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Hausarbeit, 2011
25 Seiten, Note: 1,3
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungen
1 Einführung
2 Prinzip der Maßgeblichkeit
2.1 Definition (de lege lata)
2.2 Entstehung und historische Entwicklung des Maßgeblichkeits-grundsatzes in Deutschland
2.3 Maßgeblichkeit im internationalen Vergleich
3 Konvergenz und Divergenz von Handels- und Steuerbilanz
3.1 Zielkonflikt zwischen Handels- und Steuerbilanz
3.2 Einheit der Rechtsordnung
3.3 Vereinfachung und Praktikabilität
3.4 Steuerrechtliche Schutzfunktion
3.5 Gefahr für die Bedeutung der Handels- bzw. Steuerbilanz
3.6 Europarechtliche bzw. internationale Einflüsse
4 Die Zukunft – de lege ferenda: Maßgeblichkeit oder Ende der Einheitsbilanz?
5 Zusammenfassung und Fazit
Quellenverzeichnis
Anhang
Abbildung 1: Maßgeblichkeit im europäischen Vergleich
Abbildung 2: Die Verknüpfung von handels- und steuerrechtlicher Gewinn-ermittlung im internationalen Vergleich
Abbildung 3: Ausgewählte Themenbereiche zur Konvergenz und Divergenz von Handels- und Steuerbilanz
Abbildung 4: Die Ziele der Handels- und Steuerbilanz
Abbildung 5: Beispiele für mögliche Steuerbemessungsgrundlagen
Tabelle 1: Beispiele zur Durchbrechung des Maßgeblichkeitsprinzips
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Maßgeblichkeitsprinzip, also die in §5 Abs. 1 EStG festgelegte Übernahme der Handelsbilanz für Zwecke der Steuerbilanzierung blickt auf eine über 130-jährige Geschichte zurück und kann damit als eines der „fundamentalsten Prinzipien der Bilanzierung in Deutschland“[1] angesehen werden, da es sowohl das Handelsbilanzrecht als auch das Steuerrecht im Laufe der Jahre wesentlich geprägt hat.
Seit ihrer erstmaligen Verankerung im Jahre 1874 gehört die Maßgeblichkeit aber auch zu den wohl umstrittensten Grundsätzen des Bilanzrechtes.[2]
Vor dem Hintergrund von Internationalisierungsbestrebungen im Allgemeinen und der Globalisierung der Märkte sowie der Internationalisierung der Rechnungslegung im Besonderen, steht der Maßgeblichkeitsgrundsatz vor allem seit einigen Jahren vor großen Herausforderungen und im Zentrum von Diskussionen bzw. Kritik.[3]
Besonders partielle Nachbesserungen haben im Laufe der Zeit „die Konturen der Anbindungsidee zunehmend verschwimmen“[4] und das Maßgeblichkeitsprinzip zum gekünstelten Gebilde entwickeln lassen.
Eine Aufgabe dieser Arbeit wird es daher sein, neben der Definition und Erklärung des Begriffes „Maßgeblichkeitsprinzip“ de lege lata[5], also gemäß der aktuellen deutschen Gesetzesregeln (BilMoG), diesen Grundsatz auch in den Kontext der Rechnungslegung der Staatengemeinschaft und den Kontext von Internationalisierungsbestrebungen zu setzen (siehe Kap. 2).
Im 3. Kapitel wird als zentraler Punkt der konzeptionellen Analyse auf die Konvergenz und Divergenz von Handels- und Steuerbilanz eingegangen und das Für und Wider einer Verknüpfung der Handels- mit der Steuerbilanz erörtert.
Diese Thesen sind Grundlage für Kapitel 4, in dem Möglichkeiten für eine Zukunft des Maßgeblichkeitsprinzips (de lege ferenda) diskutiert werden.
