Mit der großen Anzahl an Entlehnungen im Deutschen aus den unterschiedlichsten Fremdsprachen haben sich sprachliche Mechanismen entwickelt, die die Geschlechtsbestimmung regulieren. In dieser Arbeit sollen zunächst die Besonderheiten der Genuszuordnung kurz erläutert werden und im Anschluss die sprachlichen Prinzipien und Regeln des deutschen Genussystems, die die Genusbestimmung der Anglizismen regulieren, vorgestellt werden. Abschließend sollen die von der Sprachkritik vorgeschlagenen Regeln zur Genuszuordnung bei Anglizismen untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Besonderheiten der Genuszuweisung bei Fremdwörtern
3. Kriterien zur Genuszuweisung
3.1. Das deutsche Genussystem
3.1.1. Semantische Zuweisungsregeln
3.1.2. Formale Zuweisungsregeln
3.1.2.1. Morphologische Zuweisungsregeln
3.1.2.2. Phonologische Zuweisungsregeln
3.2. Englische Zuweisungregeln
4. Genuszuweisung in der Populärliteratur
4.1. Bastian Sick
4.2. Frankreich-Fan Blog
4.3. Sprachschach Blog
5. Zusammenfassung
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die größte Gruppe von Wörtern des deutschen Wortschatzes ist die der Substantive; durch Komposition oder Derivation scheint diese Gattung sogar noch weiter zuzunehmen (Eisenberg 2011: 247ff). Aber auch durch die Integration von Fremdwörtern in das deutsche Wortsystem wächst die Zahl der Substantive. Aus dem Englischen hat es verschiedene Wellen der Entlehnung gegeben, so verstärkt im 19. Jahrhundert, als sich durch den Deutsch-Französischen Krieg eine Abwendung vom Französischen als Flauptquelle für Fremdwörter ergeben hat. Vor allem aber seit dem 2. Weltkrieg ist das Englische Flauptquelle für Entlehnungen in das Deutsche. Dabei steht die Integration substantivischer Anglizismen vor dem Problem der Genuszuweisung. Aus einem Sprachsystem mit weitestgehend verstecktem grammatischen Genus muss die Entlehnung in eine Genussprache integriert werden, in der Substantive gemäß dem der Sprache eigenen Genussystem in drei Genera eingeteilt werden (Chan 2005: 16-29). Mit der großen Anzahl an Entlehnungen im Deutschen aus den unterschiedlichsten Fremdsprachen haben sich sprachliche Mechanismen entwickelt, die die Geschlechtsbestimmung regulieren.
In den folgenden Kapiteln sollen die Besonderheiten der Genuszuordnung kurz erläutert werden und im Anschluss die sprachlichen Prinzipien und Regeln des deutschen Genussystems, die die Genusbestimmung der Anglizismen regulieren, vorgestellt werden. Abschließend sollen die von der Sprachkritik vorgeschlagenen Regeln zur Genuszuordnung bei Anglizismen untersucht werden. In einer Auswahl sollen hier Bastian Sicks Beiträge in seiner Buchreihe „Der Dativ ist dem Genitv sein Tod“, ein Beitrag des Blogs „Frankreich-Fan“ und ein Beitrag des Blogs „Sprachschach“ betrachtet werden. Speziell zur Genuszuweisung sollten auch Publikationen des Vereins Deutsche Sprache in dieser Arbeit untersucht werden. Jedoch stellt der Verein keine Publikationen in Bezug auf Regeln oder Prinzipien zur Genuszuweisung auf seiner Internetpräsenz zur Verfügung. Auch auf persönliche Anfrage wurde leider keine Stellung dazu bezogen. Da im Anglizismenindex, einer Publikation des Vereins Deutsche Sprache, konsequent auf das Genus für die deutschen und die englischen Substantive verzichtet wurde, musste von einer Untersuchung eines Beitrages Abstand genommen werden (Grobe 2014).
2. Besonderheiten der Genuszuweisung bei Fremdwörtern
Zusätzlich zu den in Kapitel 3. beschrieben Regeln für die Genuszuweisung weist Chan auf drei zusätzliche Sonderregeln hin, die ausschließlich bei der Integration von Fremdwörtern in den indigenen Sprachschatz Anwendung finden.
