Oftmals hört oder liest man in den Medien die Schüler und Schülerinnen von heute seien aggressiver und gewaltsamer als die vorhergehende Generation. Viele Lehrkräfte berichten von einer Zunahme von Gewalt an Schulen. Sind die Kinder von heute wirklich aggressiver? Was sind die Ursachen für aggressives und dissoziales Verhalten? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? All dies sind Fragen, die sich wahrscheinlich nicht nur Lehrkräfte und anderes pädagogisches Personal schon mal gestellt haben. Es sei gesagt, es gibt keine empirischen Belege für die Zunahme von Gewalt an Schulen.
Mit den anderen beiden Fragen und dem Störungsbild von Störungen des Sozialverhaltens soll sich diese Arbeit auseinander setzen. Zu Beginn wird das Störungsbild überwiegend auf den Texten von Gasteiger-Klicpera und Klicpera (2008) vorgestellt. In einem längeren Abschnitt werden die verschiedenen Ursachen benannt. Des Weiteren wird auf Diagnostik, Prävalenz und Komorbidität eingegangen. Anschließend werden unterschiedliche evidenzbasierte pädagogische Maßnahmen vorgestellt. Im Mittelpunkt steht bei der Betrachtung das Programm FAUSTLOS. Die ausführlichere Vorstellung soll exemplarisch für die vielen verschiedenen Präventionsprogramme sein.
Abschließend erfolgt eine kritische Reflexion der Störung im Allgemeinen sowie den Handlungsmöglichkeiten der Intervention und Prävention.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Störungsbild
2.1 Symptomatik
2.2 Diagnostik
2.3 Ätiologie
2.4 Prävalenz und Komorbidität
3. Evidenzbasierte pädagogische Maßnahmen auf Schul-, Klassen- und
4. Kritische Reflexion
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Oftmals hört oder liest man in den Medien die Schüler* und Schülerinnen von heute seien aggressiver und gewaltsamer als die vorhergehende Generation. Viele Lehrkräfte berichten von einer Zunahme von Gewalt an Schulen. Sind die Kinder von heute wirklich aggressiver? Was sind die Ursachen für aggressives und dissoziales Verhalten? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? All dies sind Fragen, die sich wahrscheinlich nicht nur Lehrkräfte und anderes pädagogisches Personal schon mal gestellt haben. Es sei gesagt, es gibt keine empirischen Belege für die Zunahme von Gewalt an Schulen.
Mit den anderen beiden Fragen und dem Störungsbild von Störungen des Sozialverhaltens soll sich diese Arbeit auseinander setzen. Zu Beginn wird das Störungsbild überwiegend auf den Texten von Gasteiger-Klicpera und Klicpera (2008) vorgestellt. In einem längeren Abschnitt werden die verschiedenen Ursachen benannt. Des Weiteren wird auf Diagnostik, Prävalenz und Komorbidität eingegangen. Anschließend werden unterschiedliche evidenzbasierte pädagogische Maßnahmen vorgestellt. Im Mittelpunkt steht bei der Betrachtung das Programm FAUSTLOS. Die ausführlichere Vorstellung soll exemplarisch für die vielen verschiedenen Präventionsprogramme sein.
Abschließend erfolgt eine kritische Reflexion der Störung im Allgemeinen sowie den Handlungsmöglichkeiten der Intervention und Prävention.
2. Störungsbild
„Unter Störung des Sozialverhaltens wird ein andauerndes Muster dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens verstanden, dass der Entwicklung des Sozialverhaltens in keinster Weise entspricht und/oder die Grundrechte anderer verletzt“ (Täschner, S.119, 2015). Im Folgenden Kapitel soll kurz auf die wesentlichen Merkmale, die Diagnostik, mögliche Ursachen sowie Verbreitung und Komorbidität von dissozialen Störungen eingegangen werden.
