Die Frage nach dem Lebenssinn bzw. das Konzept des Lebenssinns und den Lebenssinn im Alter näher zu beleuchten, ist Ziel der vorliegenden Erarbeitung. Dazu soll zunächst der theoretische Hintergrund von „Sinn“ näher betrachtet werden, um diesen dann speziell auf das Alter zu beziehen. Dabei werden auch potentielle „Sinnbereiche“ und Bereiche, die besondere Herausforderungen im Alter bilden, betrachtet. Die Erarbeitung mündet in einem Fazit und Ausblick.
„[D]ie menschliche Existenz [kann] eigentlich niemals wirklich sinnlos werden […]: das Leben des Menschen behält seinen Sinn bis „in ultimis“ – demnach solange er atmet“.
Diese Annahme Viktor E. FRANKLs wird von manchen vielleicht als provokant oder gar schlichtweg falsch empfunden. Gerade Menschen, die sich in der „letzten Phase“ ihres Lebens befinden und gar noch von Krankheit geplagt sind, können dieser These nicht uneingeschränkt zustimmen; stattdessen plagen sie häufig Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Daseins. Auch bei Menschen, die sich in palliativmedizinischer Behandlung befinden, lässt sich ein „desire for death or loss of will to live“ feststellen. Die Frage nach dem Sinn hat also erhebliche Bedeutung, gerade weil bei Suizidalität im Alter Hoffnungslosigkeit und Sinnverlust bedeutende Motivationen für die Handlung darstellen; die betroffenen Menschen scheinen ihren Lebenswillen verloren zu haben.
Artur REINER stellt fest, dass die Frage, die am häufigsten bei älteren Patienten, die einen Suizidversuch „hinter sich haben“, aufkommt, die nach der Sinnhaftigkeit ihres Lebens ist. Ziel kann und muss es also sein, „the feeling of dignity and meaning in patients‘ lives“ zu erhöhen bzw. wiederherzustellen. So ist „[d]ie Frage nach dem Lebenssinn […] in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus klinischen und wissenschaftlichen Interesses in der Palliativmedizin gerückt“.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund zum Konzept des Lebenssinns
2.1 Vier Dimensionen von Sinn
2.2 Das Sinnsystem
2.3 Der Einfluss der Umwelt auf die Bildung des persönlichen Sinnsystems eines Individuums
3. Lebenssinn im Alter
3.1 Was ist „Alter“?
3.2 Restrukturierung des Sinnsystems im Alter
3.2.1 Potentielle Sinnquellen und Bereiche, die bei der Restruk- turierung des Sinnsystems im Alter besonders herausfordern
3.2.2 Religiosität als „Überlebens“-Strategie
4. Fazit und Ausblick
5. Literaturverzeichnis
5.1 Monographien
5.2 Aufsätze in Sammelbänden
5.3 Zeitschriftenartikel
1. Einleitung
„[D]ie menschliche Existenz [kann] eigentlich niemals wirklich sinnlos werden […]: das Leben des Menschen behält seinen Sinn bis „in ultimis“ - demnach solange er atmet“1.
Diese Annahme Viktor E. FRANKLs wird von manchen vielleicht als provokant oder gar schlichtweg falsch empfunden. Gerade Menschen, die sich in der „letzten Phase“ ihres Lebens befinden und gar noch von Krankheit geplagt sind, können dieser These nicht uneingeschränkt zustimmen; stattdessen plagen sie häufig Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Daseins. Auch bei Menschen, die sich in palliativmedizinischer Behandlung befinden, lässt sich ein „desire for death or loss of will to live“2 feststellen.
Die Frage nach dem Sinn hat also erhebliche Bedeutung, gerade weil bei Suizidalität im Alter Hoffnungslosigkeit und Sinnverlust bedeutende Motivationen für die Handlung darstellen; die betroffenen Menschen scheinen ihren Lebenswillen verloren zu haben.3 Artur REINER stellt fest, dass die Frage, die am häufigsten bei älteren Patienten, die einen Suizidversuch „hinter sich haben“, aufkommt, die nach der Sinnhaftigkeit ihres Lebens ist.4 Ziel kann und muss es also sein, „the feeling of dignity and meaning in patients‘ lives“5 zu erhöhen bzw. wiederherzustellen. So ist „[d]ie Frage nach dem Lebenssinn […] in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus klinischen und wissenschaftlichen Interesses in der Palliativmedizin gerückt“6.
