Das Seminarskript umfasst in mehreren Abschnitten theoretische Hintergründe und praktische Umsetzung der Konzepte des Sokratischen Gesprächs und Byron Katie's Konzept von The Work an Hand von Beispielen, die leicht auf andere Fälle und Situationen übertragbar sind. Den Therapeuten wird ein Leitfaden an die Hand gegeben, der ihnen jedoch die Freiheit lässt, nach ihren Wünschen, Vorstellungen und persönlichen Vörzügen zu variieren.
Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Kurze Erläuterung des theoretischen Hintergrunds
Teil 2: Manual zur Durchführung mit praktischen Hinweisen
Teil 3: Zum Vergleich: Manual nach Byron Katie
Teil 4: Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): einige Fakten zur Psychoedukation
Teil 5: Sokratisches Gespräch mit Kindern oder Jugendlichen mit Angst vor Leistungsnachweisen
Teil 1: Kurze Erläuterung des theoretischen Hintergrunds
Die Sokratische Gesprächsführung dient in der Philosophie vor allen Dingen der Gewinnung von Einsichten. Durch den Gedankenaustausch mit den Gesprächsteilnehmern sollen neue Perspektiven kennengelernt und die eigene Sicht im Sinne einer ganzheitlichen und umfassenden Sicht der Wahrheit und Wirklichkeit entwickelt werden. Die Einsichten sollen aus dem Menschen selbst, also von innen heraus und nicht durch Lehren und Dozieren von außen her gefördert werden.
Die gemeinsamen Kennzeichen von Elementen der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) und der Systemischen Theorie sind hier bereits klar erkennbar.
Im Verlauf eines Sokratischen Gesprächs werden die eigenen Gedanken denen der Gesprächspartner gegenüber gestellt, verglichen, auf ihre Richtigkeit hin überprüft, gegebenenfalls modifiziert, korrigiert oder als unzutreffend aufgegeben. Vorausgesetzt wird in jedem Fall die Auffassung, dass jegliche Form von Wahrheit und jegliche Erkenntnis nur vorläufig sein kann. Endgültige und unumstößliche Wahrheiten gibt es nicht, da schon im Verlauf des Gesprächs andere Menschen neue Kenntnisse und Erkenntnisse gewonnen haben können, die die gerade besprochenen Dinge in einem neuen Licht erscheinen lassen werden.
Was das Persönliche des einzelnen Gesprächspartners betrifft, so werden Reflexion, Kritik, Modifikation und Korrektur des persönlichen Standpunktes und der persönlichen Überzeugungen einen kognitiven, mentalen und sozialen Prozess auslösen und zu einer Selbstreflexion, Selbstkritik, Selbstmodifikation und Selbstkorrektur führen, und dies ganz im Sinne einer systemischen Betrachtungsweise. Also, dass ein Impuls von außen da innere System in Bewegung, in Schwingung versetzt und zu einem neuen vorübergehenden Gleichgewicht führt.
Während im Sokratischen Gespräch in seiner reinen Form mehrere Teilnehmer zusammen sitzen und sich um die Klärung von offenen Fragen wie 'Was ist Freiheit?', aber auch um geschlossene Fragen wie 'Ist alles Private auch politisch?', die mit 'ja' oder 'nein' zu beantworten sind, bemühen, geht es im therapeutischen Rahmen um Fragen von Grundüberzeugungen und Glaubenssätze sowie Selbstkonzepte des Klienten.
Hier kommt dem Therapeuten eine besondere Verantwortung zu und er kann nur im eingeschränkten Rahmen mit dem Klienten auf Augenhöhe kommunizieren. Der Therapeut führt und lenkt das Gespräch, um letztlich ein Ziel zu erreichen, das er vorher selbst nicht definieren darf. Das Ziel ist, dem Klienten zu eigenen Einsichten zu verhelfen, Einsichten, die in ihm bereits vorhanden sind, die letztendlich nur ans Licht, zur Welt gebracht werden sollen.