Rechnungslegung und Ertragsbesteuerung machen es notwendig, gemeinsame wirtschaftliche Sachverhalte zu bewerten. Da das Einkommenssteuerrecht nur einige wenige Vorschriften zur Bilanzierung und Bewertung enthält, ist die Grundlage für die Steuerbilanz grundsätzlich erst einmal die Handelsbilanz, jedoch unter Beachtung der vorgeschriebenen steuerlichen Anpassungen (§60 Abs. 2 S. 1 EStDV)..[6]
Dieser Grundsatz, nämlich die rechtliche Bindung der Steuerbilanz an die handelsrechtlichen GoB[7], wird in der Literatur auch als sog. „materielle“ Maßgeblichkeit beschrieben.[8] [9] Dies bedeutet, dass sich der steuerrechtliche Jahresabschluss an der laufenden Buchführung sowie an Ansatz- und Bewertungsvorschriften (Bilanzierung dem Grunde nach und Bilanzierung der Höhe nach)[10] der Handelsbilanz orientiert und diese übernimmt, soweit nicht steuerrechtliche Vorbehalte greifen („lex specialis vor lex legis“).[11]
Zu einer Zeit, als im Deutschen Reich die Einkommenssteuern als Landessteuern erhoben wurden, wurde im Dezember 1874 das Maßgeblichkeitsprinzip in zwei Ländern (Bremen und Königreich Sachsen) zum ersten Mal eingeführt. Weitere Länder übernahmen diese Regelung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, als schließlich mit §33 Abs.2 (Reichs-)EStG[12] vom 29.3.1920 diese Grundsätze auf das gesamte Reichsgebiet ausgedehnt wurden.
Mit dem EStG von 1925 wurden vom Gesetzgeber erstmalig die GoB[13] einbezogen. Die Maßgeblichkeit wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder angepasst und vor allem weiterhin eingeschränkt. Diese Einschränkung gipfelte im BilMoG mit dem Wegfall der umgekehrten Maßgeblichkeit.[14] Diese Gesetzesänderung, genauso wie die Betonung der IFRS für Konzernabschlüsse, heizt die Diskussion, ob das Prinzip der Maßgeblichkeit vor allem vor den internationalen Bestrebungen noch „zeitgemäß ist“, erneut an.
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Beispiel für die Länder, deren Rechtstradition auf dem kodifizierten römischen Recht beruht. Dies bedeutet, dass die Gesetzgebung die vorherrschende Quelle für die wesentlichen Rechtsgebiete ist.
Länder, wie z.B. USA und Großbritannien, leiten hingegen essentielle Teile ihrer Rechtsordnung vom „Common Law“ ab, welches kein Gesetzesrecht anwendet, sondern Gesetze aus der „Spruchpraxis“ von Gerichten ableitet (Case Law). Dieser Sachverhalt hat bereits einen grundlegenden Einfluss auf die Grundkonzepte der Rechnungslegung in den verschiedenen Staaten, da diese „in das Rechts- und Wirtschaftssystem des betreffenden Landes eingebettet“ sind und auf unterschiedlichen Rahmenbedingungen in „historischer, sozialer, kultureller, ökonomischer und politischer Hinsicht“[15] basieren.
Die Maßgeblichkeit wird häufig als eine „Eigentümlichkeit deutscher Rechnungslegung“[16] bezeichnet. Abbildung 1 zeigt, dass auch andere europäische Staaten sich der Maßgeblichkeit bedienen bzw. auf welche Weise Staaten in Europa mit Maßgeblichkeit umgehen. Hier sieht man, dass vor allem die kontinentaleuropäischen Staaten vermehrt an einer Maßgeblichkeit festhalten, obwohl mit der Einführung von IFRS und den Harmonisierungsbestrebungen der Rechnungslegungssysteme häufig Stimmen laut werden, die eine Anlehnung an das anglo-amerikanische System bevorzugen, mit der Begründung, dass dieses System in Europa eine Vorreiterrolle innehabe.[17] Abbildung 1 zeigt graphisch, dass quantitativ (auf die Anzahl der Staaten bezogen), diese Vorreiterrolle in Europa nicht eindeutig gegeben ist.
Vor dem Hintergrund der Internationalisierung der Rechnungslegungssysteme fällt eine Harmonisierung nicht nur auf Grund der Tatsache schwer, dass es Staaten mit bzw. ohne Maßgeblichkeitsprinzip gibt, sondern auch auf Grund der Diversität der Maßgeblichkeitsgrundsätze, also wie Maßgeblichkeit verstanden, definiert und „gelebt“ wird. Diese Diversität ist in Abbildung 2 beispielhaft dargestellt.[18]
In der Praxis entscheiden sich Unternehmen häufig, auf Grund einer Vielzahl von Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz, zwei gesonderte Bilanzen zu erstellen, anstatt auf eine sog. „Einheitsbilanz“ zurückzugreifen.[19] Abbildung 3 zeigt ausgewählte Themenbereiche, die eine Konvergenz oder Divergenz der beiden Bilanzierungsarten zur Folge haben.
