Diese Arbeit fragt nach dem Wesen der modernen Liebe und den Prinzipien und Kriterien der modernen Partnerwahl. Dabei sollen zunächst prämoderne Konzepte von Liebe und darin enthaltene Geschlechterrollen den Konstruktionen von Mann und Frau in modernen Liebesbeziehungen gegenübergestellt werden.
Zunächst fragt diese Arbeit also nach den Gesichtspunkten, an denen eine Transformation der Liebe und Partnerwahl erkennbar wird. Im Anschluss wird geprüft, welche kulturellen und technischen Entwicklungstendenzen dazu beigetragen haben, die moderne Partnerwahl auf diese Art zu transformieren und eine zunehmende Rationalisierung der Liebe in Gang zu setzen. Dabei wird insbesondere auf die normativen Veränderungen der Liebe im Kontext des Feminismus sowie auf die Auswirkungen der Konsumkultur im Hinblick auf die Partnerwahl eingegangen. Darüber hinaus soll hier auch der Einfluss des technologischen Fortschritts auf die moderne Konzeption von Liebe erörtert werden. Vor diesem Hintergrund werden insbesondere auch die Tendenzen zur Nutzung von Online-Dating und Dating-Apps, als moderne Plattformen zur Partnersuche, diskutiert. Anhand dieser theoretischen Auseinandersetzung soll schließlich eine Tendenz für künftige Entwicklungen des gesellschaftlichen Konzeptes der modernen Liebe abgeleitet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Konzepte von Liebe und Partnerschaft im historischen Vergleich
3. Liebe und Partnerwahl als rationale Handlung
3.1 Geschlechterdemokratie und emotionale Rationalisierung
3.2 Moderne Arenen der Partnerwahl
4. Fazit und Ausblick
5. Bibliographie
1. Einleitung
Überblickt man derzeitige gesellschaftliche Debatten über Liebe und Liebesbeziehungen, so orientieren sich diese in überwiegendem Maße an Idealen, wie Freiheit, Gleichberechtigung sowie sexuelle Erfüllung. Die Imagination eines gesunden und schmerzfreien Liebeslebens steht jedoch in enger Verbindung mit einer Fülle an Regeln und Normen, die das Sich-Einlassen auf eine emotionale Bindung mitunter enorm erschweren können (Illouz 2012, S.425f.). Diese Vorschriften liegen einer gesellschaftlichen Organisation zugrunde, in der Liebe und Sexualität mehr oder minder systematisch strukturiert werden. Die soziale Organisation der modernen Liebe verläuft im Wesentlichen entlang eines Konflikts zwischen dem Streben nach Freiheit, Gleichheit und Autonomie einerseits sowie dem Bedürfnis nach Leidenschaft, Intimität und Verbundenheit andererseits. Inmitten dieser Gemengelage wird die Wahl eines Liebespartners nicht selten zu einem von Zweifeln und Ängsten geprägten Unterfangen. Um Enttäuschungen in der Liebe zu vermeiden, tendieren Individuen mitunter zu emotional ausweichenden Verhaltensweisen und einer Art Unvermögen, eine starke emotionale Bindung einzugehen (ebd.).
Die zentralen Ursachen für diese Entwicklung finden sich in unterschiedlichen kulturell geprägten Formationen: Die starke biologisch und psychologisch orientierte Auseinandersetzung mit Liebe vertiefte zunächst die sozial und kulturell konstruierten Unterschiede zwischen Mann und Frau. Im Kontext der Konsumkultur entwickelte sich die Wahl eines Liebespartners indes zu einer komplexen Entscheidung anhand von Persönlichkeits- und Attraktivitätsskalen und dem Bewusstsein einer grenzenlosen Auswahl an potentiellen Partnern. Als weitere Komponente trug die feministische Emanzipation wesentlich zu einer Veränderung der Liebe und des Begehrens bei. Im Bestreben, eine machtfreie und symmetrische Beziehung zwischen Frau und Mann herzustellen, bewirkte die feministische Bewegung gleichzeitig eine Rationalisierung innerhalb des emotionalen Bindungsprozesses (ebd., S.306). Im Kontext technologischer Innovationen – gegenwärtig wird dies anhand der zahlreichen Angebote zum Online-Dating deutlich – lässt sich zudem eine Tendenz für eine noch stärker werdende Rationalisierung von Liebe und Emotion vermuten.
