Eine Fernsehproduktion weist sehr komplexe Strukturen sozialer Begegnungen auf. Aufbauend auf eine Theorie über die Selbstdarstellung im Alltag des sehr anerkannten Soziologen Erving Goffman werden in dieser wissenschaftlichen Arbeit diese Strukturen aus soziologischer Sicht genauer betrachtet und erforscht.
Wie sein Buchtitel „Wir alle spielen Theater“ metaphorisch andeutet, geht Goffman davon aus, dass jeder einzelne während der täglichen Interaktion mit Arbeitskollegen oder anderen Gesprächspartnern eine ganz bestimmte Selbstdarstellung betreibt und in eine Rolle mit vorbestimmten Handlungsmuster schlüpft.
Goffman nennt eine Vielzahl von Konfliktpotentialen, die sich aus seinem Modell über die Selbstdarstellung ergeben. Durch die Übertragung auf das Szenario einer Fernsehproduktion, lassen sich wertvolle Anregungen für die Teamführung in der TV- Branche ableiten.
Inhaltsverzeichnis
1. Ein Fernsehteam - komplexe Strukturen sozialer Begegnungen
2. Die Selbstdarstellung im Alltag - Ein Modell nach Erving Goffman
2.1 Die „Rolle“
2.2 Das „Ensemble“
2.3. Dramaturgische Probleme der Selbstdarstellung
3. Konfliktpotentiale am Fernsehset
3.1 Verschiedene Interessen und unklare Rangordnung
3.2 Vertraulichkeit in einen interdisziplinären Team auf Zeit
3.3 Konfliktärmeres Arbeitsverhältnis zwischen „Kollegen“
3.4 Die Doppelrolle eines Fernsehstars
3.5 Wenn die Krise vorüber ist
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1 Ein Fernsehteam - komplexe Strukturen sozialer Begegnungen
Angenommen ich möchte eine Fernsehsendung produzieren. Was brauche ich dafür? Eine gute Idee, ein anständiges Budget, ein großes Studio, 6 Kameras, 120 Scheinwerfer, 18 Mikrofone und einen Haufen Technik. Doch vor allem brauche ich Menschen. Menschen, die mir helfen, dieses Projekt umzusetzen.
Ich brauche kreative Redakteure, die sich genau überlegen, wie meine Idee inhaltlich konzipiert wird. Ich brauche Ausstatter und Bühnenbildner, die mein großes leeres Studio mit einer tollen Kulisse füllen. Wenn die Protagonisten dann, von der Maske geschminkt und durch die Garderobe gekleidet, vom Aufnahmeleiter auf die richtige Position auf der Bühne gebracht wurden, brauche ich Kameraleute, die wissen, welche Bilder Zuhause auf dem Fernseher schön aussehen. Ich brauche Techniker, die dafür sorgen, dass die Bilder durch irgendwelche Kabel, die von studentischen Aushilfen verlegt wurden, in der Regie ankommen. Dort brauche ich kompetente Bildmischer, die aufpassen, dass das richtige Bild im richtigen Moment gezeigt wird. Und nicht zuletzt brauche ich einen Regisseur, der dem ganzen Team seinen gestalterischen Vorstellungen entsprechend Anweisungen gibt.
Wie dieser grobe Anschnitt des Arbeitsprozesses einer Fernsehproduktion verdeutlicht, bringt die Zusammensetzung eines Fernsehteam eine sehr komplexe Struktur sozialer Begegnungen mit sich.
Aufbauend auf eine Theorie über die Selbstdarstellung im Alltag des sehr anerkannten Soziologen Erving Goffman, werden in dieser wissenschaftlichen Arbeit diese Strukturen einer Fernsehproduktion aus soziologischer Sicht genauer betrachtet und erforscht. Wie sein Buchtitel „Wir alle spielen Theater“ metaphorisch andeutet, geht Goffman davon aus, dass jeder einzelne während der täglichen Interaktion mit Arbeitskollegen oder anderen Gesprächspartnern eine ganz bestimmte Selbstdarstellung betreibt und in eine Rolle mit vorbestimmten Handlungsmuster schlüpft. Wie lässt sich diese Theorie bei einer typischen Fernsehproduktion wiederfinden? Und inwiefern kann ein Teamleiter einen Nutzen daraus ziehen, Goffmans Theorie auf sein Fernsehteam zu übertragen?
Es wird zunächst Goffmans Verständnis einer Rolle und dem aus den verschiedenen Rollen zusammengesetzten Team, dem Ensemble, erläutert.
Anschließend werden Goffmans Erarbeitungen bezüglich der dramaturgischen Probleme während der Selbsdarstellung auf ein Fernsehteam übertragen und Konfliktpotentiale bei einer TV-Produktion erarbeitet. Dabei werden beispielhaft Szenarien am Fernsehset vorgestellt und Zitate von Beteiligten aufgenommen, um die Konfliktpotentiale zu verdeutlichen und zu belegen.