Wenn auch beide Rechenwerke das wirtschaftliche Ergebnis eines Unternehmens festzustellen haben, verfolgen Sie dennoch verschiedene Zwecke. Die Handelsbilanz hat im Wesentlichen eine Informations-, Dokumentations- und Ausschüttungsfunktion,[20] d.h. der Adressatenkreis bzw. die Stakeholder dieser externen Rechnungslegung sind sowohl Anteilseigner und potentielle Investoren als auch Gläubiger. Das Steuerrecht hingegen hat die Gleichmäßigkeit der Besteuerung aller Steuerpflichtigen zum Ziel und soll für den Fiskus eine „justiziable steuerrechtliche Bemessungsgrundlage“[21] schaffen sowie die Möglichkeit des Missbrauchs der Steuervermeidung bzw. Steuerhinterziehung verringern.[22]
Pyraveau/Descottes-Genon beschreiben die Unterschiede wie folgt:
„...tax law seeks to ensure that the accounts are not too pessimistic, and company law that they are not too optimistic.”[23]
Die Aufgabe der Handelsbilanz ist es also, neben dem Gläubigerschutz, einen vorsichtigen Gewinn zu ermitteln (Vorsichtsprinzip), um die Lage der Gesellschaft aufzuzeigen; die Aufgabe der Steuerbilanz ist es, einen periodengerechten Gewinn zu ermitteln, der „den Grundsätzen der gleichmäßigen Besteuerung und der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit gerecht wird“.[24] (Zu den divergierenden Zielen siehe Abbildung 4).
Dem steht entgegen, dass sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich der entnahmefähige Gewinn zu ermitteln ist,[25] dass der Fiskus eine „Inkorporierung des Vorsichtsprinzips in die Besteuerung befürwortet“[26] und dass der Gesetzgeber, „soweit Inkompatibilität zwischen Handels- und Steuerbilanz besteht“,[27] die Maßgeblichkeit durchbrechen kann, indem steuerliche Sonderregelungen geschaffen werden (siehe Tabelle 1).
Ein weiteres Argument für die Maßgeblichkeit ist die Einheit der Rechtsordnung, die eine Vereinfachung des Rechtssystems, eine Erleichterung der Rechtsanwendung und eine erhöhte Rechtssicherheit zum Ziel hat.[28]
Die Divergenz der Zwecke der beiden Bilanzen[29] kann jedoch, vor allem gemäß Kritikern aus den anglo-amerikanischen Ländern[30], keine Einheit der Rechtsordnung nach sich ziehen.
Als weiterer Kritikpunkt wird genannt, dass die Handels- und die Steuerbilanz verschiedenen Rechtsgebieten angehören, die Handelsbilanz nämlich dem Zivilrecht, die Steuerbilanz dem öffentlichen Recht.[31]
Betrachtet man die historische Entwicklung, „beruhte der Maßgeblichkeitsgrundsatz anfänglich weder auf bilanztheoretischen Überlegungen noch auf irgendwelchen Ansichten zur Einheit der Rechtsordnung“[32], sondern entstand, um das Besteuerungsverfahren der Kaufleute zu vereinfachen. Durch den Verweis auf das Handelsrecht war die Verfassung eigenständiger steuerlicher Normen unnötig. Bis zur Einführung des BilMoG wurde bei vielen Unternehmen[33] eine Einheitsbilanz erstellt und diese Art der „Rechtsvereinfachung“[34] gelebt. Die enge Verzahnung der beiden Rechenwerke in praxi bedeutet vor allem für kleine und mittlere Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Erleichterung.[35]
Als Gegenargument sei genannt, dass mit den heutigen technischen Möglichkeiten im EDV-Bereich die ursprünglich geplante „händische“ Arbeitserleichterung durch die Einheitsbilanz (Praktikabilitätserwägung) nicht mehr die Wichtigkeit wie in der Vergangenheit hat. Außerdem erleichtern die Durchbrechungen des Maßgeblichkeitsprinzips die Arbeit nicht.
