Dieser Band umfasst zwei Studienprojekte, die während des Praxissemesters angefertigt wurden. Im erste Projekt wird untersucht, welchen Einfluss die Vorgehensweise bei der Korrektur von Übersetzungen auf die Bewertung einer Übersetzung hat. Das zweite Projekt geht von der Feststellung aus, dass das Fach Physik bei Mädchen das mit Abstand unbeliebteste Fach ist, was dazu führt, dass sie in Physik-Leistungskursen mit circa 10% deutlich unterrepräsentiert sind und sich noch seltener gar für ein Physikstudium entscheiden.
Das erste Projekt untersucht , welchen Einfluss die Vorgehensweise bei der Korrektur von Übersetzungen auf die Bewertung einer Übersetzung hat. Dabei soll das Verfahren der Positivkorrektur, so wie es 1976 von Wilhelm Biermann beschrieben wurde, mit dem der in NRW obligatorischen Negativkorrektur gemäß den Vorgaben der Kultusministerkonferenz verglichen werden, um folgenden Fragen nachzugehen: Führen die Korrekturverfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen und wenn ja, lassen sich diese durch die Art der begangenen Fehler begründen? Werden die Fehler-Typen also gleichwertig behandelt? Welche Auswirkungen hat der Schwierigkeitsgrad des Übersetzungstextes, d.h. gibt es Unterschiede zwischen Lehrbuch- und Originaltexten? Lässt sich Biermanns Ergebnis, dass die Bewertung mittels einer Positivkorrektur leicht besser ausfalle, bestätigen?
Für viele Mädchen ist das Fach Physik das mit Abstand unbeliebteste Fach, was dazu führt, dass sie in Physik-Leistungskursen mit ca. 10% deutlich unterrepräsentiert sind und sich noch seltener gar für ein Physikstudium entscheiden. Dennoch ist Physik bis zur Mittelstufe ein Pflichtfach, sodass die Frage nach den Ursachen für die „mädchenspezifische“ Abneigung gegenüber der Physik bereits seit Beginn der 80er Jahre genauer untersucht wird. Eine wesentliche Ursache wird darin gesehen, dass Mädchen sich vor allem in der Pubertät von der als „männlich“ angesehenen Physik abwenden. Ob sich dies auch in der Einstellung von Jungen und Mädchen gegenüber Schülerexperimenten widerspiegelt, soll im Rahmen des zweiten Forschugsprojekts geklärt werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Studienprojekt Latein: Das Bewerten von Übersetzungen mittels Positiv- und Negativkorrektur im Vergleich
I.1 Einleitung
I.2.Hauptteil
I.2.1 Die Korrekturverfahren
I.2.2 Vorgehensweise
I.2.3 Vergleich der Notenskalen
I.2.4 Auswertung der Klausuren
I.2.5 Ergebnis
I.3 Zusammenfassung
I.4 Literaturverzeichnis
II. Studienprojekt Physik: Unterschiedliche Einstellungen zum Experimentieren bei Jungen und Mädchen verschiedener Altersstufen
II.1 Einleitung
II.2 Einstellungen zum Experimentieren bei Jungen und Mädchen
II.2.1 Vorgehen bei der Datenerhebung
II.2.2 Auswertung
II.2.3 Ergebnisdiskussion
II.3 Zusammenfassung
II.4 Literaturverzeichnis
2.5 Anhang
I. Studienprojekt Latein: Das Bewerten von Übersetzungen mittels Positiv- und Negativkorrektur im Vergleich
I.1 Einleitung
In meinem Studienprojekt möchte ich untersuchen, welchen Einfluss die Vorgehensweise bei der Korrektur von Übersetzungen auf die Bewertung einer Übersetzung hat. Dabei soll das Verfahren der Positivkorrektur, so wie es 1976 von Wilhelm Biermann beschrieben wurde, mit dem der in NRW obligatorischen Negativkorrektur gemäß den Vorgaben der Kultusministerkonferenz verglichen werden, um folgenden Fragen nachzugehen: Führen die Korrekturverfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen und wenn ja, lassen sich diese durch die Art der begangenen Fehler begründen? Werden die Fehler-Typen also gleichwertig behandelt? Welche Auswirkungen hat der Schwierigkeitsgrad des Übersetzungstextes, d.h. gibt es Unterschiede zwischen Lehrbuch- und Originaltexten? Lässt sich Biermanns Ergebnis, dass die Bewertung mittels einer Positivkorrektur leicht besser ausfalle[1], bestätigen?
