In meiner Hausarbeit möchte ich Wittgensteins Begriff „Sprachspiel“, der wohl für seine Spätphilosophie einer der zentralsten, aber auch für ihr Verständnis ertragreichsten ist, von verschiedenen Seiten beleuchten. So sollen die zentralen Thesen seiner Sprachphilosophie an diesem Begriff zum Aufscheinen gebracht werden. Dabei versuche ich Fragen zu stellen und zu beantworten wie: Welche Absicht könnte hinter dieser Begriffswahl stehen? Welche Aspekte der Sprache sollten damit heraus- und von traditionellen Sichtweisen abgehoben werden?
Im ersten Abschnitt geht es mir zunächst darum, dass „Sprachspiel“ als Lernspiel zu beschreiben. Will man Sprache verstehen, so kann es hilfreich sein, dies vom Standpunkt des ursprünglichen Spracherwerbs zu betrachten. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang etwa der Ausdruck „Abrichtung“, wenn man begreifen will, wie Wittgenstein die Funktionsweise von Sprache versteht?
Im zweiten Teil geht es mir darum den Zusammenhang zwischen praktischem situationsbezogenem Handeln und sprachlichen Ausdrücken näher zu beleuchten, wie er sich in Wittgensteins Ausdruck „Lebensform“ abzeichnet.
Im dritten Teil versuche ich zu zeigen, dass die entstehende Vagheit, wenn man versucht, den Begriff „Sprachspiel“ definitorisch festzulegen, selbst die Funktionsweise von Sprache erhellen kann.
Im vierten Teil geht es dann darum zu klären, wie man denn nun dieses „Spiel“ genau spielt. Was ist ein Zug in diesem Spiel, und was könnte damit verwechselt werden?
Im fünften Teil schließlich versuche ich zu erklären, woher die Regeln eines Sprachspiels kommen und wie konsequent sie angewendet werden müssen, damit Sprache noch Sprache bleibt.
In der zweiten Hälfte meiner Arbeit habe ich ergänzend zu den einzelnen Traktaten §1 bis §36 aus Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen" kurz meine eignen Reflexionen und Komentare dazu angehängt.
Inhalt:
0. Einleitung
1.Welche Intention könnte Wittgenstein mit der Begriffwahl „Sprachspiel“ gehabt haben?
2. Sprachspiel als Lebensform
3. Die Offenheit des Regelwerks „Sprachspiel“ und die Konsequenzen
4. Was ist ein „Zug“ im Sprachspiel?
Literaturverzeichnis:
Kurzkommentar 1: Vorwort der PU
Kurzkommentar 2: PU §1-§5
Kurzkommentar 3: PU §6 - §10
Kurzkommentar 4: PU §11-§18
Kurzkommentar 5: PU §19-§22
Kurzkommentar 6: PU §23-§24
Kurzkommentar 7: PU §25-§30: Haben Tiere Sprache?
Kurzkommentar 8: PU §31-§36: Valenz und Akzidenzien
0. Einleitung
In meiner Hausarbeit möchte ich Wittgensteins Begriff „Sprachspiel“, der wohl für seine Spätphilosophie einer der zentralsten, aber auch für ihr Verständnis ertragreichsten ist, von verschiedenen Seiten beleuchten. So sollen die zentralen Thesen seiner Sprachphilosophie an diesem Begriff zum Aufscheinen gebracht werden. Dabei versuche ich Fragen zu stellen und zu beantworten wie: Welche Absicht könnte hinter dieser Begriffswahl stehen? Welche Aspekte der Sprache sollten damit heraus- und von traditionellen Sichtweisen abgehoben werden?
Im ersten Abschnitt geht es mir zunächst darum, dass „Sprachspiel“ als Lernspiel zu beschreiben. Will man Sprache verstehen, so kann es hilfreich sein, dies vom Standpunkt des ursprünglichen Spracherwerbs zu betrachten. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang etwa der Ausdruck „Abrichtung“, wenn man begreifen will, wie Wittgenstein die Funktionsweise von Sprache versteht?
