In dieser Arbeit soll der Begriff „Mimesis“ von Klaus Mollenhauer im Kontext kultureller Bildung erläutert werden und in einen theaterpädagogischen Kontext gesetzt werden. Begonnen wird mit einer allgemeinen Einführung zum Begriff „Mimesis“. Es folgt die Definition Klaus Mollenhauers, in Kontext seines Verständnisses der ästhetischen Bildung. Abschließend wird entsprechend auf den theaterpädagogischen Kontext eingegangen.
Die mimetischen Prozesse setzen ab dem Säuglingsalter ein und sind zunächst überwiegend auf andere Menschen im direkten Umfeld gerichtet. Bei diesem Prozess versuchen die Kleinkinder den Personen um sich herum zu ähneln. Durch dieses Verhalten und die auf diese folgenden Reaktionen der Umwelt erwirbt das Kind entsprechende Fähigkeiten. Dies führt wiederum zum Erwerb/ Erlernen von Gefühlen, sowohl im eigenen Bewusstsein, als auch durch die Erfahrung, dass die Reaktionen auch Gefühle beim Gegenüber wecken können. Durch diesen Vorgang schreiben sich die kulturellen Bedingungen bereits in das Gedächtnis und den Körper ein.
Die Fähigkeit mimetische Lernprozesse zu nutzen, ist die Basis für den Erwerb kultureller Lernprozesse, da durch dieses mimetische Verhalten kulturelles Wissen angeeignet werden kann. Zentral im mimetischen Lernprozess ist das Vorbild. Im Kleinkindalter bereits spielt die Identifikation mit einer (Vorbild-) Person eine große Rolle. Vorwiegend wird in diesem Alter versucht, den Erwachsenen zu ähneln und sich ebenso zu verhalten wie sie. Ein Beispiel hierfür stellt das freie Rollenspiel von Kindern dar, „Vater- Mutter- Kind“, bei dem von Kleinkindern die Rollen der Eltern eingenommen werden oder auch das „Nachspielen“ von gesehenen Theaterstücken.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Der Begriff „Mimesis"
II.1. Der Begriff „Mimesis" im historischen Kontext
II.2. Der Begriff „Mimesis" im kulturpädagogischen Kontext
II.3. Der Begriff „Mimesis" im theaterwissenschaftlichen Kontext
III. Klaus Mollenhauers Begriff „Mimesis" im Kontext ästhetischer Bildung
III.1. Ästhetische Bildung, ästhetische Erfahrung und ästhetische Produktivität
III.2. „Mimesis"
III.2.1. „Mimesis" im Allgemeinen
III.2.2. Bildnerische Mimesis
IV. „Mimesis" im theaterpädagogischen Kontext
IV. 1. Heidi Freis Ausdrucksspiel aus dem Erleben- Theaterpädagogische Theorie im Kontext der Mimesis
IV. 2. Theaterpädagogik und der Begriff „Mimesis"
IV. Schluss
Literatur
I. Einleitung
Die mimetischen Prozesse setzen ab dem Säuglingsalter ein und sind zunächst überwiegend auf andere Menschen der nächsten Umwelt gerichtet. Bei diesem Prozess versuchen die Kleinkinder den Personen um sich herum zu ähneln. Durch dieses Verhalten und die auf diese folgenden Reaktionen der Umwelt erwirbt das Kind entsprechende Fähigkeiten, wie zum Beispiel das Lächeln. Dies führt wiederum zum Erwerb/ Erlernen von Gefühlen, sowohl im eigenen Bewusstsein, als auch durch die Erfahrung, dass die Reaktionen auch Gefühle beim Gegenüber wecken können. Durch diesen Vorgang schreiben sich die kulturellen Bedingungen bereits in das Gedächtnis und den Körper ein.
Die Fähigkeit mimetische Lernprozesse zu nutzen, ist die Basis für den Erwerb kultureller Lernprozesse, da durch dieses mimetische Verhalten kulturelles Wissen angeeignet werden kann. Zentral im mimetischen Lernprozess ist das Vorbild. Im Kleinkindalter bereits spielt die Identifikation mit einer (Vorbild-) Person eine große Rolle. Vorwiegend wird in diesem Alter versucht, den Erwachsenen zu ähneln und sich ebenso zu verhalten wie sie.[1] Ein Beispiel hierfür stellt das freie Rollenspiel von Kindern dar, „Vater- Mutter- Kind", bei dem von Kleinkindern die Rollen der Eltern eingenommen werden oder auch das „Nachspielen" von gesehenen Theaterstücken.
