„Man sollte mit den Hypothesen, die man im Kopf hat flirten, aber man sollte sie nicht heiraten!“ - Gianfranco Cecchin
Jeder Mensch hat Vorstellungen von der Wirklichkeit. Dabei sind diese Vorstellun-gen keine objektiven Sachverhalte sondern entsprechen dem subjektiven Empfinden, wodurch das Subjekt auf komplexe Art und Weise Deutungen konstruiert (Dilts 2010, S. 11; Arnold 1985, S. 23).
Im Alltag wird die Wirklichkeit nicht unabhängig in jeder Situation aufs Neue gedeutet – Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens Denkmuster und Automatismen um sich in ihrer komplexen Umwelt leichter orientieren zu können (Arnold 1985, S. 24; Palmowski 2011, S. 27). Darin besteht ein westlicher Teil ihrer Nützlichkeit.
Die Art der Wahrnehmung ist dabei abhängig von vielen Faktoren, wie z.B. der eigenen Erziehung, dem kulturellen Umfeld, den Medien, den persönlichen Erfahrungen einer Person, denn durch sie entwickelt ein Mensch individuelle Deutungsmuster (Dilts 2010, S. 12). Da Deutungen also keinen Anspruch auf Objektivität haben können, bedeutet dies gleichzeitig auch, dass jeder Mensch über eigene Deutungen verfügt. Selbst wenn zwei Personen dieselbe Situation erleben, nehmen sie diese unterschiedlich wahr und interpretieren sie verschieden (Schwing und Fryszer 2007, S. 28). Wenn nun beide Personen versuchen würden, die erlebte Situation durch Sprache zu formulieren, müssten sie sich auf eine Wahrnehmung festlegen und würden somit ihre eigene Wirklichkeit konstruieren. Bei den Beschreibungen der beiden Personen würden dabei Überschneidungen aber auch Unterschiede hervortreten, die auf die unterschiedliche Wahrnehmung zurückzuführen sind. Da Menschen auf Grund ihrer Wahrnehmung und deren Bewertung entsprechend handeln, führt eine unterschiedliche Wahrnehmung auch zu unterschiedlichen Handlungen.
Gleichzeitig stellt sich dabei die Frage, wo der Gehalt an Wahrheit und Realität liegt? Obwohl sich Teile der Aussage unterscheiden oder vielleicht sogar widersprechen können, hat doch jeder Recht – im Rahmen seiner eigenen Wahrnehmung (Palmowski 2011, S. 28).
Inhalt
1 Einleitung
2 Der sozialkonstruktivistische Ansatz
3 Deutungsmuster
3.1 Die Entstehung von Deutungsmustern
3.2 Die Wirkung von Deutungsmustern
3.3 Hinderliche Deutungsmuster
4 Transformation von Deutungsmustern
5 Die Rolle der systemischen Beratung
5.1 Das System
5.2 Was ist systemische Beratung
5.3 Systemische Beratung bei der Transformation von Deutungsmustern
6 Interventionsmöglichkeiten der systemischen Beratung
6.1 Systemisches Fragen
6.1.1 Gedankenlesende Fragen
6.1.2 Tratschen über Anwesende
6.1.3 Eigenschaften und Verhaltensunterschieden
6.2 Reframing
6.2.1 Bedeutungsreframing
6.2.2 Kontextreframing
6.2.3 Inhaltsreframing
6.3 Narrative Geschichten
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Der chinesische Bauer
1 Einleitung
„Man sollte mit den Hypothesen, die man im Kopf hat flirten, aber man sollte sie nicht heiraten! “
Gianfranco Cecchin
Jeder Mensch hat Vorstellungen von der Wirklichkeit. Dabei sind diese Vorstellungen keine objektiven Sachverhalte sondern entsprechen dem subjektiven Empfinden, wodurch das Subjekt auf komplexe Art und Weise Deutungen konstruiert (Dilts 2010, S. 11; Arnold 1985, S. 23).