Im zweiten Teil geht es mir darum den Zusammenhang zwischen praktischem situationsbezogenem Handeln und sprachlichen Ausdrücken näher zu beleuchten, wie er sich in Wittgensteins Ausdruck „Lebensform“ abzeichnet.
Im dritten Teil versuche ich zu zeigen, dass die entstehende Vagheit, wenn man versucht, den Begriff „Sprachspiel“ definitorisch festzulegen, selbst die Funktionsweise von Sprache erhellen kann.
Im vierten Teil geht es dann darum zu klären, wie man denn nun dieses „Spiel“ genau spielt. Was ist ein Zug in diesem Spiel, und was könnte damit verwechselt werden?
Im fünften Teil schließlich versuche ich zu erklären, woher die Regeln eines Sprachspiels kommen und wie konsequent sie angewendet werden müssen, damit Sprache noch Sprache bleibt.
1.Welche Intention könnte Wittgenstein mit der Begriffwahl „Sprachspiel“ gehabt haben?
Wieso hat Wittgenstein diesen eigenartigen Begriff „Sprachspiel“ überhaupt gewählt? Löst er nicht irreführende Assoziationen aus? Mit Spielen wird oft Freude und Spaß, aber vor allem auch immer etwas nicht wirklich Nützliches, Triviales oder zumindest Unwichtiges verbunden. Und ist Sprache nicht genau das Gegenteil: Etwas überaus Wichtiges, ja Ernstes und Notwendiges, das nicht nur aus reiner Lebensfreude heraus verwendet wird? Auch verbindet man Spielen gerne mit der Beschäftigung von Kindern. Doch das Spielen von Kindern wird keinesfalls mit etwas Unnützlichen verknüpft, so dient es doch meist auch dem Zweck des Erlernens neuer wichtiger Fähigkeiten. Will man verstehen, wie Sprache funktioniert, so ist es für Wittgenstein unumgänglich zu verstehen, wie wir sie uns ursprünglich aneignen. Wie kommen wir überhaupt zu bestimmten Begriffen und Ausdrucksweisen? Damit ist weniger das Erlernen einer Fremdsprache gemeint, sondern vielmehr das Erlernen der Muttersprache. Da dabei auf keine zuvor erworbene Sprache zurückgriffen werden kann, rückt dabei das Grundlegende des Sprechens in den Vordergrund: Es ist immer mit einer praktischen Handlungssituation verflochten. In gewisser Weise kann das Sprechen selbst eine Handlung oder die „Verlängerung“ von Handlungen verstanden werden. Die Aktionen und Reaktionen der Mutter sind dabei aufs engste mit dem Spracherwerb des Kindes verknüpft. Das Kind wird in seinen Verhaltensweisen abgerichtet. In diesem Zusammenhang wurde Wittgenstein einerseits vorgeworfen, er wolle Sprachphilosophie durch Kinderpsychologie ablösen, denn das Erlernen sei eine bloß empirische Angelegenheit. Doch Wittgenstein geht es nicht um empirische Forschung. Andererseits störte man sich an dem Wort „Abrichtung“, welches nach einer zynischen Bezeichnung für Erziehungsmethodik missverstanden werden kann. Doch Wittgenstein möchte damit zeigen, dass das Erlernen von Sprache immer durch eine bestimmte Praxis eingeübt wird, der sich das Kind nicht durch Reflexion entzieht. Denn wem eine Handlung noch fremd ist, ist auch nicht imstande darüber Fragen zu stellen. Es wird einfach etwas vorgemacht, dass dann urteilslos nachgemacht wird. So wie das Spielen eines Musikinstruments erst einmal erlernt wird, indem man gezeigt bekommt, wie man die Finger richtet hält, und nicht indem man etwa die Gebrauchsanweisungen intellektuell mit dem Notenblatt verknüpft.