I.2.Hauptteil
I.2.1 Die Korrekturverfahren
a) Positivkorrektur
Das Verfahren einer Positivkorrektur beruht darauf, dass von einer zuvor festgelegten Maximalpunktzahl für Fehler Punkte abgezogen werden und anhand des Quotienten aus erreichten und erreichbaren Punkten die Note ermittelt wird. In dem von Biermann vorgestellten Verfahren entspricht die maximal erreichare Punktzahl der Wortanzahl des Übersetzungstextes, wobei der Schwierigkeitsgrad des Textes nicht berücksichtigt wird.[2] Anhand einer Matrix[3] werden die für Fehler abzuziehenden Punkte in Abhängigkeit von Fehlerart und Schwere bestimmt, wobei für besonders gelungene Formulierungen auch Zusatzpunkte vergeben werden können. Die Korrektur erfolgt satzweise, d.h. für einen Satz können maximal soviele Punkte abgezogen werden, wie der Satz Wörter enthält.[4]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Grenzwert für die Bewertung einer Übersetzung mit der Note 4 liegt bei zwei Dritteln, also 67% der erreichbaren Punkte. Nach der „Gauß’schen Normalverteilung“, die die Wahrscheinlichkeitsverteilung um einen Mittelwert beschreibt, wird der Punktebereich oberhalb der 67%-Grenze auf die vier Notenstufen aufgeteilt, wobei der Note 3 als Mittelwert der Notenskala der größte Bereich (35%), den Noten 2 und 4 je 25% und der Note 1 15% zukommen. Daraus ergibt sich für die Umrechnung des erreichten Punkte-Quotienten in Noten[5]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
b) Negativkorrektur
Bei der Negativkorrektur werden den SuS für Übersetzungsfehler Fehlerpunkte[6] angerechnet. Je nach Schwere des Fehlers wird unterschieden zwischen halben Fehlern (0,5 FP), ganzen Fehlern (1 FP) und Doppelfehlern (2 FP), die folgendermaßen vergeben werden[7]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ist ein Fehler nicht eindeutig einer Kategorie zuzuordnen, so ist der Grad der Sinnentstellung ausschlaggebend. Auch bei der Negativkorrektur gibt es eine Obergrenze für die Verteilung von FP: Sie liegt bei 1 FP pro Wort bzw. 2 FP je 5 Wörtern („Fehlernest“). Die Übersetzungsnote ergibt sich aus dem Fehlerquotienten, d.h aus den FP je 100 Wörtern Übersetzungstext:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dabei liegt der Grenzwert für die Note 4 in der Sek I (Lehrbuchphase) bei 12 FP und in der Sek II (Originallektüre) bei 10 FP, für die Note 6 bei 25 FB bzw. 20 FP. Die Noten 1-4 werden linear zugeordnet.[8]
I.2.2 Vorgehensweise
Um die Ergebnisse der beiden Verfahren genauer, z.B. auch bei Notengleichheit, miteinander vergleichen zu können, ist es sinnvoll, die Noten-Skalen, die den beiden Verfahren zu Grunde liegen, zunächst unabhängig von ihrer konkreten Anwendung zu betrachten. Im Anschluss daran werden jeweils acht Klassenarbeiten einer 6. Klasse, die sich also noch in der Lehrbuchphase befindet, und einer EF, die als Originallektüre Martial-Epigramme behandelt, nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, zunächst korrigiert und dann nach beiden Verfahren bewertet. Dabei wird für jede Arbeit nicht nur die Note, sondern auch die Häufigkeit der einzelnen Fehlerarten ermittelt, um eventuelle Zusammenhänge zwischen Endnote und Fehlerarten einer Arbeit herauszustellen.