Als erstes Argument wird häufig der Schutz des Unternehmens gegen ein „Übermaß an Besteuerung“[36] bzw. der Schutz des Unternehmens vor einem „willkürlichen“ Fiskus genannt, der auf Grund der Bezugnahme der Steuerbilanz auf die GoB innerhalb eines vorgegebenen Rahmens keine neuen Normen erlassen bzw. alte Normen verändern kann und nicht uneingeschränkt auf Grund von „haushalts-, regional- oder sozialpolitischen Zielen, [...]:“unsystematische, kasuistische oder überbordende Gewinnermittlungsvorschriften“[37] erlassen kann.[38] Dem kann entgegengesetzt werden, dass mit der Durchbrechung der Maßgeblichkeit auch eigenstän-dige steuerliche Normen bestehen, die natürlich ohne „Rücksicht“ auf die Handelsbilanz von der Gesetzgebung angepasst werden können. Wetzel fügt hinzu, dass, wäre die Behauptung der steuerrechtlichen Schutzfunktion richtig, es seit dem Bestehen des Maßgeblichkeitsgedankens keine Steuererhöhung hätte geben dürfen.[39]
Ein weiteres Argument für die Maßgeblichkeit unter dem Gesichtspunkt der steuerrechtlichen Schutzfunktion ist die Zuverlässigkeit als Steuerbemessungsgrundlage sowie die Tatsache, dass der „Trade-Off der Interessen des Steuerpflichtigen bei der Handels- und Steuerbilanz zur maßvollen Anwendung von handelsbilanziellen Ermessensspielräumen führt“.[40] Vor allem Vorsichts- und Realisationsprinzip sind lt. Broer[41] präzise Maßstäbe für die Ausgestaltung der steuerlichen Gewinnermittlung.
Die derzeitige Auslegung bzw. Handhabung des Maßgeblichkeitsprinzips hat erhebliche Auswirkungen auf die Ermittlung des handels- bzw. steuerrechtlichen Gewinns, denn durch die Verknüpfung der Handels- mit der Steuerbilanz sind „potenzielle bilanzielle Interpendenzen“[42] zu betrachten.
Eine Folge könnte z.B. sein, dass die verwendete Bilanzpolitik als Ziel eine Steuerbarwertminimierung verfolgt und somit nur steuerliche Aspekte Beachtung finden. Die handelsrechtlichen Aspekte, wie z.B. die Informations- und Ausschüttungsbemessungsfunktion, bleiben unbeachtet. Aus dem Maßgeblichkeitsprinzip der Handelsbilanz für die Steuerbilanz könnte sich also eine indirekte Dominanz der Steuerbilanz ergeben.
Andererseits kann die Steuerbilanz auch durch die Handelsbilanz in der Weise dominiert werden, dass die Orientierung am Gläubigerschutz, also die Anwendung des Vorsichtsprinzips sich erfolgsmindernd auf die Steuerbilanz auswirken kann.
Eine Abschaffung der Maßgeblichkeit jedoch könnte, so wird vermutet, einen Bedeutungsverlust der Handelsbilanz nach sich ziehen, da ein Kaufmann eher dazu tendieren wird, sich an der Steuerbilanz zu orientieren.[43] Dem stehen die Erfahrungen in den Staaten entgegen, die keine Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz haben und wo die „Handelsbilanz [bisher auch] nicht in Bedeutungslosigkeit versinkt“.[44]
Das deutsche Bilanzrecht ist in der letzten Zeit verstärkt zahlreichen internationalen Harmonisierungseinflüssen ausgesetzt.[45] Vor allem die Verflechtungen der Märkte führen zu grenzüberschreitenden Kapitalmarkttransaktionen, was zu einem wachsenden Kapitalbedarf der Unternehmen führt. Um bestehenden sowie potentiellen Investoren die bestmöglichen Informationen über Unternehmen bereitzustellen sowie deren Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wird weltweit eine Harmonisierung der Rechnungslegung durch Angleichung der Rechnungslegungssysteme angestrebt.[46]
Mit der EU-Verordnung sowie der Modernisierungs- und der Fair Value-Richtlinie wurden erste europäische Vorgaben zur Angleichung an die IAS/IFRS erlassen.[47] Durch das BilMoG von 2009/2010 soll vor allem eine Verbesserung der Aussagekraft des HGB-Abschlusses bewirkt sowie die internationale Akzeptanz der nach den deutschen HGB-Regeln erstellten Abschlüsse erhöht werden.
Die deutschen Vorschriften werden zunehmend kritisiert, da diese wegen der Konzentration auf den Gläubigerschutz nur eine eingeschränkte Sicht auf die tatsächliche Ertragslage ermöglichen.[48] Überall da, wo es (noch) keine Harmonisierung der Rechnungslegungssysteme gibt, wird der Aussagewert des Jahresabschlusses im internationalen Vergleich beeinträchtigt.
