser Satz fällt an jedem Arbeitstag der Schöpfungswoche und strukturiert den Schöpfungsbericht. Schöpfung und Lob der Schöpfung werden damit eng verbunden. Noch ist es der Schöpfer selbst, der sein Werk lobt. Nach Abschluss der Schöpfung werden es die von ihm geschaffenen Kreaturen sein, die ihm danken. Auffällig ist, dass Gott die Finsternis nicht explizit als gut ansieht. Natürlich ist auch sie Teil seiner Schöpfung. Doch Gott steht dem Licht näher. Für Walther Zimmerli leuchtet hier ein Stück Evangelium auf, für Claus Westermann deutet Gottes Präferenz für das Licht an, dass etwas geschehen wird.[12]
Benennung und Scheidung sind Akte, die P aus den ihm bekannten Schöpfungserzählungen übernommen hat. Benennung ist im alttestamentlichen Denken ein Herrschaftsakt. Sie bestimmt nicht nur den Namen des Benannten, sondern legt auch sein Wesen und seine Bestimmung fest. Indem Gott die Finsternis Nacht nennt, begrenzt er sie zeitlich und unterwirft sie seiner Schöpfungsordnung.[13] „Der das Tagewerk abschließende Satz, der dann nach jedem weiteren Tagewerk wiederkehrt, zeichnet in eindrücklicher Weise das Strömen, das Fließen der Zeit in regelmäßigen Rhythmen“[14]. Er verbindet das Geschehen mit der Menschheitsgeschichte, die es einleitet.
1,6-8 Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
Das zweite Tagwerk ist nicht in der monumentalen Kürze formuliert wie das erste. Auf Gottes Befehl „Es werde…“ folgt erstens ein erläuternder Einschub, der die Funktion der Feste bestimmt.[15] Zweitens erschafft Gott die Feste nicht allein durch sein Wort, sondern er macht sie. Je nachdem, ob Gott allein durch sein Wort schafft oder ob er handwerklich tätig wird, indem er scheidet, macht und setzt, wird der priesterschriftliche Schöpfungsbericht gewöhnlich in einen Wort- und Tatbericht unterschieden. Die Forschung geht davon aus, dass der Wortbericht Produkt von P ist und die unstimmige Parallelität von Wort- und Tatbericht, damit zu erklären ist, dass P in seinem Schöpfungsbericht eigene Anteile mit dem Extrakt einer breiten religionsgeschichtlichen Tradition vermischt.[16]
Wie die Erschaffung des Lichts, die der Erschaffung der Gestirne vorangestellt ist, beschreibt auch das zweite Tagwerk ein Weltbild, das nicht mehr das unsere ist. Geschaffen wird nicht das Weltall, von dem der biblische Mensch keine Vorstellung hatte, sondern die Welt als Lebensraum für den Menschen. Um diesen Lebensraum herzustellen, muss Gott die Feste machen, die wie ein riesiges, festes Gewölbe die Urflut oder den Himmelsozean vom Raum unter ihr fernhält.[17]
1,9-10 Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, daß man das Trockene sehe. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, daß es gut war.
Wie die Erschaffung des Lichts ist das erste Werk des dritten Tages als reiner Wortbericht formuliert. Er besteht aus der Einleitung des Schöpfungsbefehls, dem Schöpfungsbefehl selbst sowie dem Bericht von der Ausführung. Wie das Werk des zweiten Tages ist es ein Werk von Scheidung, Ordnung und Benennung.
1,11-13 Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so. Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.
Der dritte Tag umfasst erstmals zwei Werke: die Scheidung von Erde und Meer sowie die Schöpfung der Pflanzen. Dass die Zahl der Schöpfungswerke nicht mit der Anzahl der Tage übereinstimmt, ist eines der frühesten Probleme, mit dem sich die historisch-kritische Forschung beschäftigt hat. Man geht davon aus, dass die Reihenfolge der Schöpfungswerke in einem Zusammenhang mit damals bekannten Schöpfungserzählungen steht. Für die Systematisierung der Weltschöpfung in ein Sieben-Tage-Schema hat P jedoch keine Vorbilder gehabt. Er wollte damit also etwas ausdrücken, das seinem ganz persönlichen Schöpfungsverständnis entspricht. Die Schöpfungswoche hat Gleichnischarakter. Dadurch, dass in ihr die geordnete Zeit bereits beginnt, nähert sie P der Menschheitsgeschichte an. Mit dem siebten Tag lässt er sie auf ein Ziel zulaufen und macht sie zu einem geschlossenen Ganzen. Was für die Schöpfungswoche gilt, gilt auch für die Menschheitsgeschichte. Sie beginnt mit Gott und führt zu einem von Gott vorgegebenen Ziel hin.[18]
In der Art wie P die Pflanzen beschreibt, als Gras und Kraut, das Samen bringt, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ist ein Ansatz wissenschaftlicher Klassifizierung zu erkennen. Der priesterliche Zeuge gibt damit dem forschenden Verstand seiner Leser alle Freiheit der Vielfalt der Kräfte, die auf Erden wirken, nachzugehen. Eine Verehrung der Natur lehnt er ab. Gras, Kraut und Bäume wachsen und vermehren sich nicht aus eigener Kraft. Gott befiehlt, dass die Erde aufgehen lasse und nur darum gehen sie auf.[19]
1,14-19 Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre und seien Lichter an der Feste des Himmels, daß sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so. Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, daß sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, daß es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.