Abschließend wird das Ergebnis kritisch betrachtet und der Nutzen des Modells erörtert. Daraus ergeben sich eventuell wertvolle Vorschläge, wie Konfliktpotentiale am Fernsehset behandelt und minimiert werden können.
Der Erarbeitungen bezüglich Goffmans Modell der Selbstdarstellung im Alltag berufen sich hauptsächlich auf sein Buch „Wir alle spielen Theater“, veröffentlicht 1995 in New York. Um die Struktur eines Fernsehteams vorzustellen, war insbesondere das Buch „Medienmanagement“ von Prof. Dr. Martin Gläser, veröffentlicht in 2008, hilfreich. Für die beispielhaften Szenarien, die zur Verdeutlichung der erarbeiteten Konfliktpotentiale dienen, waren eigene Beobachtungen, die ich im Rahmen meines Werdeganges bei verschiedenen Fernsehproduktionen gemacht habe, sehr hilfreich. Des weiteren wurde hier aber auch auf Meinungen von Erfahrenden Filmschaffenden aus Büchern wie „Wie man einen Film macht“ von Claude Chabrol oder „Making of - wie ein Film entsteht“ von Hans Christoph Blumberg und anderen fernseherfahrenen Autoren zurückgegriffen.
2 Die Selbstdarstellung im Alltag - Ein Modell nach Erving Goffman
Als etablierter Autor der Sozioligie hat Erving Goffman (1922-1982) viele Konzepte entwickelt, die in der Soziologie eine weite Verbreitung gefunden haben (vgl. LENZ 1991, S. 25). In seinem Buch „Wir alle Spielen Theater“ beschäftigt sich Goffman eingehend mit einem Modell über die Selbstdarstellung im Alltag, indem er die soziale Welt mit einem Theater vergleicht. Goffmann wählt die Metapher des Theaters, da er gewisse Parallelen in den Darstellungstechniken von Schauspielern auf der Bühne und den Menschen innerhalb eines sozialen Umfelds sieht (vgl. GOFFMAN 2009, S. 233). Um Goffmans Untersuchung hinsichtlich der dramaturgischen Probleme eines Gruppenmitglieds auf ein Fernsehteam zu übertragen, ist es notwendig insbesondere sein allgemeines Verständnis der Begriffe Rolle und Ensemble vorzustellen.
2.1 Die „Rolle“
Goffman definiert die Rolle als ein präsentiertes, aber vorherbestimmtes Handlungsmuster (vgl. GOFFMAN 2009, S.18). Das heißt, dass in einem bestimmten sozialen Umfeld jeder Einzelne in eine Rolle schlüpft, die ein ganzes Bündel von Erwartungen an das Verhalten seiner Person mit sich bringt. Jede Rolle ist also mit ganz bestimmten Aufgaben, Rechten und Pflichten verbunden, die zum einen durch die Erwartungen der Vorgesetzten oder Kollegen und zum anderen durch die Wahrnehmung dieser Erwartungen durch den Rolleninhaber selbst, bestimmt werden (vgl. dazu auch GLÄSER 2008, S.1004f.).
Während einer sozialen Begegnung muss der Einzelne somit darauf achten, dass er durch seine Selbstdarstellung die Eindrücke vermittelt, die den Erwartungen an seine Rolle gerecht werden. In wie weit eine Person von den an die Rolle gestellten Erwartungen abweichen kann, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, wird von seinem Status, also der hierarchischen Positionierung der Person, bestimmt (vgl. GLÄSER 2008, S. 1007).
2.2 Das „Ensemble“
Finden sich viele dieser Rollen zusammen, entsteht eine Team von Individuen, die wiederum gemeinsam eine neue Rolle aufbauen. Goffman bezeichnet diese Gruppenrolle als Ensemble (vgl. GOFFMAN 2009, S. 75).
Auch für ein Ensemble gibt es ein vorherbestimmtes Handlungsmuster, das durch die Erwartungen an die Rolle als Team definiert wird. Alle müssen darauf achten, dass der erwartete Eindruck durch die gemeinsame Darstellung des Ensembles vermittelt wird.
Literaturverzeichnis
BLUMENBERG, Hans Christoph u.a. (2006): Making of - wie ein Film entsteht “ , Hamburg
CHABROL, Claude (2006): Wie man einen Film macht, Berlin
LENZ, Karl (1991): Erving Goffman. Ein soziologischer Klassiker der zweiten Generation, Bern
GLÄSER, Martin (2008): Medienmanagement, München
GOFFMAN, Erving (7.Auflage, 2009): Wir alle spielen Theater - Die Selbstdarstellung im Alltag, München
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