Wie ist es, sich in einem Körper zu befinden und Besitzer dieses Körpers zu sein? Diese Frage zielt auf das für uns als selbstverständlich erlebte körperliche Selbstbewusstsein ab. Aufgrund jüngster Erkenntnisse sind die klinische und kognitive Neurowissenschaft im Begriff, eine Antwort auf die Frage nach den physiologischen Grundlagen des körperlichen Selbstbewusstseins geben zu können.
Neben neurologischen Störungen wie der Somatoparaphrenie und Autoskopie haben behaviorale Experimente mit perzeptuellen, körperbezogenen Illusionen dazu beigetragen, das Wissen über die Mechanismen, die dem Erleben des körperlichen Selbstbewusstseins zu Grunde liegen, zu erweitern. Die aus ihnen gewonnen Erkenntnisse legen nahe, dass multisensorische Integrationsprozesse visueller, somatosensorischer, propriozeptiver, viszeraler, vestibulärer, motorischer Informationen für das Erleben eines körperlichen Selbstbewusstseins wesentlich sind.
Im Rahmen dieser Arbeit wird deshalb zunächst auf den Begriff des körperlichen Selbstbewusstseins eingegangen. In dessen Anschluss sollen Studien vorgestellt werden, in denen entweder lokale oder gar globale Aspekte des körperlichen Selbstbewusstseins manipuliert wurden. Nach einer Wertung der bisherigen Erkenntnisse schließt die Arbeit mit einem Ausblick auf eine mögliche, zukünftige Forschung.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das körperliche Selbstbewusstsein
3 Illusionen bezüglich einzelner Körperteile
4 Autoskopische Phänomene
5 Illusionen bezüglich des gesamten Körpers
5.1 Out-Of-Body Illusion
5.2 Full-Body Illusion
5.3 Body-Swap Illusion
5.4 Zwischenfazit
6 Bewertung & Ausblick
6.1 Das Gefühl der Urheberschaft
6.2 Die Erste-Person-Perspektive
6.3 Multivariate Musteranalyse und natürliche Stimuli .
7 Zusammenfassung
Literatur
1 Einleitung
Wer liest gerade diesen Satz? Wer ist es, der sich in diesem Augenblick dieser Zeilen bewusst ist? Ich sehe diese Zeilen, ich tippe mit meinen Händen auf der Tastatur vor mir. Es scheint mir also, als müsse es jemanden geben, der diese, meine Emp ndungen in diesem Moment erlebt. Dieser Jemand ist der Grund dafür, dass die Frage nach dem phänomenalen Be- wusstsein (für eine Einführung s. Blackmore, 2005) immer auch mit der Frage verknüpft ist, wer das Subjekt dieses bewussten Erlebens ist. Es fühlt sich nämlich so an, als gäbe es einen Eigentümer meiner Gedanken, einen Urheber meiner Handlungen und einen Besitzer meines Körpers. Dieses Subjekt, der Mittelpunkt unseres bewussten Erlebens, wird gewöhnlich das Ich oder das phänomenale Selbst genannt (Blackmore, 2010; Metzinger, 2012). Im sub- jektiven Erleben bildet dieses Selbst den phänomenalen, d.h. unmittelbar gegebenen Gehalt unseres so genannten Selbstbewusstseins. Unter Selbstbewusstsein ist somit das Erleben eines Selbst, d.h. das erlebte Ichgefühl, zu verstehen (Bermúdez, 2007; Metzinger, 2005).
Wer liest also gerade diesen Satz? Es ist das Selbst, der Inhalt des Selbstbewusstseins, das diese Zeilen in diesem Augenblick bewusst erlebt. Während sich das Selbst jedoch lange Zeit einer experimentellen Manipulation entzogen hat und von den Naturwissenschaften überwiegend ignoriert wurde (Gallagher, 2000), ist es in der vergangenen Dekade Gegenstand objektiver Forschung geworden.
Wie ist es, sich in einem Körper zu be nden und Besitzer dieses Körpers zu sein? Diese Frage zielt auf das für uns als selbstverständlich erlebte körperliche Selbstbewusstsein ab. Interessanterweise sind die klinische (Berlucchi & Aglioti, 2010) und kognitive Neurowissenschaft auf Grund jüngster Erkenntnisse im Inbegri , eine Antwort auf die Frage nach den physiologischen Grundlagen des körperlichen Selbstbewusstseins geben zu können. Neben neurologischen Störungen wie der Somatoparaphrenie und Autoskopie haben behaviorale Experimente mit perzeptuellen, körperbezogenen Illusionen dazu beigetragen, das Wissen über die Mechanismen, die dem Erleben des körperlichen Selbstbewusstseins zu Grunde liegen, zu erweitern. Die aus ihnen gewonnen Erkenntnisse legen nahe, dass multisensorische Integrationsprozesse visueller, somatosensorischer, propriozeptiver, viszeraler, vestibulärer, motorischer etc. Informationen für das Erleben eines körperlichen Selbstbewusstseins wesentlich sind (für Reviews vgl. Aspell et al., 2011; Ionta et al., 2011a).