Diese Art der Gesprächsführung wird, da sie quasi wie eine Geburtshilfe fungiert, auch Maieutik (=Hebammenkunst) genannt.
Es gibt 4 Grundelemente, die die sokratische Gesprächsführung kennzeichnen.
- Zunächst geht es um das Selber-Denken, statt des Suchens nach neuen Kenntnissen. Der Prozess der Erkenntnisgewinnung steht vor dem Erwerb neuen Wissens.'
Ins Therapeutische lässt sich das nicht unbedingt Eins zu Eins übertragen. Vor der Durchführung der Therapie steht die Psychoedukation, eine Phase, in der der Klient darüber aufgeklärt wird, was die einzelnen Therapieschritte beinhalten und was sie bewirken sollen. Hier wird der Klient ernst genommen, denn letztlich ist es seine Entscheidung, ob und in welcher Form und in welchem Umfang er zur Mitarbeit bereit ist. Insofern entspricht es doch wiederum der Forderung des sokratischen Gesprächs, dem Gesprächspartner (hier dem Klienten) auf Augenhöhe zu begegnen. Zu dem Erkenntnisgewinn soll als therapeutisches Ziel aber auch der Einsichtsgewinn des Klienten von mindestens gleicher Bedeutung sein. Erkenntnisse bleiben von potentieller Wirkung, Einsichten dagegen wirken real und praktisch.
- Im zweiten Punkt geht es um das Miteinander statt das Gegeneinander.
In einem Streitgespräch oder einer Diskussion geht es zwar auch um die Gegenüberstellung von Aussagen, Meinungen und Standpunkten. Dies dient aber eher dazu, andere von seiner eigenen Meinung zu überzeugen. In der sokratischen Gesprächsführung steht das Miteinander-Denken dem kontrastiven oder gar betont kontroversen Denken und Sprechen der Diskussion oder des Disputs im Vordergrund. Ziel ist es, andere Gesichtspunkte und Sichtweisen einzubringen, um gemeinsam ein Gesamtbild zu erarbeiten. In diesem Sinne beruht ein sokratisches Gespräch stets auf einer konstruktiven Basis. Dem Diskurspartner soll Verständnis und Wohlwollen entgegengebracht werden, ein Punkt, dem der Aspekt der Empathie im therapeutischen Gespräch entspricht.
- Auch was den Gesprächsgegenstand betrifft, gibt es eine Übereinstimmung zwischen sokratischem Gespräch und dem therapeutischen Gespräch.
Es geht um den Vorrang des Konkreten vor dem Abstrakten. Der Klient hat einen Anspruch darauf, dass sein Anliegen für wahr und konkret genommen wird und weder der Therapeut und auf keinen Fall der Klient sich ins Allgemeine flüchten.
- In engem Zusammenhang mit 'konkret-statt-abstrakt' steht auch die Forderung nach dem Vorrang der Wahrheit vor dem Austausch von Meinungen.
Gerade im Rahmen einer lösungsorientierten Kurzzeittherapie muss der Schwerpunkt weniger auf der Spekulation nach den möglichen Ursachen eines Leidensdrucks gehen als um die Erarbeitung realistischer Lösungsstrategien, die dem Wesen, der Natur und den vorhandenen Ressourcen des Klienten entsprechen.
Ergänzend zu diesen 4 Charakteristika der sokratischen Gesprächsführung werden in der Quelle der Philosophisch-Politischen Akademie weiterhin fünf 'Kardinaltugenden' des sokratischen Diskurses genannt.
Auch hier lassen sich die genannten Kategorien schnell auf die Teilnehmer eines therapeutischen Gesprächs übertragen.
- Hier geht es um die Tugend der Freundlichkeit.
Auf Seiten des Therapeuten würde es sich um Authentizität, Empathie und Akzeptanz handeln, auf Seiten des Klienten um die Bereitschaft, eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung aufbauen zu wollen.