Die vorliegende Arbeit fragt nach dem Wesen der modernen Liebe und den Prinzipien und Kriterien der modernen Partnerwahl. Dabei sollen zunächst prämoderne Konzepte von Liebe und darin enthaltene Geschlechterrollen den Konstruktionen von Mann und Frau in modernen Liebesbeziehungen gegenübergestellt werden. Dieser Teil der Arbeit fragt also nach den Gesichtspunkten, an denen eine Transformation der Liebe und Partnerwahl erkennbar wird. Im Anschluss wird geprüft, welche kulturellen und technischen Entwicklungstendenzen dazu beigetragen haben, die moderne Partnerwahl auf diese Art zu transformieren und eine zunehmende Rationalisierung der Liebe in Gang zu setzen. Dabei wird insbesondere auf die normativen Veränderungen der Liebe im Kontext des Feminismus sowie auf die Auswirkungen der Konsumkultur im Hinblick auf die Partnerwahl eingegangen. Darüber hinaus soll hier auch der Einfluss des technologischen Fortschritts auf die moderne Konzeption von Liebe erörtert werden. Vor diesem Hintergrund werden insbesondere auch die Tendenzen zur Nutzung von Online-Dating und Dating-Apps, als moderne Plattformen zur Partnersuche diskutiert. Anhand dieser theoretischen Auseinandersetzung soll schließlich eine Tendenz für künftige Entwicklungen des gesellschaftlichen Konzeptes der modernen Liebe abgeleitet werden.
2. Konzepte von Liebe und Partnerschaft im historischen Vergleich
Unabhängig von Zeit und Raum lässt sich Liebe grundsätzlich als zentrales Element menschlichen Fühlens verstehen. Wendet man nun seinen Blick auf die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Liebe, gestaltet diese sich parallel auch als eine Institution, in Form einer Partnerschaft (Hollstein 2004, S.18). Diese institutionelle Gestalt der Liebe wird kontinuierlich durch die Kultur und Gesellschaft einer jeweiligen Epoche geformt. Mit anderen Worten ist die Liebe sozial konstruiert und somit „abhängig von Zeit und Raum, von Zeitgeist, ökonomischer Entwicklung und aktueller Politik“ (Hollstein 2004, S.18; Nussbaum 2002, S.171).
Das Konzept der heterosexuellen Liebe[1] als gesellschaftliche Institution beinhaltet zunächst zwei diametral gegenübergestellte Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Den Konstruktionen wohnen spezifische Erwartungen an das jeweilige Geschlecht inne, die wiederum zu spezifischen Verhaltensweisen zwischen Mann und Frau führen können. Die psychologische Auseinandersetzung mit Liebe und Geschlechterrollen orientiert sich nicht selten an einer „Mars“-und-„Venus“-Dialektik, die einen grundlegenden und naturgegebenen Unterschied zwischen Männern und Frauen postuliert (Illouz 2012, S.434f).[2] Psychologische und auch biologische Ansätze erweisen sich jedoch für die Erklärung der gesellschaftlichen Dynamiken innerhalb einer Liebesbeziehung als unfruchtbar, da Unterschiede zwischen den Geschlechtern hier als grundlegende, natürliche Eigenschaften festgeschrieben werden. Analog zu Illouz (2012) wird demnach in der vorliegenden Arbeit eine soziologische Perspektive auf das Konzept Liebe gewählt. Diese fragt in erster Linie nach den soziokulturellen Prozessen, in denen spezifische Konzeptionen von Liebe und darin enthaltene Geschlechterkonstellationen erzeugt werden und wurden.
Obgleich die Liebe eines der Grundelemente des Menschseins ausmacht, wird anhand der historischen Entwicklungen deutlich, dass Liebe und Liebebeziehungen einem stetigen Modifikations- und Transformationsprozess unterliegen. Deutlich lässt sich dies anhand des Konzeptes Familie dokumentieren (Hollstein 2004, S.18f). Bis in das 19. Jahrhundert hinein galt die Familie vorrangig als Arbeits- und nicht einzig als Liebesgemeinschaft. In Anlehnung an Hollstein (2004) dient die Bauernfamilie als Beispiel für solch eine arbeitszentrierte Familienkonstellation. Die Arbeit auf dem Hof bildete letztlich die Grundlage für die Familie und die Ehebeziehung, während Gefühle und Emotionen zunächst nachrangig waren (Giddens 1993, S.49f). Mit Entstehung neuer Berufe jenseits des landwirtschaftlichen Sektors, bildeten sich im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts auch neue Familienformen heraus, die eine Trennung zwischen der Arbeitswelt und dem privaten Haushalt vorsahen (ebd., S.20).