Wort- und Tatbericht sind erneut vermischt. Ähnlich wie bei der Erschaffung der Pflanzen ist ein Ansatz wissenschaftlicher Erklärung zu erkennen, wenn P den Gestirnen die Funktion der Kalenderbestimmung zuweist. Auffällig ist die Länge, in der das vierte Tagwerk beschrieben wird. Sie ergibt sich nicht aus der Beschreibung des Werks, sondern aus der Beschreibung seiner Funktionen. In der Umwelt Israels waren Sonne und Mond Götter von höchster Bedeutung. Diese weitverbreitete Vorstellung will P mit seinem Bericht widerlegen. Am ersten Tag hatte Gott Tag und Nacht geschaffen. Nun delegiert er das Wächteramt zur Bewahrung dieser Scheidung an die großen Gestirne des Tages und der Nacht. Sonne und Mond sind damit nicht länger göttliche Herrscher. Ihnen wird von Gott ein Herrschaftsbereich zugeteilt. Indem Gott sie einsetzt und ihren Herrschaftsbereich begrenzt, ist ihre Macht doppelt gebrochen. Sie werden zu seinen Geschöpfen und damit zum Teil seiner Schöpfungsordnung.[20]
1,20-23 Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war. Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden. Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.
Wie bereits bei der Erschaffung der Pflanzen am dritten Tag betont der priesterliche Zeuge bei der Erschaffung der Wasser- und Lufttiere am fünften Tag, dass jeder Fisch und jeder Vogel nach seiner Art geschaffen ist. Ganze zehn Mal kommt die Wortfügung „nach seiner Art“ im Schöpfungsbericht vor. Es scheint als stehe P staunend vor der Vielfalt der Schöpfung. Durch die ständige Betonung des Umstands, dass jede Pflanze und jedes Tier nach seiner Art geschaffen ist, macht P zugleich klar, dass jede Pflanze und jedes Tier Geschöpf Gottes ist. Als solche sind sie Teil der göttlichen Ordnung, verdienen geachtet zu werden und dürfen nicht durch Kreuzung verändert werden.
Mit Vers 20 beginnt etwas ganz Neues im Schöpfungsbericht. Zum ersten Mal wird etwas Lebendiges geschaffen. Die Schöpfung von etwas Lebendigem ist etwas wesensanderes als die Schöpfung von allem, was bisher geschaffen wurde. Ganz anders ist dementsprechend auch die Art, in der Gott schafft. Zu seinem Schaffen tritt der Segen.[21] Der an dieser Stelle von Gott über die von ihm geschaffenen Wesen gesprochene Segen ist nicht mit dem, den ein Pfarrer über seine Gemeinde spricht, vergleichbar. In Gen 1 wird der Segen in seiner Grundbedeutung gebraucht. Der Segen ist die Kraft, die Fruchtbarkeit, Mehrung und Fülle verleiht. „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet“ ist somit nicht etwas, das zum Segen hinzutritt, es ist der Segen selbst. Für das Verständnis des Segenswirkens Gottes im Alten Testament ist wesentlich, dass Fülle, Reichtum und Überfluss ohne Einschränkung positiv besetzt sind. Die Erfahrung von Fülle und Überfluss als Anzeichen einer Dekadenz wurde noch nicht gemacht.[22]
1,24-25 Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so. Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war.