Im Alltag wird die Wirklichkeit nicht unabhängig in jeder Situation aufs Neue gedeutet - Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens Denkmuster und Automatismen um sich in ihrer komplexen Umwelt leichter orientieren zu können (Arnold 1985, S. 24; Palmowski 2011, S. 27). Darin besteht ein westlicher Teil ihrer Nützlichkeit.
Die Art der Wahrnehmung ist dabei abhängig von vielen Faktoren, wie z.B. der eigenen Erziehung, dem kulturellen Umfeld, den Medien, den persönlichen Erfahrungen einer Person, denn durch sie entwickelt ein Mensch individuelle Deutungsmuster (Dilts 2010, S. 12). Da Deutungen also keinen Anspruch auf Objektivität haben können, bedeutet dies gleichzeitig auch, dass jeder Mensch über eigene Deutungen verfügt. Selbst wenn zwei Personen dieselbe Situation erleben, nehmen sie diese unterschiedlich wahr und interpretieren sie verschieden (Schwing und Fryszer 2007, S. 28). Wenn nun beide Personen versuchen würden, die erlebte Situation durch Sprache zu formulieren, müssten sie sich auf eine Wahrnehmung festlegen und würden somit ihre eigene Wirklichkeit konstruieren. Bei den Beschreibungen der beiden Personen würden dabei Überschneidungen aber auch Unterschiede hervortreten, die auf die unterschiedliche Wahrnehmung zurückzuführen sind. Da Menschen auf Grund ihrer Wahrnehmung und deren Bewertung entsprechend handeln, führt eine unterschiedliche Wahrnehmung auch zu unterschiedlichen Handlungen.
Gleichzeitig stellt sich dabei die Frage, wo der Gehalt an Wahrheit und Realität liegt? Obwohl sich Teile der Aussage unterscheiden oder vielleicht sogar widersprechen können, hat doch jeder Recht - im Rahmen seiner eigenen Wahrnehmung (Palmowski 2011, S. 28).
Aus diesem Grund rät Ceccin im oben genannten Zitat, dass man sich nicht zu sehr auf die eigene Wahrnehmung festlegen und sie „heiraten“ sollte, sondern sie nur in Betracht zu ziehen und gleichzeitig auch offen für andere Deutungen und Denkmodelle zu sein (Palmowski 2011, S. 9).
Dieser Rat ist allerdings nicht immer einfach umsetzbar, da Deutungsmuster weitestgehend unbewusst wirken. Ein Weg zur Transformation von Deutungsmustern ist die Unterstützung durch einen professionellen Berater. In der Beratung gibt es verschiedene Ansätze, wobei es der Inhalt dieser Arbeit ist zu untersuchen, welche Rolle die systemische Beratung bei der Transformation von Deutungsmustern spielt.
2 Der sozialkonstruktivistische Ansatz
Die Welt besteht aus unendlich vielen Sinneseindrücken und Menschen können nur einen kleinen Teil davon wahrnehmen. Dieser wahrgenommene Teil wird weiter gefiltert durch unsere eigenen Erfahrungen, Deutungsmuster, kulturelle Prägungen, Einstellungen, Werte und Interessen (O'Connor und Seymour 1994, S. 27). Deshalb nehmen unterschiedliche Menschen bestimmte Sachverhalte unterschiedlich wahr und diese individuelle Art führt weiter zu unterschiedlichen Bewertungen und Handlungen. Weitergedacht bedeutet dies also, dass jeder Mensch in seiner einzigartigen Welt lebt (Palmowski 2011, S. 23).
Im sozialen Konstruktivismus nimmt man deshalb an, dass unsere Vorstellungen über die Wirklichkeit gedankliche Konstruktionen sind. Ausschlaggebend für die Erschaffung von Wirklichkeit ist hierbei die Sprache. Im Prozess des miteinander Redens erzeugen, ergänzen und verändern Menschen ihre Vorstellung von der Wirklichkeit. Sprache dient demnach mehr als nur dem informativen Austausch von Informationen, sie erzeugt das wovon wir glauben, dass es Wirklichkeit ist (Pal- mowski 2011, S. 42 f.). In Absprache mit anderen Menschen einigt man sich dann auf eine gemeinsame Wirklichkeit, die auf Grund der Uneindeutigkeit der Sprache jedoch niemals wirklich identisch sein kann (Palmowski 2011, S. 44).