In diesem Kontext erklärt sich der Zusammenhang zwischen mimetischen Lernprozessen und der Aneignung kulturellen Wissens beziehungsweise kultureller/ ästhetischer Bildung: Dadurch, dass versucht wird den Älteren ähnlich zu werden, situiert sich die Motivation, die Zusammenhänge zwischen Gegenständen beziehungsweise Geschehnissen der Welt zu verstehen. Ebenso auch das Zwischenmenschliche, kodiert in Symboliken, Gesten und der Kommunikation im Allgemeinen.[2] Wie das Beispiel des kindlichen Rollenspiels zeigt, können Spielimpulse dem Spielenden die Möglichkeit bieten, diese kodierten kulturellen Muster im Theater, das einen anderen Rahmen als den Alltag bietet, auf eine andere Weise zu erleben und die Auseinandersetzung mit der Welt als Rückgriff auf (bereits verdrängte) mimetische Lernprozesse auf eine andere Weise zu vollziehen.[3] „Das im mimetischen Akt angeeignete Vorbild ist also keine bloße Abbildung aufgrund äußerlicher Ähnlichkeiten, sondern eine Konstruktion des sich mimetisch Verhaltenden, in der Raum für Differenz, Partikularität und Kreativität ist."[4]
In dieser Arbeit soll der Begriff „Mimesis" von Klaus Mollenhauer im Kontext kultureller Bildung erläutert werden und in einen theaterpädagogischen Kontext gesetzt werden.
Begonnen wird mit einer allgemeinen Einführung zum Begriff „Mimesis". Es folgt die Definition Klaus Mollenhauers, in Kontext seines Verständnisses der ästhetischen Bildung. Abschließend wird entsprechend auf den theaterpädagogischen Kontext eingegangen.
II. Der Begriff „Mimesis“
Im Folgenden soll ein kurzer historischer Exkurs bezogen auf die Herkunft des Begriffes „Mimesis" erfolgen, um im Anschluss auf den pädagogischen und theaterwissenschaftlichen Kontext des Wortes einzugehen.
II.1. Der Begriff „Mimesis“ im historischen Kontext
Der Begriff „Mimesis" leitet sich ursprünglich vom Begriff „Mimos" ab und bezieht sich auf die Art und Weise, wie ein „Mimos", ein Schauspieler, die Alltagskultur einfacher Leute auf Sizilien vor der sizilianischen Oberschicht als Inszenierung beziehungsweise als Aufführung zur Schau stellte.
Im 5. Jahrhundert vor Christus erlangte der Begriff „Mimesis" an Popularität und bezog sich fortan auf drei Aspekte mimetischen Verhaltens. Dies war einmal die direkte Nachahmung von Mensch und Tier, sowohl auf verbaler, wie auch auf körperlicher Weise. Zum anderen bezog er sich auf das Nachahmen menschlicher Handlungen wie auch auf die „Nachschaffung" von Bildern dargestellter Personen oder Gegenständen in materieller Form.
Platon transferierte erstmals dieses Verständnis des Mimesis- Begriffs auf die Pädagogik. Erziehung vollzieht sich nach seinem Verständnis vor allem durch Mimesis, das heißt Nachahmung, die insbesondere im Kleinkindalter von großer Bedeutung ist. Denn durch diese wird dem Kind Zugang zur Entwicklung seiner motorischen, sinnlichen, sprachlichen, geistigen und sozialen Fähigkeiten verschafft, die schließlich auch seine Entwicklung beeinflussen. Somit wird die erzieherische Entwicklung wie auch das Lernen Heranwachsender durch dessen mimetisches Begehren ermöglicht. Dies geht mit dem Druck, einem geeigneten Vorbild zu ähneln einher, um ein „gutes" Zusammenleben, nach Platons Vorstellung, in einem Staat zu erreichen.
Platon legte dadurch den Grundstein für die Auffassung, dass über mimetische Prozesse nicht nur Einstellungen, Vorstellungen und Werte erlernt werden, sondern auch die sozialen Handlungs- und Lebensformen.[5]
Aristoteles knüpft an dieses Verständnis an. Zusammengefasst ist unter dem aristotelischen Mimesis- Begriff die Nachahmung sinnerfüllter Handlungen von Menschen auf literarische Weise im Theater zu verstehen. Somit erhält „Mimesis" den Modus einer Mitteilungsforderung.[6]
II.2. Der Begriff „Mimesis“ im kulturpädagogischen Kontext
Das mimetische Erleben der Welt durch ein Kind geschieht dadurch, dass es Ähnlichkeiten zwischen sich und der Außenwelt herstellt. Seine „Weltdeutung" geschieht über die Prozesse der Anähnlichung und Angleichung an die Gegenstände und Personen seiner Umwelt. Das Kind kann dadurch einen „mimetischen Prozess der Verwandlung" erleben, wobei sein Körper zum „Erfahrungs- beziehungsweise Lernort" wird, mit dem sich der Heranwachsende darstellt und ausdrückt. Durch die damit einhergehende Thematik symbolischer Deutungsmuster entwickeln sich innerhalb des mimetischen Prozesses auch das Denken und das verbale Artikulieren.