2. Sprachspiel als Lebensform
In seinem einzigen noch zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Werk „ Tractatus logico-philosohicus“[1] versuchte Ludwig Wittgenstein zu zeigen, wie „Sprache und Wirklichkeit ineinandergreifen“2 und glaubte mit einer streng systematischen Herangehensweise zeigen zu können, dass sich durch ein Verstehen der Sprache beinahe alle philosophischen Probleme auflösen lassen. Dabei zeigt sich in seinem Denken ein stark ausgeprägter antireflexiver Zug. Wittgenstein bemüht sich dabei immer wieder einen Unterschied zwischen „Sagen“ und „Zeigen“ aufzuweisen. Im Tractatus 4.1212 heißt es: „Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden."3 Wittgenstein möchte darauf hinweisen, dass sich logische Form, welche Satz und Wirklichkeit oft gemeinsam ist, nicht sagen lässt, sondern nur zeigen. Es sei offenkundig unmöglich über die reine logische Form eines Satzes etwas auszusagen, ohne dabei auch etwas über den Inhalt eines Satzes etwas zu sagen. Die logische Form zeige sich immer nur dann, wenn sie im Gebrauch einer Begründung auftauche. Diese Sichtweise lässt schon ansatzweise einen Grundgedanken seines Spätwerkes aufscheinen, nachdem jeder Begriff sich nur durch seinen jeweiligen Gebrauch in einem Kontext erfassen lasse.
In seinem 1953 posthum veröffentlichten Werk “Philosophische Untersuchungen“ distanziert sich Wittgenstein von seinem früheren Werk. Die Wirklichkeit würde nicht mehr durch die sprachliche Form abgebildet, da alle Elemente der Sprache immer nur performativ im jeweiligen Kontext der Sprechsituation ihre Bedeutung erhielten und nicht unabhängig davon klar zu definieren seien. Die Sprache funktioniere eher wie ein Spiel, bei dem es zwar bestimmte Regeln gibt, die aber unendlich variieren können, und ebenfalls niemals vollständig definierbar sind. Der Sprechakt ist dabei, ähnlich einem Ballspiel, immer eine Reaktion auf eine Aktion des Gegenübers und daher im voraus schwer klar darstellbar. Hinzu kommt, dass auch eine ständige gegenseitige Beeinflussung zwischen dem Spiel, also dem Sprechakt und den „Spielregeln“ selbst besteht. Daher wird in den „Philosophischen Untersuchungen“ der Begriff des „Sprachspiels“ zu einer der zentralsten. Dies deutet an, dass Wittgenstein nicht mehr ein theoretisches Universum idealer Bedeutungen beschreiben möchte, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass Sprache unlösbar mit einer „Lebensform“ verbunden und ihr Ausdruck ist. So heißt es in den PU: “...eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen“ (PU §19)4 oder dass „das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“(PU §23)5 Unter Lebensform versteht Wittgenstein, wie aus seinen Beispielen deutlich hervorgeht, die Gesamtheit der Praktiken einer Sprachgemeinschaft.6 Als Sprachspiel könnten also auch Gesten wie etwa das Händeschütteln bezeichnet werden. Gerade hieran wird das Eingebettetsein in das kulturelle Umfeld deutlich. Was uns fremd oder uns vertraut vorkommt, hängt dabei von unserer Lebensform ab. Als etwa Heinrich Harrer in den Dreißigerjahren den Himalaya bereiste, kam er in entlegene Bergdörfer in welchen sich, durch die Isolation vom Rest der Welt, andere soziale Konnotationen herausgebildet hatten. In einem Dorf streckte man ihm auf der Straße die Zunge heraus, was soviel wie ein Glückwunsch und Willkommensgruß bedeutete. In einem anderen Dorf empfing man ihn sogar mit Händeklatschen. Dies war jedoch keinesfalls freundlich gemeint, denn Händeklatschen steht für eine Handlung, mit der böse Geister vertrieben werden.
