Der Nahe Osten gilt als eine der instabilsten Regionen der Welt: Seit seiner Gründung bis zum Jahr 1978 führte Israel aus den verschiedensten Gründen vier Kriege gegen seine Nachbarn.
Sowohl beim israelischen Unabhängigkeitskrieg, bei der Suez-Krise, beim Sechs-Tage-Krieg und auch beim Jom-Kippur-Krieg war Ägypten dabei einer der Hauptgegner Israels. Nach diesem Vierteljahrhundert der kriegerischen Auseinandersetzungen überraschte der ägyptische Präsident Sadat den Nahen Osten und die gesamte Welt, als er 1977 ankündigte, vor er Knesset sprechen zu wollen. Wenige Tage später reiste er in die israelische Hauptstadt und sprach vor den Abgeordneten: „Wir laden Sie ein, mit uns in Sicherheit und Frieden zusammen zu leben“.
Diese zuversichtlichen Worte führten aber zunächst zu keinem Fortschritt in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten, da beide Seiten unterschiedliche Interessen verfolgten. So war es an den USA, die beiden Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen. Im Juli 1978 lud Carter sowohl seinen ägyptischen Amtskollegen als auch den israelischen Ministerprädienten Begin nach Camp David ein. Die im September 1978 stattfindenden Verhandlungen mündeten schließlich in das Camp-David-Abkommen.
Warum aber kam es zu diesem Abkommen mit dem folgenden Friedensvertrag? Warum unterzeichneten Ägypten und Israel nach über 25 Jahren des Kriegszustandes ein solches Abkommen? Warum also konnten sich Ägypten und Israel auf das Camp-David-Abkommen einigen?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage ist die Arbeit folgendermaßen aufgebaut: Zu Beginn steht das Grundgerüst der Cooperation Theory, die versucht, Kooperation zwischen Staaten zu erklären. Die zentrale Hypothese wird schließlich anhand des Camp-David-Abkommens getestet. Dazu werden die Entwicklungen der Präferenzen Ägyptens und Israels im Vorfeld der Verhandlungen dargestellt. So kann festgestellt werden, mit welchen Präferenzen die beiden Staaten in die Verhandlungen gingen. Anschließend wird das Camp-David-Abkommen und dessen Ergebnisse beschrieben. Dadurch kann anschließend verglichen werden, ob die beiden Staaten ihre Präferenzen durchsetzen konnten. Im Sinne der Cooperation Theory kann so geprüft werden, ob der Nutzen des Abkommens die Kosten für sowohl Ägypten als auch für Israel überstiegen hat. Nur wenn dies der Fall ist, kann die Hypothese der Cooperation Theory angenommen werden und die Cooperation Theory erklären, warum sich Ägypten und Israel auf das Camp-David-Abkommen einigen konnten.
Inhaltsverzeichnis
1 Von Kriegsgegner zu Vertragspartnern - Der Weg zum Camp-David-Abkommen zwischen Ägypten und Israel
2 Kooperation zwischen Staaten - Das Camp-David-Abkommen in der Analyse: Warum konnten sich Ägypten und Israel auf das Camp-David-Abkommen einigen?
2.1 Theorie: Cooperation Theory
2.2 Hypothese
2.3 Methodik
2.4 Empirie
2.4.1 Entwicklung der Machtverteilung im Nahen Osten
2.4.2 Präferenzen Ägyptens
2.4.3 Präferenzen Israels
2.5 Interessenkonstellation vor, bei und nach den Camp-David-Verhandlungen
2.5.1 Verhandlungsgegenstände
2.5.2 Verhandlungsergebnis
2.5.3 Vergleich zwischen Präferenzen vor den Verhandlungen und Verhandlungsergebnissen bzw. -folgen
2.5.4 Erklärungskraft der Cooperation Theory und Alternativerklärungen - Präferenzen Ägyptens und Israels und deren Umsetzung durch das Camp- David-Abkommen
2.6 Zusammenfassung und Fazit
3 Vier Jahrzehnte danach - Das Camp-David-Abkommen als Fundament der israelisch- ägyptischen Beziehungen
Literaturverzeichnis
1 Von Kriegsgegner zu Vertragspartnern - Der Weg zum Camp-David-Abkommen zwi- schen Ägypten und Israel