Sichtweisen und Fakten
In der Alltagssprache wird hingegen oft von Fakten und Tatsachen gesprochen, diese sind davon gesondert zu betrachten, da sie in einem gewissen Rahmen oder auch Kontext vorab eingefasst wurden. Ein Beispiel dazu ist die Aussage „Am 24.12. ist Weihnachten.“ wohingegen eine andere Aussagen wie „Mein Mann ist unfähig, Kinder zu erziehen.“ einen deutlich anderen Wahrheitsgehalt inne hat. Die meisten
Menschen würden ersterem zustimmen wobei sie dann mit Menschen aus dem englischen Raum in Diskussionen geraten würden, da dort am 25.12. Weihnachten gefeiert wird. Bei der zweiten Aussage ist deren Wahrheitsgehalt und Akzeptanz vor Allem für den Mann schwierig und wäre zu bezweifeln. Als Fakten werden deshalb Informationen angesehen, die von den beteiligten Personen mit hoher Übereinstimmung bestätigt werden. Eine Unterscheidung in Deutungen und Fakten ist deshalb erforderlich für die Orientierung (Schwing und Fryszer 2007, S. 29).
3 Deutungsmuster
3.1 Die Entstehung von Deutungsmustern
Ein wichtiges Medium zum erschaffen von Deutungsmustern ist die Sprache. „Sprache steuert unser Denken und das was wir fühlen - und natürlich umgekehrt“ (Tomas und Schmidt-Tanger 2011 Titel 2). Worte sind in diesem Zusammenhang die Referenzen oder Zeigestöcke und deuten auf das eigentliche Objekt. Ein Wort z.B. „Schmerz“ ist jedoch niemals das wirkliche Gefühl selbst, sondern ein Verweis darauf. Andere Menschen können diesem Wort eine Bedeutung entnehmen, weil diesem Begriff im Laufe der Geschichte eine gewisse Bedeutung zugesprochen wurde. Dabei steuert dieses Wort die eigenen Gedanken zu einer Erinnerung an selbst erlebten Schmerz, denn ein Mensch hat niemals einen direkten Zugang zum Empfinden eines anderen. Deshalb kann er auch niemals das wirkliche Gefühl des anderen nachempfinden. Dies wiederum führt dann natürlich auch zu einer anderen Wirklichkeitskonstruktion als die von der anderen Person gemeinten (Palmowski 2011, S. 45).
Deutungsmuster entstehen im Laufe des Lebens durch eigene Beobachtungen, Erfahrungen und deren Deutungen (Arnold 1985, S. 23). Sie werden auch durch den Einfluss von Eltern auf ihre Kinder, durch Lehrer, die soziale Erziehung oder durch Medien geprägt (Dilts 2010, S. 12). Durch immer wiederkehrende ähnliche Situationen und Erfahrungen entstehen Muster, die beim täglichen handeln und interagieren mit anderen Menschen genutzt werden. Diese Deutungsmuster werden als zeitstabile Sichtweisen, Überzeugungen und Interpretationen beschrieben. Sie werden auch als Glaubenssätze oder subjektive Alltagstheorien bezeichnet, sind weitestgehend automatisiert und unbewusst, sodass sie in der Regel überhaupt nicht bemerkt und somit auch nur schwer explizit formuliert werden können (Palmowski 2011, S. 27; Arnold 1985, S. 25).
Da nach dem sozialkonstruktivistischen Ansatz Wirklichkeit nicht objektiv erkannt sondern subjektiv anerkannt wird, sind auch die Deutungen über die Wirklichkeit individuell. Deshalb können Deutungsmuster also auch keinen absoluten Wahrheitsgehalt besitzen sondern lediglich einen Gehalt an Nützlichkeit für das Handeln einer Person (Palmowski 2011, S. 27; Schlippe und Schweitzer 2010, S. 7).
