Das Ziel dieser Ausarbeitung ist es zu erörtern, inwiefern das „français des cités“ sowohl aufgrund seiner wichtigen Rolle im Hinblick auf den soziologischen Kontext, als auch aufgrund seiner linguistischen Komplexität, eine Bereicherung für die französische Sprache darstellt.
Im Folgenden wird daher zunächst der Begriff des français des cités definiert. Anschließend wird erklärt, wann und wo diese sprachliche Varietät erstmals aufgetreten ist und wie es überhaupt zu ihrer Entstehung gekommen ist. In einem nächsten Schritt wird darüber hinaus der soziologische Hintergrund näher erläutert, was dazu dient, die Entstehung des français des cités und dessen Funktionen einfacher nachvollziehen zu können. In einem weiteren Schritt wird diese komplexe sprachliche Varietät auf linguistischer Basis analysiert.
Gerade die großen Revolten in den Jahren 2005 und 2007 in den Vororten vieler französischer Städte machten die Bewohner dieser Gegenden zum Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. In Politik und Medien wurde fortan heftig debattiert. Doch auch die Bewohner selbst meldeten sich zu Wort: ihre Interviews wurden durch Radio, Internet und Fernsehen auf globaler Ebene verbreitet. Auffällig war, dass diese nicht das typische Französisch widerspiegelten, sondern vielmehr eine besondere Variante der Sprache darstellten, welche heutzutage unter einer Vielzahl von Namen bekannt ist: ob als parler branché, parler jeune, parler banlieue, argot des cités, nouveau français, langue des keums, céfran des técis oder, um es mit den Worten Goudailliers zu beschreiben, als „Français contemporain des cités“ (Goudaillier 2002: 10) – hat diese „Sprache der Vororte“ in den letzten Jahren einen immensen Bekanntheitsgrad erlangt.
Sie nimmt eine repräsentative Stellung in Anbetracht der Missstände in den Vororten ein und bringt den Unmut einer ganzen Generation von gesellschaftlich und geographisch Ausgestoßenen zum Ausdruck. Doch darüber hinaus stellt das „français des cités“ zudem eine sprachliche Varietät dar, welche das Französische in gewisser Weise sogar bereichert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das français des cités
2.1 Das français des cités - eine Definition
2.2 Geschichtlicher Hintergrund
2.3 Geographische Verortung
2.4 Soziologischer Kontext
2.5 Spezifische Funktionen .
2.6 Die Rolle der Medien
3. Linguistische Analyse
3.1 Lexikon und Morphologie
3.2 Entlehnungen - „ emprunts “
3.3 Syntax
3.4 Phonetik
4. Resümee und Ausblick
5. Bibliographie
1. Einleitung
Gerade die großen Revolten in den Jahren 2005 und 2007 in den Vororten vieler französischer Städte machten die Bewohner dieser Gegenden zum Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. In Politik und Medien wurde fortan heftig debattiert, inwiefern man dieser „crise des banlieues“ Herr werden könnte (vgl. Stébé 2007, S. 3). Doch auch die Bewohner selbst meldeten sich zu Wort: ihre Interviews wurden durch Radio, Internet und Fernsehen auf globaler Ebene verbreitet. Auffällig war, dass diese nicht das typische Französisch widerspiegelten, sondern vielmehr eine besondere Variante der Sprache darstellten, welche heutzutage unter einer Vielzahl von Namen bekannt ist: ob als „parler branché, parler jeune, parler banlieue, argot des cités, nouveau français, langue des keums, céfran des técis“ (Liogier 2002, S. 41-43; Goudaillier 1997, S.6; Ebd. 2002, S. 10; Boyer 1997, S. 6/7/10) oder, um es mit den Worten Goudailliers zu beschreiben, als „Français contemporain des cités“ (Goudaillier 2002, S. 10) - hat diese „Sprache der Vororte“ in den letzten Jahren einen immensen Bekanntheitsgrad erlangt.
Sie nimmt eine repräsentative Stellung in Anbetracht der Missstände in den Vororten ein und bringt den Unmut einer ganzen Generation von gesellschaftlich und geographisch Ausgestoßenen zum Ausdruck (vgl. Stébé 2007, S. 43). Doch darüber hinaus stellt das „français des cités“ zudem eine sprachliche Varietät dar, welche das Französische in gewisser Weise sogar bereichert (vgl. Goudaillier 2000, S.1/2).