I.2.3 Vergleich der Notenskalen
Eine Möglichkeit, die Zuordnung zwischen (Fehler-) Punkten und Notenstufen objektiv zu vergleichen besteht darin, besteht darin, die beiden Extremfälle „fehlerfreie Übersetzung“ und „maximale Fehlübersetzung“ als Eckpunkte der Notenabstufungen zu wählen. Die Positivkorrektur liefert diese Eckpunkte direkt: Das beste Ergebnis entspricht der vollen Punktzahl, das schlechteste einer Punktzahl von null. Bei der Negativkorrektur ist nur das beste Ergebnis mit 0 FP festgelegt. Eine vollkommen verfehlte Übersetzung würde sich bei der Korrektur jedoch in einer Aneinanderreihung von Fehlernestern äußern, sodass sich auf 100 Wörter Übersetzungstext zwanzig Fehlernester oder 40 FP ergäben, die der Punkteanzahl von null bei der Positivkorrektur entsprächen. Diese Eckpunkte erlauben nun die Umrechnung zwischen Pluspunkten (PP) und Fehlerpunkten (FP). Es gilt FP = 40-0,4∙PP
Zwischen diesen beiden Extrempunkten legen beide Verfahren die Notenabstufungen fest. Die folgende Grafik veranschaulicht den Zusammenhang bezogen auf die Negativkorrektur:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Man erkennt, dass der Notenbereich von „sehr gut“ bis „ausreichend“ bei der Positivkorrektur einen größeren Anteil als bei der Negativkorrektur hat, sodass beim Positivverfahren mit mehr Noten in diesem Bereich bzw. einem besseren Notenschnitt zu rechnen ist, was für Biermanns These spricht. Ferner ist zu erwarten, dass der bessere Notenschnitt beim Positivverfahren bei den Klausuren der Sek II deutlicher erkennbar ist als in der Sek I, da der Unterschied zwischen den Grenzen zur Note „ausreichend“ hier geringer sind. Dafür misst das Positivverfahren den Noten „ausreichend“ und „befriedigend“ einen größeren Anteil am Notenberich oberhalb des „mangelhaft“ zu, sodass der Durchschnitt der Noten, die in diesem Bereich liegen, schlechter ausfallen dürfte als bei der Negativkorrektur. Dies soll nun in der Praxis überprüft werden.
I.2.4 Auswertung der Klausuren
In den folgenden Tabellen ist für jede Arbeit die Fehlerhäufigkeit der Fehlerarten gemäß der Differenzierung bei der Negativkorrektur, für die Negativkorrektur der Fehlerquotient und die Note und für die Positivkorrektur die auf 100 Wörter erreichte Punktzahl, in Klammern deren Umrechnung in einen Fehlerquotienten nach obiger Formel und die Note angegeben. Ein Sternchen (*) bedeutet, dass bei dem Positivverfahren ein Pluspunkt für eine gute Übersetzung gegeben wurde. Die Bewertung beim Negativverfahren orientiert sich bei den Arbeiten der Klasse 6 an der FQ-Skala der Sek I, bei denen der EF an der FQ-Skala der Sek II.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Notendurchschnitt der ersten Stichprobe liegt bei 2,8 bei der Negativkorrektur und bei 3,1 bei der Positivkorrektur. Dabei liegt bei einer Klausur die Note der Positivkorrektur eine Notenstufe höher, bei vier Klausuren eine Notenstufe tiefer als die der Negativkorrektur. Bei der Positivkorrektur liegen sechs der acht Klausuren im Bereich oberhalb von „mangelhaft“, diese liegen im Durchschnitt bei 2,3, während bei der Negativkorrektur nur eine Klausur mit „mangelhaft“ bewertet wurde. Der Durchschnitt der ausreichenden Klausuren liegt bei 2,4.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Notendurchschnitt der zweiten Stichprobe liegt bei beiden Korrekturverfahren bei 4,4. Dabei liegt bei einer Klausur die Note der Positivkorrektur eine Notenstufe höher, bei einer eine Notenstufe tiefer als die der Negativkorrektur. Bei der Positiv- wie der Negativkorrektur liegen drei der acht Klausuren im Bereich oberhalb von „mangelhaft“ und im Mittel bei 3,3.
I.2.5 Ergebnis
Betrachtet man das Ergebnis der Auswertung, stellt man fest, dass die Benotungen der Klausuren bei beiden Verfahren sehr ähnlich ausfallen. So bestätigt sich Biermanns Hypothese nicht. Die Notendurchschnitte liegen bei der Positivkorrektur nicht höher, in der sechsten Klasse sogar darunter. Auch wurden bei der Positivkorrektur nicht signifikant mehr Klausuren mit einer Note von ausreichend oder besser beurteilt. Die Vermutung, dass die Noten oberhalb von „mangelhaft“ bei der Positivkorrektur schlechter ausfallen, bestätigte sich ebenfalls nicht: In der sechsten Klasse fielen sie etwas besser aus.