Im Rahmen dieser Arbeit wird deshalb zunächst auf den Begri des körperlichen Selbst- bewusstseins eingegangen. In dessen Anschluss sollen Studien vorgestellt werden, in denen entweder lokale oder gar globale Aspekte des körperlichen Selbstbewusstseins manipuliert wurden. Nach einer Wertung der bisherigen Erkenntnisse schlieÿt die Arbeit mit einem Ausblick auf eine mögliche, zukünftige Forschung.
2 Das körperliche Selbstbewusstsein
Bei dem körperlichen Selbstbewusstsein handelt es sich um ein komplexes mentales Kon- strukt, welches im Wesentlichen aus den drei Bestandteilen Selbst-Identi kation, Selbst- Lokalisation und Selbst-Perspektive besteht: Wir emp nden den Körper als Ganzes zu un- serem Selbst zugehörig (Selbst-Identi kation oder Gefühl der Meinigkeit ). Zudem erleben wir unser Selbst als eine räumliche Einheit innerhalb des Körpers (verkörperlichte Selbst- Lokalisation). Schlieÿlich nehmen wir die Welt aus dem Inneren unseres Körpers wahr (Selbst- Perspektive oder weak rst person perspective , 1PP) (Blanke & Metzinger, 2009). Insofern ist mit der Selbst-Perspektive der bloÿe räumliche, egozentrische Bezugspunkt gemeint, der den gefühlten geometrischen Ursprungsort des Sehens (und Hörens) bildet und uns unseren Körper in der gewohnten räumlichen Orientierung sehen lässt (Metzinger, 2005; Vogeley & Fink, 2003).
3 Illusionen bezüglich einzelner Körperteile
Neuropsychologische Fälle zeigen, dass die Identi kation mit einzelnen Körperteilen keine Selbstverständlichkeit ist. Im Rahmen der Somatoparaphrenie, einem Subtyp der Asoma- tognosie, leugnen Patienten mit rechts-hemisphärischen Läsionen, dass eine kontraläsionale Extremität zu ihnen gehört (Vallar & Ronchi, 2009). Selbst wenn die betro enen Personen mit Beweisen dafür konfrontiert werden, dass die entsprechende Extremität zu ihnen gehört, konfabulieren sie dahingehend, wie die Extremität an ihrem Körper befestigt wurde, um wes- sen Extremität es sich handeln mag oder identi zieren die Extremität als zu einer anderen Personen zugehörig (Feinberg et al., 2010). Das Gefühl der Meinigkeit lässt sich allerdings auch bei neurologisch gesunden Personen durch Paradigmen wie die Numbness Illusion (Die- guez et al., 2009), die Enfacement Illusion (Sforza et al., 2010) oder wohl am verblü endsten durch die Rubber Hand Illusion (Botvinick et al., 1998) manipulieren.
Bei der Rubber Hand Illusion (RHI) beobachtet eine Versuchsperson eine Handattrap- pe, während die danebenliegende, tatsächliche Hand verdeckt und somit nicht sichtbar ist. Streicht man mit einem Pinsel synchron über einander entsprechende Finger der künstlichen und der tatsächlichen Hand, erleben nach 10-30 Sekunden ca. 70 % der Versuchspersonen die Attrappe als ihre eigene Hand (Ehrsson et al., 2004; Lloyd, 2007). Weiterhin verschiebt sich der Ort der gefühlten Stimulation weg von der eigenen zur künstlichen Hand, so dass die Personen die gesehene taktile Stimulation in der Attrappe fühlen. Verletzt man die Gummi- hand, indem man sie mit einer Nadel sticht (Ehrsson et al., 2007; Hägni et al., 2008; Petkova & Ehrsson, 2009) oder einen Finger in eine physiologisch unmögliche Position biegt (Armel & Ramachandran, 2003), zeigen die Person eine messbar erhöhte Hautwiderstandreaktion gegenüber der Kontrollbedingung (asynchrones Streichen). Bittet man die Versuchspersonen, blind auf ihre verdeckte Hand zu zeigen, unterläuft ihnen zusätzlich eine Mislokalisation in Richtung der Gummihand ( proprioceptive drift , Costantini & Haggard, 2007; Tsakiris & Haggard, 2005).
