Nachdem das Thema der Kommerzialisierung in der Berichterstattung des Fernsehens seit Bestehen des dualen Rundfunksystems Mitte der 80er Jahre nun schon seit Jahrzehnten für Diskussionsstoff sorgt, werden seit geraumer Zeit zunehmend kritische Stimmen laut, die der Qualitätspresse vorwerfen, sich mittels der Boulevardisierung den kommerziellen Erfolg zum Zweck und Ziel zu machen. Auch einzelne Studien, die im Laufe der vergangenen Jahre hauptsächlich zur thematischen Sensationalisierung der Medieninhalte in Europa durchgeführt wurden konstatieren diese Entwicklung. Mit Begriffen der »Infotainisierung«, »Trivialisierung« und vor allem der »Boulevardisierung« wird dabei nicht sparsam umgegangen, während eine ganzheitliche Betrachtung des Boulevardisierungskonzepts häufig auf der Strecke bleibt.
Um diesbezüglich zu aussagekräftigen, gültigen Aussagen zu gelangen ist ein unvoreingenommener Ausgangspunkt der Forschung eine notwendige Voraussetzung. Dulinski merkt an, dass durch eine normativ voreingenommene Haltung der Forscher z. T Validitätsprobleme entstehen. Folglich ist es unabdingbar, beim Erfassen des Sensationalismus‘ als diskursiver Strategie und Hauptmerkmal der boulevardistischen Berichterstattung weit mehr Indikatoren hinzuzuziehen als dies weithin üblich ist.
So ergibt sich die Frage, ob unter Berücksichtigung der von Dulinski vorgeschlagenen Aspekte und der Hinzuziehung von weiteren Indikatoren, das Anprangern der zunehmenden Boulevardisierung in der Qualitätspresse tatsächlich gerechtfertigt und begründet ist. Stützt eine ganzheitliche Betrachtung die empirisch weiterhin wenig erforschte These der zunehmenden Boulevardisierungsmerkmale in den Qualitätsmedien? Um sich dieser Frage anzunähern, werde ich im ersten Teil dieser Arbeit zunächst den theoretischen Hintergrund des Boulevardisierungskonzepts erläutern, um dieses anschließend anhand von aktuellen Studien zu prüfen, die zur Boulevardisierung in der Qualitätspresse in Deutschland vorliegen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der theoretische Hintergrund der Boulevardisierung
2.1 Der schwammige Begriff der Boulevardisierung
2.2 Begriffsklärung
2.3 Das Boulevardisierungskonzept
3 Studienergebnisse zur Boulevardisierung in deutschen Qualitätszeitungen
4 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
2007 veröffentlichen Georg Ruhrmann und Roland Göbbel eine Pilotstudie, in der die Entwicklung und Veränderung der Nachrichtenfaktoren und die damit einhergehenden Konsequenzen für die journalistische Praxis in Deutschland untersucht werden. Zentrale Thesen, die sich aus sieben Leitfaden-Interviews mit Leitfiguren aus dem deutschen Nachrichtenjournalismus ergeben, lauten: ÄDie TV-Nachrichtenproduktion hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten tiefgreifend kommerzialisiert“ und ÄFernsehnachrichten entwickeln sich zu einer Dienstleistung, die zunehmend mehr amüsiert als informiert.“ (Ruhrmann/Göbbel 2007:67).
Nachdem das Thema der Kommerzialisierung in der Berichterstattung des Fernse- hens1 seit Bestehen des dualen Rundfunksystems Mitte der 80er Jahre nun schon seit Jahrzehnten für Diskussionsstoff sorgt, werden seit geraumer Zeit zunehmend kritische Stimmen laut, die der Qualitätspresse vorwerfen, sich mittels der Boulevardisierung den kommerziellen Erfolg zum Zweck und Ziel zu machen (vgl. Weischenberg 2003: 72). Auch einzelne Studien, die im Laufe der vergangenen Jah- re hauptsächlich zur thematischen Sensationalisierung der Medieninhalte in Europa durchgeführt wurden konstatieren diese Entwicklung (vgl. Dulinski 2003:235). Mit Begriffen der »Infotainisierung«, »Trivialisierung« und vor allem der »Boulevardisierung« wird dabei nicht sparsam umgegangen, während eine ganzheit- liche Betrachtung des Boulevardisierungskonzepts häufig auf der Strecke bleibt (vgl. ebd.).