Der Nahe Osten gilt als eine der instabilsten Region der Welt (Halabi 2016: 64): Seit seiner Gründung 1948 bis zum Jahr 1978 führte Israel aus den verschiedensten Gründen bzw. Ursa- chen und Interessen insgesamt vier Kriege gegen seine Nachbarn (Fraser 2015: viif.). Sowohl beim israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948/1949 (Fraser 2004: 44), bei der Suez-Krise 1956 (Fraser 2004: 66f.), beim Sechs-Tage-Krieg 1967 (Fraser 2004: 80) und auch beim Jom- Kippur-Krieg 1973 (Fraser 2004: 95) war Ägypten dabei einer der Hauptgegner Israels. Nach diesem Vierteljahrhundert der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Ägypten und Is- rael überraschte der ägyptische Präsident Anwar Sadat den Nahen Osten und die gesamte Welt, als er Ende 1977 ankündigte, vor dem israelischen Parlament, der Knesset, sprechen und für Frieden zwischen den beiden Staaten einzutreten zu wollen (Fraser 2004: 116f.). Wenige Tage später reiste er tatsächlich in die israelische Hauptstadt Jerusalem und sprach vor den dortigen Abgeordneten: „Wir laden Sie ein, mit uns in Sicherheit und Frieden zusammen zu leben“ (Fra- ser 2004: 117). Diese zuversichtlichen und hoffnungsvollen Worte führten aber zunächst zu keinem sichtbaren Fortschritt in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten, da beide Seiten sehr unterschiedliche Interessen verfolgten (Fraser 2004: 118). So war es an den USA unter Präsident Jimmy Carter, die beiden Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen. Im Juli 1978 lud er sowohl seinen ägyptischen Amtskollegen Sadat als auch den israelischen Ministerprä- dienten Menachem Begin auf seinen Landsitz nach Camp David zu Verhandlungen ein (Fraser 2004: 119). Die im September 1978 stattfindenden Verhandlungen (Fraser 2004: 119) münde- ten schließlich in das sogenannte Camp-David-Abkommen. Das Abkommen war dabei zwei- geteilt in den „Rahmen für den Abschluss eines Friedensvertrags zwischen Ägypten und Israel“ und in den „Rahmen für Frieden im Nahen Osten“ (Fraser 2004: 120). Im März des folgenden Jahres 1979 unterzeichneten Begin und Sadat letztendlich in Washington den „Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel“ (Fraser 2004: 121).
Warum aber kam es zu diesem Abkommen mit dem folgenden Friedensvertrag? Warum unter- zeichneten Ägypten und Israel nach über 25 Jahren des offiziellen Kriegszustandes ein solches Abkommen? Warum also konnten sich Ägypten und Israel auf das Camp-David-Abkommen von 1978 einigen?
Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage ist die Arbeit folgendermaßen aufgebaut: Zu Beginn steht das theoretische Grundgerüst der Cooperation Theory, die versucht, Kooperation zwi- schen Staaten, wie im Falle des Camp-David-Abkommens zwischen Ägypten und Israel zu erklären. Die zentrale Hypothese der Cooperation Theory bezüglich der Kooperation zwischen Staaten wird schließlich anhand eben dieses Camp-David-Abkommens getestet. Dazu werden zunächst die Entwicklungen der Präferenzen Ägyptens und Israels im Vorfeld der Verhandlun- gen dargestellt. So kann festgestellt werden, mit welchen Präferenzen die beiden Staaten in die Verhandlungen gingen. Anschließend wird das Camp-David-Abkommen und dessen Ergeb- nisse und Folgen an sich beschrieben. Dadurch kann anschließend verglichen werden, ob die beiden Staaten ihre Präferenzen und Ziele durchsetzen konnten. Im Sinne der Forschungsfrage und der Hypothese der Cooperation Theory kann so geprüft werden, ob der Nutzen des Ab- kommens die Kosten für sowohl Ägypten als auch für Israel überstiegen hat. Nur wenn dies der Fall ist, kann die Hypothese der Cooperation Theory angenommen werden und die Cooperation Theory erklären, warum sich Ägypten und Israel auf das Camp-David-Abkommen einigen konnten.
2 Kooperation zwischen Staaten - Das Camp-David-Abkommen in der Analyse: Warum konnten sich Ägypten und Israel auf das Camp-David-Abkommen einigen?