Durch diese mimetische Auseinandersetzung mit der Welt entwickelt der Heranwachsende seine ästhetische Sensibilität oder auch die Fähigkeit sich in Personen oder gegebenenfalls Dinge hineinversetzen zu können.[7]
II.3. Der Begriff „Mimesis“ im theaterwissenschaftlichen Kontext
Der theaterwissenschaftliche Kontext des Begriffes soll nun kurz erläutert werden, um im Abschluss Klaus Mollenhauers Begriff der „Mimesis" in theaterpädagogischen Kontext darzustellen.
„Mimesis" ist als ein bedeutender wahrnehmungsästhetischer Begriff der Antike zu betrachten. Die nachgestellten beziehungsweise nachgeahmten Phänomene in den darstellenden Künsten werden als mimetisches Verhältnis zwischen dargestelltem Phänomen und Wirklichkeit gesehen. Die Ästhetik des Theaters basiert auf dem Prinzip der Nachahmung. Diese besteht einmal in der Nachahmung einer Geschichte, die aufgeführt wird und in der Tätigkeit des Schauspielers, der die zu darstellende Figur mit Hilfe von Körper(- bewegung) und Sprache auf der Bühne nachahmt.
Der von Platon geprägte Begriff „Mimesis" im theaterwissenschaftlichen Kontext begründet sich in seiner Annahme, dass jegliche Art und Weise einer künstlerischen Nachahmung eine verfälschte Abbildung der Wirklichkeit auf der Bühne, etc. darstellt. Grund hierfür sei, dass die Gegenstände, Personen, etc. nicht selbst nachgeahmt werden, sondern lediglich unsere Vorstellung von diesen.
Platon weist darauf hin, dass bezüglich des „Mimesis"- Prozesses die Gefahr eines „falschen" Vorbilds besteht, dem es sich, nach Platon, zu entziehen beziehungsweise „abzuschotten" gilt. Für ihn stellt das Theater in diesem Zusammenhang eine Wirklichkeitsverfälschung dar.
„Mimesis" nach Aristoteles umfasst, im Gegensatz zum platonischen Begriff eine weniger kritische Auffassung des Verhältnisses zwischen Nachahmung und Vorbild im (wirkungs-) ästhetischen Kontext. Besonderes Augenmerk hierbei liegt auf der Sprache im Theater. „Mimesis" bezieht sich bei ihm sowohl auf die Mittel der Nachahmung, beispielsweise Sprache und Rhythmus, als auch auf die Art, dramatisch oder episch, sowie auf den Gegenstand der Nachahmung, also Handlung und Charaktere. Dies differenziert Aristoteles in seinem Buch „Poetik" aus.
Für Aristoteles stellt „Mimesis" den Ausdruck eines menschlichen Nachahmungstriebes dar, der von Kleinkindalter an in Erscheinung tritt. Daher sieht er in der ästhetischen beziehungsweise künstlerischen Nachahmung, im Gegensatz zu Platon, keine Gefahr durch das Nachahmen, da es einen natürlichen menschlichen Prozess darstellt. In diesem Zusammenhang erläutert er weiterhin, dass darstellende Kunst, u.a. Möglichkeiten aufzeigen sollen und nicht eine bloße Abbildung der Realität.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im theaterwissenschaftlichen Diskurs beide Aspekte des Begriffs „Mimesis", sowohl Platons als auch Aristoteles, weiterhin einen hohen Stellenwert besitzen, die Vorstellung einer „guten" beziehungsweise „ebenbildlichen" Mimesis (Aristoteles) und der „schlechten" beziehungsweise „trugbildnerischen" Nachahmungskunst.[8]
III. Klaus Mollenhauers Begriff „Mimesis“ im Kontext ästhetischer Bildung
Bevor Mollenhauers Begriff der „Mimesis" näher erläutert wird, soll kurz auf einige Begrifflichkeiten eingegangen werden, die seinem Mimesis- Begriff im Kontext ästhetischer Bildung zugrunde liegen.
III.1. Ästhetische Bildung, ästhetische Erfahrung und ästhetische Produktivität
Für Mollenhauer stellt die ästhetische Bildung den „Vorgang der Aneignung von Welt"[9] auf eine eigene Weise dar. Durch diese Tätigkeit des Nachvollzugs oder des Produzieren entsteht für das Subjekt ein ästhetisches Ereignis, das aber nur für ihn selbst wahrnehmbar beziehungsweise beobachtbar ist. Dieses Ereignis ruft eine Empfindung hervor, die wiederum eine subjektive Erfahrung vermittelt, die ästhetische Erfahrung.