Um diesbezüglich zu aussagekräftigen, gültigen Aussagen zu gelangen ist ein un- voreingenommener Ausgangspunkt der Forschung eine notwendige Voraussetzung. Dulinski (2003:236) merkt an, dass durch eine normativ voreingenommene Haltung der Forscher z. T Validitätsprobleme entstehen. Folglich ist es unabdingbar, beim Erfassen des Sensationalismus‘ als diskursiver Strategie und Hauptmerkmal der boulevardistischen Berichterstattung weit mehr Indikatoren hinzuzuziehen als dies weithin üblich ist (vgl. Dulinski 2003:239). So ergibt sich die Frage, ob unter Berück- sichtigung der von Dulinski (2003) vorgeschlagenen Aspekte und der Hinzuziehung von weiteren Indikatoren, das Anprangern der zunehmenden Boulevardisierung in der Qualitätspresse tatsächlich gerechtfertigt und begründet ist. Stützt eine ganzheit- liche Betrachtung die empirisch weiterhin wenig erforschte These der zunehmenden Boulevardisierungsmerkmale in den Qualitätsmedien? Um sich dieser Frage anzu- nähern werde ich im ersten Teil der vorliegenden Arbeit zunächst den theoretischen Hintergrund des Boulevardisierungskonzepts erläutern, um dieses anschließend an- hand von aktuellen Studien zu prüfen, die zur Boulevardisierung in der Qualitäts- presse in Deutschland vorliegen.
2 Der theoretische Hintergrund der Boulevardisierung
2.1 Der schwammige Begriff der Boulevardisierung
Wie bereits zuvor angeklungen erfreut sich der Begriff der Boulevardisierung seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit. Dieser konnte 1991 erstmals im amerikanischen Vokabular nachgewiesen werden und ist somit noch recht jung (vgl. Esser 1999:292). Seitdem allerdings hat er auch in anderen Ländern rasch Einzug gehalten, sorgt für allerlei Wirbel und ist Grundlage für kontroverse Diskussionen (vgl. ebd.). Fakt ist, dass die Debatte auch in Fachkreisen immer wieder diffus und nebulös wirkt. Über die Frage, ob und inwiefern sich eine möglicherweise zunehmende Boulevardisierung negativ auf die Qualität der Printmedien auswirkt, lässt sich strei- ten; über die Bedeutung des Wortes, das der jeweiligen Diskussion als Grundlage dient, sollte sich dabei jedoch im Vorfeld einer jeden wissenschaftlichen Diskussion geeinigt werden (vgl. ebd.). Eben dies ist häufig nicht der Fall, wenn von Boulevardisierung die Rede ist und das Wissen ihrer Bedeutung vorausgesetzt wird (vgl. Landmeier/Daschmann 2011:177). Darum möchte ich vorab einen Blick auf den Ursprung des Wortes und einige Definitionsvorschläge werfen.
2.2 Begriffsklärung
Dem Begriff der ÄBoulevardzeitung“ liegt ihre Vertriebsart zugrunde. Es handelt sich um Straßenverkaufszeitungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts auf den großen Einkaufsstraßen der Großstädte im Direktverkauf an den Mann gebracht werden soll- ten (vgl. K. Beck et al. 2011:17). Wie Landmeier/Daschmann (2011:177) Büscher passend zitieren ist die gesamte Aufmachung auf Leserfang und Leserbindung aus- gerichtet. Diese zum weiteren Erhalt der Zeitung notwendigen Ziele müssen durch die Gestaltung von Form, Inhalt und Sprache erreicht werden (vgl. ebd.). In Anbe- tracht dessen und der Tatsache, dass es sich gegen die Konkurrenz zu behaupten gilt, erscheint die zuweilen aggressive Aufmachung zumindest nachvollziehbar. Raa- be (2006:26) definiert die Boulevardpresse im Lexikon Kommunikations- und Medi- enwissenschaft als
Äeinen Zeitungstyp, der in Aufmachung, Textteil und Gestaltung durch plakativen Stil, große Balkenüberschriften mit reißerischen Schlagzeilen, zahlreiche, oft großformatige Fotos sowie eine einfache, stark komprimierte Sprache gekennzeichnet ist, mit denen er Blickfang bzw. Kaufanreiz für potenzielle Leser sein will. Die Beiträge appellieren an Neugier und Sensati- onslust der Leser und zielen durch schockierende, dabei leicht konsumierbare Sex-and- Crime-Stories, vermeintliche Skandale, Promi-Dramen sowie unterhaltsame Kuriosa auf de- ren Emotionen.“
Wenn wir uns nun der Boulevardisierung zuwenden, so müssen wir unser Augenmerk jedoch auf die sogenannten Qualitätsmedien richten, da es diese sind, welchen vorgeworfen wird, diskursive Strategien von Boulevardmedien zu adaptieren (vgl. K. Beck et al. 2011:18).