2.1 Symptomatik
Ein wesentliches Merkmal für Störungen des Sozialverhaltens ist aggressives Verhalten (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 182, 2008), darüber hinaus ist die Störung sehr häufig durch oppositionelles, kriminelles und delinquentes Verhalten gekennzeichnet (Lösel & Runkel, S.455, 2009). Aggressives Verhalten lässt sich in zwei Formen differenzieren: instrumentelle/proaktive Aggression und reaktive Aggression. Proaktive Aggression dient einem bestimmten Ziel. Bei Kindern mit Störungen des Sozialverhaltens ist dieses Ziel meist die eigene Stellung in der Gruppe zu verbessern. Reaktive Aggression ist auf Störungen der Emotionsregulation zurückzuführen. Die Handlungen erfolgen ungeplant aus einem Ungerechtigkeitsgefühl heraus und haben zum Ziel den eigenen Ärger zu minimieren oder Rache zu üben. Beide Formen sind bei Kindern mit Störungen des Sozialverhaltens vorzufinden (vgl. Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 182, 2008). Weitere Merkmale der Störung sind: mangelnde soziale Fertigkeiten, Schwierigkeiten sich in andere Kinder hineinzuversetzen, eine hohe Impulsivität sowie ein ungeschicktes Handeln in sozialen Interaktionen (vgl. Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S.183, 2008). Es können vier Kategorien antisozialen Verhaltens unterschieden werden: Eigentumsverletzung, Aggression, oppositionelles Verhalten und Regelverletzungen (Lösel & Runkel, S.455, 2009). Diese Kategorien bezeichnen entweder offene oder verdeckte Verhaltensweisen. Neben Eigentums- und Regelverletzung zählen ebenso Stehlen, Schule schwänzen, Lügen und Feuer legen zu den verdeckten dissozialen Verhaltensweisen (Vergleich Anhang 1 Symptome nach DSM-IV-TR; Anhang 2 Symptome nach ICD-10; Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 184, 2008). Offene dissoziale Verhaltensweisen sind Wutanfälle, direkter Widerstand gegenüber Erwachsenen, Grausamkeiten gegenüber Menschen und Tieren (ebd.). Kinder mit verdeckten dissozialen Verhaltensweisen sind meist ängstlicher und misstrauischer anderen gegenüber als Kinder, die offene dissoziale Verhaltensweisen zeigen. Betrachtet man das Auftreten offener bzw. verdeckter Verhaltensweisen, ist zu beobachten, dass Jungen eher zu der direkten offenen Form von körperlicher Aggression neigen, wohingegen Mädchen eher die verdeckte und indirekte Form dissozialen Verhaltens nutzen (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 182, 2008). Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung unterscheiden DSM-IV-TR und ICD-10 verschiedene Schweregrade der Störung. Nach ICD-10 gibt es sechs verschiedene Formen von Störungen des Sozialverhaltens (siehe Anhang 3).
Es müssen mehrere Symptome über einen längeren Zeitraum vorliegen, um von einer Störung des Sozialverhaltens zu sprechen. Nach ICD-10 müssen wenigstens drei Symptome über mindestens sechs Monate aufgetreten sein. Die Symptome 11,13,15,16,20,21 und 23 müssen lediglich einmal auftreten um das Kriterium für das Vorliegen einer Störung zu erfüllen (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S.136 f., 2007; Anhang 2). Nach DSM-IV müssen von 15 Symptomen mindestens drei in den letzten sechs Monaten aufgetreten sein (Anhang 1).
2.2 Diagnostik
Wie in Abschnitt 2.1 herausgestellt ist eine Störung des Sozialverhaltens sehr komplex. Die oben benannten Symptome nach ICD-10 und DSM-IV werden bei der Diagnostik mit herangezogen.
Die unterschiedlichen Verhaltensweisen zeigen sich meist in verschiedenen Situationen, jedoch nicht in allen Lebensbereichen der Kinder, daher ist es wichtig verschiedene Beobachtungsgruppen bei der Diagnose zu Rate zu ziehen. Jede Gruppe bringt auch einen anderen Blickwinkel auf das Kind und die verschiedenen Situationen mit. Mittlerweile gibt es eine Reihe an klinischen Skalen, Fragebögen und Screenings, die zur Diagnose herangezogen werden können (siehe Anhang 4). Da die einzelnen Fragebögen und Screenings nicht im Umfang dieser Arbeit vorgestellt werden können, soll in Anhang 4 nur auf die gängigsten Diagnoseverfahren verwiesen werden. Standardisierte Fragebögen wie die Child Behavoir Checklist und das Teacher Report Form sind für die Diagnostik geeignet, da sie die Objektivität der Beobachtergruppe wahren. Es sollten zur Diagnose alle Personen aus dem Umfeld der Kinder sowie externe Beobachter befragt werden, um ein umfassendes und möglichst neutrales Bild zu erhalten. Selbsteinschätzungen der Kinder sind meist nicht objektiv genug, dennoch sollte sie nicht außer Acht gelassen werden. Eltern laufen Gefahr die Fragen nicht objektiv zu beantworten, aus Angst vor sozialer Unerwünschtheit. Lehrkräfte haben das Risiko durch die Einschätzungen der schulischen Leistungen zu verallgemeinern bzw. diese auf das Verhalten des Kindes zu übertragen (vgl. Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 186, 2008). Die Einschätzung durch externe Beobachterinnen und Beobachter soll die Reliabilität wahren, nur ist dieses Verfahren meist recht aufwendig.
In der Einzelfalldiagnostik sollte aufgrund der relativ hohen Komorbidität abgeklärt werden inwieweit andere Störungen involviert sind.
2.3 Ätiologie
Für die Ausprägung der Störung sind meist mehrere Ursachen verantwortlich. Einige dieser Faktoren sollen hier kurz vorgestellt und durch die Abbildung aus Anhang 5 und Tabelle in Anhang 6 ausführlicher ergänzt werden. In der Abbildung in Anhang 5 werden die multifaktoriellen Einflüsse auf die Entwicklung des Kindes aufgezeigt.