3.2 Die Wirkung von Deutungsmustern
„ Ob du denkst, dass du etwas kannst, oder dass du etwas nicht kannst - Du wirst auf jeden Fall Recht behalten. “
Henry Ford
Dieses Zitat von Henry Ford drückt bereits aus, dass Deutungsmuster eine sehr starke mentale Kraft besitzen. Sie wirken auf Gefühle und Verhalten von Menschen und begründen somit ein entsprechendes Handeln (Dilts 2010, S. 11).
Ein bekanntes Beispiel aus der Medizin ist der Placebo-Effekt. Patienten glauben ein Medikament zu bekommen und werden gesund, obwohl es sich bei dem Medikament nur um eine unwirksame Substanz ohne Wirkstoff handelt. „Der Glaube bewirkt die Heilung“ (O'Connor und Seymour 1994, S. 139).
Im Alltag helfen sie dabei die Komplexität der Umwelt durch Verallgemeinerungen und regelhafte Denkweisen zu reduzieren. Da Deutungsmuster zeitstabil sind, muss sich eine Person in ähnlichen Situation nicht jedes Mal grundlegend neu orientieren, diese bewerten um dann zu entscheiden wie sie damit umgeht. Sie beschreiben eine gewisse Perspektive durch die eine Person auf bereits vorhandene Interpretationen - also Deutungen - zurückgreifen kann. Deutungsmuster dienen der Orientierung und der Begründung von Alltagswissen über Situationen, Beziehungen und Selbstdefinition. Durch sie präsentiert eine Person ihre Identität und erhält ihre Handlungsfähigkeit aufrecht (Arnold 1985, S. 23 f.). Gleichzeitig sind Deutungsmuster dem ständigen Prozess von Interpretation und Rekonstruktion unterworfen (Goffman 1980, S. 153 ff.). Sie müssen nicht dauerhaft gültig sein sondern können im Laufe des Lebens durchaus intentional oder nicht intentional verändert bzw. korrigiert werden.
Deutungsmuster bieten also eine ausgesprochen Erleichterung im Alltag, allerdings können fest konstruierte Deutungsmuster eine Person auch erheblich behindern. Nicht alle Deutungsmuster sind wirklich nützlich. Manche werden unreflektiert aus der Umwelt übernommen - durch die Erwartungen anderer Menschen, Missverständnisse, Fehlinterpretationen oder Vorurteile. Gerade in jungen Jahren fehlen oft die Möglichkeiten Deutungsmuster zu überprüfen und so wird alles geglaubt, was einer Person gesagt wird. Zudem können gelernte Deutungsmuster aus der Kindheit im Erwachsenenalter völlig unangebracht und sogar hinderlich sein (O'Connor und Seymour 1994, S. 138).
3.3 Hinderliche Deutungsmuster
Der Wahrheitsgehalt von Deutungsmustern liegt dabei im subjektiven Glauben einer Person verankert (Thomssen 1980, S. 365). Wie hinderlich dieser sein kann verdeutlicht die folgende Geschichte:
Der tote Patient
Ein Patient ist überzeugt davon, dass er bereits tot sei. Alle Versuche des Psychiaters ihn davon zu überzeugen, dass er noch lebe schlagen fehl. Dabei hatte er ihn auf seine Körpertemperatur, auf die Atemfunktionen und vieles andere hingewiesen.
Schließlich fragt er seinen Patienten: "Sagen Sie mal, bluten Leichen eigentlich?" Der Patient denkt einen Augenblick nach und sagt dann: "Natürlich nicht.”
Der Psychiater nimmt eine Nadel und sticht dem Patienten in die Hand. Worauf dieser zu bluten beginnt.
Darauffragt der Psychiater: "Was sagen Sie jetzt?"