Im Zusammenhang mit der Internationalisierung der Rechnungslegung und der weltweiten Akzeptanz bzw. der gesetzlichen Vorgabe der internationalen Systeme (IAS/IFRS, US-GAAP) stellt man sich in der einschlägigen Literatur vermehrt die Frage, ob das Maßgeblichkeitsprinzip die „Harmonisierung“ störe oder gar gefährde. Lüdenbach meint hierzu, dass das Maßgeblichkeitsprinzip auf Dauer wohl nicht mit IAS vereinbar wäre: „Wenn man mal die vielen Selbstverständlichkeiten bei Seite lässt […], bleibt nicht viel an Maßgeblichkeit, das wir mit IAS verlieren würden.“[49]
Im rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum werden diverse Ausgestaltungsansätze zum derzeitigen Rechtszustand diskutiert und quantitativ bewertet. Abbildung 5 zeigt eine Übersicht über Gestaltungsmöglichkeiten zur Steuerbemessungsgrundlage. Hieraus ergeben sich drei Möglichkeiten, die Beziehung der Handels- mit der Steuerbilanz zu regeln: durch eine Einheitsbilanz als stärkste Form der Maßgeblichkeit, durch eine strikte Trennung beider Bilanzen mit getrennten Rechnungslegungsvorschriften (keine Maßgeblichkeit) sowie durch eine Kombination der beiden Möglichkeiten, wie sie bei uns momentan gültig ist.
Die Einheitsbilanz hat vor allem für Kleinunternehmer einen Vorteil, da die Verpflichtung zur Erstellung von zwei vollständigen Rechenwerken für kleine Unternehmen als unverhältnismäßig angesehen wird.[50] Wegen der inkongruenten Bilanzziele und -zwecke konnte sich eine 100%ige Einheitsbilanz für alle Unternehmensgrößen jedoch bisher nicht durchsetzen.[51]
Um eine Trennung der beiden Bilanzen umzusetzen, gibt es mehrere Möglichkeiten:
Erstens, die steuerliche Ablehnung von Internationalisierungstendenzen und damit verbunden eine „Etablierung eines gesonderten steuerlichen Gewinnermittlungsrechts“.[52] In den USA z.B. wird statt eines Maßgeblichkeitsprinzips zwischen der Handels- und Steuerbilanz ein mehr „kostenorientiertes“, also ein Cash-Flow-orientiertes Rechnungswesen verwendet, welches durch die teilweise Harmonisierung von internem und externem Rechnungswesen vor allem bei Großunternehmen vereinfachend wirken kann.[53] Außerdem stünde eine Abschaffung der Kostenrechnung nicht zur Debatte und somit ginge die Grundlage für die steuerliche Bemessung nicht verloren.[54] Als Grundlage für die Besteuerung könnte die Cash-Flow-orienterierte Rechnung jedoch nur dann dienen, wenn aus ihr Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens ableitbar wären. Dies würde bedeuten, dass z.B. Umschichtungen aus dem Eigen- und Fremdkapitalbereich sowie aus der Investitionstätigkeit zu eliminieren wären.[55]
Schanz nennt als weitere Möglichkeit ein „Nebeneinander von Betriebsvermögens-vergleich und einer modifizierten Einnahmen-Überschuss-Rechnung“.[56] Die Einnahmen-Überschuss Rechnung stützt sich auf steuerrelevante Beträge nach dem sog. Zu- bzw. Abflußprinzip. Die Gewinnermittlung ist buchungstechnisch einfach, außerdem würde ein Wegfall der Prüfungshandlungen bei z.B. der Werthaltigkeit von Forderungen, bei nicht vollwertigen Warenbeständen, bei halbfertigen Arbeiten und bei Rückstellungen vereinfachend wirken.
Als Nachteil für etwaige Trennungen der Bilanzen ergäben sich jedoch grundsätzlich lt. Kritikern eine potentielle Unsystematik sowie eine Verkomplizierung des Steuerrechts. Die Beispiele USA und UK zeigen dies bereits durch die dort „vorherrschenden kasuistischen und weitgehend unsystematischen Regelungen“.[57]
Eine zweite Möglichkeit wäre die Übernahme einer Internationalen Rechnungslegung für die steuerliche Gewinnermittlung, bei der das Maßgeblichkeitsprinzip nicht mehr in der bisherigen Ausprägung bestünde, sondern eine neue Form finden müsste. Als problematisch für eine Maßgeblichkeit der US-Gaap oder der IFRS für die Steuerbilanz wird angemerkt, dass sich die Bilanzzwecke der beiden Regelwerke nicht vereinbaren lassen und dass verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, von einer privatrechtlichen Organisation bzw. einer ausländischen Institution aufgestellte Regelungen als Basis für die Besteuerung zu verwenden.[58] Die Zulassung verstieße zudem gegen verfassungsrechtliche Grundsätze (Gleichheit, Rechtssicherheit der Besteuerung).[59] Auch die Wahrung des Realisationsprinzips und das Festhalten am Imparitätsprinzip, das ausschließlich „zukünftige, konkretisierte Verluste antizipiert“,[60] spräche nicht für eine Maßgeblichkeit mit den IFRS.[61] Da nationale Systeme zu unterschiedlich sind, bleibt abzuwarten, ob es eine gemeinsame europäische Lösung geben wird.[62]
Momentan verfahren wir in Deutschland nach einer Kombination von Maßgeblichkeit mit dem HGB und Durchbrechung der Maßgeblichkeit.