Drei wesentliche Kennzeichen, die auf Kurtz‘ Beschreibung in Media Circus - The Trouble with America’s Newspapers zurückgehen, beschreiben Boulevardisierung als
“An overall decrease in journalistic standards;
A decrease in hard news such as politics and economics and an increase in soft news such as sleaze, scandal, sensation and entertainment;
A general change (or broadening) of the media’s definition of what they think the voters need to know to evaluate a person’s fitness for public office.” (Esser 1999:293)
und können als Definitionsbasis verstanden werden. Als wissenschaftliche Grundlage gelten u.a. weiterhin die von Esser (1999) formulierten Hauptmerkmale für Boulevardisierung, die durch Äeine erhöhte personalisierte, spekulative, pessimistische, emotionale und skandalisierte Berichterstattung“ charakterisiert wird.
Um Sensationalismus nun als diskursive Strategie erfassen und das Konzept empi- risch untersuchen zu können ist es erforderlich systematisch Indikatoren und Kriteri- en zu eruieren, die auf boulevardeske Berichterstattung in Qualitätszeitungen hin- weisen und sich nicht ausschließlich auf den Inhalt zu konzentrieren (Vgl. Dulinski 2003:239).
2.3 Das Boulevardisierungskonzept
Um Licht ins Dunkel dieses Forschungsfeldes zu bringen, erscheint es bei der Untersuchung des Boulevardisierungskonzepts sinnvoll die unter anderem von Dulinski (2003) vorgeschlagenen drei Teilkomponenten Formales, Sprachliches und Inhaltliches zu unterscheiden.
Form: unter diesen Teilbereich fällt die optische Gestaltung des Blattes, die in Boule- vardzeitungen hauptsächlich aus scheinbar willkürlich und bunt angeordnetem, pla- kativem, großflächigem Bildmaterial, viel Einsatz von Farbe und fettgedruckten, knal- lig, kurzen Überschriften besteht (vgl. Dulinski 2003:80, 247). Der Schwerpunkt liegt also auf der ausgeprägten Visualisierung, wodurch sich folglich auch die Artikellänge verkürzt (vgl. Landmeier/Daschmann 2011:178). Dieses Maximum an visuellen Reiz- effekten tritt besonders ausgeprägt auf der Titelseite auf, da diese ja täglich aufs Neue als Werbefläche für das eigene Blatt dienen muss, um die Passanten zum Kauf zu ermutigen (vgl. Dulinski 2003:80, 247).
Sprache: die Sprache eines Boulevardblattes ist durch ihre umgangssprachliche, ein- fache Ausdrucksweise gekennzeichnet, die sich vorzugsweise der Adjektive und ma- lerischen Worte bedient (vgl. Landmeier/Daschmann 2011:178). Die Grammatik ist bei ausgeprägter Interpunktion einfach gehalten, verzichtet auf Konjunktive sowie die Vermittlung komplexer Zusammenhänge und schafft so eine verkürzte Realität, wo- durch ein Wertkonflikt zwischen Leser und Zeitung vermieden wird (vgl. Dulinski 2003:245f). Sowohl Form als auch Sprache des Sensationsjournalismus als diskursi- ver Strategie zielen in erster Linie darauf ab, die »niederen« Instinkte beim Men- schen anzusprechen und Gefühle zu evozieren (vgl. ebd.:80). Das Hervorrufen von Emotionen geschieht beispielsweise durch wertende, affektive Sprache, bei der postitive bzw. negative Ereignisse besonders hervorgehoben werden (vgl. Land- meier/Daschmann 2011:179). Dulinski (2003:80-85) nennt in diesem Zusammenhang folgende weitere wesentliche Indikatoren, die durch diskursive Strategien gezielt zur Aktivierung der Emotionen des Lesers führen sollen.
[...]
1 Um sich näher mit diesem Thema zu beschäftigen empfiehlt es sich die Literatur von Donsbach/Büttner (2005) zu lesen, in der sie sich eingehend mit dem Boulevardisierungstrend in deutschen Fernsehnachrichten auseinan- dersetzen.