Das Ziel dieser Ausarbeitung ist es, zu erörtern, inwiefern das „français des cités“ sowohl aufgrund seiner wichtigen Rolle im Hinblick auf den soziologischen Kontext, als auch aufgrund seiner linguistischen Komplexität, eine Bereicherung für die französische Sprache darstellt.
Im Folgenden wird daher zunächst der Begriff des français des cités definiert. Anschließend wird erklärt, wann und wo diese sprachliche Varietät erstmals aufgetreten ist und wie es überhaupt zu ihrer Entstehung gekommen ist. In einem nächsten Schritt wird darüber hinaus der soziologische Hintergrund näher erläutert, was dazu dient, die Entstehung des français des cités und dessen Funktionen einfacher nachvollziehen zu können. In einem weiteren Schritt wird diese komplexe sprachliche Varietät auf linguistischer Basis analysiert.
2. Das français des cités
Im folgenden Kapitel wird näher auf die spezifischen Charakteristika des français des cités eingegangen. Hierbei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Erörterung der Herkunft der Bezeichnung selbst und der Einordnung eben dieser in einen soziologischen Kontext.
2.1 Das français des cités - eine Definition
Das français des cités, welches zu Deutsch so viel wie „das Französisch der Vorstädte“ heißt, ist eine diastratische Varietät des Französischen, welche sich durch die soziokulturelle Zugehörigkeit eines Sprechers zu einer Sprechergemeinschaft auszeichnet (vgl. Pöll 2002, S. 49). Parameter für die Bildung einer solchen „sozialen Identität“ (vgl. Müller 1985, S. 173) einer Sprechergemeinschaft sind im Falle des français des cités sowohl der Bildungsgrad, der Beruf, die Herkunft und die soziale Stellung, als auch der Beruf der Eltern, das Einkommen und die Art der Unterkunft (vgl. Gadet 2003, S.63/64) der Sprecher. Darüber hinaus handelt es sich beim français des cités um einen sogenannten „Soziolekt“ (vgl. Boyer 1997, S. 6). Als Soziolekt wird in diesem Zusammenhang die „Gesamtheit der sprachl. [ sic ] Besonderheiten einer sozialen Gruppe“ (Glück 1993, S. 563) verstanden, welcher zudem eine spezifische Ausprägung zugrunde liegt, mit der sich alle Mitglieder dieser Gruppe identifizieren (vgl. Ebd. 1993, S. 563). Das français des cités wird außerdem als „nicht - standardsprachlicher Soziolekt“ (Bußmann 2002, S. 692) eingestuft, da es „mit geringem sozialen Prestige verknüpft“, „typischerweise in informellen Situationen gebraucht“ wird und „stark regionalsprachlich geprägt [ scil. ist]“ (Ebd. 2002, S. 692). Diese Aspekte illustrieren sehr anschaulich die Situation der Sprechergemeinschaft, welche sich, wie eingangs erwähnt, gerade aufgrund ihrer „Schichtzugehörigkeit“, der Tatsache, dass sie in den „banlieues“ wohnt und eben diesen Soziolekt als Identitätsmarker nutzt (vgl. Goudaillier 2002, S.9), auszeichnet.
Diese diastratische Varietät vereint Elemente des „argot traditionnel“, des „verlan“ und vieler verschiedener Immigrantensprachen (vgl. Liogier 2002, S. 42-46) und wird daher auch als „interlangue“ bezeichnet (Goudaillier 1997, S.6/7). Betrachtet man in diesem Zusammenhang die stilistischen Register der französischen Sprache, so ergibt sich ein interessantes Bild: das français des cités nimmt den Stellenwert eines „parler véhiculaire interethnique“ (Ebd. 1997, S.6/7) ein, da es ein Bindeglied zwischen dem „français familier“ und dem „français circulant“ herstellt (vgl. Goudaillier 2002, S. 7) indem es trotz der Existenz vieler verschiedener Immigrantensprachen und Sprachebenen (hier: das „français familier“ und das „français circulant“), eine Art „Brückensprache“ repräsentiert, die es den Sprechern ermöglicht, miteinander zu kommunizieren (vgl. DuBois 1994, S. 504).