Der Patient antwortet: "Ich habe mich geirrt. Leichen bluten doch."
(Dilts 2010, S. 23)
Wenn Menschen etwas glauben, verhalten sie sich so als wäre es wahr und gleichzeitig hält das Handeln einer Person genau diese Deutungsmuster aufrecht. Die subjektive Wahrnehmung und Interpretation durch Deutungsmuster geschieht in der Regel so, dass sie in das bestehende Weltbild der Person passen. Informationen, die nicht in das Weltbild passen und diesem vielleicht sogar widersprechen werden häufig ignoriert, oder als Ausnahme bewertet (Mezirow 1997, S. 103). Was gerade als Witz dargestellt wurde beschreibt metaphorisch welche Auswirkungen Glaubenssätze auf das Leben einer Person haben können und wie tief diese in der Psyche einer Person verwurzelt sind (Dilts 2010, S. 23).
Da es keine allgemeingültigen Deutungsmuster gibt, sondern jeder Mensch über eigene Sichtweisen verfügt, kann dies innerhalb von sozialen Systemen zu Unstimmigkeiten oder Problemen führen.
Im systemischen Sinn ist ein Problem deshalb auch kein Strukturmerkmal das jemand „hat“ oder „nicht hat“. Es ist eher eine um ein Verhalten oder Thema herum entstandene Kommunikation über das Problem, womit es auch keine Dysfunktionalität beschreibt sondern eine Verkettung von Umständen im folgenden Sinne:
Ein Problem ist ein Zustand besonderer Aufmerksamkeit über einen bestimmtes Verhalten oder Thema, wobei gleichzeitig andere Prozesse in den Hintergrund treten. Um diesen Zustand zu entdecken und zu beschreiben bedarf es einen oder mehrere Beobachter, die sich einig sind oder auch nicht, ob etwas ein Problem ist und wo es liegt. Dieser Zustand muss weiterhin von mindestens einer der beschreibenden Personen als unerwünscht bzw. veränderungsbedürftig angesehen werden. Dieser Gedanke verbreitet sich in der Kommunikation z.B. durch Sprache mit anderen so dass das Problem zum Mittelpunkt der Kommunikation wird. Die Aufmerksamkeit richtet sich daher immer mehr auf das was nicht in Ordnung ist. Außerdem muss der Zustand als grundsätzlich veränderbar durch irgendeinen der beteiligten angesehen werden. Letztlich wird eine Erklärung dafür gesucht und gefunden, die plausibel genug ist um zu überleben aber keinen Lösungsweg anbietet (Schlippe und Schweitzer 2010, S. 30 ff.).
Ein „problematisches“ Verhalten entsteht also durch Deutungen der Beobachter und damit verbunden die sprachliche Kommunikation darüber. Zum Lösen des Problemzustandes hilft aus systemischer Sicht die Transformation der involvierten Deutungsmuster.
4 Transformation von Deutungsmustern
Im Heranwachsen und im Erwachsenenalter verändern und ergänzen sich die Deutungsmuster, die in der „primären Sozialisation“ angeeignet wurden. Neue Erfahrungen wie die Übernahme von Rollen in der Gesellschaft oder im Beruf stellen einen Wandel des Umfeldes und des Lebensalters dar und bedürfen somit einer „sekundären Sozialisation“ (Schmitz et al. 1989, S. 59 ff.).
Transformation kann dabei durch eine Reihe von Dilemmas, die zur Reflexion anregen oder als Reaktion auf ein von außen herangetragenes bedeutendes Dilemma entstehen. Hierzu gehören Tod, Krankheit, Trennung oder Scheidung, Auszug der Kinder aus dem Elternhaus, Übergangen werden bei einer Beförderung oder Erhalt derselben, Durchfallen bei einer wichtigen Prüfung oder Eintritt in den Ruhestand. Ein Dilemma, das einen Prozess der Transformation einleitet, kann auch die Folge einer Diskussion, eines Buchs, Gedichts oder Gemäldes sein, „durch die einem die Augen geöffnet wurden“. Es kann aber auch die Folge von Bemühungen sein, eine andere Kultur mit ihren Sitten zu verstehen, die unseren eigenen bisher akzeptierten Grundannahmen widersprechen. „Jede große Herausforderung einer feststehenden Perspektive kann letztendlich zu einer Transformation führen. Diese Herausforderungen können schmerzhaft sein, stellen sie doch oft tief verankerte persönliche Wertvorstellungen in Frage und bedrohen das ureigene Selbstverständnis“ (Me- zirow 1997, S. 142).