Die Zahl der Durchbrechungen der Maßgeblichkeit durch zwingende, vom Handelsrecht abweichende steuerliche Regelungen nimmt zu. In der Praxis gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen, ob und inwieweit das BilMoG zu einer Annäherung der Handelsbilanz an die Steuerbilanz geführt hat und damit Einfluss auf die Bedeutung der beiden Bilanzen hatte bzw. hat.[63] Dem sei entgegenzusetzen, dass es sehr wohl Annäherungen der beiden Bilanzen durch BilMoG gibt, wie z.B. im Bereich Aufwendungen für Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes, entgeltlich erworbener Firmenwert oder Wertaufholung.
Fraglich ist jedoch, ob die Maßgeblichkeit eine Angleichung der beiden Rechenwerke zu verantworten hat oder ob diese nicht durch die „Implementierung der gleichen oder ähnlicher Einzelregelungen im Handels- und Steuergesetz“[64] entstanden sind.
Die Kritik am Maßgeblichkeitsprinzip bzw. die Aussage, dass der Maßgeblichkeits-grundsatz „gefährdet“ ist, ist nicht neu.
Bereits in den 1930er Jahren gab es rechtliche Bedenken gegen den Grundsatz, in den 1970er Jahren wurden sogar Stimmen laut, die meinten, „der Maßgeblichkeits-grundsatz sei in so gravierenden Punkten unterbrochen, dass es zweckmäßig erscheine, diesen Grundsatz entweder ganz aufzugeben oder sogar umzukehren“[65], bevor der Maßgeblichkeitsgedanke Ende der 1980er Jahre wieder erstarkte.
[...]
[1] Waldhäusl, 2008, S. 5, vgl. auch Drescher, 2002, S. 1, Schmidt, 1994, S. 2, S. 99 und Haller, 1992b, S. 46, die den Maßgeblichkeitsgrundsatz analog als einen zentralen Eckpfeiler oder Stützpfeiler des deutschen Bilanzrechts bzw. als eines der beherrschenden Prinzipien der Bilanzierung in Deutschland bezeichnen.
[2] vgl. Haller, 1992b, S. 46, vgl. Schmidt, 1994, S. 1.
[3] vgl. Fricke, 2001, S. 2, vgl. Pannen, 2000, S. 1, vgl. Haller, 1992a, S. 311.
[4] Schmidt, 1994, S. 99.
[5] Durch die seit Bestehen der Maßgeblichkeit wiederkehrenden Änderungen bei Bilanzansatz und -bewertung war es wichtig, bei Literatur aktuelle Informationen zu verwenden, bzw. bei älterer Literatur zu entscheiden, welche Thesen, Argumente und Beispiele heute noch aktuell sind bzw. trotz der Weiterentwicklung des Themas und neuer rechtlicher Regelungen gültig bleiben.
[6] Gemäß §5 Abs. 1 EStG gilt: „Bei Gewerbetreibenden, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, ist für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen (§4 Abs. 1 Satz 1), das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung auszuweisen ist.“ (vgl. auch Bundesministerium der Finanzen, 2010, S. 2).
[7] = Handelsbräuche, Gewohnheitsrecht sowie Verkehrsanschauungen.
[8] vgl. Schanz, 2009, S. L7, vgl. Alsheimer, 1993, S. 170f, vgl. Haeger, 1989, S. 11, vgl. Prinz, 2009, S. 3, vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 2010, S. 1, vgl. Schmidt, 1994, S. 48.
[9] Mit dem BilMoG wurde mit der Streichung des bisher geltenden § 5 Abs. 1 S. 2 EStG die zweite Art der Maßgeblichkeit, die „formelle“ und damit auch die „umgekehrte“ Maßgeblichkeit, also die Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Handelsbilanz abgeschafft.
[10] In der Vergangenheit gab es Unklarheit über die Bindungsbreite des Maßgeblichkeitsprinzips, ob dieses lediglich auf den Bilanzinhalt oder aber auch auf die Bewertung bzw. den Ansatz anwendbar sei. Heute ist man sich einig, dass ein „breiter und tiefer Verpflichtungsumfang“ zugrunde gelegt wird. (Schmidt, 1994, S. 46), vgl. Eichinger, 1993, S.20, S. 31, vgl. Haller, 1992b, S. 46.