- Im zweiten geht es um die Argumentationsdisziplin.
Für den Therapeuten bedeutet dies, im Verlauf des Gesprächs oder der Therapie das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn der Grundsatz gilt, dass der Klient das Thema der Sitzung bestimmt. Am Anfang einer Therapie steht auch immer eine Zielvereinbarung, die es nicht aus den Augen zu verlieren gilt.
- Nun geht es um Geduld.
Gerade hier ist der Therapeut am stärksten gefordert. Insbesondere dann, wenn der Klient geneigt ist, dem Kern eines Problems auszuweichen, weil eine Konfrontation ihm noch nicht als erträglich scheint. Hier muss der Therapeut viel Geduld und Fingerspitzengefühl aufbringen, um letztlich doch zum Erfolg zu kommen und den Klienten von der Notwendigkeit des gemeinsamen Vorgehens zu überzeugen. Auch auf Seiten des Klienten ist Geduld dann erforderlich, wenn er einen zu schnellen Therapieerfolg erwartet oder gar einfordert. Insbesondere in Fällen des Therapeuten-Hopping dient der Therapeut nur allzu oft als verdeckter Gegner oder Feind, den es dadurch zu bezwingen gilt, indem man ihm seine Unfähigkeit vor Augen führt, was in Wirklichkeit aber lediglich die einseitige Verweigerungshaltung des Klienten darstellt.
- Auch hier geht es um eine Tugend, die sowohl den Therapeuten als auch den Klienten betrifft, die Fähigkeit zur Selbstkritik.
Beim Therapeuten handelt es sich im Wesentlichen zunächst um die professionelle Distanz dem Klienten gegenüber. Weder Zu- noch Abneigung sollen das therapeutische Handeln beeinflussen. Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und bekannt im Rahmen der Übertragung-Gegenübertragung Konstellation. Es geht beim Therapeuten hier aber eher um sein konkretes Handeln, seine Reflexion über sein Tun und Unterlassen im Rahmen einer Therapie. Die Reflexion und Selbstreflexion dient ihm zur weiteren Professionalisierung.
(In diesem Zusammenhang sei auf die Vorteile und die Notwendigkeit der Supervision und des regelmäßigen Besuchs einer Balint-Gruppe hingewiesen.)
Auf Seiten des Klienten ist die Fähigkeit zur Selbstkritik zunächst keine Voraussetzung einer erfolgreichen Teilnahme an einer Therapie. Im Gegenteil, meist ist der Klient in seinem Leiden und in seiner Problematik so gefangen, dass ein kritischer Blick auf sich selbst ihn zunächst überfordern würde. Zur Übernahme einer solchen Perspektive sollen ihn ja gerade die Therapie und der Therapeut verhelfen.
- Letztlich bleibt eine Tugend zu erwähnen, die in sehr engem Zusammenhang mit der vorangegangenen steht, die kritische Toleranz.
Da es in jeglicher Form eines psychotherapeutischen Miteinanders letzten Endes auch um Werte und Grundüberzeugungen geht, müssen beide Seiten, Therapeut und Klient, sich in kritischer aber empathischer Toleranz begegnen. Der Klient kann dem Therapeuten durchaus Grenzen aufzeigen, die dieser nicht überschreiten darf, auch wenn er zum Beispiel religiöse oder moralische Grundüberzeugungen des Klienten für falsch oder dysfunktional hält. Er muss sich damit abfinden und dem Klienten vermitteln, inwieweit ihn seine Haltung einschränkt, dass er aber lernen kann, damit umzugehen und zu leben. Gerade in der interkulturellen Interaktion in multikulturellen Gesellschaften ist dies ein wichtiger Aspekt auf beiden Seiten. Manchmal ist eben ein friedliches und tolerantes Nebeneinander besser als ein von Un- und Missverständnis geprägtes problemgeprägtes Miteinander.
[...]