Nach Wittgenstein weist der Begriff „Lebensform“ auch darauf hin, dass Sprache selbst eine Form zu leben ist, genauso wie Tanzen, etwas Herstellen usw. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass „Sprachspiel“ und „Lebensform“ auf eine „Gebrauchstheorie der Bedeutung“ hinweisen, also einen praktischen Zusammenhang zwischen Sprechen und praktischem Handeln. D.h. ein Begriff kann unterschiedliche Bedeutungen bekommen, je nachdem in welchem praktischen Kontext er ein Teil einer Handlung ist. So kann etwa der Ausruf „Flasche!“ in unterschiedlichen Kontexten, etwas unterschiedliches bedeuten. Wird er bei einer Wüstendurchquerung ausgesprochen, bedeutet er etwas anderes, als wenn bemerkt wird, dass eine Flasche gefährlich an der Tischkante steht, oder gar wenn er mit Entrüstung auf einem Fußballplatz ausgerufen wird. Bei all dem geht es also um den inneren Zusammenhang zwischen Handlungsweisen und sprachlichen Ausdrücken.
3. Die Offenheit des Regelwerks „Sprachspiel“ und die Konsequenzen
Will man den Begriff Sprachspiel allgemein bestimmen, wie er in den PU gemeint ist, so stößt man sogleich auf ein weiteres Problem, dass mit der genauen Definition von Begriffen selbst zusammenhängt. Wir wissen meist, dass wir ein Spiel als solches erkennen, wenn wir einem gegenüberstehen. Wenn man uns aber nach der genauen Definition fragt, so fällt auf, dass es schwer fällt, seinen genauen Umfang und seine Grenzen zu benennen. „Aber dann ist ja die Anwendung des Wortes nicht geregelt; das „Spiel“, welches wir mit ihm spielen, ist nicht geregelt“ (PU §68), stellt Wittgenstein scherzend in einem Paragraphen der PU fest. „Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort „Spiel“ angewendet hast“ (PU §68), ist seine Erwiderung.7 Spiele scheinen sich also dadurch auszuzeichnen, dass man bei ihnen keine gemeinsame Eigenschaft feststellen kann. Zwischen Brettspielen, Kartenspielen, Kampfspielen usw. gibt es zwar immer wieder Gemeinsamkeiten, aber nicht das Merkmal, dass allen gemein ist. Einige haben strengere, wie etwa das Schachspiel, andere weniger strenge Regeln, wie etwa das Räuber-und Gendarmspiel, wieder andere keine, wie etwa das einfache Ballspiel8. Vielmehr behauptet Wittgenstein, alle Sprachspiele seien miteinander verwandt. „Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Grenzen angeben?“(PU §68)9. „Statt etwas anzugeben, was allem, was wir Sprache nennen gemeinsam ist, sage ich, es ist diesen Erscheinungen gar nicht Eines gemeinsam, weswegen wir für alle das gleiche Wort [nämlich "Sprache"] verwenden, - sondern sie sind miteinander in vielen verschiedenen Weisen verwandt.“(PU §65)10 Dies bedeutet also, dass Vieles das wir als Sprache bezeichnen, in Wirklichkeit viele unterschiedliche Tätigkeiten in unterschiedlichen praktischen Gebrauchskontexten sind, die aber in einem Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen. Doch was heißt Verwandtschaftsverhältnis? Offensichtlich bedeutet dies nicht, nach einer allen unterschiedlichen Phänomenen gemeinsamen Eigenschaft zu suchen. Dies entspräche dem Schema: ABCD, BCDE, ABDE, ABCE bei dem allen eine Eigenschaft hier B; in der Grafik X) gemeinsam wäre.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aber Wittgenstein liegt es auch fern, eine Eigenschaft anzunehmen, die ideell umfassend über den jeweiligen Phänomenen steht, auch wenn diese in den Einzelphänomenen nicht sichtbar wird, wie das etwa Platon angenommen hat. So gibt es nicht die eine typische Blume, die für alle anderen exemplarisch stehen könnte. Folglich müsste es eine Idee der Blume geben, die an allen Blumen teilhat, so dass man sie unter die vielen unterschiedlichen unter die Klasse der Blumen einordnen kann. Ein solches Müssen, bei dem von Einzelnen auf ein Allgemeines geschlossen werden muss, lehnt Wittgenstein ab; er empfiehlt eher die Beobachtung, wie wir sprachlich Dinge zusammenfassen. „Sag nicht: Es muss ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht „Spiele“ – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist.“( PU §66)11 In diesem Satz äußert sich auch Wittgensteins kritische Haltung aller Metaphysik gegenüber, die er durch eine aufdeckende Sprachanalyse überwinden will, indem er rätselhafte philosophisch-metaphysische Begriffe zu ihrem alltäglichen praktischen Gebrauch in der Sprache zurückführen möchte. „Wird denn dieses Wort in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück.“(PU §116)12 Philosophen entnehmen der Alltagssprache gewisse Begriffe und benutzen sie dann für ihre Theorien. Dabei wird jedoch leicht übersehen, dass der so verwendete Begriff seine Bedeutung einst aus einer jeweiligen konkreten Situation, in der er üblicherweise geäußert wird, also aus einem Sprachspiel bezog. Daher will sich Wittgenstein aller metaphysischen Interpretation entziehen und sich stattdessen deskriptiv wieder dem Ursprung der Begriffsverwendung zuwenden. „Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten“(PU §109)13
Statt also eine Idee zwingend hinter den Einzeldingen zu vermuten, die uns dazu veranlasst und uns erst erlaubt, sie in Gruppen einzuordnen, empfiehlt Wittgenstein eine rein deskriptive Vorgehensweise, nämlich die Sprache selbst einmal anzuschaue, und vor allem die Art und Weise, wie sie zumeist gebraucht wird. Und diese stellt zwar Gemeinsamkeiten und Verknüpfungen unter jeweiligen Kriterien her, die aber nicht zwangsläufig einer übergeordneten Idee gehorchen, sondern vielmehr als Improvisationen anzusehen sind, die aus dem jeweiligen Moment ihres Gebrauchs erwachsen. Hieraus ergeben sich die „Familienähnlichkeiten“ (PU §67)14 der Phänomene. Genauso überkreuzen sich die Eigenschaften von Familienangehörigen, wie etwa die Augenbrauen, die Kopfform, oder Nasenlänge, auch wenn sich kein allen gemeinsames Merkmal aufzeigen lässt. Dieses Schema wird neuerdings auch als „Prototypentheorie“ bezeichnet, so etwa bei Eleanor Rosch15. Es lässt sich wie folgt angeben: ABCD, BCDE, ABDE, ABCE. Obwohl alle Erscheinungen Ähnlichkeiten unter einander haben, lässt sich kein allen gemeinsames Merkmal (X) benennen.
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Ein Begriff könnte also durchaus mehrere Gegenstände bezeichnen, die zwar keine Gemeinsamkeit untereinander haben, aber dennoch zu einer „Familie“ gehören. So ist es etwa auch nach Bambrough nicht nur möglich, dass ein Begriff mehrere Dinge bezeichnet, die keine Gemeinsamkeit haben, sondern es bestehe auch keine notwendige Bedingung dafür, einen Gegenstand mit dem betreffenden Namen zu bezeichnen.16
Allerdings suggeriert der Begriff „Sprachspiel“ noch mehr, als das oben angegebene Schema. Es ließe sich ja eine weitere Regel aufstellen, nach der man etwa angeben könnte, wie viele Gemeinsamkeiten Individuen einer Gruppe haben müssten, um als „Familie“ zu gelten. Nach Bambrough heißt dies, dass es immer eine direkte Gemeinsamkeit zwischen je zwei Gegenständen geben müßte, während Wittgensteins Auffassung hier noch viel weiter geht, da er auch indirekte Gemeinsamkeiten zuzulassen scheint. Da nach seiner Ansicht alle Begriffe immer offene Grenzen haben, wird es möglich, eine Verwandtschaft von Begriffen immer weiter auszudehnen, ohne noch auf einen etwaigen Anfangsbegriff rekurrieren zu müssen und dies scheint mir nur möglich zu sein, wenn auch indirekte, d.h. nur über die Gemeinsamkeit eines Zwischenbegriffs, eine Verbindung hergestellt wird, so dass sich quasi eine Begriffsschlange bildet. Zur Verdeutlichung wäre etwa dies solch ein Schema, an welches ich dabei denke:
ABCD, BCDE, CDEF, DEFG, EFGH, usw.