Die Separierung von Arbeits- und Lebensraum wirkte sich schließlich auch auf die Rollenverteilung von Mann und Frau aus. Während die Partnerschaft in Bauernfamilien noch von gemeinsamer Arbeit und geteilten Funktionen geprägt war, wurden die Geschlechterfunktionen im Zuge der Industrialisierung als voneinander gegensätzlich definiert. Innerhalb dieser gegensätzlich gearteten Rollenverteilung stand die Öffentlichkeit als primärer Lebensraum des Mannes dem Privathaushalt, als zentralen Lebensmittelpunkt der Frau diametral gegenüber. Konstruktionen von Männlichkeit orientierten sich in erster Linie an einer Rhetorik, die in Verbindung mit Verstand und Macht stand. Als weibliches Pendant wird der „häuslich versorgenden Ehefrau“ die Hausarbeit und Familienfürsorge zuteil (ebd., S.21). Emotionale Gesichtspunkte rückten als Grundlage für die Beziehung zwischen Mann und Frau zunehmend in den Vordergrund. Bisherige ökonomische und produktive Funktionen, wie die Arbeitsteilung, versanken im Zuge der Trennung weiblicher und männlicher Lebenswelten hingegen weitestgehend in der Peripherie. Das bürgerliche Familienideal entwickelte sich schließlich zu einem „männliche[n] Alleinverdienermodell“, durch das die Frau notwendigerweise in ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zum Mann befördert wurde (Hollstein 2004, S.21). Einer Geschlechterhierarchie entsprechend, wurden dem männlichen Geschlecht prestigereichere Attribute zuteil. Die Verortung des weiblichen Geschlechts in den häuslichen Sektor bewirkte hingegen, dass Frauen kontinuierlich an gesellschaftlicher Bedeutung verloren (ebd.).
In früheren Jahrhunderten orientierten sich Beziehungsstrukturen an einem relativ klaren Konzept, das zwar nicht immer sexuelle oder emotionale Erfüllung versprach, aber Lebenssicherheit und Beständigkeit. Die Transformation des Familienlebens im Zuge des industriellen Wandels bewirkte einen Wegfall dieser traditionellen Werte und Normen, die der prämodernen Gesellschaft bisher Stabilität und Orientierung geboten hatten (Hollstein 2004, S.20ff). Durch den Verlust des tradierten Verhaltenskodexes waren Paare schließlich dazu angehalten, ihre Erwartungen an Liebe, Ehe und Partnerschaft im stetigen Dialog zu formulieren und auszuloten (ebd.). Die Auflösung traditioneller Werte regte eine kontinuierliche Neukonzeptionierung von Liebe und Liebesbeziehungen in der Gesellschaft an, mit dem Ergebnis eines breit gefächerten Spektrums diverser Liebeskonzepte und eines zunehmend ausdifferenzierten Werte- und Normenkatalogs, der das moderne Liebes- und Beziehungsleben zu regulieren versucht.
Im Zuge der Frauenbewegung wandelte sich das Bild der bürgerlichen Familie schließlich vom Modell des männlichen Alleinverdieners zu einem gleichberechtigten Zugang zur Erwerbstätigkeit und Lebensgestaltung von Mann und Frau. Daraus resultierte ein Liebeskonzept, das sich im Wesentlichen an den Idealen Gleichheit, Freiheit und sexuelle Erfüllung orientierte, entsprechend eines grundlegenden Selbstgestaltungs- und Individualisierungsanspruchs (Hollstein 2004, S.17; Illouz 2012, S.426). Diese Leitmotive bilden den Überbau für gegenwärtige Konzeptionen von Liebe und Liebesbeziehungen, wie der Trennung von Liebe und Sexualität, vorehelicher sexueller Aktivität und einem Rückgang der Relevanz der Familie (Hollstein 2004, S.16). Die neuen Wertvorstellungen und darin enthaltene Geschlechterrollen stehen mitunter in direkter Konkurrenz mit traditionellen Liebeskonzepten. Innerhalb dieses Spannungsfeldes zwischen traditionellen und modernen Konventionen, sind die weiblichen und männlichen Akteure diversen Unsicherheiten und Ängsten ausgesetzt, die das Liebesleben zunehmend verkompliziert haben. Deutlich wird dies an der Zunahme von Ein-Personen-Haushalten, an der wachsenden Brüchigkeit von Liebesbeziehungen sowie am gleichzeitigen Rückgang dauerhafter Eheschließungen (Hollstein 2004, S.16). Wesentlich begünstigt wurde diese Entwicklung durch die normativen Veränderungen im Kontext des Feminismus, des technologischen Fortschritts sowie der Tendenz zur Konsumkultur. Um das Wesen des gegenwartsnahen Liebes- und Beziehungskonzeptes näher bestimmen zu können und gleichzeitig auch, um Tendenzen für künftige Entwicklungen des Liebeskonzeptes abzuleiten, soll im Folgenden erörtert werden, auf welche Weise die oben genannten kulturellen Entwicklungen zu einer derartigen Transformation der Liebe beigetragen haben.
[...]
[1] Liebe wird in der vorliegenden Arbeit als heterosexuelle Liebe verstanden, da hier vorrangig Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau erörtert werden. Entsprechend soll der Ausdruck „Liebe“, wenn nicht anders spezifiziert, in diesem Sinne verstanden werden.
[2] Entsprechend erweisen sich Männer als emotional unfähig, während die Frau, überspitzt ausgedrückt, ihre überaus starken Gefühle kontinuierlich mithilfe psychologischer Ratgeber zu bändigen versucht (ebd. 427).