Die Frage nach dem Lebenssinn bzw. das Konzept des Lebenssinns und den Lebenssinn im Alter näher zu beleuchten, ist Ziel der vorliegenden Erarbeitung. Dazu soll zunächst der theoretische Hintergrund von „Sinn“ näher betrachtet werden, um diesen dann speziell auf das Alter zu beziehen. Dabei werden auch potentielle „Sinnbereiche“ und Bereiche, die besondere Herausforderungen im Alter bilden, betrachtet. Die Erarbeitung mündet in einem Fazit und Ausblick.
2. Theoretischer Hintergrund zum Konzept des Lebenssinns
Das Konzept des Lebenssinns soll zunächst theoretisch aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden, ohne dass ein Anspruch von Vollständigkeit gestellt würde. Anfangs werden vier Dimensionen von Lebenssinn dargelegt, um dann die Idee des sogenannten Sinnsystems näher zu betrachten und den sozio-kulturellen Einfluss auf das persönliche Sinnsystem zu unterstreichen.
2.1Vier Dimensionen von Sinn
Zunächst lassen sich vier Dimensionen von Lebenssinn unterscheiden: Die Struktur von Lebenssinn, also „[w]ie Sinn erfahren wird“7, stellt eine erste Dimension dar. Hier finden sich erstens eine kognitive Komponente, die „die Suche nach einem tieferen Verständnis des Zusammenhangs und Zwecks der verschiedenen Lebensereignisse, Umstände und Begegnungen“8 beschreibt, zweitens eine motivationale Komponente, die das persönliche Wertesystem9 bezeichnet, und drittens eine affektive Komponente, die „die begleitenden Gefühle von Erfülltheit und Zufriedenheit, die durch Zielerreichung und Sinnerfahrung entstehen“10, umfasst.11 Außerdem betont Martin FEGG, dass Sinn nicht mit Glück gleichzusetzen ist (auch wenn „sinnstiftende Erlebnisse dennoch mit besonderen Glücksmomenten verbunden sein“12 können). Alle drei Komponenten beeinträchtigen einander, weshalb Lebenssinn […] somit verstanden werden [kann] als ein individuell konstruiertes, kulturbasiertes kognitives System, das die Wahl einer Person hinsichtlich ihrer Aktivitäten und Ziele beeinflusst, und ihrem Leben ein Gefühl von Zielgerichtetheit, persönlichem Wert und Erfüllung verleiht.13
Eine weitere Dimension bilden die Inhalte von Lebenssinn, also seine Quellen: Auch wenn in der Literatur Uneinigkeit bezüglich der Anzahl der möglichen Quellen herrscht, sollen hier als Annäherung vier vorgestellt werden: „das Bedürfnis nach Zweck, […] das Bedürfnis nach Werten[,] […] das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und Selbsteffizienz […] [und] das Bedürfnis nach Selbstwert und die Erfahrung, eine gute und wertvolle Person zu sein“14. Eine dritte Dimension findet sich in der Breite, d.h. Vielfalt, von Lebenssinn, da „[i]ndividuelle Sinnerfülltheit […] meist mehreren, voneinander unabhängigen Quellen“15 entspringt. Daraus lässt sich vermuten, „dass je größer die Vielfalt dieser Quellen […], umso größer [ist] auch das Gefühl von Erfülltheit“16. Die Qualität, also Tiefe, dieser Erfahrungen nun bildet eine vierte Dimension: Hier lassen sich „niedrigere“ von „höheren“ Ebenen unterscheiden: „Niedrigere Ebenen beinhalten konkreten, unmittelbaren und spezifischen Sinn, wohingegen höhere Ebenen längere Zeitspannen und breitere, abstraktere Konzepte umfassen.“17
2.2Das Sinnsystem