Aus den Tabellen zu den Fehler-Typen lässt sich jedoch eine Tendez zu einer unterschiedlich starken Gewichtung dieser ablesen: Betrachtet man die Klausuren, bei denen die Negativkorrektur schlechter ausfällt[9], fällt auf, das bei diesen vermehrt Konstruktionsfehler und Fehlerhäufungen, dh. mehrere Fehler je Wort bzw. Fehlernester, auftreten bei gleichzeitig wenig Fehlern in den anderen Bereichen. Zwar trägt diese „Konstellation“ selbst nur der Tatsache Rechnung, dass bei Fehlernestern mehrere andere Fehler zu einem aufaddiert werden, die Bewertung der Fehlerhäufungen könnte jedoch ein Grund für das schlechtere Ergebnis sein. Bei den Klausuren, bei denen die Positivkorrektur schlechter ausfällt[10], lagen vermehrt Vokabel- und Auslassungsfehler vor. Hier mag der Abzug eines ganzen Punktes von der Wortanzahl je Auslassung schwerer wiegen als die Anrechnung eines halben FPs, der zudem auf 100 Wörter hochgerechnet wird.
Eine genauere Vergleichsmöglichkeit liefert der Vergleich der FQ bzw. nicht erreichten Prozentpunkte: Hier fällt auf, dass die Werte sich bei den meisten Klausuren nicht um mehr als einen Punkt unterscheiden, wenn die Noten im Bereich von „ausreichend“ und besser liegen. Auffällig ist auch der Vergleich des Klausur-Paares „6/1 und 6/8“ : Beide Klausuren haben im Negativferfahren denselben Fehlerquotienten, weichen in der beim Positivverfahren erreichten Prozentzahl jedoch deutlich voneinander ab, nämlich um 6,5 Punkte. Hier liegen im ersten Fall bei der positiv schlechter bewerteten Klausur 6/8 keine Wortauslassungen vor, was der oben geäußerten auf den ersten Blick zu widersprechen scheint, jedoch durch die vielen Beziehungsfehler, die obendrein stärker „geahndet“ werden, zu erklären ist. Hinzu kommt, dass in dieser Klausur ein Fehlernest vorliegt, welches bei der Positivkorrektur einem Punkt Abzug je Wort[11] entspricht und so schwerer wiegt als 2 FP auf 5 Wörtern, die noch auf 100 Wörter hochgerechnet werden.
Ein weiterer Unterschied ist im Hinblick auf die spätere Praxis erwähnenswert, auch wenn er sich nicht direkt auf die Notengebung bezieht: Dadurch, dass die Positivkorrektur dem Korrigierenden eine viel differenziertere Fehlerbepunktung gestattet, gestaltet sich das Korrigieren an sich als mühselig, da man nicht nur entscheiden muss, welche Art von Fehler überhaupt vorliegt, sondern zudem noch, wie schwer er wiegt, wofür es keine objektiven Maßstäbe geben kann, da jede Klausur verschieden ist. Ferner ist es auch schwieriger, selbst objektiv zu bleiben: Wenn man bereits einige Fehler als „schwer“ eingestuft hat, neigt man dazu, die folgenden Fehler ebenfalls streng und im Zweifelsfall zum Nachteil der SuS zu bewerten. Treten die Fehler eher zum Ende des Übersetzungstextes auf oder liegen zu Beginn zur wenige, leichte Fehler vor, scheut man davor zurück, die folgenden, schwerwiegenderen Fehler ihrer Schwere angemessen zu bewerten.
I.3 Zusammenfassung
Alles in allem konnte somit kein signifikanter Unterschied zwischen den Klausurergebnissen bei der Anwendung des einen oder des anderen Verfahrens festgestellt werden. Biermanns Hypothese hat sich also nicht bestätigt.
Die Negativkorrektur ist jedoch in der Handhabung weniger kompliziert, verleitet nicht zur Subjektivität und ist somit für die Praxis besser geeignet.