Neben dem Lernen von neuen Deutungsmustern ist somit auch die Korrektur alter Deutungen gemeint. Dies entspricht also einem Erkenntnisprozess, bei dem neue Erfahrungen in vorhandene Deutungsschemata integriert werden. Erkenntnis entwickelt sich dabei durch eine Diskrepanz einer problematischen Situation und einem dadurch entstehenden Begründungszwang unter dem sich eine Person ihrer Deutungsmuster bewusst wird. Durch Selbstreflexion kann eine Deutung dann überdacht und korrigiert werden (Schmitz et al. 1989, S. 55 ff.). Unter Reflexion versteht Mezirow den „Vorgang der kritischen Bewertung des Gehalts und des Verlaufs unserer Bemühungen, eine Erfahrung zu interpretieren und ihr Bedeutung zu verleihen, oder der diesbezüglichen Prämisse(n)“ (Mezirow 1997, S. 86).
Dabei macht man sich auch Gedanken um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dem was gerade passiert und dem was man früher gelernt hat. Das geschieht um Grundsätze zu erkennen, Verallgemeinerungen machen zu können, Muster zu erkennen und sich über die nächsten Schritte klar zu werden. Dabei können auch Irrtümer bei Folgerungen, Annahmen und Täuschungen auftreten (Mezirow 1997, S. 86).
Die Ursache von schwierigen und problematischen Situationen sind oftmals unterschiedliche Deutungsmuster oder Perspektiven. Systemische Therapie beansprucht als anerkanntes wissenschaftliches Verfahren dabei, zur Transformation von Deutungsmustern beitragen zu können (vgl.Schlippe und Schweitzer 2010, S. 7).
5 Die Rolle der systemischen Beratung
5.1 Das System
Ein System ist zunächst ein Begriff und laut Luhmann eine ausschließlich gedankliche oder kommunikative Konstruktion (Treml 1992, S. 163). Deshalb kann man sich zahllose Systeme ausdenken, die sich nur als sinnvoll herausstellen müssen.
Um ein System zu beschreiben stellen sich deshalb die Fragen: Wer gehört zu einem System und wer nicht? Woran wird das System erkannt? Was wird beobachtet, wenn ein System beobachtet wird?
Die Welt als System oder Subsystem zu unterscheiden dient als Orientierung für den Betrachter. Diese Perspektive ist nur eine von vielen möglichen Blickwinkeln. Sie entspricht in Etwa einer Landkarte, die eine Landschaft beschreibt. Die Karte ist nur solange gut und nützlich, solange sie uns erfolgreich bei der Orientierung hilft. Außerdem muss man immer bedenken, dass es sich nur um eine Karte handelt und diese nicht mit dem tatsächlichen Berg verwechseln (Schwing und Fryszer 2007, S. 22 f.).