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In der PU findet sich eine Textstelle, welche dieses Schema zu bestätigen scheint: „Wir dehnen unseren Begriff...aus, wie wir beim Spinnen eines Fadens Faser an Faser drehen. Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, dass irgend eine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, dass viele Fasern einander übergreifen.“(PU §67)17 Dies könnte meiner Meinung nach bedeuten, dass der Sprachspielbegriff in Zukunft beliebig ausgeweitet werden kann, dass immer neue Sprachspiele möglich sind, die man auch so bezeichnen könnte. Ein neues Sprachspiel entwickelt sich je nach auftauchender Situation neu, indem es an etwas schon bekanntes anknüpft, es dann aber weitertransformiert, d.h. es etwa neuen Regeln unterwirft usw. Darum vergleicht Wittgenstein die Sprache auch mit einer Stadt, die sich immer weiterentwickelt, wo an alte Straßen und Viertel neue in völlig neuem Baustil angeschlossen werden, so dass ein riesiges und vor allem lebendiges Netz geschaffen wird. Nicht jeder kennt alle Gassen dieser Stadt, aber jeder kennt bestimmte Bereiche, von denen er mühelos in neue gelangen könnte, doch die Kenntnisse aller überschneiden sich irgendwo, so dass jeder seinen Impuls an den Nächsten weitergibt und so wieder Neues erschlossen werden kann. „unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gäßchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten;...“(PU §18)18
Ein weiterer Grund warum Wittgenstein die Sprache mit einem Spiel vergleicht, ist ihr offenes Regelwerk. „Es [die Verwendung von Wörtern] ist nicht überall von Regeln begrenzt; aber es gibt ja auch keine Regeln dafür z.b., wie hoch man im Tennis den Ball werfen darf, oder wie stark, aber Tennis ist doch ein Spiel und es hat auch Regeln.“(PU §68)19 Eben gerade weil Begriffe keine festen Definitionen zulassen, sondern vielmehr „offene Ränder“ haben, können neue „Stadtteile“ angedockt werden.
Somit lässt schon alleine Wittgensteins Begriff „Sprachspiel“ einen tiefen Blick in die Funktionsweise der Sprache zu.
4. Was ist ein „Zug“ im Sprachspiel?
Es ist nun vielleicht etwas deutlicher geworden, was Wittgenstein mit Sprachspiel meint, was er damit beabsichtigt haben könnte, wenn er Sprache mit einem Spiel vergleicht, auch wenn sich keine genaue Definition dieses Ausdrucks angeben lässt. Aber wie genau funktioniert nun das Spielen dieses Spiels? Was aber könnte man nun als einen Zug in diesem Sprachspiel bezeichnen? Wie genau geht nun eine solche praktische kontextbezogene Aktion in diesem Spiel vor sich?
Wittgenstein führt gleich zu Beginn seiner PU einen Auszug aus den Confessiones I,8 von Augustinus an, in welchem er die bisherige traditionelle Auffassung von Sprache aufzeigt.
