Diese Arbeit beabsichtigt, durch Berücksichtigung zeitgenössischer Quellen, Auseinandersetzung mit themenbezogener Literatur und Einbeziehung der neuesten Erkenntnisse der Forschung, die Verfolgung der Zigeuner im absolutistischen Deutschland zu ergründen und aufzuzeigen. In dieser Hausarbeit wird der Begriff „Zigeuner” als historischer Quellenbegriff zur wissenschaftlichen Untersuchung des Forschungsgegenstandes verwendet. Der Begriff bezieht sich auf die Menschen, die in den Quellen als „Zigeuner“ bezeichnet werden.
Anfang des 15. Jahrhunderts trifft die fremde Kultur der Sinti und Roma mit ihrer eigenen Sprache, Geschichte und Kultur erstmals in Mitteleuropa und Deutschland ein. Die Geschichte der Sinti und Roma ist zugleich eine bewegende und leidvolle Geschichte der Verfolgungen. Besonders im Zeitalter des Absolutismus fand in Mitteleuropa und Deutschland eine rücksichtslose Verfolgung der Sinti und Roma statt. Das Wort „Verfolgung“ meint in diesem Sinne die Minderheitenverfolgung und Strafverfolgung. Neben der physischen Beeinträchtigung (Vertreibung, Gefangennahme, Trennung von Familien usw.) schließt der Verfolgungsakt auch die Entrechtung, Schmähung und Entehrung der Verfolgten ein.
Die Sinti und Roma stellen zwei streng voneinander getrennte Gruppen dar, die sich in Kultur und Dialekt stark unterscheiden. Bei den im frühen 15. Jahrhundert in Deutschland eingewanderten Gruppen, handelte es sich höchstwahrscheinlich vorwiegend um Sinti. Während die Begriffe „Sinti“ und „Roma“ in historischen Quellen nicht aufzufinden sind, stellt der Begriff „Zigeuner“ einen historischen Quellenbegriff dar. Heute ist das Wort „Zigeuner“, als Sammelbezeichnung für die Angehörigen der wandernden ethnischen Minderheit der Sinti und Roma, im deutschen Sprachgebrauch ein negativ besetzter Begriff. Von den Betroffenen wird diese Bezeichnung als diskriminierend empfunden und daher abgelehnt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Verfolgung der Zigeuner im absolutistischen Deutschland
Schluss
Quellen- und Literaturverzeichnis
Einleitung
Am Anfang des 15. Jahrhunderts trifft die fremde Kultur der Sinti und Roma mit ihrer eigenen Sprache, Geschichte und Kultur erstmals in Mitteleuropa und Deutschland ein. Die Geschichte der Sinti und Roma ist zugleich eine bewegende und leidvolle Geschichte der Verfolgungen. Besonders im Zeitalter des Absolutismus fand in Mitteleuropa und Deutschland eine rücksichtslose Verfolgung der Sinti und Roma statt. Das Wort „Verfolgung“ meint in diesem Sinne die Minderheitenverfolgung und Strafverfolgung. Neben der physischen Beeinträchtigung (Vertreibung, Gefangennahme, Trennung von Familien usw.) schließt der Verfolgungsakt auch die Entrechtung, Schmähung und Entehrung der Verfolgten ein.