Das Prinzip des semantischen Äquivalents weist dem Fremdwort bei der Integration in den deutschen Sprachbereich das Genus zu, das seine deutschen Entsprechung besitzt. So wird dem Wort „Camp“ aus dem Englischen gemäß seines Äquivalents aus dem Deutschen „Lager“ ein neutrales Genus zugewiesen. Gerade bei morphologisch einfachen Anglizismen ist diese Regel relevant.( Chan 2005: 74)
Das Cognate-Prinzip beschreibt die Verbindung einer Entlehnung mit einem etymologisch verwandten indigenen Substantiv. Gerade bei Komposita mit morphologisch einfachem Grundwort wie „Boardingcard“ analog zu „Karte“ ist diese Regel anwendbar.(Chan 2005: 75)
Das Prinzip des Defaultgenus greift dann in die Genuszuweisung ein, wenn andere Zuweisungsregeln keine klare Genuszuordnung ergeben. Dabei kann das Substantiv dem Neutrum zugeordnet bleiben, bis es ein anderes Genus erhält (der/das Laptop). Gerade seine semantische Abstraktheit gegenüber dem Maskulin und Feminin als Träger eines Sexus ermöglichen dem Neutrum die Zuweisung zu einem Substantiv. (Talange 1987: 93)
3. Kriterien zur Genuszuweisung
3.1. Das deutsche Genussystem
Die deutsche Sprache stellt dem Sprecher ein komplexes Genusklassifikationssystem zur Verfügung, das mit untereinander konkurrierenden semantischen und formalen Regeln die Genuszuweisung steuert und einem Lehnsubstantiv aus drei existierenden Genuskategorien einem Geschlecht den Vorzug gibt.
In der deutschen Sprache werden alle Substantive in drei Genuskategorien eingeteilt: Dem Maskulin, dem Feminin und dem Neutrum. Ist im Singular das grammatische Merkmal des Genus noch zu erkennen, verschwindet diese Markierung im Plural vollständig. Die Genuszuweisung hängt von zwei grundlegenden Informationstypen über das Substantiv ab: Der Semantik und der Form. Die Form ist sowohl von der Wortstruktur, oder Morphologie, und der Lautstruktur, oder Phonologie, des Substantivs zu unterscheiden. Dabei sind diese drei Informationstypen in ihrer Funktion der Genuszuweisung für ein Substantiv hierarchisch gegliedert. In der aktuellen Forschung zur Genusintegration wird davon ausgegangen, dass die morphologischen Zuweisungsregeln am stärksten das Genussystem beeinflussen. Die semantischen Regeln sind wiederum stärker als die phonologischen anzusehen.(Chan 2005: 68)
3.1.1. Semantische Zuweisungsregeln
Die semantischen Zuweisungsregeln im Deutschen sind nach Chan das natürliche Geschlechtsprinzip, das generische Genusprinzip, das semantische Klassenprinzip und das Leitwortprinzip. Chan bezeichnet das natürliche Geschlechtsprinzip als die im Deutschen wichtigste Zuweisungsregel (Chan 2005: 41). Dabei wird ein Substantiv nach dem biologischen Geschlecht seines Referenten in der Zielsprache in die entsprechende Genusklasse eingeordnet. Diese Zuweisungsregel findet ausschließlich bei Personenbezeichnungen und Tiernamen Anwendung. Männlichen Personen und Tieren wird nach dieser Regel Maskulin, weiblichen Individuen Feminin und jungen Personen und Tieren Neutrum zugeordnet. Ausnahmen bilden hier Pejorative bei der Bezeichnung von Menschen (das Weib, die Tunte) aber auch wirtschaftlich unbedeutende und nicht domestizierte Tiere (das Gnu, der Adler, die Maus).
Das generische Genusprinzip klassifiziert Subjekte nach ihrem Verhalten unabhängig ihres natürlichen Geschlechts. Es werden demnach keine männlichen Personen bezeichnet, sondern ausschließlich Subjekte eines Verhaltens (der Mensch, der Zuschauer, der Arzt) (Brinkmann 1971: 19). Nur wenn die weiblichen Varianten bezeichnet werden, drücken diese Substantive ausdrücklich ihr natürliches Geschlecht aus (der Arzt - die Ärztin). In jüngerer Zeit gibt es aber Tendenzen, das generische Genusprinzip zu neutralisieren. So bei der Bezeichnung von Schülern als „Schülerinnen und Schüler“ oder mit Binnenmajuskeln wie bei „Studentinnen“.
Im semantischen Klassenprinzip erhalten Substantive das Genus entsprechend ihrer semantischen Klasse, wenn es in Bezug auf seinen semantischen Inhalt in diese Klasse einzuordnen ist (Zahlen - Feminin, Wortarten - Neutrum). Allerdings zeigen die häufigen Ausnahmen, dass sich das semantische Klassenprinzip gerade gegen die morphologischen Regeln häufig nicht durchsetzen kann.