Der Lebenssinn eines Menschen basiert, wie oben bereits angedeutet, auf „[k]ognitive[n] Konstruktionen, mit deren Hilfe die eigene Person und ihre Existenz gedeutet […] und gewertet wird“18. Umfassendere Strukturen, innerhalb derer die Sinnstrukturen eines Menschen angesiedelt sind, stellen die „kognitive Basis der Persönlichkeit“19 dar und werden auch als „Selbstsystem“ bezeichnet. Darin werden einerseits wichtige, überdauernde Dinge, andererseits aber auch unwichtige, „alltäglich sich ändernde[…] Dinge des Lebens und der eigenen Person abgebildet. Die subjektiv wichtigen, folgenreichen, fundamentalen Inhalte werden zusammenfassend als Sinnsystem bezeichnet“20. Dieses Sinnsystem nun ist das Netzwerk von Vorstellungen über die eigene Person und das Leben, welches als zentrale Knotenpunkte die wichtigen Anliegen und deren relevante Beziehungen zu anderen Gegebenheiten […] enthält. Das Sinnsystem enthält mit anderen Worten Kognitionen, in denen die subjektiv bedeutsamen, wünschenswerten, wertvollen, für die Identität wichtigen oder sinnvollen Zustände und Entwicklungen der eigenen Person und ihres Umweltbezuges repräsentiert sind.21
Es werden also im Sinnsystem alltägliche Geschehnisse „mit dem übergreifenden Lebensentwurf“22 verknüpft. Positiver Sinn kann verschiedentlich gefunden werden, sei es in einer einzelnen, umfassenden Idee, sei es in einzelnen Höhepunkten.23 Bei FEGG findet sich hierzu folgende Unterscheidung: Er führt auf, dass es sowohl „global“, als auch „situational meaning“ gibt:
Global meaning encompasses beliefs about the order of life or the universe as well as personal life goals and purpose, whereas situational meaning is said to refer to the interaction of a person’s global beliefs and goals and the immediate circumstances of a particular personenvironment transaction.24
Dieses persönliche Sinnsystem nun kann gestört werden, was auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist; das Alter wiederum bringt spezielle Sinnprobleme mit sich.
2.3Der Einfluss der Umwelt auf die Bildung des persönlichen Sinnsystems eines Individuums
Auch wenn die Vorstellung von Individualität auch bezüglich persönlicher Sinnsysteme vorherrschend ist, „unterscheiden sich die persönlichen Sinnsysteme verschiedener Personen aufgrund der Verankerung des Lebens in einer Gemeinschaft [faktisch - Anm. d. Verf.] weniger als gemeinhin angenommen“25. Hierbei ist wichtig zu bemerken, dass also gängige Vorstellungen und gesellschaftliche Deutungsmuster Einfluss darauf haben, was ein Mensch in einem bestimmten Alter als sinnvollen Lebensinhalt oder sinnvolles Lebensziel etc. erachtet und was nicht.26 So hat beispielsweise, was unten noch gezeigt werden soll, nicht nur der biologisch bedingte, körperliche Abbau von älteren Menschen Einfluss auf ihr persönliches Sinnsystem, sondern auch vorherrschende gesellschaftliche Stereotype gegenüber der Lebensqualität bestimmter Altersgruppen.27 Das persönliche Sinnsystem ist also auch abhängig vom sozio-kulturellen Kontext.28 So wurde „[s]eit Beginn der Geschichte […] das höhere Alter […] immer wieder als Inbegriff des beklagenswerten Zustandes des menschlichen Lebens angesehen“29. Es lässt sich außerdem heutzutage eine kulturell verbreitete Abneigung vorfinden, „ältere Menschen in gesellschaftliche Aktivitäten jüngerer einzubeziehen“30. Dies kann in anderen Kulturen anders aussehen; so ist es beispielsweise in Afrika nicht erstrebenswert, als jungendhaft zu gelten, sondern stattdessen alt zu sein.31 Gerade hier können also auch Chancen der positiven Einflussnahme liegen.
3. Lebenssinn im Alter
Zunächst einmal soll in diesem Kapitel kurz beleuchtet werden, was unter dem Begriff des „Alters“ verstanden werden kann bzw. welche Unterscheidungen zu treffen sind, um dann die nötige Restrukturierung des Sinnsystems im Alter zu betrachten. Dabei wird auf potentielle „Sinnbereiche“ bzw. auf Bereiche, die eine besondere Herausforderung für die Restrukturierung des Sinnsystems bilden, näher eingegangen. Auch die Rolle von Religion bei der Bildung von Sinn trotz Schmerzen etc. wird angeschnitten.
3.1Was ist „Alter“?