Die Sinti und Roma stellen zwei streng voneinander getrennte Gruppen dar, die sich in Kultur und Dialekt stark unterscheiden. Bei den im frühen 15. Jahrhundert in Deutschland eingewanderten Gruppen, handelte es sich höchstwahrscheinlich vorwiegend um Sinti.[1] Während die Begriffe „Sinti“ und „Roma“ in historischen Quellen nicht aufzufinden sind, stellt der Begriff „Zigeuner“ einen historischen Quellenbegriff dar. Das Wort „Zigeuner“ stammt vermutlich von dem mittelalterlich-griechischen Wort „Atsigani“ oder „Athinganoi“ ab, dem Namen einer gnostischen Sekte, deren Mitglieder Andersgläubige für unrein hielten und deswegen Kontakt mit ihnen vermieden. Möglicherweise kamen die Zigeuner noch vor der Arabisierung Mittelasiens mit den Anhängern dieser Sekte in Berührung, die hauptsächlich in Phrygien, einer Landschaft im westlichen Anatolien, sesshaft waren.[2] Heute ist das Wort „Zigeuner“, als Sammelbezeichnung für die Angehörigen der wandernden ethnischen Minderheit der Sinti und Roma, im deutschen Sprachgebrauch ein negativ besetzter Begriff. Von den Betroffenen wird diese Bezeichnung als diskriminierend empfunden und daher abgelehnt.
In dieser Hausarbeit wird der Begriff „Zigeuner” als historischer Quellenbegriff zur wissenschaftlichen Untersuchung des Forschungsgegenstandes verwendet. Der Begriff bezieht sich auf die Menschen, die in den Quellen als „Zigeuner“ bezeichnet werden.
Diese Arbeit beabsichtigt, durch Berücksichtigung zeitgenössischer Quellen[3], Auseinandersetzung mit themenbezogener Literatur[4] und Einbeziehung der neuesten Erkenntnisse der Forschung, die Verfolgung der Zigeuner im absolutistischen Deutschland zu ergründen und aufzuzeigen. Die Gründe und Ursachen der Verfolgung reichen weit zurück in die Vergangenheit. Bereits ihre Ankunft in Deutschland stellt den Ausgangspunkt für die verhängnisvolle Entwicklung in den kommenden Jahrhunderten dar. Somit spielen die Ereignisse im 15. und 16. Jahrhundert eine entscheidende Rolle, um die Verfolgungen im absolutistischen Deutschland verstehen und ergründen zu können. In diesem Zusammenhang ist die Analyse der wichtigsten Quelle, die Gesetzgebung des Reichstages von Freiburg[5] aus dem Jahre 1498, unbedingt erforderlich. Das Quellenmaterial, das über die Zigeuner berichtet, besteht fast ausschließlich in Verordnungen zu deren Bekämpfung, sowie in Gerichts- und Fahndungsakten. Daher ist die Überlieferung nicht nur lückenhaft, sondern auch sehr einseitig. In den Quellen wird daher nur ein bestimmter Teil der Wirklichkeit widergespiegelt, der die Zigeuner in einem sehr negativen Licht erscheinen lässt.[6] Die verfügbaren Quellen, die weitgehend aus der obrigkeitlichen Abwehr- und Verfolgerperspektive geschrieben wurden, müssen also einer sorgfältigen Auswertung unterzogen werden. In der Forschung besteht erst seit kurzer Zeit die Tendenz, nicht nur die bisher benutzten Quellen (obrigkeitliche Verfügungen, Gerichts- und Polizeiakten) neu aufzubereiten, sondern auch kaum beachtete Materialien wie Rechnungen und Kirchenbücher einzubeziehen.[7] Von besonderer Bedeutung zur Erstellung dieser Arbeit waren u.a. die Monographien von Thomas Fricke und Rüdiger Vossen sowie der Aufsatz von Winfried Schulze.
