Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Einführung von neoliberalen Wirtschaftsreformen unter der christlich-liberalen Koalition von Helmut Kohl und der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. Die genaue Forschungsfrage ist, ob es sich um einen linearen Politikwandel vom keynesianischen-nachfrageorientierten zum neoliberalen-angebotsorientieren Wirtschaftsmodell gehandelt hat, oder ob die Reformen als historische Notwendigkeit vor dem Hintergrund der zunehmenden Arbeitslosigkeit angesehen werden müssen.
In der Literatur wird diese Frage kontrovers diskutiert. Dabei gibt es sowohl Argumente für die Annahme der „Politik der kleinen Schritte“ (Beck/Scherrer 2005) als auch dafür, dass wesentliche Weichenstellungen bereits in den Jahren 1990 bis 1998 in der „informellen Großen Koalition“ im damals sozialdemokratisch dominierten Bundesrat durchgeführt wurden. Für diese Annahme des linearen Politikwechsels würde auch sprechen, dass die rot-grüne Koalition ab 1998 einen Wechsel von traditionell sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik hin zu neoliberalen Elementen durchgeführt hat.
Für die Schlussfolgerungen aus dieser Arbeit werden zwei Annahmen getroffen: Erstens wird erwartet, dass die deutsche Wiedervereinigung zu einer Unterbrechung der Reformbemühungen der christlich-liberalen Koalition geführt hat. Insbesondere wird erwartet, dass sich die Konsolidierung und Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Deutschen Demokratischen Republik über mehrere Jahre hinweggezogen hat. Zweitens wird erwartet, dass in Deutschland als eine „Konsensdemokratie“ wesentliche Veränderungen nur über die Zusammenarbeit mit der Opposition, unter anderem im Bundesrat, möglich waren.
Der Aufbau dieser Arbeit gestaltet sich wie folgt. Zunächst werden die theoretischen Annahmen, die hinter dem Neoliberalismus stehen, näher beleuchtet. Anschließend wird die Regierungszeit der christlich-liberalen Koalition von 1983-1998 und der rot-grünen Koalition von 1998-2005 analysiert, bevor die Ergebnisse dieser Arbeit in den Schlussfolgerungen abschließend zusammengefasst werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Theorie des Neoliberalismus
3. Regierungszeit von Helmut Kohl (1983-1998)
4. Regierungszeit von Gerhard Schröder (1998-2005)
5. Schlussfolgerungen
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Einführung von neoliberalen Wirtschaftsreformen unter der christlich-liberalen Koalition von Helmut Kohl und der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. Die genaue Forschungsfrage ist, ob es sich um einen linearen Politikwandel vom keynesianischen-nachfrageorientierten zum neoliberalen-angebotsorientieren Wirtschaftsmodell gehandelt hat, oder ob die Reformen als historische Notwendigkeit vor dem Hintergrund der zunehmenden Arbeitslosigkeit angesehen werden müssen. In der Literatur wird diese Frage kontrovers diskutiert. Dabei gibt es sowohl Argumente für die Annahme der „Politik der kleinen Schritte“ (Beck/Scherrer 2005) als auch dafür, dass wesentliche Weichenstellungen bereits in den Jahren 1990 bis 1998 in der „informellen Großen Koalition“ im damals sozialdemokratisch dominierten Bundesrat durchgeführt wurden. Für diese Annahme des linearen Politikwechsels würde auch sprechen, dass die rot-grüne Koalition ab 1998 einen Wechsel von traditionell sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik hin zu neoliberalen Elementen durchgeführt hat: „Im Grunde aber erkannten die Protagonisten des Dritten Weges konstitutive Axiome des Neoliberalismus an, während sie die grundlegenden Prämissen der Altsozialdemokratie verwarfen.“ (Walter 2010).