2.1 Theorie: Cooperation Theory
Um den Forschungsgegenstand zu untersuchen, wird die Cooperation Theory verwendet, da die Cooperation Theory nach Robert Keohane die Frage untersucht, warum es auch ohne einen Hegemon im Internationalen System Kooperation unter Staaten, wie hier zwischen Ägypten und Israel, gibt bzw. geben kann (Herbert 1996: 225). Die Cooperation Theory geht dabei da- von aus, dass Kooperation zwischen Staaten möglich ist, auch wenn diese zunächst unterschied- liche Meinungen und Positionen bzw. Präferenzen und Ziele bei wichtigen Themen verfolgen (Keohane 1984: 50). Dabei fußt die Cooperation Theory auf Kernannahmen des Realismus bzw. des Neorealismus: Etwa, dass das Internationale System aus egoistischen Staaten besteht, die in diesem anarchischen System ihre Gewinne und Nutzen, beispielsweise im Sicherheits- bereich, maximieren wollen. Diese Nutzenmaximierung kann dabei ebenso über Kooperation geschehen. Auch bei der Cooperation Theory sind egoistisch-rationale Staaten als Akteure der Ausgangspunkt (Gehring 1995: 199). Allerdings ist auch in dieser anarchischen Konstellation unter egoistisch-rationalen Staaten Kooperation möglich. Kooperation ist genau dann denkbar, wenn „Interessenkonstellationen bestehen, in denen individuelles Handeln für alle beteiligten Akteure (und deshalb auch kollektiv) zu suboptimalen Ergebnissen führt. Unter dieser Bedin- gung besteht für eine Gruppe von Akteuren der Anreiz, sich gemeinsam aus einer problemati- schen Situation zu befreien“ (Gehring 1995: 199f.). Diese Emanzipation kann durch Koopera- tion zwischen diesen Akteuren bzw. Staaten geschehen. Kooperation kann sich dann also unter bestimmten Bedingungen auf der Basis komplementärer Interessen unter Staaten, wie etwa beim Thema Sicherheit, ausbilden (Herbert 1996: 225). Dabei ist Kooperation als ein Gut zu sehen, dass es für Staaten zu erhöhen gilt. Denn dieses Gut bietet die Chance, zu gemeinsamen Gewinnen bei den kooperierenden Staaten zu kommen (Herbert 1996: 226). Kooperation wird dadurch letztendlich zu einem potentiellen Ziel für alle Staaten (Herbert 1996: 228). Die Mög- lichkeit der Kooperation zwischen Staaten lässt sich explizit auch für Sicherheitsfragen anwen- den. Wenn hier ebenfalls gemeinsame Interessen vorliegen, ist Kooperation ebenso möglich (Hasenclever u. a. 1997: 30).
Zusammenfassend kann formuliert werden, dass es zu Kooperation zwischen Staaten kommen kann, wenn die Präferenzen, die ein Staat in einem bestimmten Politikfeld verfolgt, von einem anderen Staat als Verwirklichung seiner eigenen Ziele angesehen und verstanden wird (Keo- hane 1984: 51f.). Ebenso ist jedoch festzuhalten, dass Staaten nach wie vor als egoistisch-rati- onale Akteure auftreten. Deshalb werden Staaten nur mit anderen Staaten kooperieren, wenn sie in ihrem eigenen Verständnis als Nutzenmaximierer durch diese Art der Kooperation ihren eigenen Nutzen maximieren können (Gehring 1995: 200f.). Das bedeutet: Nur, wenn ein Staat durch Kooperation in einem bestimmten Politikfeld seinen Nutzen maximieren kann, bzw. überhaupt einen Nutzen davonträgt, wird sich dieser Staat auch auf Kooperation einlassen bzw. nur, wenn der Nutzen, den der Staat durch die Kooperation erzielt, größer ist als die Kosten. In diesem Sinne muss sich die Analyse einer möglichen Kooperation zwischen Staaten dann auf die Präferenzen und die daraus folgenden Interessenkonstellationen konzentrieren, um fest- zustellen, ob bei einer etwaigen Kooperation zwischen Staaten diese Akteure mit Blick auf ihre Präferenzen einen Nutzen durch die Kooperation erreichen könnten. Nur wenn dies der Fall ist, ist Kooperation nach Keohane im Sinne der Cooperation Theory möglich.
2.2 Hypothese
Die aus der Cooperation Theory folgende Hypothese lautet daher:
Hypothese: Akteure kooperieren, wenn der Nutzen die Kostenüber- schreitet
Um diese Hypothese zu testen, sind, wie oben bereits angedeutet, die Präferenzen und die dar- aus folgenden Interessenkonstellationen, im Fall des Camp-David-Abkommens also die Interessen Ägyptens und Israels, zentral. Deshalb müssen im Folgenden die Präferenzen dieser beiden Staaten erhoben werden. Mit Blick auf das Ergebnis bzw. die Folgen des Camp-David- Abkommens kann anschließend festgestellt werden, ob die Nutzen dieses Abkommens die Kosten für beide Staaten überschritten haben oder nicht. Nur wenn die Präferenzen, also der Nutzen beider Staaten die Kosten des Abkommens tatsächlich überschritten hat, ist die Hypothese zu bestätigen und nur dann kann die Cooperation Theory erklären, warum sich Ägypten und Israel auf das Camp-David-Abkommen einigen konnten.