Die Verfolgung der Zigeuner im absolutistischen Deutschland
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erreichten die ersten Zigeunergruppen auf ihrer Westwanderung Deutschland und Westeuropa. Die Ankunft der unbekannten Reisenden in Deutschland wird im Jahre 1407 zum ersten Mal im Urkundenbuch der Stadt Hildesheim erwähnt. In der Aufzeichnung spricht man allerdings von „Tataren“, anscheinend stellten die Angehörigen der Zigeunergruppen für die sesshafte Bevölkerung eine ähnlich unbekannte und bedrohliche Gruppe wie die kriegerischen Tataren dar.[8] Die Fremden zogen von Stadt zu Stadt und waren zunächst hoch angesehen, wenngleich viele Einheimische sie mit distanzierter Neugier betrachteten. Im Jahre 1438 erreichte ein zweiter Einwanderungsschub Deutschland. Die Fremden erzählten der Bevölkerung eine Herkunftssage, die ganz der Mentalität der Gastvölker angepasst war.[9] Sie berichteten, dass ihre Vorfahren in Klein-Ägypten zahlreiche Jahre vom christlichen Glauben abgefallen seien. Nach ihrer Bekehrung sei ihnen die Buße auferlegt worden, dass sie ebenso viele Jahre in der Fremde umherziehen und Buße tun müssten, wie sie in Unglauben zugebracht hatten.[10] Die Bevölkerung brachte diesen Menschen, den reuigen christlichen Sündern auf Bußfahrt für vergangene Sünden, generationenlang Sympathie entgegen und begegnete ihnen zunächst vorurteilsfrei. Mit Hilfe ihrer Herkunftsgeschichte erhielten die Zigeuner zudem kaiserliche und landesherrliche Geleitbriefe. Im Jahre 1417 stellte ihnen König Sigismund, der König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, einen Schutzbrief aus, der ihnen „Geleit und freien Zug durch die Länder und Städte“ gewährte.[11]
Für die Zigeuner war ihre auffallende Andersartigkeit von Aussehen, Sprache, nomadischer Lebensweise und gesamter Kultur kennzeichnend. Sie hielten an einem engen ethnischen Großgruppenzusammenhalt in Stammes-, Sippen- und Familienverbänden unter der Führung von Grafen oder Herzögen fest.[12] Die Führer waren persönlich frei und keineswegs arm, daher kann ihre gesellschaftliche Stellung im Bereich des Adels angesiedelt werden. Sie waren beritten, bewaffnet und konnten sich teilweise Luxusgüter wie Schmuck und kostbare Kleidung leisten.[13]
Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden jedoch die ersten Vorurteile und Abwehrhaltungen gegenüber den Zigeunern. Besonders in deutschsprachigen Gebieten fällt das große Misstrauen gegenüber den fremden Landfahrern auf. Die sesshafte Bevölkerung bezichtigte sie fast überall des Taschendiebstahls und teilweise auch des größeren Diebstahls in den leerstehenden Häusern, während die Bauern auf den Feldern arbeiteten. Bei diesem schwerwiegenden Vorwurf der Kleinkriminalität schrieb man ihnen eine besondere Geschicklichkeit zu. In einem Tischgespräch bemerkt Luther: „Stehlen ist keine Kunst, sondern verschlagen, nämlich die Geschicklichkeit: verschwind, daß dich niemand find. So waren die Zigeuner.“[14] Ebenfalls nannte man sie „elendige lude“, d.h. ausländische, fremde und jammervolle Leute, Menschen ohne Vaterland. Die Bevölkerung hielt sie für listig und untreu, da sie falsche Tatsachen (z.B. als büßende Pilger) vortäuschten. Sie unterstellten ihnen Müßiggang und Faulheit und betrachteten sie damit als „unnutz volk“, das keinen Nutzen bringt und damit überflüssig ist. Aufgrund der praktizierten Wahrsagerei, Zauberei und Hexerei wähnt man sie im Bunde mit dem Teufel, d.h. sie gehörten keiner (christlichen) Religion an.[15] Die genannten Punkte stellen die wichtigsten und gravierendsten Vorurteile bzw. Vorwürfe gegenüber Zigeunern im 15. Jahrhundert dar.
