Er ernährt sich monatelang ausschließlich von Erbsen, er stellt seinen Körper einem obskuren Wissenschaftler zu Forschungszwecken zu Verfügung, er hört unheimliche Stimmen, er dreht durch, er kauft ein Messer, er ersticht die Mutter seines Kindes. Das ist Woyzeck, genauer gesagt „Friedrich Johann Franz Woyzeck, geschworener Füsilir im 2. Regiment, 2. Bataillon, 4. Compagnie, geboren Mariae Verkündigung […], heut den 20. Juli als 30 Jahre 7 Monate und 12 Tage“, Titelfigur von Georg Büchners Dramenfragment, an dem dieser vermutlich ab Juli 18362 arbeitete. Dieser Woyzeck, in Anlehnung an den Fall des Mörders Johann Christian Woyzeck, ist für die Forschung – neben der literaturwissenschaftlichen auch für die medizin- und psychiatriehistorische – nach wie vor von großem Interesse. Immer neu wird das nur wenige Seiten füllende Werk interpretiert, immer neu inszeniert geht Woyzeck auf Theaterbühnen seinem Schicksal entgegen, immer neu wird er in Hörsälen und Klassenzimmern diskutiert.
Diese Arbeit soll den Zusammenhang von Büchners Drama und der medizinischen Forschung zu seiner Entstehungszeit untersuchen. Zentral dabei soll das Motiv des Menschenversuchs im Woyzeck betrachtet und in Verbindung zu tatsächlich durchgeführten Versuchen, besonders im Bereich ernährungsökonomischer Experimente, gesetzt werden. Zu diesem Zweck werden zunächst die vorherrschenden naturwissenschaftlichen Strömungen um 1830 – und damit auch zur Zeit von Büchners Medizinstudium – vorgestellt, kontrastiert und in Bezug zur Figur des Doktors gesetzt werden. Daran anschließend soll die Rolle des Menschenversuchs in der naturwissenschaftlichen Forschung beleuchtet werden. Unter besonderer Berücksichtigung der Szenen H2,6 und H 4,8, H2,7, und H 4,9 sowie H3,1 wird die Funktion des Experiments am Menschen in Büchners Drama analysiert. Die Lese- und Bühnenfassung Mayers wird dabei weitestgehend außer Acht gelassen, da die für die Arbeit entscheidenden Szenen entweder gekürzt oder gestrichen sind. In Folge dessen soll das Augenmerk auf die Kritik Büchners an der wissenschaftlichen Theorie und Praxis seiner Zeit und dem Menschenversuch gerichtet werden. Abschließend soll die Frage aufgeworfen werden, inwieweit Woyzeck als Opfer des wissenschaftlichen Forschungsdranges oder eines Herrschaftsinstruments innerhalb eines Systems zu sehen ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Naturwissenschaftlich und naturphilosophische Tendenzen zur Entstehungszeit des Woyzeck als Vorbild für die Figur des Doktors
- Cartesianischer Idealismus und materialistisch orientierte Philosophie
- Spekulative Naturphilosophie und experimentelle Naturwissenschaft
- Ein Spektrum der Theorien: die Figur des Doktors
- Die Rolle des ernährungsökonomischen Menschenversuchs in der naturwissenschaftlichen Forschung zwischen 1800 und 1835
- Das Ernährungsexperiment im Woyzeck
- Versuchsverlauf und Folgen
- Das Versuchstier Woyzeck
- Die Bedeutung des Menschenversuchs und der Wissenschaft im Woyzeck
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Beziehung zwischen Georg Büchners Drama "Woyzeck" und der medizinischen Forschung zur Entstehungszeit des Werkes. Der Schwerpunkt liegt auf der Erforschung des Motivs des Menschenversuchs im Woyzeck und seiner Verbindung zu realen Experimenten, insbesondere im Bereich ernährungsökonomischer Experimente.
- Analyse der naturwissenschaftlichen Strömungen um 1830 und deren Einfluss auf die Figur des Doktors.
- Untersuchung der Rolle des Menschenversuchs in der naturwissenschaftlichen Forschung.
- Interpretation der Funktion des Experiments am Menschen in Büchners Drama.
- Kritik an der wissenschaftlichen Theorie und Praxis der Zeit und dem Menschenversuch.
- Diskussion der Frage, inwieweit Woyzeck als Opfer des wissenschaftlichen Forschungsdranges oder eines Herrschaftsinstruments innerhalb eines Systems betrachtet werden kann.
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und stellt das zentrale Motiv des Menschenversuchs im Woyzeck vor. Sie erläutert den Kontext der Forschung und beschreibt die Verbindung zu realen Experimenten.
- Naturwissenschaftlich und naturphilosophische Tendenzen zur Entstehungszeit des Woyzeck als Vorbild für die Figur des Doktors: Dieses Kapitel stellt die verschiedenen philosophischen und naturwissenschaftlichen Strömungen der Zeit vor und analysiert deren Einfluss auf die Darstellung der wissenschaftlichen Welt im Drama.
- Die Rolle des ernährungsökonomischen Menschenversuchs in der naturwissenschaftlichen Forschung zwischen 1800 und 1835: Dieses Kapitel befasst sich mit der historischen Entwicklung des Menschenversuchs, insbesondere im Bereich der ernährungsökonomischen Forschung.
- Das Ernährungsexperiment im Woyzeck: Dieses Kapitel analysiert die Darstellung des Menschenversuchs im Woyzeck. Es untersucht den Versuchsverlauf, die Folgen für Woyzeck und die Rolle des Experiments in Büchners Drama.
- Die Bedeutung des Menschenversuchs und der Wissenschaft im Woyzeck: Dieses Kapitel diskutiert die kritische Haltung Büchners gegenüber der wissenschaftlichen Theorie und Praxis seiner Zeit und beleuchtet die ethischen und gesellschaftlichen Implikationen des Menschenversuchs.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen Menschenversuch, Ernährungsexperiment, naturwissenschaftliche Forschung, Philosophie, Idealismus, Materialismus, Georg Büchner, Woyzeck, wissenschaftliche Kritik, Naturphilosophie, psychiatriehistorische Forschung und Literaturwissenschaft.
- Arbeit zitieren
- Jasmin Ostermeyer (Autor:in), 2004, Der Versuch am Menschen - Georg Büchners "Woyzeck" als literarische Verarbeitung wissenschaftlicher Theorie und Praxis um 1830, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/33246