Nach dem Leitwortprinzip wird Substantiven ihr Genus nach dem Genus ihres assoziativ verbundenen Substantivs zugewiesen (der Wein - der Tempranillo). Besonders wichtig scheint die assoziative Beziehung des Leitworts für die Genuszuordnung von Anglizismen zu sein. Viele neue Anglizismen richten sich nach dem Genus des deutschen Leitworts, das unter Umständen auch schon ein Anglizismus sein kann(das Telefon - das Handy - das Samsung). (Chan 2005: 41-46)
3.1.2. Formale Zuweisungsregeln
Formale Zuweisungsregeln unterscheiden zwischen der Wortstruktur, der Morphologie und der Lautstruktur, der Phonologie. In den folgenden beiden Kapiteln soll diese Art von Zuweisungsregeln kurz vorgestellt werden.
3.1.2.1. Morphologische Zuweisungsregeln
Morphologische Regeln zur Genuszuordnung arbeiten auf der Basis der inneren Wortstruktur. Dabei wird zwischen der grammatischen Wortbildungslehre und der lexikalischen Wortbildungslehre unterschieden. Durch die grammatische Wortbildungslehre, auch Flexionsmorphologie genannt, werden grammatische Funktionen wie die Deklination von Substantiven vollzogen. Es werden jedoch keine neuen Wörter gebildet. Laut Chan stellen die Regeln der Flexionsmorphologie im Deutschen keine Motive zur Genuszuweisung dar. Vielmehr scheinen sie ein Resultat der Genuszugehörigkeit zu sein und sind für die Integration von Fremdwörtern in das deutsche Genussystem nicht relevant. (Chan 2005: 59-62)
Durch die lexikalische Wortbildungslehre lassen sich vier Haupttypen im Deutschen ableiten, nach denen neue Substantive gebildet werden können: Die Komposition, die Ableitung, die Konversion und die Wortkürzung bzw. Wortkreuzung.
Bei der Komposition richtet sich das Genus des neu gebildeten Substantivs in der Regel nach dem letzten Glied des Grundwortes (die Haustür - die Tür). Diese formale Regel wird in der Forschung als das Letzt-Glied-Prinzip bezeichnet. Ausnahmen sind Städtenamen, dessen semantisches Klassenprinzip sich durchgesetzt hat (das Hamburg - die Steinburg).
Bei der Ableitung wird zwischen expliziter Ableitung und implizierten Ableitung unterschieden, wobei die explizite Ableitung die Wortbildung mit Hilfe von Affixen meint. Hier bestimmt das Suffix die Wortart des neu gebildeten Substantivs und damit das Genus (-keit in die Freundlichkeit). Dies wird als die Suffixregel bezeichnet. Die implizierte Ableitung beschreibt eine Lautveränderung des Stammvokals ohne die Beteiligung eines zusätzlichen Affixes. Nach der impliziten Ableitungsregel sind alle neu gebildeten Substantive maskulin (gehen - der Gang).
Konversionen werden in sechs Hauptgruppen mit eigenen Regeln eingeteilt. So sind Verbstammkonversionen in der Regel maskulin (der Fall - fallen). Infinitivkonversionen dagegen neutral (malen - das Malen). Die Wortgruppenkonversionsregel besagt, dass Konversionen von deverbalen Wortgruppen und Sätzen neutral werden (das „ Zu-sich- selbst-Finden“). Das Genus von departizipalen und deadjektivischen Konversionen richtet sich nach dem natürlichen Geschlecht des Referenten, wenn sie auf Personen verweisen. Nichtpersonenbezeichnungen bleiben neutral (lesen - der Lesende, anziehen - das Anziehende). Bei der Wortkürzung tritt die Vollformregel in Kraft, nach der sich das Genus der Kürzung nach dem Genus der Vollform richtet (der FC - der Fußballclub, die Uni - die Universität, das KFZ - das Kraftfahrzeug). (Chan 2005: 48-59)
3.1.2.2. Phonologische Zuweisungsregeln
Die phonologisch motivierten Zweisungsregeln sind üblicherweise unabhängig von der Wortbildungsstruktur der Substantive und operieren auf der lautlichen Gestalt des Substantivs. Aufgeteilt werden die phonologischen Regeln für mehrsilbige und einsilbige Substantive (Chan 2005: 62f.).
Bei den mehrsilbigen Substantiven sind die Pseudosuffixe relevant für die Genuszuweisung. Das Pseudosuffix ist zwar hinsichtlich seiner Schreibung mit dem echten Ableitungssuffix identisch, hat jedoch keinerlei wortbildende Funktion. Es lassen sich hier für die Pseudosuffixe -e das Feminin sowie für -er/-el das Maskulin als Genus feststellen. Jedoch wird darauf hingewiesen, dass die Genuszuweisung von Pseudosuffixen nicht immer nach der Suffixregel erfolgt.
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