I.4 Literaturverzeichnis
Biermann (1976) Biermann, Wilhelm: Handreichung zur Klausur und Normbuch:Latein/Griechisch (Übersetzungsklausur/ Positivkorrektur), (Studien-Seminarberichte aus dem IPTS 15), Kiel, 1976.
Kuhlmann (2009) Kuhlmann, Peter: Fachdidaktik Latein kompakt. Göttingen, 2009.
II. Studienprojekt Physik: Unterschiedliche Einstellungen zum Experimentieren bei Jungen und Mädchen verschiedener Altersstufen
II.1 Einleitung
Für viele Mädchen ist das Fach Physik das mit Abstand unbeliebteste Fach, was dazu führt, dass sie in Physik-Leistungskursen mit ca. 10% deutlich unterrepräsentiert sind[12] und sich noch seltener gar für ein Physikstudium entscheiden[13]. Dennoch ist Physik bis zur Mittelstufe ein Pflichtfach, sodass die Frage nach den Ursachen für die „mädchenspezifische“ Abneigung gegenüber der Physik bereits seit Beginn der 80er Jahre genauer untersucht wird.[14] Eine wesentliche Ursache wird darin gesehen, dass Mädchen sich v.a. in der Pubertät von der als „männlich“ angesehenen Physik abwenden. Ob sich dies auch in der Einstellung von Jungen und Mädchen gegenüber Schülerexperimenten wiederspiegelt, soll im Rahmen dieses Forschugsprojekts geklärt werden. Als Hauptursache für die unterschiedlichen Leistungen in Physik von Mädchen und Jungen werden vor allem Geschlechtsstereotype angesehen, die gesellschaftlich stark verankert sind, getreu dem Motto: „Frauen und Technik- das verträgt sich nicht...“ Dieses „männliche“ Image der Physik führt dann besonders in der Pubertät dazu, dass Mädchen sich von der Physik abwenden. Des weiteren werden noch 3 weitere, ebenfalls geschlechtsspezifische Ursachen unterschieden: Erstens bringen Mädchen von zu Hause aus weniger Vorerfahrungen im Umgang mit (alltäglichen) physikalischen Phänomenen mit, was zu geringeren Vorkenntnissen und somit zu einer Benachteiligung führt. Zweitens gehen die Physik-Lehrkräfte unterschiedlich mit Mädchen und Jungen um: Mädchen werden geringer in den Unterricht eingebunden und eher für soziales Verhalten gelobt als für gute fachliche Leistungen. Des weiteren haben Mädchen hinsichtlich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit ein deutlich schlechteres Selbstkonzept als Jungen, was dazu führt, dass sie Misserfolge eher ihrer eigenen Inkompetenz zuschreiben als Jungen, Erfolge jedoch eher als von außen bedingten „Glückstreffer“ interpretieren.[15]
II.2 Einstellungen zum Experimentieren bei Jungen und Mädchen
II.2.1 Vorgehen bei der Datenerhebung
a) Erläuterungen zum Fragebogen
Die Einstellungen zum Experimentieren im Physikunterricht soll über einen zweigeteilten Fragebogen[16] ermittelt werden. Der erste Teil besteht aus 22 Statements zum Experimentieren, bei denen die Schüler auf einer vierteiligen Skala angeben sollen, inwiefern sie diesen Aussagen zustimmen. Der zweite Teil besteht aus offenen Fragen, die sich teils auf das Experimentieren, teils auch auf persönliche Angaben beziehen, wodurch sich Ergebnisse bestimmter Schüler im ersten Teil, die sich von der Gesamtstichprobe deutlich abheben, besser deuten lassen.
b) Das Auswertungsverfahren
Die Auswertung beruht hauptsächlich auf dem ersten Teil des Fragebogens. Die 22 Statements fragen Items ab, die sich in vier Kategorien einordnen lassen:
- Die Kategorie „Interesse“ fasst die Fragen[17] zusammen, die sich auf das allgemeine Interesse am Physikunterricht und Experimentieren beziehen, zusammen.
- Die Kategorie „Beteiligung“ fasst die Fragen[18] zusammen, die sich auf die aktive Mitarbeit bei Schülerexperimenten bezieht, zusammen. Zusätzlich wird über je 3 Stunden pro Klasse die mündliche Mitarbeit von Jungen und Mädchen beobachtet (quantitativ).