„Die Wörter der Sprache benennen Gegenstände – Sätze sind Verbindungen von solchen Benennungen (...) Jedes Wort hat eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist dem Wort zugeordnet. Sie ist der Gegenstand, für welchen das Wort steht.“(PU §1)20 Worte sind demnach also nichts anderes als Zeichen die repräsentativ für reale Gegenstände stehen. Eine solche repräsentative Zeichentheorie ist schon seit Aristoteles bekannt.21 Das Erlernen einer Sprache vollzieht sich demnach ausschließlich durch “hinweisendes Lehren“. Ein Lehrer zeigt auf einen Gegenstand und der Schüler weiß dann, was mit dem jeweiligen Zeichen, also dem Wort, gemeint ist. Durch die Gestik des Lehrers stellt er dabei eine assoziative Verbindung zwischen Worten und Dingen her. Wittgenstein bezeichnet diesen Vorgang als Abrichtung, stellt jedoch in Frage, ob durch eine solche assoziative Verbindung schon ein Verstehen eines Wortes bewirkt werden kann. „Es ist „gleichsam ein Anschlagen einer Taste auf dem Vorstellungsklavier.“(PU §6)22 Für Wittgenstein ist diese Lerntheorie noch zu unvollständig. Hier wird seiner Meinung nach lediglich die Vorbereitung zum Erlernen eines Sprachspiels beschrieben. „Das Benennen ist noch gar kein Zug im Sprachspiel, - so wenig, wie das Aufstellen einer Schachfigur im Schachspiel. Man kann sagen: Mit dem Benennen ist noch nichts getan.“(PU §49)23 Wenn einem auf zwei Kastanien gezeigt wird, woher soll er dann wissen, dass mit „Zwei“ nicht die Früchte gemeint sind? Wenn ich einem Sprachunkundigen ein blaues Auto zeige, woher weiß er dann genau was damit gemeint ist? Vielleicht denkt er, ich zeige ihm die glatte Oberfläche? Das „Hinweisende Lehren“ bedeutet für Wittgenstein nicht mehr als das Benennen der Schachfiguren in einem Schachspiel. Wie man Schach spielt, ist damit noch lange nicht vermittelt. Dem Lernenden des Spiels müsste zunächst die genaue Funktion der Figuren im Spiel erklärt werden. Um nach einer Spielfigur fragen zu können, benötigt man bereits ein Vorwissen darüber, wie man Spiele spielt.
Eine rein deskriptive Funktion von Sprache wie das Benennen ist nicht ausreichend, wenn man etwa Ausdrücke wie „Wasser! Fort! Au! Hilfe! Schön! Nicht!“(PU §27)24 hinreichend erklären möchte. Es bedarf immer des genauen Kontextes, eines genauen Umstandes. „Die Bedeutung eines Wortes oder Satzes kommt also erst durch das Wie seiner wirklichen Verwendung im sozialen Kontext zustande.“25 Das Verwenden von Sprache ist dabei, wie das Handeln in einer gegebenen Situation, auf das man abgerichtet wurde.