Für die Schlussfolgerungen aus dieser Arbeit werden zwei Annahmen getroffen: Erstens wird erwartet, dass die deutsche Wiedervereinigung zu einer Unterbrechung der Reformbemühungen der christlich-liberalen Koalition geführt hat. Insbesondere wird erwartet, dass sich die Konsolidierung und Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Deutschen Demokratischen Republik über mehrere Jahre hinweggezogen hat. Zweitens wird erwartet, dass in Deutschland als eine „Konsensdemokratie“ wesentliche Veränderungen nur über die Zusammenarbeit mit der Opposition, unter anderem im Bundesrat, möglich waren.
Der Aufbau dieser Arbeit gestaltet sich wie folgt. Zunächst werden die theoretischen Annahmen, die hinter dem Neoliberalismus stehen, näher beleuchtet. Anschließend wird die Regierungszeit der christlich-liberalen Koalition von 1983-1998 und der rot-grünen Koalition von 1998-2005 analysiert, bevor die Ergebnisse dieser Arbeit in den Schlussfolgerungen abschließend zusammengefasst werden.
2. Die Theorie des Neoliberalismus
Bei der Theorie des Neoliberalismus handelt es sich um ein internationales Phänomen, dessen intellektuelle Zentren ab den 1920er Jahren Wien, London, Chicago und Freiburg waren. Das erklärte gemeinsame Ziel bezog sich auf eine Wiederbelebung des Liberalismus-Begriffs aus dem 17.Jahrhundert mit seiner freiheitlichen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. Hintergrund zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die marxistische Kritik an der freien Marktwirtschaft und der Aufstieg von sozialistischen und totalitären Regimen. In späteren Jahren wurde er als Gegenmodell zur sowjetischen Planwirtschaft und dem keynesianischen Wohlfahrtsstaat entwickelt. Zentrale Ziele der Theorie beinhalteten eine freie Marktwirtschaft und einen freien Wettbewerb. Damit blieb der Freiheitsbegriff lediglich auf die Wirtschaft und nicht etwa auf persönliche Freiheiten bezogen. Der Staat sollte sich aus dem wirtschaftlichen Geschehen möglichst heraushalten und sich auf seine Grundfunktionen beschränken. Im Gegensatz dazu geht der Keynesianismus des britischen Ökonomen J.M.Keynes davon aus, dass die Selbstregulierung des Marktes nicht für Vollbeschäftigung sorgt. Stattdessen sollte der Staat die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und insbesondere den Ausgleich der zyklischen Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage stabilisieren. Durch das antizyklische Verhalten des Staates, beispielsweise die kreditfinanzierte Ausgabenerhöhung bei schwacher Konjunktur oder die Ausgabensenkung bei starker Nachfrage, übernimmt er eine wirtschaftspolitisch wichtige Rolle ein. Der europäische Wohlfahrtsstaat fußt auf den Prämissen des Keynesianismus und das „Magische Viereck“ der Wirtschaftspolitik (Geldwertstabilität, geringe Arbeitslosigkeit, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und ein angemessenes Wirtschaftswachstum) wurden in Gesetzesform verankert. Mit den Wirtschaftskrisen in den 1970er Jahren gewann der Neoliberalismus an Bedeutung und Einfluss (Bandemer 1998). Die Stagflation, also ein geringes Wirtschaftswachstum in Kombination mit hoher Inflation, nach den Ölkrisen und die damit einhergehenden staatlichen Budgetdefizite führten zu einem Rückzug der Keynesianer, erst in den USA und Großbritannien, später auf dem europäischen Festland. Anstelle von staatlicher Kontrolle und Regulierung der Wirtschaft traten eine angebotsorientierte