- Die Kategorie „Selbstkonzept“ fasst die Fragen[19] zusammen, die nach der Selbsteinschätzung der physikalischen Fahigkeiten fragen.
- Die Kategorie „Stereotypisches Denken“ fasst die Fragen[20] zusammen, die danach fragen, inwiefern die Schüler Jugen eher für physikbegabt halten als Mädchen.
Die Antworten der SuS werden in Punkte umgerechnet: „0 Punkte“ bedeutet, dass der S die Frage so beantwortet hat, dass das Merkmal, unter den das Item fällt, nicht ausgeprägt ist (z.B. wenn Item 11, „Jungen können Physik besser als Mädchen.“, mit einem „nein“ beantwortet wird), 3 Punkte bedeutet, dass das Merkmal stark ausgeprägt ist. Getrennt nach Jungen und Mädchen sowie Jahrgangsstufen werden daraus die Ausprägung der Merkmale als Durchschnittswert der zugehörigen Items, der Item separat sowie die Korrelationen der einzelnen Items untereinander berechnet. Anschließend werden die Item-Paare, bei denen aufgrund der Hypothese deutliche Korrelationen zu erwarten sind, ausgewertet. Bei den Wertepaaren, die eine starke Korrelation[21] aufweisen, werden diese nochmals in einem X-Y-Diagramm dargestellt, um eine Aussage über die tatsächliche Verteilung der Werte treffen zu können. Sollten einzelne Werte hier auffallend sein, wird von dem betreffenden S der zweite Teil des Fragebogens hinzugezogen, um diese Antwort mit Hilfe der dort gegebenen Antworten deuten zu können.
II.2.2 Auswertung
a) Generelle Entwicklung von Interesse, Beteiligung, Selbstkonzept und Typisierung
In der fünften Klasse ist das Interesse bei Jungen und Mädchen gleich und mit einem Wert von 2,5 stark ausgeprägt. Das könnte daran liegen, dass die Fünftklässler im zweiten Halbjahr mit Physik begonnen haben und so der Reiz des Neuen noch nicht nachgelassen hat. Dieser Wert sinkt dann bei den Achtklässlern sowohl bei den Schülern als auch bei den Schülerinnen, aber während die Abnahme bei den Jungen nur 0,8 Punkte beträgt, beträgt sie bei den Mädchen 1,4 Punkte. Hier deutet sich bereits eine Abwendung der Schülerinnen vom Physikunterricht an. Bei den Neuntklässlern steigt das Interesse bei den Mädchen dann wieder leicht an (+0,3), sodass sie die Jungen einholen, es bleibt jedoch deutlich unter dem Wert der Fünftklässler.
Die Beteiligung liegt in allen Jahrgangsstufen bei den Jungen höher als bei den Mädchen. In der achten Klasse bleibt sie bei den Mädchen konstant und sinkt bei den Jungen ab, jedoch nicht unter den Wert der Mädchen. Das spiegelt sich auch in den Anteilen der Meldungen während des Unterrichts wieder: In nur einer Stunde in der fünften Klasse konnte beobachtet werden, dass die Mädchen sich öfter meldeten als die Jungen, was umso auffälliger ist, da nur ein Drittel der Klasse Mädchen sind. Ansonsten lag der Anteil der Meldungen von Jungen in Klasse 5 bei ca. 60%, wahrend er in Klasse 8 um 5% stieg und in Klasse 9 bei durchschnittlich bei ca. 68% lag. Die Mädchen beteiligten sich in den höheren Klassen also immer weniger.
Das Selbstkonzept der Mädchen verbessert sich, entgegen der Erwartung, mit zunehmendem Alter. Während es bei den Fünftklässlerinnen noch sehr schwach (0,9) ausgeprägt ist und um einen Punkt unter dem der Jungen liegt, verdoppelt sich der Wert bis zur neunten Klasse und kommt dem der Jungen beinahe gleich, was für einen auch auf Mädchen ausgerichteten Physikunterricht spricht.