2.3 Methodik
Um die angesprochenen Nutzen und die Präferenzordnungen der beiden involvierten Staaten zu bestimmen, gibt es drei verschiedene Methoden: Das kritische Quellenstudium, die Interes- senindikatoren und die Expertenbefragung (Zürn 1992: 240). Da alle drei Methoden Vor- und Nachteile mit sich bringen, bietet sich die Kombination mehrerer Verfahren an (Zürn 1992: 248). Für die Analyse der Präferenzen im Vorfeld der Verhandlungen des Camp-David-Ab- kommens wird aufgrund der Quellenlage das kritische Quellenstudium gewählt. Da ein Haupt- werk zum Camp-David-Abkommen von Shibley Telhami (1990) in seiner Erhebung auch auf Experteninterview zurückgreift (Telhami 1990: 271), sind hier bereits zwei der drei von Zürn vorgeschlagenen Methoden kombiniert.
Das kritische Quellenstudium ist dabei der nächstliegende Weg. Jedoch besteht hierbei eine Schwierigkeit darin, dass dem Analysten erhebliche interpretatorische Freiräume offenstehen (Zürn 1992: 240). Dennoch besticht das kritische Quellenstudium mit dem Vorteil, dass es zum einen der einschlägigen Arbeitsweise entspricht und dadurch gut nachzuvollziehen ist. Zum anderen ist die Anwendung ohne größerer Abweichungen bei nahezu allen Situationsstrukturen möglich (Zürn 1992: 243).
Durch die angesprochene Ergänzung durch die Expertenbefragungen wird die Analyse um Wissen von Experten aus Theorie und Praxis erweitert. Dadurch kann der genannte Schwachpunkt des kritischen Quellenstudiums zumindest minimiert werden (Zürn 1992: 257).
2.4 Empirie
2.4.1 Entwicklung der Machtverteilung im Nahen Osten
Wesentlich für die Präferenzen Ägyptens und Israels war seit jeher vor dem Camp-David-Ab- kommen die Verteilung von ökonomischer und militärischer Macht in der Region des Nahen Ostens, vor allem zwischen den beiden Supermächten Sowjetunion und USA (Telhami 1990: 45f.). In den 1950er Jahren hatten die beiden Supermächte deutlich weniger Einfluss im Nahen Osten als Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt erreicht die Sowjetunion ihren Höhepunkt an Präsenz im Nahen Osten, wodurch auch diese Region zu einer bipolaren wurde (Telhami 1990: 62). Seit Ende der 1960er Jahre war aufgrund der großen Prä- senz der beiden Supermächte jede Form der Unabhängigkeit von beiden dieser Staaten weder für Ägypten noch für Israel eine realistische Option (Telhami 1990: 46).
Generell gilt die Verteilung von Macht und deren Veränderung als primäre Variable, um die Präferenzen von Staaten im Nahen Osten zu erklären: Sowohl die USA als auch die Sowjetunion waren seit Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre so stark wie nie seit Ende des Zweiten Weltkrieges im Nahen Osten involviert. Die damaligen Überlegungen des ägyptischen Präsidenten Sadats, sich auf die USA zu zubewegen, resultierte dabei aber erst aus einem fehlgeschlagenen Ausbau der Beziehungen zu der Sowjetunion. Als die Sowjetunion nicht willens bzw. aufgrund fehlender ökonomischer und militärischer Macht nicht in der Lage war, Ägypten stärker zu unterstützen, schlug sich Sadat auf die Seiten der USA.
Die zentrale Variable für die Erklärung der Präferenzen Ägyptens und auch Israels ist also auch hier die Veränderungen in der Verteilung von militärischer und ökonomischer Macht bzw. die Verteilung an sich, vor allem zwischen den beiden Supermächten (Telhami 1990: 47).
2.4.2 Präferenzen Ägyptens
Ü berblick vor den Verhandlungen
Seit jeher verfolgte Ägypten vor allem zwei Ziele: Zum einen wollte Ägypten schon immer eine unabhängige Führungsrolle in der arabischen Welt übernehmen. Zum anderen war es seit Gründung des Staates Israel ein Anliegen Ägyptens, eine israelische Hegemonie im Nahen Os- ten zu verhindern (Telhami 1990: 84). Besonders wenn große regionale Veränderungen durch veränderte militärische und ökonomische Machtverhältnisse aktuell wurden, versuchte Ägyp- ten eine besonders dominante Rolle in der Region zu spielen (Telhami 1990: 88).
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