Die Haltung der Sesshaften gegenüber den Zigeunergruppen (1422 Androhung der Exkommunikation, 1427 praktizierte Exkommunikation, Verwehrung des Eintritts in eine Stadt bzw. ihre Vertreibung teilweise mit Waffengewalt) war Anlass für die Staatsgewalt, mit immer drastischeren Mitteln gegen die Fremden vorzugehen. In speziellen Zigeuneredikten wurden die entsprechenden Ausweisungs- und Ausgrenzungsmaßnahmen formuliert. Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg verbot den Zigeunern unter Strafandrohung in dem Edikt vom 15. Januar 1482 den Aufenthalt in seinem Herrschaftsbereich. Der Reichstag von Lindau (1496 bis 1497) griff den härtesten und folgenschwersten Vorwurf auf, der den Zigeunern unterstellte, sie würden im Auftrag der Türken die Länder der Christen ausspionieren. Hinsichtlich der ständigen Expansion des Osmanischen Reiches im 14. und 15. Jahrhundert war dieser Spionage-Vorwurf eine schwerwiegende Beschuldigung.[16] Die Zigeuner wurden „zu Verrätern an den Christenlanden deklariert und außer Landes verwiesen.“ Ebenfalls hob der Reichstag den Schutzbrief Kaiser Sigismunds aus dem Jahre 1417 auf.[17]
Einen radikalen Einschnitt markierte jedoch der Beschluss des Reichstages von Freiburg (1498). In den folgenden Jahrhunderten diente er als gesetzliche Grundlage und Legitimation für die Zigeunerverfolgung. Der Paragraph 46 des am 4. September 1498 angenommenen Reichsabschieds besagt Folgendes:
„Derienen halber, so sich zcigeiner nennen und wider und für in die land ziehen etc., soll per edictum publicum allen stenden des reichs durch uns bey den pflichten, damit sie uns und dem hl. reich verwandt sint, ernstlich gebotten werden, das sie hinfür dieselben zcigeiner, nachdem man glaublich anzeig hat, das sie erfarer, usspeer und verkuntschafter der cristen lant seyen, in oder durch ire land, gepiete oder oberkeit nit ziehen, handeln noch wandeln lassen, noch inen des sicherheit oder geleyt geben und das sich die zcigeiner daruf hiezwischen ostern nechstkünftig uß den landen teutscher nacion tun, sich der eußern und darin nit finden lassen, wann wo sie darnach betreten und yemants mit der tate gegen inen zu handeln fürnemen würde, der soll daran nit gefrevelt noch unrecht getan haben, wie dann solichs unser mandat wyter inhalten wirdet.“[18]
Der Freiburger Reichsabschied griff erneut den Spionagevorwurf auf und setzte fest, dass die Zigeuner im Deutschen Reich nicht geduldet werden sollen. Allen Ständen wurde geboten, keine Zigeuner durch ihre Lande, Gebiete und Oberhoheit ziehen, handeln oder wandeln zu lassen, noch ihnen Sicherheit und Gelegenheit zu geben. Ebenfalls sollen alle Zigeuner das Land deutscher Nation bis zum nächsten Osterfest verlassen haben.[19] Ließen die Zigeuner jedoch die Frist verstreichen, so dürfen sie tätlich angegriffen und vertrieben werden, derjenige solle „daran nit gefrevelt noch unrecht getan“ haben. Im Falle der Rückkehr ins Reich, erklärt der Reichsabschied die Zigeuner als rechtlos bzw. vogelfrei.[20]
Mit Vogelfreiheit ist genau das Gegenteil der sogenannten „zigeunerischen Freiheit“ gemeint. Die ursprüngliche Bedeutung „völlig frei von Diensten wie die Vögel“ (15. Jahrhundert) wandelte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zu „den Vögeln zum Fraß freigegeben wie ein Gehenkter“. Dieser Zustand vollkommener Rechtlosigkeit und Ächtung bedeutete somit auch den Ausschluss aus der weltlichen Gemeinschaft und die Freigabe zur Verfolgung, Folterung, Haft und Tötung.[21]