Was ist unter dem Begriff „Alter“ in hiesigem Zusammenhang zu verstehen? Als Annäherung kann man zunächst das „Alter“ als Lebensphase definieren, die ungefähr das letzte Viertel des Lebens eines Menschen beinhaltet und mit dem Ruhestand beginnt. Somit wäre der Beginn dieser Phase auf ungefähr Mitte 60 festzusetzen.32 „Alter ist […] eine sozial definierte oder biologisch bzw. chronologisch willkürlich festgelegte Lebensperiode“33 ; es ist „zwischen chronologischem, biologischem, sozialem, funktionellem und psychologischem Alter zu unterscheiden“34. Unabhängig davon jedoch ist zunächst, wie alt sich eine Person selbst fühlt. Gerade am Anfang des Alterns hat das sogenannte subjektive Alter einen zentralen Stellenwert im Sinnsystem.35 Es ist außerdem eine Unterscheidung von „jungem“ und „altem Alter“ zu finden: Ersteres ist geprägt von einer relativen Gesundheit, der Befreiung von Pflichten und der Freiheit zu Neuem, Zweiteres von immer mehr zunehmenden körperlichen Beschwerden.36 Wichtig ist auch, die großen interindividuellen Unterschiede festzuhalten, „die vom spezifischen Verlauf der biologischen, sozialen und sonstigen Aspekte des Alterns sowie vom vorherigen Leben abhängen“37.
[...]
1 FRANKL, Viktor E.: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse, Frankfurt a. M. 1994, 61.
2 FEGG, Martin u. a. (2010): Meaning of life in palliative care patients (Journal of Pain and Symptom Management, 40(4)), 503.
3 Vgl. REINER, Artur: Seelsorgerliche und ethische Aspekte im Umgang mit suizidgefährdeten alten Menschen, in: FRIEDRICH, Ingrid/SCHMITZ-SCHERZER, Reinhard (Hrsg.): Suizid im Alter, Darmstadt 1992, 31.33f.
4 Vgl. REINER, Artur: Seelsorgerliche und ethische Aspekte im Umgang mit suizidgefährdeten alten Menschen, in: FRIEDRICH, Ingrid/SCHMITZ-SCHERZER, Reinhard (Hrsg.): Suizid im Alter, Darmstadt 1992, 33.
5 FEGG, Meaning 503.
6 FEGG, Martin: Lebenssinn am Lebensende, in: BORMANN, Franz-Josef/ BORASIO, Gian D. (Hrsg.): Sterben. Dimensionen eines anthropologischen Grundphänomens, Berlin 2012, 65.
7 FEGG, Lebenssinn 68.
8 FEGG, Lebenssinn 69.
9 Es liegt hier folgendes Verständnis von Werten zugrunde: „Werte sind Leitlinien für das individuelle Verhalten und geben Ziele vor, die dem Individuum erstrebenswert scheinen“ (FEGG, Lebenssinn 69).
10 FEGG, Lebenssinn 69.
11 Vgl. FEGG, Lebenssinn 69.
12 FEGG, Lebenssinn 69.
13 FEGG, Lebenssinn 69.
14 FEGG, Lebenssinn 70.
15 FEGG, Lebenssinn 70.
16 FEGG, Lebenssinn 70f.
17 FEGG, Lebenssinn 71.
18 DITTMANN-KOHLI, Freya: Sinngebung im Alter, in: MAYRING, Philipp/SAUP, Winfried (Hrsg.): Entwicklungsprozesse im Alter, Stuttgart u. a. 1990, 146.
19 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 147.
20 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 147.
21 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 147.
22 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 148.
23 Vgl. DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 148.
24 FEGG, Meaning 503.
25 STAUDINGER, Ursula M./DITTMANN-KOHLI, Freya: Lebenserfahrung und Lebenssinn, in: BALTES, Paul B./MITTELSTRASS, Jürgen (Hrsg.): Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung, Berlin/New York 1992, 415.
26 Vgl. STAUDINGER/DITTMANN-KOHLI, Lebenserfahrung 415.
27 Vgl. STAUDINGER/DITTMANN-KOHLI, Lebenserfahrung 416.
28 Vgl. STAUDINGER/DITTMANN-KOHLI, Lebenserfahrung 416.
29 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 154.
30 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 160.
31 Vgl. DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 154.
32 Die Autorin nennt hier „um die 60“ (DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 153); dies entspricht jedoch nicht unbedingt dem Renteneinstiegsalter der heutigen westlichen Gesellschaft.
33 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 152.
34 NIES, Henk/MUNNICHS, Joep M.: Sinngebung und Altern (Beiträge zur Gerontologie und Altenarbeit, Bd. 66), Berlin 21987, 25.
35 Vgl. DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 154.
36 Vgl. DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 153.
37 DITTMANN-KOHLI, Sinngebung 145.