Die Illusion wird dahingehend interpretiert, dass es während synchronem Streichen und gemindertem propriozeptiven Input zu einer illusionären Bindung der beiden unimodalen Ereignisse kommt, bei der das Sehen über das Fühlen dominiert (sog. visual capture , Bot- vinick et al., 1998). Als Folge erleben die Versuchspersonen statt zweier einzelner, unimodaler Ereignisse (Fühlen eines Pinsels und Sehen eines weiteren Pinsels) ein einzelnes kohärentes, multisensorisches Ereignis.
Zwar ist die RHI insofern von Bedeutung, dass sich die funktionellen und neuronalen Mechanismen in Bezug auf ein einzelnes Körperteil untersuchen lassen (für Reviews der neu- ronalen Korrelate vgl. Ehrsson, 2012; Makin et al., 2008; Tsakiris, 2010), eine experimentelle Manipulation des globalen Charakters des körperlichen Selbstbewusstseins erlaubt die RHI jedoch nicht. Es ist nämlich fraglich, ob das Besitzen eines vollständigen Körpers mehr ist als die bloÿe Summe des Besitzens einzelner Körperteile und deshalb auf anderen kognitiven Mechanismen beruht (Blanke & Metzinger, 2009). Interessanterweise sind aus der klinischen Neurowissenschaft Störungen, die so genannten autoskopischen Phänomene, bekannt, die sich durch ein verändertes, globales körperliches Selbstbewusstsein auszeichnen.
4 Autoskopische Phänomene
Zu den autoskopischen Phänomenen, die mit einer illusorisch-visuellen Verdopplung des eigenen Körpers einhergehen, zählen die klassische Autoskopie, die Heautoskopie und die Outof-Body Experience (OBE) (für Reviews vgl. Brugger et al., 1997; Häusler, 2011).
Im Rahmen der autoskopischen Halluzination ( sich selbst sehen ) sieht eine Person aus ihrer gewohnten körperinternen Perspektive ein als Halluzination erkanntes Spiegelbild im extrakorporalen Raum (Brugger et al., 1997; Mohr & Blanke, 2005). Dagegen ist die Heautoskopie ( sein Selbst sehen ) durch die illusionäre Verdopplung des Körpers und des Selbst gekennzeichnet: Betro enen berichten, sich aus wechselnden Perspektiven (aus dem physischen oder dem autoskopischen Körper) zu sehen (Brugger, 2002), während das Selbst trotz lokalisatorischer Unsicherheiten mehrheitlich als sich im physischen Körper be ndlich erlebt wird (Anzellotti et al., 2011; Brugger, 2003). Dennoch ist es für die Personen schwierig zu entscheiden, ob sie entkörperlicht sind und ob sich ihr wahres Selbst im physischen oder im illusorischen Körper be ndet. Während einer OBE lokalisiert eine Person ihr Selbst in einem meist erhöht schwebenden, illusorischen Körper (extrakorporale Selbst-Lokalisation), von dem aus sie (parasomatische visuell-räumliche Perspektive) ihren tatsächlichen Körper zu sehen scheint (Autoskopie). Die OBE wird meist in Rückenlage erlebt und geht mit einem Gefühl der Entkörperlichung einher, wobei sich die Betro enen stets mit dem illusorischen Körper identi zieren (Brugger, 2002; Brugger & Mohr, 2009).
Gestützt auf phänomenologische, neurologische und neuropsychologische Befunde ent- warfen Blanke et al. (2004) ein naturalistisches, neurokognitives Erklärungsmodell der OBE. Laut diesem Modell beruhen OBEs auf einer doppelten multisensorischen Desintegration als Folge inkongruenter taktiler, propriozeptiver, visueller und vestibulärer Informationen (für Reviews s. Blanke & Arzy, 2005; Blanke & Thut, 2006). Bei dieser angenommenen, doppel- ten Desintegration wird der rechten temporoparietalen Grenzregion (TPJ) eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Nach Meinung der Autoren spreche dafür, dass die TPJ entscheidend an multisensorischen Integrationsprozessen (Bremmer et al., 2001; Calvert et al., 2000), an der Verarbeitung vestibulärer Informationen (Fasold et al., 2002; Lobel et al., 1998) und an der 1PP (Vallar et al., 1999; Vogeley & Fink, 2003) beteiligt sei. Überzeugender ist jedoch, dass sich OBEs während präoperativer Diagnostik zweier Epilepsiepatienten durch elektrokortika- le Stimulation des in der TPJ gelegenen Gyrus angularis wiederholt auslösen lieÿen (Blanke et al., 2002; De Ridder et al., 2007). Ferner liegen bei Patienten, die regelmäÿig OBEs erleben, Läsionen der rechten TPJ vor (Blanke et al., 2004; Blanke & Mohr, 2005). Schlieÿlich zeigten Studien (Arzy et al., 2006; Blanke et al., 2005), von der eine funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) mit transkranieller Magnetstimulation kombinierte, dass die TPJ in gesunden Probanden stärker und länger bei imaginierten Körperpositionen und Perspektiven aktiviert ist, die als typisch für OBEs gelten.