2.2 Geschichtlicher Hintergrund
Die Entstehung des français des cités wird auf das Ende der 1970er (vgl. Goudaillier 1997, S. 3) beziehungsweise den frühen Beginn der 1980er Jahre (vgl. Boyer 1997, S. 7) datiert. In dieser Zeit befand sich Frankreich inmitten einer anhaltenden Wirtschaftskrise, welche von hoher Arbeitslosigkeit, hoher Kriminalität, ebenso hoher Einwanderungszahlen und eingeschränktem Zugang zu Bildung geprägt war (vgl. Boyer 1997, S. 8). Die langanhaltende Konjunkturflaute hatte zur Folge, dass viele Firmen die Produktion ins Ausland verlagerten und somit die Zahl der Arbeitslosen im Inland weiter in die Höhe schoss. Darüber hinaus stellten die Ölkrisen von 1973 und 1979/80 eine weitere Belastung für die französische Bevölkerung dar: um der Inflation entgegen zu wirken und die Kreditwürdigkeit des Landes wiederzuerlangen, wurden beispielsweise Löhne und Sozialleistungen zeitweise eingefroren. Dies hatte zur Folge, dass gerade der Mittelstand beziehungsweise die Unterschicht, mit großen finanziellen Einbußen zu kämpfen hatte (vgl. Rovan 2000, S. 99-135). In der heutigen Zeit fühlen sich viele Menschen an diese Epoche zurückerinnert, da die Wirtschaft erneut große Einbußen erfahren hat und das Bild des „banlieues“ nach wie vor mit einer negativen Konnotation behaftet ist, da es seines Zeichens überbevölkert ist und von hoher Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Drogen dominiert wird (vgl. Stébé 2007, S.49). Der Unmut der Bewohner dieser Gegenden kam nicht zuletzt in den Ausschreitungen im Oktober und November 2005 zum Ausdruck, als die Bevölkerung der „banlieues“ durch drastische Protestaktionen auf die Missstände aufmerksam machte (vgl. Ebd. 2007, S.3).
2.3 Geographische Verortung
Die Sprechergemeinschaft des français des cités wird aus geographischer Sicht vor allem den Vierteln am Stadtrand, der sogenannten „périphérie“ französischer Großstädte zugeordnet (vgl. Boyer 2007, S.157). Diese Siedlungen, welche im Französischen auch als „banlieues“, also als „Vorstädte“, bezeichnet werden, bestehen zu großen Teilen aus riesigen Plattenbausiedlungen, in denen sich eine hohe Zahl an Wohnungen befindet. Hierbei erfährt der Begriff des „banlieue“ durchaus eine negative Konnotation, da er als Sammelbegriff für die Gebiete am Stadtrand dient und sich stark von dem der „banlieues chics“ oder „banlieues riches“ abgrenzt. Ursprünglich waren diese Wohnkomplexe dazu gedacht, der steigenden Einwohnerzahl Frankreichs ein Heim zu bieten. Im Gegensatz zu den zuvor weit verbreiteten „bidonvilles“, welche regelrechte Elendsviertel verkörperten, stellten die nun erbauten „grands ensembles“ eine starke Verbesserung dar und wurden deshalb in den 1960er Jahren als „promotion“, als Zeichen des Aufstieges im Zeitalter des wirtschaftlichen Aufschwungs, gesehen (vgl. Stébé 2007, S. 42).
Die Architekten dieser Gebäude hatten zu Beginn gar den Traum, so eine ideale Gemeinschaft zu kreieren, in der die Unterscheidung nach sozialer Herkunft verschwindet (vgl. Stébé 2007, S. 43). Zu Beginn wurden diese Wohnungen mehrheitlich von einfachen Industrie- und Gastarbeitern genutzt und hatten als „grands ensembles“, wie bereits erwähnt, einen recht positiven Ruf (vgl. Ebd. 2007, S. 33). Doch im Laufe der in Kapitel 2.2 beschriebenen Wirtschaftskrise wurde offensichtlich, dass diese Siedlungen aufgrund von mangelhafter Bausubstanz dem stetigen Zerfall ausgesetzt sein würden (vgl. Ebd. 2007, S. 43), was zur einer nachhaltigen Senkung der Mietpreise führte. Darüber hinaus befanden sich die Siedlungen durch ihre Positionierung am Rande der Städte weit entfernt vom logistischen Mittelpunkt im Stadtkern (vgl. Ebd. 2007, S. 43). Fortan entwickelte sich das „banlieue“ dementsprechend von einem Symbol des „sozialen Aufstiegs“ (vgl. Ebd. 2007, S. 42) hin zu einem „symbolischen Ort der sozialen Krise“ (vgl. „La crise des cités“, Ebd. 2007, S. 3).