5. (Sprach-)Spielregeln: Differenz zwischen Interpretation und Regelanwendung
In den Dreißigerjahren betonte Wittgenstein immer stärker den Begriff „Kalkül“. Die Vorstellung von Sprache als Kalkül unterstreicht dabei die Wichtigkeit des Kontextes beim Gebrauch der Sprache.26 Später verwirft er aber diesen Ausdruck immer mehr, weil er zu sehr suggeriert, dass es dabei eine explizite Kenntnis von Anwendungsregeln gäbe, die dazu noch exakt der jeweiligen Situation angemessen sein müssten. Die Vagheit des Begriffs „Spiel“, dass durch das Fehlen eines definierenden Merkmals, welches eine Klasse von Aktivitäten bildet, sondern vielmehr durch „Familienähnlichkeiten“ gebildet wird, überträgt sich so auch auf den Begriff der Regel.27 Unter einem „Spiel“ verstehen wir nicht ein Tun, „dessen Regeln keinen Zweifel eindringen lassen, und ihm alle Löcher verstopfen.(PU §84)28 Auch gibt es keine Regel, welche die Regeln regelt. „Eine Regel steht da, wie ein Wegweiser...Aber wo steht in welchem Sinne ich ihm zu folgen habe; ob in der Richtung der Hand, oder (z.B.) in der entgegengesetzten?“ (PU §85)29 Wie kann man also einer Regel in einem Sprachspiel folgen und damit einen Zug in ihm machen? Dieses Problem ist jedoch Ausdruck eines Missverständnisses, welches sich auf die Beziehung Regel und Handlung bezieht. Das Missverständnis besteht darin, dass das Handeln nach einer Regel analog einer Interpretation einer Regel verstanden wird; und interpretieren lässt sich freilich jede Regel in beliebiger Weise.30 Das Handeln nach einer Regel, ist aber dagegen eines im Rahmen einer ganz bestimmten Praxis. Hier gibt es Kontrolle und Abrichtung, und somit dann auch Richtig und Falsch. Wäre das Handeln nach Spielregeln auch ein Interpretieren dieser Regeln, dann wären Spiele generell überflüssig. Man erlernt so etwa nicht, wie man verliert oder gewinnt, indem man sich die Spielregeln durchliest und interpretiert, sondern nur indem man dies konkret in einer Spielsituation mit einem Gegenspieler erfährt. Eine bloße „Deutung hängt, mitsamt dem Gedeuteten, in der Luft“.(PU §198)31 Erst in der Einübung von Verfahrensweisen und Gepflogenheiten, werden Regel und Handlung miteinander verflochten. Es bedarf also einer konkreten Praxis. Der Regel nur privat, also etwa denkend mit sich alleine nachzuvollziehen, ohne eine Interaktion durchzuführen, wäre nach Wittgenstein kein Regelbefolgen. Eine Regel deuten heißt für ihn lediglich, eine Formulierung der Regel durch eine andere ersetzen.32
„Darum ist der Regel folgen eine Praxis. Und der Regel folgen glauben ist nicht: der Regel folgen. Und darum kann man der Regel nicht <privatim> folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen.“ (PU §202)33 Diese Aussage hat Folgen: In der Sprachphilosophie Wittgensteins werden Begriffe ohne Verankerung im überprüfbaren Verhalten damit für wertlos erklärt.
[...]
1 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984
2 Lutz, Bernd (Hg.): Metzler-Philosophen-Lexikon, 2.Aufl., Stuttgart 1995
3 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 34
4 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 246
5 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 250
6 Schulte, Joachim: Wittgenstein. Eine Einführung. Stuttgart, 2001, S. 146
7 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 279
8 also etwa einfaches Werfen und Wiederauffangen eines Balls
9 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 279
10 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 276
11 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 277
12 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 300
13 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 298
14 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 278
15 http://de.wikipedia.org/wiki/Eleanor_Rosch
16 Bambrough, Universals and Family Resemblances, Proceedings of the Aristotelian Society 61, 1960, S.207-222; in Eike von Savigny, Philosophische Untersuchungen, Klassiker Auslegen, Akademie-Verlag, Berlin,1998, S. 46
17 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 278
18 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 245
19 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 279
20 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 237
21 Bezzel, Chris: Wittgenstein zur Einführung, 4. Aufl., Hamburg 2000, S. 17
22 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 240
23 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 267
24 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 252
25 Bezzel, Chris: Wittgenstein zur Einführung, 4. Aufl., Hamburg 2000, S. 31
26 Schulte, Joachim: Wittgenstein. Eine Einführung. Stuttgart, 2001, S. 139
27 Schulte, Joachim: Wittgenstein. Eine Einführung. Stuttgart, 2001, S. 155
28 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 287
29 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 288
30 Schulte, Joachim: Wittgenstein. Eine Einführung. Stuttgart, 2001, S. 160
31 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 344
32 Schulte, Joachim: Wittgenstein. Eine Einführung. Stuttgart, 2001, S. 161
33 Wittgenstein, Ludwig: Werksausgabe Band 1, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1984, S. 345