Politik und die Steuerung der Wirtschaft durch die Geldmengenverbreitung (Monetarismus). Diese Aufgabe übernahmen unabhängige Zentralbanken. Die Pfeiler des Neoliberalismus-Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung- wurden allerdings erst im Jahr 1989 in dem sogenannten „Washington Consensus“ festgeschrieben. Was eine genaue Definition des Neoliberalismus so schwierig macht, ist dessen breite und heterogene Verwendung für unterschiedliche Phänomene. Als ideologische Fixpunkte sind dennoch der Primat der Ökonomie, eine grundsätzliche Kritik am Staat und staatlicher Interventionen sowie das Menschenbild eines Homo oeconomicus zu nennen. Dahinter steht ein Menschenbild, welches den Menschen als rational und bewusst handelndes Wesen versteht, dem es primär um seinen eigenen Nutzen geht. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden in vielen osteuropäischen Staaten neoliberale Wirtschaftsreformen praktiziert. Dabei traten Staaten auf internationaler Ebene in einen Wettbewerb und wurden daran gemessen, wie offen (dereguliert oder liberalisiert) ihre Märkte und wie weit die Privatisierung vorangeschritten waren. Als „Zentralorgan des Neoliberalismus“ wurde zu der Zeit die britische Zeitschrift „The Economist“ angesehen (Ther 2014). Einer der zentralen Theoretiker des Neoliberalismus war der Wirtschaftstheorie Friedrich August von Hayek, der davon ausging, dass der Kollektivismus die allgemeine Wissensverarbeitung schädigt und durch zentrale (staatliche) Planung partikulare Interessen unter dem Deckmantel des Sozialen fördere. Für Hayek bedeuteten das quantitative Bevölkerungswachstum und allgemeiner Wohlstand das Ergebnis von Fortschritt. Nicht weniger bekannt in Bezug auf den Neoliberalismus ist Milton Friedman zu erwähnen, für den der Monetarismus eine entscheidende Rolle in der Wirtschaftspolitik einnahm. Für ihn sollte eine feste und langfristige Beziehung zwischen Geldmenge und der Inflation bestehen, sodass die Inflation als monetäres Phänomen jederzeit durch eine Zentralbank kontrolliert werden kann. Diese Geldpolitik der Zentralbank sollte allerdings nicht willkürlich, sondern durch Gesetzte geregelt werden. Da die Änderung der Geldmenge einen großen Einfluss auf den Konjunkturzyklus bewirkt, sollte eine präzise Zuwachsrate festgelegt und weitere staatliche Eingriffe verhindert werden. Im Zentrum der Argumentation steht die Freiheit des Einzelnen und in Anlehnung an den klassischen Liberalismus tritt Friedman für die Abschaffung von Handelshemmnissen wie Subventionen, Importbeschränkungen, Mindestlöhne oder Zölle ein. Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt sieht Friedman durch die Unvollkommenheit des Marktes wie Mangel an Informationen, Mobilitätshindernissen und demographischen Veränderungen ein gewisses Niveau an Arbeitslosigkeit als unvermeidbar an. Demnach ist für ihn der Wohlfahrtsstaat ein Betrug an den Menschen, die arbeiten und Steuern zahlen, denn wenn die arbeitende Bevölkerung ihr Geld für Bedürftige ausgibt, führt das zwangsläufig zu Inflation. An Keynes und dessen antizyklische Fiskalpolitik kritisiert er zudem, dass die staatlichen Ausgaben zur Ankurbelung der Wirtschaft keine Hebelwirkung zeigen würden, stattdessen aber die Inflation steigt, indem die Geldmenge schneller wächst als die Wertschöpfung der Realwirtschaft (Vgl. Capitalism and Freedom (1962), A Monetary History of the United States 1867-1960 (1963).