2.4 Soziologischer Kontext
Im Hinblick auf die Sprecherverteilung lässt sich feststellen, dass das français des cités in der heutigen Zeit über eine sehr große Anzahl an Sprechern verfügt. Diese Sprachgemeinschaft kann als „heterogen“ bezeichnet werden, da sie sowohl von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, als auch von solchen ohne besagten Migrationshintergrund und darüber hinaus sogar von Menschen anderer sozialer Gruppierungen, wie beispielsweise Erwachsenen, gesprochen wird. Jedoch sei an dieser Stelle erwähnt, dass es sich hierbei nicht um eine reine Jugendsprache handelt (vgl. Neuland 2007, S. 26), sondern vielmehr um einen „dialecte faux-jeune“ (vgl. Boyer 1997, S. 7) da, wie zuvor erwähnt, nicht nur Jugendliche des français des cités mächtig sind (vgl. Ebd. 1997, S. 10). Außerdem handelt es sich bei einem Großteil der Sprecher, wie in Kapitel 2.3 bereits erwähnt, um Bewohner der „banlieues“. Gerade im 21. Jahrhundert sehen sich die Menschen, welche in den Vierteln am Rande der französischen Großstädte leben, einer großen Zahl an Problemen ausgeliefert: die Gebäude, die sie bewohnen, sind zumeist von eher schlechter Qualität, das Zentrum der Städte, in dem sich die wichtigsten Institutionen des öffentlichen Lebens wie beispielsweise Ämter und Schulen, die ärztliche Versorgung und ähnliches befinden, ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer zu erreichen. Dies ist das eher negative Ergebnis jahrelanger Integrationspolitik. All die Plattenbausiedlungen, welche in großen Mengen erbaut wurden, sind heutzutage als „zones urbaines sensibles“ verschrien, welche sich als Sinnbild territorialer Segregation durch schlechte Bildung, einen hohen Anteil an Migranten, Armut, Gewalt, Drogenkonsum, hohe Kriminalität und Arbeitslosigkeit auszeichnen (vgl. Stébè 2007, S. 3/8/43/47/49). Besonders die Jugendlichen, welche in einem solchen Umfeld aufwachsen, befinden sich zumeist in einer ausweglosen Lage, die Stébé als „la spirale de l’exclusion et de la précarisation“ (vgl. Stébé 2007, S.49) beschreibt: durch den begrenzten Zugang zu Bildung und ein minimales Angebot an Freizeitbeschäftigungen geraten viele junge Menschen „auf die schiefe Bahn“, kommen mit Kriminalität und Drogen in Kontakt. Darüber hinaus haben sie gerade aufgrund ihrer schlechten Bildung ebenfalls eher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Diese Spirale aus Exklusion und Ungewissheit führt dazu, dass die Bewohner der Viertel am Stadtrand sich über die sprachlichen Barrieren hinweg zusammenschließen und mithilfe der „interlangue“, dem français des cités, miteinander kommunizieren und sich gegen die Autorität des „français standard/académique“ auflehnen (vgl. Goudaillier 1997, S.6/7).
Hinsichtlich der Sprecher mit Migrationshintergrund kann darüber hinaus festgestellt werden, dass besonders Sprecher mit maghrebinischem Hintergrund, aber auch solche mit beispielsweise afrikanischem oder anglo-amerikanischen Hintergrund, in den Vierteln am Stadtrand vertreten sind. Gerade aufgrund der Heterogenität der Sprachgemeinschaft zeichnet sich das français des cités daher auch durch Vielfalt, Instabilität und Variation aus:
La langue des banlieues est loin d’être aussi pauvre que certains se plaisent à le croire; elle est au contraire étonnament fertile. C’est un volcan bouillonnant dont la lave serait faite de métaphores et de pépites linguistiques. Une alchimie des mots concoctée par des sorciers de la langue et des acrobates de la rhétorique. (vgl. Ebd. 1997, S. 9-12.)
Wie anhand dieses Zitates ersichtlich wird, kann Vielfältigkeit beispielsweise anhand des Vokabulars festgestellt werden, in welchem - ganz im Gegensatz zum „français standard “ - eine große Anzahl an Entlehnungen und Metaphern Platz findet.
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