Das steoreotypische Denken schließlich war in allen Jahrgangstufen bei den Schülern um stärker ausgeprägt als bei den Schülerinnen. Während es zwischen Klasse 5 (∆=0,8) und 8 (∆=0,7) kaum veränderte, nahm das stereotypische Denken zur neunten Klasse hin bei den Jungen ab, während es bei den Mädchen fast konstant blieb. Das könnte daran liegen, dass in der Klasse fünf der Unterricht noch rein phänomenologisch und mit einem hohen Alltagsbezug erfolgt, die Jungen größere Vorerfahrungen mitbringen, sich besser in den Unterricht einbringen und so von ihren Mitschülern als kompetenter wahrgenommen werden, während ihnen mit schwindendem Alltagsbezug dieser Vorteil abhanden kommt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle1: Entwicklung der 4 untersuchten Kategorien nach Geschlecht uund Jahrgangsstufe
b) Auswertung der Korrelationen
Vergleicht man die Korrelationen ausgewählter Item-Paare zwischen den verschiedenen Jahrgangsstufen, so fällt zunächst auf, dass starke Korrelationen[22] selten auftreten. Dennoch lassen die Unterschiede zwischen den Jahrgangsstufen einige Schlüsse zu: So stieg die K(1,2)[23] bei den Mädchen von der 5. zur 8. Klasse deutlich an und liegt in der 8. sowie 9. Klasse über der der Jungen, wohingegen die K(1,10) bei den Jungen in der 8.Klasse höher liegt als bei den Mädchen. Dies kann so erklärt werden, dass die älteren Mädchen, auch wenn sie gerne experimentieren, sich beim Experiment selbst lieber zurückziehen. Einen möglichen Grund dafür liefert die K(2,7): Diese steigt bei den Mädchen von der 5. zur 8. Klasse um 0,7 an- für sie wird es somit wichtig, auch zu verstehen, was sie beim Experimentieren tun und warum sie es tun. Verstehen sie es nicht, macht das Experimentieren keinen Spass mehr. Das spiegeln auch die offenen Fragen wieder: Hier sagten 4 Mädchen der 8. und 3 Mädchen der 9.Klasse, dass es ihnen missfalle, dass sie beim Experimentieren oft nicht verstünden, was sie tun- die Jungen gaben diese Antwort nicht. Dieser Zusammenhang wirkt sich dann auf die Beteiligung während der Gruppenarbeitsphasen aus: K(4,7), K(4,8) und K(7,8) liegen in der 5.Klasse bei Jungen wie Mädchen auf in etwa gleichen, niedrigen Werten, bei den Neuntklässlern steigen sie bei den Mädchen auf 0,8-0,9 an, pendeln sich bei den Jungen aber bei 0 bis 0,2 ein. Bei den Mädchen gehen demnach das Verstehen der Experiment-Aufbauten, die Bewertung der eigenen Kompetenz im Umgang mit den Materialien und die Bereitschaft, selbst zu experimentieren, in höheren Klassen stärker mit einander einher, bei den Jungen wird der Zusammenhang schwächer. Dies deutet darauf hin, dass die Mädchen ihre praktischen Fähigkeiten vermehrt an ihr theoretisches Wissen binden, und sich bei eigener Unsicherheit scheuen, mit zu experimentieren. Die Jungen hingegen schätzen ihre Kompetenz im Aufbau der Materialien sowie ihr Wissen um den Experimentierprozess generell höher ein als die Mädchen und haben unabhängig dessen keine Scheu, mit den Materialien zu arbeiten.[24] Das spiegelt auch K(7,8) wieder: Während das Wissen um das, was im Experiment zu tun ist, und das Vorziehen des tatsächlichen Experimentierens noch unkorreliert sind, ändert sich dies bei den Jungen in den höheren Jahrgangsstufen nicht, während sie bei den Mädchen über 0,5 in der 8.Klasse auf 0,9 in Klasse 9 ansteigt.