3. Regierungszeit von Helmut Kohl (1983-1998)
In diesem ersten Teil geht es nur darum herauszuarbeiten, welche neoliberalen Politikinhalte unter der Regierung Kohl durchgeführt wurden. Hierzu ist zunächst ein kurzer Rückblick auf die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt nötig. Diese regierte seit dem Jahr 1974 unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrisen mit dem obersten Ziel der Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Die Bundesbank setzte auf die Stabilisierung der Währung und eine restriktive Geldpolitik, wohingegen die Bundesregierung unter der Führung von Wirtschaftsminister Hans Friedrichs (FDP) und Finanzminister Hans Apel (SPD) auch auf die Ankurbelung der Beschäftigung durch steuerliche Förderung von Investitionen und Subventionierung alter Wirtschaftszweige setzte. Das 1976 verabschiedete Haushaltsstrukturgesetz beinhaltete erhöhte Beiträge der Arbeitslosenversicherung sowie Kürzungen der Sozialleistungen und brachte erste Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung. Mit stagnierender Arbeitslosigkeit und einem ansteigenden Bruttosozialprodukt stand Deutschland zum Weltwirtschaftsgipfel 1978 in Bonn als „Konjunkturlokomotive“ da, es folgte das Ende der Sparpolitik und eine Rückkehr zum keynesianischen-nachfrageorientierten Wirtschaftsmodell, dessen Auswirkungen unter dem Eindruck der Ölkrise von 1979/1980 nicht bestimmbar waren. Die Bewältigung der zweiten Ölkrise führte zum Streit in der sozialliberalen Koalition über die Wirtschafts-und Sozialpolitik, dennoch brachten die Bundestagswahlen von 1980 eine Mehrheit für SPD und FDP von 53,5% und das bis dato schlechteste Ergebnis der Union mit 44,5% Stimmenanteil. Trotz des Wahlerfolgs erweitere sich der ideologische Graben in der sozialliberalen Koalition. Während die SPD für weitere Konjunkturprogramme und Ergänzungsabgaben für höhere Einkommen eintrat, stand die FDP für Einsparungen im Sozialbereich und eine unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik. Innerhalb der FDP, der zunehmend Verteilungs-und Steuerpolitik wichtiger wurde, begann man einen Koalitionswechsel zu erwägen. Für viele Liberale, beispielsweise auch Otto Graf Lambsdorff als Leiter des Wirtschaftsressorts, war die moderne, angebotsorientierte Ökonomie und eben nicht das keynesianische, nachfrageorientierte Modell der Sozialdemokraten und Gewerkschaften, das Maß aller Dinge. Das am 09.09.1982 veröffentlichte Memorandum zum „Konzept für die Überwindung der Wirtschaftsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ stand der SPD-Linie komplett entgegengesetzt, trotzdem fand man in der „Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität“ einen letzten Kompromiss. Unter den vier FDP-Ministern Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff, Gerhart Baum und Josef Ertl vollzog die FDP den Wechsel des Koalitionspartners zur CDU und nachdem die SPD zwei Wochen lang in der Minderheit regiert hatte, stellten FDP und die Union am 01.10.1982 ein konstruktives Misstrauensvotum gegen den amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Die am 06.03.1983 angesetzten Neuwahlen bestätigten die christlich-liberale Koalition mit 48,8% Stimmenanteil und Helmut Kohl, seit 1976 Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag, wurde neuer Bundeskanzler. In der Regierungserklärung vom 04.05.1983 gab Kohl die wirtschafts-und sozialpolitische Marschroute seiner Regierung vor: “Eine Wirtschaftsordnung ist um so erfolgreicher, je mehr sich der Staat zurückhält und dem einzelnen seine Freiheit lässt. Die Soziale Marktwirtschaft ist wie keine