[11] vgl. Technische Universität Dresden, S. 4, vgl. Pfahl, 1999, S. 206.
[12] vgl. RGBl, 1920, S. 359ff in Arbeitskreis „Steuern und Revision“, 2004, S. 3.
[13] Was dabei zu den GoB gehört, war damals wie heute nur „bruchstückhaft kodifiziert“, also nicht eindeutig festgelegt (Arbeitskreis „Steuern und Revision“, 2004, S. 4).
[14] Siehe auch Fußnote 9.
[15] Eberhartinger, 2000, S. 9.
[16] Schmidt, 1994, S. 1, vgl. auch Haller, 1992b, S. 46, der darauf hinweist, dass, obwohl es Maßgeblichkeit auch in anderen Ländern gibt, diese in ihrer Intensität, ihrer Rolle und der generellen Interdependenz zwischen Handels- und Steuerrecht ein „Spezifikum der deutschen Rechnungslegung“ darstellt.
[17] vgl. Drescher, 2002, S. 27ff, S. 32, vgl. Pannen, 2000, S. 1, vgl. Eberhartinger, 2000, S. 1.
[18] Die Klassifizierung der Länder mit und ohne Maßgeblichkeit ist nicht immer eindeutig vorzunehmen und weicht in der Literatur oftmals voneinander ab (vgl. Schanz, 2009, S. L19).
[19] Dies ist vor allem seit BilMoG so (vgl. Freidank, 2010, S. 5), da mit der Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit auch die formelle Maßgeblichkeit, die faktisch zu einer Einheitsbilanz führte, wegfiel. Die materielle Maßgeblichkeit erlaubt die Erstellung einer Einheitsbilanz, zwingt aber nicht dazu. Handels- und Steuerbilanz können getrennt optimiert werden, insoweit die Abweichungen durch latente Steuern festgehalten werden (vgl. Eichinger, 1993, S. 222).
[20] vgl. Pannen, 2000, S. 82, der die Funktionen genauer beschreibt (z.B. Ermittlung einer Ausschüttungssperre, Sicherung einer Mindestausschüttung, Informationsvermittlung über Ausschüttungserwartungen, Schuldendeckungsfähigkeit). Wetzel (1984, S. 161) merkt hier an, dass die Rechnungslegungszwecke aus betriebswirtschaftlicher Sicht korrekt sind, sich jedoch aus dem HGB so nicht direkt entnehmen lassen.
[21] Schanz, 2009, S. L5, vgl. auch Wagner, 1982, S. 749ff.
[22] Eberhartinger, 2000, S. 169, vgl. Schanz, 2009, S. L4, vgl. Drescher, 2002, S. 48, vgl. Pannen, 2000, S. 138, vgl. Pfahl, 1999, S. 200ff.
[23] Pyraveau/Descottes-Genon, zitiert in Scheid/Walton, 1992, S. 86 sowie in Eberhartinger, 2000, S. 169.
[24] vgl. Eberhartinger, 2000, S. 221, vgl. Eichinger, 1993, S. 32.
[25] lt. Eberhartinger, 2000, S. 221 kann argumentiert werden, dass die Handelsbilanz für Kapitalgesellschaften mit ihrer Ausschüttungsbemessungsgrundlage auch eine Zahlungsbemessungsfunktion hat. Der Fiskus wird hier als „stiller Teilhaber“ gesehen, welcher „den Gesellschaftern gleichgestellt ist, da auch er auf Steuerzahlungen verzichtet, wenn der Gesellschafter auf Ausschüttungen verzichten muß.“, vgl. auch Drescher, 2002, S. 78.
[26] Eberhartinger, 2000, S. 222.
[27] Eberhartinger, 2000, S. 222.
[28] vgl. Gassner, 1998, S.355 (die für die österreichische Maßgeblichkeit genannten Punkte sind ebenso auf das analoge Maßgeblichkeitsprinzip in Deutschland anzuwenden).
[29] siehe Kap. 3.1.
[30] vgl. Eberhartinger, 2000, S. 224.
[31] vgl. Wetzel, 1984, S. 158.
[32] Eichinger, 1993, S. 40.
[33] Haller 1992b, S. 49 spricht von 90% der bilanzierenden Unternehmen, Eichinger, 1993, S. 40 spricht von 95% (Zahlenbasis:1980er und 1990er Jahre).