Am sechsten Tag beendet Gott die bereits am fünften Tag begonnene Erschaffung der Tiere. Indem P die Landtiere in Nutztiere, Gewürm und Wildtiere unterscheidet und hinzufügt, dass jedes nach seiner Art geschaffen ist, betont er, dass auch diese Tiere Geschöpfe Gottes sind und damit würdevoll und unveränderbar. Dass die Landtiere keinen eigenen Segen erhalten, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass am selben Tag noch der Mensch geschaffen wird, der einen gleichlautenden Segen erhält. Auch die Fische und Vögel hatten ja nur einen gemeinsamen Segen erhalten. Möglich ist auch, dass P den für ihn inhaltsschweren Satz „Gott segnete“ nur dreimal gebrauchen wollte.[23]
1,26-28 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
Die Schöpfung gelangt zu ihrem Ziel. Schon rein äußerlich bringt der priesterliche Zeuge zum Ausdruck, dass er an einer besonders wichtigen Stelle angekommen ist. Kein anderes Werk wird in solcher Ausführlichkeit beschrieben. Die Wiederholungen erzeugen eine feierliche Stimmung. Ganz anders als alle anderen Werke wird die Erschaffung des Menschen eingeleitet. An die Stelle des Befehlsworts tritt: „Lasset uns Menschen machen“. Der Plural klingt, als ob Gott mit jemandem sprechen würde. Manche Exegeten lesen in dem Satz, dass Gott vor der Erschaffung seines wichtigsten Werks kurz innehält, um sich mit seinem himmlischen Hofstaat zu beraten. Aus dogmatischer Sicht könnte der Plural als Ausdruck der Trinität verstanden werden. Von den meisten Auslegern wird der Satz als Entschluss aufgefasst. Auch im babylonischen Enūma-eliš-Mythos und anderen Schöpfungserzählungen wird die Erschaffung des Menschen durch einen Entschluss eingeleitet. Der Entschluss als Zeichen der Bedeutsamkeit der Menschenschöpfung ist also eine feste Prägung.[24]
„Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn“: Die tiefste Absicht der Schöpfung enthüllt sich. Nachdem ein Lebensraum für ihn geschaffen wurde, wird der Mensch geschaffen. Gottes Wort hat ein Gegenüber gefunden. Die Ähnlichkeit des höchsten Wesens zu Gott garantiert, dass dieses Wesen Gottes Nähe suchen wird. Den ersten Schritt auf dem Weg in die zukünftige Gemeinschaft geht Gott selbst. Er macht den Menschen zum Herrscher über die Tiere und verleiht ihm damit eine Eigenschaft, die eigentlich nur ihm selbst zu eigen ist. Im Auftrag Gottes darf der Mensch auf Erden herrschen. Dieser Abglanz von Gottes Macht verleiht dem Menschen eine Wesensart, die seine Ebenbildlichkeit mit Gott jenseits einer körperlichen Ebene bestimmt, der Herrschaftsauftrag rückt den Menschen außerdem vom Tierreich weg und in die Nähe Gottes.[25]
Kaum ein anderer Satz des Alten Testaments wurde in der Neuzeit derart kontrovers diskutiert wie der, dass Gott die Menschen nach seinem Bild geschaffen hat. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen wird meistens in seinen geistigen Fähigkeiten oder Vorzügen gesehen, seinem Verstand und seiner Vernunft, Wille oder Willensfreiheit, Ich-Bewusstsein oder auch unsterbliche Seele. Im Alten Testament hat der Satz solche Bedeutung nicht gehabt. Der Mensch zur Zeit des Alten Testaments verstand sich zudem nicht als Dualität aus Geist und Körper, sondern als Ganzheit. Aus dieser Perspektive sollte die Ebenbildlichkeit betrachtet werden. Keine besondere körperliche oder geistige Eigenschaft macht den Menschen zu Gottes Ebenbild, seine Ebenbildlichkeit besteht darin, dass er als Mensch Gottes Geschöpf ist.[26]
Wie über die Wasser- und Lufttiere spricht Gott über die Menschen den Segen. Der Segen verleiht ihnen die Fähigkeit zur Fortpflanzung.
1,29-30 Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.
Erneut spricht Gott den Menschen an. Er weist ihm als Nahrung Getreide und Baumfrüchte zu, den Tieren Gras und Kräuter. Lothar Ruppert liest in diesen Worten den Schöpferauftrag, Ackerbau- und Obstkultur zu betreiben. Da das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken erst nach der Sintflut von Gott ausdrücklich erlaubt wird, sieht Ruppert in dieser Beschreibung des P außerdem eine besondere Friedensordnung und den einzigen Anklang an einen Heilszustand am Anfang.[27]
[...]
[1] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S.57 f.
[2] vgl. Kratz, Reinhard G. & Spieckermann, Hermann (1999): Schöpfer/Schöpfung II. In G. Müller & G. Krause (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie (S. 259-283). De Gryter: Berlin, S. 270.
[3] vgl. Zenger, Erich (1997). Priesterschrift. In G. Müller & G. Krause (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie (S. 435-446). De Gryter: Berlin, S. 435.
[4] vgl. Zenger, Erich (1997). Priesterschrift. In G. Müller & G. Krause (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie (S. 435-446). De Gryter: Berlin, S. 436.
[5] vgl. Zenger, Erich (1997). Priesterschrift. In G. Müller & G. Krause (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie (S. 435-446). De Gryter: Berlin, S. 439.
[6] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 39.
[7] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 38.
[8] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 41.
[9] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 42, und Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 147.
[10] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 45 f.
[11] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 150-153.
[12] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 52, und Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 156 f.
[13] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 50, und Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 158 f.
[14] Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 159
[15] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 162.
[16] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 117-120.
[17] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 53, und Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 121.
[18] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 123-126.
[19] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 57-60
[20] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 63, und Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 176.
[21] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 186.
[22] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 193-195.
[23] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 196.
[24] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 198.
[25] vgl. Zimmerli, Walther (1984): 1. Mose 1-11: Urgeschichte (4. Aufl.). Theologischer Verlag: Zürich, S. 73-79, und Ruppert, Lothar (2003): Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 1. Teilband: Gen 1,1-11,26 (2. Aufl.). Echter: Würzburg, S. 96.
[26] vgl. Westermann, Claus (1983). Genesis. 1. Teilband. Genesis 1-11 (3. Aufl.). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, S. 207 f.
[27] vgl. Ruppert, Lothar (2003): Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 1. Teilband: Gen 1,1-11,26 (2. Aufl.). Echter: Würzburg, S. 96 f.