Als erstes soll auf die genetischen und biologischen Faktoren eingegangen werden. Die Ergebnisse verschiedener Zwillings- und Adoptionsuntersuchungen geben deutliche Hinweise darauf, dass eine genetische Prädisposition zu erhöhter Aggressionsneigung und zu delinquentem Verhalten führen kann (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 189, 2008). Lösel und Runkel (2009) gehen davon aus, dass in etwa 40% der individuellen Varianz antisozialen Verhaltens erblich bedingt sind. Vergleicht man diese mit den Angaben von Gasteiger-Klicpera und Klicpera (2008) liegen die 40% im Durchschnitt, da diese eine Heredität zwischen 7% - 69% angeben. Nach heutigem Erkenntnisstand betrifft die genetische Vererbung eher allgemeine Regulationssysteme als eine direkte Vorprogrammierung von Verhalten. Immer mehr rückt die Betrachtung eines Zusammenhangs zwischen dem frühen Beginn der Störung und neurophysiologischer Funktionsstörungen in den Fokus der Forschung. Auch Täschner erwähnt Unregelmäßigkeiten im Frontalhirnlappen als möglichen Risikofaktor (siehe Anhang 6).
Ein weiterer multifaktorieller Faktor sind abweichende sozial-kognitive Verarbeitungsschemata. Durch diese Schemata neigen Kinder mit Störungen des Sozialverhaltens dazu, Verhaltensweisen anderer Kinder als feindselig zu interpretieren und reagieren daher aggressiv (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 190/191, 2008 nach Dodge, 1980; Dodge, 2003; Dodge & Crick, 1994; Dodge & Frame, 1982). Die veränderte sozio-kognitive Informationsbearbeitung ist Ursache und Folge zugleich.
Nach Myschker (2005) haben die Eltern einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes und somit auf den Verlauf sowie die Entwicklung der Störung. Haben die Eltern Stress, Belastungen oder leben in ungünstigen sozialen Umständen wirkt sich dies auch indirekt auf das Kind aus. Kommt dazu, dass die Eltern keine Strategien besitzen mit diesen Belastungsfaktoren umzugehen, werden diese an das Kind weiter gegeben (vgl. Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 193, 2008). Das Temperament des Kindes bestimmt vorrangig in den ersten Jahren die Beziehung zu den Eltern (ebd.). Snyder und Patterson benannten 1987 (in Gasteiger-Klicpera & Klicpera, 2008) drei wesentliche Komponenten die für die Sozialisation von Kindern bedeutend sind: Disziplinmaßnahmen, förderndes Erziehungsverhalten und Informiertheit & Aufsicht der Eltern. Werden diese drei Aspekte berücksichtigt kann die Sozialisation des Kindes optimal verlaufen und bei aggressiven sowie dissozialen Verhaltensweisen präventiv wirken. Vernachlässigung in der Erziehung, Inkonsistenz des Erziehungsverhaltens sowie körperliche Züchtigung können als Ursache und begleitendes Merkmal der Störung betrachtet werden (ebd.).
Weiterhin haben die Peer-Gruppe und das schulische Umfeld einen Einfluss auf die Sozialisation von Verhalten. Unter Gleichaltrigen werden viele aggressive Verhaltensweisen erleichtert, da die Hemmschwelle gesenkt wird. Treffen mehrere aggressive und dissoziale Kinder aufeinander ist es möglich, dass sie sich in ihren Verhaltensweisen gegenseitig bestärken. Ein Ort an dem viele Gleichaltrige zusammentreffen und einen Großteil ihrer Zeit miteinander verbringen ist die Schule. Oft ist zu beobachten, dass Lehrkräfte wenig gegen aggressives Verhalten tun (Gasteiger-Klicpera, S.193, 2008 nach Olweus, 1991). Des Weiteren wurde ein Zusammenhang zwischen dem Leistungsstand von Kindern und aggressivem Verhalten beobachtet. Schülerinnen und Schüler aus Klassen mit einem schwachen Leistungsstand neigen signifikant häufiger zu aggressiven Verhaltensweisen als Kinder aus leistungsstarken Klassen (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, S. 194, 2008). Dies kann zum Teil auch auf eine geringe verbale Begabung zurückzuführen sein (ebd.). Ebenso können Langeweile, Unterforderung und Schulunlust zu aggressiven Verhaltensweisen führen (ebd.). Es hat sich herausgestellt, dass das Schulklima und der Umgang mit Aggressionen einen hohen Einfluss auf das Vorkommen von dissozialen und aggressiven Verhaltensweisen haben. Dies soll im Kapitel 3 nochmals aufgegriffen werden.
[...]
* Das Sternchen wird verwendet, da in der gesamten Arbeit nicht nur die männliche und/oder weibliche Form gemeint ist, sondern auch alle Geschlechtsidentitäten dazwischen und darüber hinaus.