[34] Freidank, 2010, S.14.
[35] vgl. Broer, 2001, S. 388.
[36] Drescher, 2002, S. 76.
[37] Eberhartinger, 2000, S. 225.
[38] vgl. Drescher, 2002, S. 79, vgl. Broer, 2001, S. 390, vgl. Wetzel, 1984, S. 169.
[39] vgl. Wetzel, 1984, S. 176.
[40] vgl. Freidank, 2010, S. 14.
[41] vgl. Broer, 2001, S. 391.
[42] Eichinger, 1993, S. 33.
[43] vgl. Wetzel, 1984, S. 170.
[44] Eberhartinger, 2000, S. 229.
[45] Gassner sieht diese Tendenzen eher im Bereich der Konzernrechnungslegung und nicht für den Einzelabschluss (vgl. Gassner, 1998, S. 356). Die Mehrheit der Wissenschaftler und Praktiker geht aber von Internationalisierungsbestrebungen für alle Bereiche aus. (vgl. Eberhartinger, 2000, S. 255).
[46] vgl. Pottgießer, 2006, S. 11.
[47] vgl. Pottgießer, 2006, S.1, S. 83.
[48] vgl. Drescher, 2002, S.2, S. 32: Durch steuerlich begründete Unterbewertungen wird das durch das Vorsichtsprinzip bereits „pessimistischere“ Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in der Handelsbilanz noch verstärkt.
[49] vgl. Reiche, 2010, S. 2, vgl. hierzu auch Arbeitskreis „Steuern und Revision“, 2004, S. 3: ...“kann mittelfristig von einer generellen Übernahme der IAS für alle Unternehmen ausgegangen werden. Mit einem Wegfall des HGB-Abschlusses verliert das Steuerrecht aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes jedoch die heute geltende Basis der Ermittlung einer Steuerbemessungsgrundlage.“
[50] vgl. Broer, 2001, S. 389.
[51] Trotz gesetzlicher Vorgabe durch das §74 DM-Bilanzgesetz von 1949 blieb es nicht bei der Einheitsbilanz (vgl. Wetzel, 1984, S. 164).
[52] Eberhartinger, 2000, S. 251.
[53] vgl. auch ehemalige sog. Cash-Flow-Steuer in Kroatien (vgl. Arbeitskreis Steuern und Revision, 2002, S. 24).
[54] vgl. Broer, 2001,S. 389.
[55] vgl. Arbeitskreis Steuern und Revision, 2004, S. 25.
[56] Schanz, 2009, S. L18.
[57] Eberhartinger, 2000, S. 461, vgl. auch Drescher, 2002, S. 391: „Im Ergebnis sind Befürchtungen, dass die Abschaffung der Maßgeblichkeit eine weitgehende Prinzipienlosigkeit des Steuerrechts nach sich ziehen würde, prima facie nicht völlig von der Hand zu weisen – und in Anbetracht der „Chaotisierung“ des Steuerrechts auch ernst zu nehmen.“
[58] vgl. Schanz, 2009, S. L18, vgl. Herzig, 2000, S. 113, vgl. Eberhartinger, 2000, S. 461: Dies würde einem Verlust der Steuersouveränität gleichkommen; Der Arbeitskreis Steuern und Revision (2004, S. 21) hingegen sähe in der Maßgeblichkeit von IAS/IFRS für die Steuerbilanz sogar den Vorteil, dass Durchbrechungen verringert würden.
[59] vgl. Herzig, 2000, S. 115.
[60] Arbeitskreis Steuern und Revision, 2004, S. 30, vgl. Herzig, 2000, S. 113.
[61] Lt. Lühr sieht das IASB hier auch nicht seine Aufgabe (vgl. Lühr, 2010, S. 344).
[62] Sowohl Lühr, 2010, S. 33 als auch Schanz, 2009, S. L17 sehen die Möglichkeit einer europäischen Lösung, erklären jedoch nicht im Einzelnen, wie diese aussehen könnte.
[63] Schanz (2009, S. L17) merkt an, dass die Maßgeblichkeit nicht zuletzt durch das BilMoG zunehmend in Frage gestellt wird. Bei Konz (2010, S. 1) ist zu lesen: Mit der Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit ändert sich auch die Gewichtung des Maßgeblichkeitsprinzips. Durch BilMoG ist der Maßgeblichkeitsgrundsatz weiter durchbrochen worden und die steuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorbehalte nehmen damit zu.
[64] Schanz, 2009, S. L17.
[65] Wetzel, 1984, S. 60, vgl. auch Schmidt, 1994, S. 1.