Auf der einen Seite geben Personen, die auf Grund gestörter Gehirnprozesse an einem der Subtypen der Autoskopie leiden, Hinweise darauf, welche Gehirnregionen an dem Er- leben eines Selbst beteiligt sind. Auf der anderen Seite ist die räumliche Homogenität der Läsionen und die Prävalenz autoskopischer Phänomene gering. Weiterhin lassen sich die an ihnen gewonnenen Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf die Gesamtpopulation generalisieren und sagen wenig über die dem Selbst zu Grunde liegenden, ungestörten Mechanismen aus. Jedoch bietet die Verwendung perzeptueller Illusionen eine Möglichkeit, Mechanismen der normalen Wahrnehmung auf den Grund zu gehen.
5 Illusionen bezüglich des gesamten Körpers
Zwei Arbeitsgruppen (Ehrsson, 2007; Lenggenhager et al., 2007) adaptierten und erweiterten deshalb das Paradigma der RHI auf den gesamten Körper, um mittels multisensorischer Kon ikte das Gehirn gezielt irrezuführen und dadurch die Aspekte des körperlichen Selbstbewusstseins experimentell und wiederholbar untersuchen zu können.
5.1 Out-Of-Body Illusion
Bei der durch Ehrsson (2007) erstmals durchgeführten Out-of-Body Illusion (OBEI) saÿen Probanden auf einem Stuhl und wurde durch eine Stereokamera, die sich ca. zwei Meter hinter ihnen befand, ge lmt. Die Aufnahme der Kamera wurde den Probanden in Echtzeit mittels eines Head-Mounted Display (HMD) präsentiert, so dass sich die Probanden aus der Perspektive der Kamera sahen. Dabei berührte der Versuchsleiter die Probanden wiederholt mit einem Stab an der Brust, während er synchron einen weiteren Stab in Richtung unter- halb der Kamera bewegte (Abb. 1). Diese zeitlich und räumlich übereinstimmende Bewegung führte zu der Illusion, als sei der eigene Körper im Raum an der Position der Kamera veror- tet (illusorische Selbst-Lokalisation), und zu der Emp ndung, als würde der gesehene Stab die tatsächliche Brust berühren. Darüber hinaus berichteten viele Versuchspersonen, das Ge- fühl zu haben, dass ihr tatsächlicher Körper, den sie von hinten sahen, einer anderen Person gehörte (verminderte Selbst-Identi kation mit dem präsentierten, virtuellen Körper). Zu- dem führte die überraschende Verwendung eines Hammers, der als bedrohender Stimulus direkt unter die Kamera geschwungen wurde, zu einer erhöhten Hautwiderstandreaktion als in der Kontrollbedingung (asynchrones Berühren). Umgekehrt kam es bei der Bedrohung des virtuellen Körpers zu einer geminderten Hautwiderstandreaktion (Guterstam & Ehrsson, 2012). Diese Studie lässt vermuten, dass miteinander korrelierende, jedoch widersprüchliche visuelle und taktile Informationen an einem Körperteil auf den restlichen, ganzen Körper generalisieren und ein zumindest OBE-ähnliches Erleben hervorrufen können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Versuchsaufbau der Out-of-Body Illusion. Die Probanden sitzen auf einem Stuhl vor einer Stereokamera und betrachten über ein Head-Mounted Display ihren Rücken; der Experimentator erzeugt einen visuo-taktilen Stimulus, indem er mit einem Stab die Brust der Probanden berührt und synchron einen weiteren Stab in Richtung unterhalb der Kamera bewegt; bearbeitet mit Erlaubnis nach Ehrsson (2007).
5.2 Full-Body Illusion
In einem ähnlichen Paradigma, der so genannten Full-Body Illusion (FBI), lmte die Ar- beitsgruppe um Olaf Blanke (Lenggenhager et al., 2007) die Versuchspersonen ebenfalls mit- tels einer Stereokamera von hinten, so dass die Versuchspersonen über ein HMD einen vir- tuellen Körper vor sich stehen sahen. Im Gegensatz zur OBEI war jedoch keine Bewegung in Richtung der Kamera sichtbar. In diesem Falle wurde den Probanden mit einem Gegen- stand über den Rücken gestrichen, so dass sie diese Bewegung auf dem Rücken des virtuellen Körpers sehen konnten (Abb. 2). Wenn die Probanden das Streichen in Echtzeit sahen, kam
[...]