Schlippe und Schweitzer beschreiben ein System zusätzlich mit den folgenden Ansätzen: 1) Ein System besteht aus vielen verschiedenen miteinander interagierenden Menschen. Das kann z.B. eine Familie, eine Projektgruppe oder eine Organisationa- le Abteilung oder eine Schulklasse sein. 2) Probleme werden nicht als Wesensmerkmale gesehen, die eine Person oder ein soziales System „hat“ oder wie jemand „ist“ sondern sie entstehen in einem Kontext. Der Kontext beeinflusst das Verhalten der betroffenen und erklärt dadurch ein gewisses Verhalten einzelner Menschen. Lachen im Kabarett ist sicherlich ein angemessenes Verhalten, bei einer Beerdigung allerdings nicht. 3) Wirklichkeit wird als Ergebnis sozialer Konstruktion angesehen und nicht als etwas objektives das allgemeine Gültigkeit besitzt. Eine bedeutende Rolle spielen dabei die Geschichten, die eine Person über sich erzählt und die Sprache, die sie dabei benutzt. 4) Lebende und soziale Systeme werden als selbstorganisiert angesehen, was bedeutet, dass sie sich ohne Einwirkungen von außen selbst erschaffen und durch ihre Beteiligten Systemmitglieder beeinflusst werden. 5) Die Suche nach neuen Ideen, Bildern und Ressourcen hat Vorrang vor dem Gespräch darüber, was nicht funktioniert. 6) Mit allen Beteiligten soll eine Kooperationsbeziehung entwickelt werden, die auf einer wertschätzenden Beschreibung der Beteiligten gründet (Schlippe und Schweitzer 2010, S. 7 ff.; Palmowski 2011, S. 33).
Für eine Beratung im systemischen Sinn sind diese Grundannahmen essenziell, denn sie ermöglichen eine weitestgehend unvoreingenommene Perspektive auf ein System.
5.2 Was ist systemische Beratung
Palmowski versteht unter Beratung den „kontinuierlichen und notwendigen Prozess der Reflexion und der Planung von Veränderungen“. Als Inhalt sieht er dabei die „Auflösung gemeinsamer inhaltlicher Positionen oder verbindlicher Vorgaben hin zu einer Pluralität von Sichtweisen und Meinungen“. Dies verlangt vom einzelnen die „kontinuierliche Reflexion des eigenen Handelns zur Bestimmung und Begründung der eigenen Position, zur Formulierung individueller Ziele, zur Vernetzung eigener Projekte mit denen anderer sowie zur Aushandlung, Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung gemeinsamer Vorstellungen über gemeinsame Sachverhalte“ (Palmowski 2011, S. 17). Systemisch ist die Beratung deshalb, weil dieser Ansatz die unter Punkt 5.1 genannten Annahmen als Grundsätze heranzieht.
5.3 Systemische Beratung bei der Transformation von Deutungsmustern
Welche Rolle spielt nun die systemische Beratung bei der Transformation von Deutungsmustern? Palmowski greift dazu in seiner Definition bereits die oben genannte Forderung von Schmitz nach Reflexion auf.
In sozialen Systemen wird die Erfahrungswelt der Beteiligten als gemeinsame Konstruktion, also einem Satz gemeinsamer Deutungsmuster beschrieben. Sie tendieren dazu, eine gemeinsame Wirklichkeitserfahrung zu teilen. Gemeint ist dabei nicht, dass jeder die gleiche Wirklichkeitserfahrung hat, sondern dass die Perspektiven der Einzelnen eng aufeinander bezogen und sogar ineinander verschlungen sind, wodurch die Beteiligten unheimlich schnell aufeinander reagieren, sich anklagen, sich beschuldigen oder verteidigen. Sie scheinen sich „im Gestrüpp der wechselseitigen Beschreibungen ihrer Wirklichkeiten oft heillos zu verirren“. Die beteiligten reagieren dadurch nicht mehr auf das was eine Person sagt sondern auf die eigenen Erwartungen, die bereits durch vorherige Erfahrungen erschaffen wurden. Die Vorstellungen darüber wie der andere „ist“ erstarren wodurch der kommunikative Austausch im System in Form starrer Muster ineinander verwoben ist (Schlippe und Schweitzer 2010, S. 9 f.).
Die systemische Beratung übernimmt an dieser Stelle die Aufgabe, sich in dieses Geflecht von gegenseitig stabilisierenden Beschreibungen und Erwartungen einzufädeln, um Angebote zu machen, die Geschichten der einzelnen Beteiligten anders zu sehen und Deutungen zu dekonstruieren (Schlippe und Schweitzer 2010, S. 11).
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