Die ästhetische Erfahrung ist nur „erfahrbar", indem das Erfahrene reflektiert wird. Nach Mollenhauer tritt das „Ich" mit sich selbst in eine artikulierte Beziehung, wobei er festhält: „[...] ich befinde mich, in der Beziehung zu meiner Selbst (wie auch zu dem Produkt, dem Objekt meiner Begierde') in einem amoralischen Verhältnis; ich bin, in dem ausgezeichneten Sinne diese Wortes, 'privat'; und das heißt, dass es hier nicht um öffentliche Angelegenheiten geht."[10]
Bei ästhetischen Erfahrungen vollzieht sich ein ständiger Austausch zwischen „außenweltlichen" Eindrücken beziehungsweise Einflüssen und der eigenen Innenwelt. Somit stellt sie die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit und die Erfahrung gleichsam in Bezug auf kunstförmige Ereignisse dar, die nur innerhalb eines Individuums geschehen.[11] Ästhetische Erfahrung ist somit ein bewusstes Ereignis beim Subjekt selbst.
Bedeutend für die ästhetische Bildung ist die „kunstförmige" ästhetische Erfahrung, die durch symbolische Präsentation ausgelöst wird. In fast allen Fällen geschieht eine produktive Auseinandersetzung mit der Welt und dem Ich während eines ästhetischen Ereignisses. Diese „Distanzschaffung" eines Subjekts zur Umwelt ermöglicht ein „kritisches Weltverhältnis“ und begünstigt wiederum den Vorgang ästhetischer Erfahrung.
Die ästhetische Produktivität in diesem Zusammenhang bildet die äußere Realität nicht nur ab, sondern konstruiert Fiktionen und macht diesen Vorgang wiederum zur ästhetischen Erfahrung. Dies zeigt die Differenzerfahrung eines Kindes in
Auseinandersetzung mit ästhetischen Ereignissen durch den Akt ästhetischer Hervorbringung.[12]
III.2. „Mimesis“
III.2.1. „Mimesis“ im Allgemeinen
„Mimesis“ nach Klaus Mollenhauer bedeutet im Allgemeinen das Imitieren und Nachahmen und stellt einen ästhetischen Bildungsvorgang dar. Dieser Vorgang geschieht durch eine gedankliche Annäherung an eine Person oder ein Kunstwerk, etc., durch den praktischen Umgestaltungsprozess, der wiederum unsere Aufmerksamkeit an Kunstwerken, etc. lenkt und den Begriff der „produktiven Aufmerksamkeit“ umfasst. Der mimetische Vorgang während einer ästhetischen Erfahrung lässt sich allerdings nur schwer nachvollziehen, da sich, wie bereits mehrfach erwähnt, ein solcher Prozess nur im Inneren eines Subjekts abspielt und sich nur schwer empirisch nachweisen lässt. Wichtig ist jedoch, dass es drei Modi gibt, den der Imitation, der Umgestaltung einer Vorlage und der assoziativen Weiterentwicklung des Vorbildes. Zu beachten ist, dass alle drei Modi ihren eigenen Bildungssinn haben, die gleichermaßen von Bedeutung für den mimetischen Vorgang sind.[13]
Mollenhauer geht in seinem Buch „Grundfragen ästhetischer Bildung“ bei seiner Beschreibung einer Mimesis auf die Kunst und die Musik ein. Im Folgenden soll nun sein Begriff der „Mimesis“ in der Kunst näher betrachtet werden, um dann die Schlussfolgerungen in einen theaterpädagogischen Kontext zu setzen.
[...]
[1] Vgl.: Wulf, 2007, S.91- 92.
[2] Vgl.: Wulf, 2007, S. 92.
[3] Vgl.: Grädel, 1996, S. 9.
[4] Wulf, 2007, S. 94.
[5] Vgl.: Wulf, 2007, S.92- 93.
[6] Vgl.: v. Brincken/ Engelhart, 2008, S. 10.
[7] Vgl.: Wulf, 2007, S. 94- 96.
[8] Vgl.: Balme, 2008, S. 48- 50.
[9] Mollenhauer, 1996, S. 25.
[10] Mollenhauer, 1996, S. 26.
[11] Mollenhauer, 1996, S. 225- 28.
[12] Vgl.: Mollenhauer, 1996, S. 253- 257.
[13] Vgl.: Mollenhauer, 1996, S. 69- 74..