Wie gehen die SuS mit Erfolgen und Misserfolgen beim Experimentieren um? In der 5.Klasse beantworten 11 von 18 Jungen die Frage, ob sie auf gelungene Experimente stolz sind[25], mit einem eindeutigen „ja“[26], während es bei den Mädchen nicht eins ist. Dies machte sich auch im Unterricht bemerkbar. Die Jungen machten bei Schülerexperimenten öfter und auf eine andere Weise auf ihre Erfolge aufmerksam: Während die Mädchen eher ihre Gruppenpartnerinnen auf einen gelungenen Versuch aufmerksam machten und sich im Stillen und untereinander freuten, waren die Erfolgsbekundungen bei den Jungen meist lautstark und darauf ausgerichtet, die Aufmerksamkeit und somit die Anerkennung von Dritten, insbesondere des Lehrers, auf sich zu ziehen. Erst in Klasse 9 wird diese Frage von den Mädchen stärker bejaht. Auf der anderen Seite wird die Frage nach der Blamage bei einem misslungenen Versuch von allen Schülern eindeutig verneint.[27] Hierbei fällt auf, dass die Korrelation[28] zwischen dem Stolz ob eines gelungenen und der empfundenen Blamage aufgrund eines misslungenen Versuchs in Klasse 5 zunächst noch gering ist. Dies ändert sich bei den Mädchen in Klasse 8, wenn die K(9,20) positiv wird: Dies lässt sich so deuten, dass die Mädchen nun auch misslungene Versuche auf ihr eigenes (Nicht-) Können zurückführen, Jungen auf der anderen Seite gelungene Versuche zwar ihrem Können, misslungene eher äußeren Umständen zuschreiben. Bei den Jungen wird die Korrelation zur 9. Klasse zwar auch größer, aber nicht so hoch, dass man von einem Zusammenhang sprechen könnte.
[...]
[1] Vgl. Biermann (1976) 24.
[2] Laut Biermann (1978) 20, weil die falsche Übersetzung einer kurzen, aber schweren und „hochbepunkteten“ Passage die Note unverhältnismäßig stark herabsetzen würde.
[3] Vgl. Biermann (1976) 10.
[4] So Biermann (1976) 18–21.
[5] Vgl. Biermann (1976) 26.
[6] Im Folgenden „FP“.
[7] Entsprechend Kapitel 4.2.2.4 des Lehrplans und der Information von Herrn Dr. [anonymisiert] an der ersten fachlichen Begleitveranstaltung in Latein.
[8] Entsprechend der Information von Herrn Dr. [anonymisiert] an der ersten fachlichen Begleitveranstaltung in Latein sowie KUHLMANN (2009) 146. Die Erweiterung auf 1 Nachkommastellen ist notwendig, da sich bei Texten von einem anderen Umfang als genau 100 Wörtern auch „krumme“ Fehlerquotienten ergeben (z.B. 2,36 bei 3 FP auf 127 Wörter), die in Kuhlmanns Übersicht nicht vollständig erfasst sind.
[9] Die Klausuren 6/1 und EF/1.
[10] Die Klausuren 6/2,6/4,6/7,6/8, sowei EF/6.
[11] Im Durchschnitt, da pro Satz maximal so viele Punkte abgezogen werden wie der Satz Wörter enthält.
[12] Wodzinski, Rita: Mädchen im Physikunterricht. In: Häußler, Peter (Hrsg.); Physikdidaktik- Theorie und Praxis. Heidelberg. 2007.
[13] Der Frauenanteil aller Neueinschreibungen in die Physik-Bachelorstudiengänge lag 2007 bei 26%. An der Uni Münster schrieben sich zum WS 2007 von 4815 Studienanfängern 159 im Fach Physik ein. Daraus folgt, dass ca. 1,7% der Studienanfängerinnen ein Physikstudium aufgenommen haben. Vgl.: Nienhaus, Gerd Ulrich: Physikstudium im Wandel. (http://www.kfp-physik.de/statistik/physikstudium_2007.pdf ) sowie die Statistiken der Uni Münster (http://www.uni-muenster.de/Rektorat/Statistik/lehre/ studierendenzahl/ fachbereiche.html#ws1112).
[14] Wodzinski (2007), S.559.
[15] ebd. S.560f.
[16] siehe Anhang.
[17] Fragen 1,2,8,14,15,18.
[18] Fragen 3,10,21.
[19] Fragen 4,6,7,9,12,13,16,19.
[20] Fragen 5,11,17,20,22.
[21] D.h. einen Korrelationskoeffizienten, der einen Betrag von mindestens 0,7 aufweist.
[22] D.h. r > 0,7.
[23] Im Folgenden für „Korrelation zwischen Item X und Item Y“: K(X,Y)
[24] Das zeigt deutlich die K(4,7) von 0 bei den Jungen der Klasse 9.
[25] Item 9.
[26] Dh. mit der Höchstpunktzahl.
[27] Die Werte liegen unter 0,8.
[28] K(9,20).