andere Ordnung geeignet, Gleichheit der Chancen, Eigentum, Wohlstand und sozialen Fortschritt zu verwirklichen. Wir wollen nicht mehr Staat, sondern weniger;[…] Wir führen den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurück” (Walter 2010). Die neue Bundesregierung versprach die Arbeitslosigkeit zu vermindern und gab sich unternehmerfreundlich, dennoch war die Ausgangslage alles andere als vielversprechend. Im Jahr 1982 lag die Arbeitslosenquote bei 7,2%, und hohe Energiekosten sowie Lohnstückkosten erschwerten die Exporte. Die hohe Staatsverschuldung führte demzufolge auch dazu, dass wenige Investitionen getätigt werden konnten. Die „Babyboomer“ und die Welle der Emanzipation der 1960er Jahre brachten nun auch mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt und erhöhten den Bedarf nach Arbeitsplätzen. Zudem brachte die „Globalisierungsdebatte“ sowohl Hoffnungen auf Exportchancen als auch Ängste vor sozialem Kahlschlag mit sich (Jarausch 2008). Die christlich-liberale Koalition regierte mit einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und konnte zunächst eine wachsende Investitionsbereitschaft der Industrie sowie eine eingeschränkte Neuverschuldung für sich verbuchen. Weiterhin Bestand hatte die Problematik der Arbeitslosigkeit und es wurden Strategien entwickelt, der arbeitnehmerfreundlichen Wirtschaftspolitik unter Schmidt entgegenzuwirken. Hierzu zählten das 1984 verabschiedete „Vorruhestandsgesetz“, das einen Ruhestand ab dem 58 Lebensjahr möglich machte und trotzdem bestand ein Überangebot an Arbeitskräften (1985 2,3 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt) sowie das Problem der Sockelarbeitslosigkeit aufgrund des zu hohen Lohnniveaus. Vor diesem Hintergrund plädierten die Gewerkschaften für eine Verringerung der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden und schafften es, anders als in Frankreich oder Großbritannien, die Tarifbeziehung und die Wahrung der Tarifautonomie weitestgehend zu erhalten. Im Hinblick auf die Sozialleistung wurde das Arbeitslosgeld von 68% auf 63% des früheren Nettogehalts und das Mutterschaftsgeld um zwei Prozentpunkte auf 56% gekürzt, dennoch kam es damit im Vergleich zu Großbritannien unter Thatcher oder in den USA unter Reagan zu keinem rigorosen Abbau der Sozialleistungen (Zohlnhöfer 2001). Wirtschaftspolitisch begann eine moderate Liberalisierung, beispielsweise durch eine Deregulierung der Ladenschlusszeiten oder von staatlicher Seite, die dem Bund in den Jahren 1982-1989 immerhin 9,4 Millionen an Privatisierungserlöse einbrachte. Im internationalen Vergleich sind diese Zahlen allerdings weniger von Bedeutung. Vielversprechender war die Einführung einer dreistufigen Steuerreform mit dem Ziel, die Steuerzahler zu entlasten. Deren Profiteure waren jedoch vor allem Steuerzahler mit mittleren und hohen Einkommen. Auch die Senkung des Spitzensteuersatzes fiel im internationalen Vergleich gering aus. Rückblickend auf die erste Amtszeit der Regierung Kohl kann man als Fazit ziehen, dass es zu einer geringen Liberalisierung des Arbeitsrechts und Privatisierung der Wirtschaft kam. In den 1980er Jahren wuchs die Kritik am „Rheinischen Kapitalismus“ und dessen Kennzeichen, die bankenorientierte Unternehmensfinanzierung, Sozialpartnerschaften, spezialisierten Ausbildungssystemen und dem Korporatismus. Das Ziel der Vollbeschäftigung konnte immer seltener erreicht werden und die neoliberale Kritik fokussierte sich auf Wettbewerbsunfähigkeit im internationalen Vergleich. Dennoch kann man abschließend von einer „tendenziell neoliberalen Politik“ sprechen (Wolfrum 2007).
Bei den Wahlen zum elften Bundestag 1987 erzielte die Union mit 44,3% Stimmenanteil das schlechteste Ergebnis ihrer Parteigeschichte. Dennoch reichte es zum Wahlsieg der christlich-liberalen Koalition, zum einen weil die FDP von 2,1% auf 9,1% Stimmenanteil kam, zum anderen weil außenpolitische Erfolge und der Mangel an Alternativen keine anderen Mehrheiten zuließen. Innerhalb des Kabinetts wurde umstrukturiert und mit Theo Waigel als Finanzminister sowie Wolfgang Schäuble als Innenminister eine neue Generation in die Führungsebene emporgehoben. Der Bundestagswahl schloss sich fast direkt die Deutsche Einheit an, welche aus wirtschafts-und sozialpolitischen Gesichtspunkten große Veränderungen mit sich brachte. Die Verträge zur Deutschen Einheit waren vor allem wirtschaftliche Entscheidungen und die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde unter der Währungsunion zusammengefasst. Grundsätzlich stellte sich die Frage, welche marktwirtschaftlichen Reformen in der DDR durchgeführt werden müssen, damit diese in die BRD eingegliedert werden kann. In Zuge der Verhandlungen verständigte man sich darauf, dass die Inflationsgefahr und die Kosten für die öffentlichen Haushalte möglichst gering gehalten werden sollten. Zudem tauschte man die Löhne und Gehälter der DDR-Bevölkerung im Verhältnis von 1:1 und Geld-, sowie Kreditbeständen im Verhältnis von 2:1. Im einem Staatsvertrag wurde die gesamte Wirtschaftsordnung der Bunderepublik- zu nennen sind vornehmlich Tarifautonomie und Stabilitätsgesetzt mit den Pfeilern: Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wachstum- auf die ehemalige DDR übertragen. Finanzminister Waigel fasste diesen Vorgang wie folgt zusammen: „ In einem Satz: Der Staatsvertrag bringt unsere erfolgreiche Soziale Marktwirtschaft, unsere stabile Währung sowie unsere soziale Vorsorge und damit Perspektiven entscheidend verbesserter Lebensbedingungen.“ Insgesamt lässt sich diese Vorgehensweise so bewerten, dass es sich um eine wirtschafts- und finanzpolitische Transformationsstrategie gehandelt hat, die unter hohem Zeitdruck und entgegen aller wirtschaftswissenschaftlichen Beratung auch seitens der Bundesbank durchgeführt wurde. Auch auffallend waren die Problemvereinfachung und die Komplexitätsreduktion, die zwar die Geschwindigkeit der Einigung begünstigte, aber die Folgen wie die sofortige Integration in die Weltwirtschaft, die Festlegung des Umtauschkurses und den Institutionentransfer, nicht berücksichtigten. Zudem standen die nächsten Bundestagswahlen kurz bevor und vieles wurde dem Parteienwettbewerb untergeordnet.
Am 02.12.1990 kam es zu den ersten gesamtdeutschen Wahlen an. Bundeskanzler Helmut Kohl wurde in seinem Amt bestätigt, allerdings ging die Mehrheit der christlich-liberalen Koalition im Bundesrat verloren. Außerdem kamen in den 1990er Jahren einige externe wirtschaftliche Trends wie die Globalisierung und der Standortwettbewerb, die Maastricht-Kriterien mit dem Referenzjahr 1997 und der demographische Wandel auf die politische Agenda. Aus finanzpolitischer Sicht stand die Finanzierung der Wiedervereinigung an höchster Stelle. Der West-Ost-Nettotransfer lag zwischen 4-6,6% des jährlichen westdeutschen Bruttoinlandsprodukts. Die Gesetze zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (SKWPG) aus dem Jahr 1993 sollten bei der Konsolidierung des Bundeshaushalts helfen. Zudem wurde im selben Jahr der Länderfinanzausgleich neu geregelt. Unter dem Eindruck der Forderungen der FDP nach Investitionen zur Anregung der Wirtschaft, nach Deregulierung von Verfahrensregeln und einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes reagierten die Gewerkschaften und der Arbeitnehmerflügel der CDU mit heftiger Kritik. Schließlich kam es zu Kürzungen im Sozialbereich und der Sozialhilfe sowie zur verschärften Bekämpfung von steuerlichem Missbrauch. Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes fand ausschließlich über Einsparungen und nicht über erhöhte Abgaben statt.
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