Die deutschen Reichstage waren die höchste Instanz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Ihre Bestimmungen bezüglich der Zigeunerbehandlung sind in zahlreichen „Zigeuneredikten“ der Fürstentümer des Reiches und anderer deutscher Herrschaftsgebiete dokumentiert. In den Reichsabschieden von 1500 (§ 27), 1534 (§ 75) und 1544 (§ 75) sowie in den Reichspolizeiordnungen von 1530 (Tit. 35), 1548 (Tit. 25) und 1577 (Tit. 28) wurde der Landesverweis rechtlich verankert.[22] Der Augsburger Tag des Jahres 1500 setzte den Zigeunern eine Dreimonatsfrist, innerhalb derer sie sich „auß den Landen teutscher Nation thun sollen“.[23] Unter dem Spionagevorwurf des Freiburger Reichstages hatten die Zigeuner das gesamte 16. Jahrhundert zu leiden. Die Behauptung, sie seien „spheher“ und „khundschafter“ für die Erbfeinde des christlichen Glaubens, führte 1526 zum Verweis aus dem Salzburger Land. Im Jahre 1590 verbot man ihnen die Mark Brandenburg, da man sie als „kundscheffer und verrehter der Christenheit gegen dem Erbfeinde“ diffamierte.[24]
Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) griffen die Staatsoberhäupter auf die Soldatendienste der Zigeuner zurück, wodurch die Zigeunerverfolgung in dieser Zeit weitgehend stagnierte. Dies gründete wahrscheinlich darin, dass der Krieg die volle Aufmerksamkeit der Regierungen beanspruchte. Aufgrund des schrecklichen Kriegsalltages traten auch bei der Bevölkerung die Auseinandersetzungen mit den Zigeunern zurück.[25] Nach dem Ende des Krieges wurden die Zigeuner aus dem Militärdienst entlassen. Die allgemeine wirtschaftliche Depression und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Krieges führten bei den meisten Menschen zum Verlust ihrer Existenzgrundlage. Durch den Wegfall der Verdienstmöglichkeiten setzte auch bei den Zigeunern ein Verarmungsprozess ein. Die Aufenthaltsverweigerungen und Ausweisungen stellten für sie eine sehr große Behinderung ihrer Erwerbstätigkeit dar, wodurch sie immer mehr in die Abhängigkeit der sesshaften Bevölkerung hinsichtlich des Erwerbs bzw. der Beschaffung ihrer Unterhaltungs- und Nahrungsmittel gerieten. Ihre Erwerbsformen waren der Verfolgungssituation sehr gut angepasst, jedoch erschwerte sich die Ausübung, je mehr Ablehnung und Misstrauen in der Bevölkerung wuchsen. Aufgrund der verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges und des Krieges gegen die Türken und Franzosen, war in der Bevölkerung nur eine gewisse Toleranz gegenüber den bettelnden Zigeunern vorhanden.[26]
Mit dem voranschreitenden Verarmungsprozess der Zigeuner begann zugleich ihre Kriminalisierung. Diese steht im direkten Zusammenhang mit der frühneuzeitlichen Armenpolitik. In den Städten und auf dem Land wurde das traditionelle Almosengeben durch ein allgemeines Bettelverbot und Armenordnungen diskreditiert. Der Prozess der Armutsausgrenzung, der Stigmatisierung und Kriminalisierung des Bettlers, und somit auch des bettelnden Zigeuners, wurde im 17. und 18. Jahrhundert mittels Verbote und Disziplinarmaßnahmen entscheidend vorangetrieben. Die schleichende Kriminalisierung, die Isolation und Stigmatisierung der Zigeuner ging also einher mit dem Prozess der Armutsausgrenzung.[27] Das Bettelverbot gegenüber Zigeunern wurde so entschieden durchgeführt, dass die Notlage sie zum Diebstahl zwang. Ein verhafteter Zigeuner, der wegen Diebstahls vor Gericht stand, antwortete auf die Frage nach dem Grund der Tat: „Er wisse selbst nichts anzugeben, außer, wann er hätte Betteln därffen, daß er in dieses Unglückh nicht gekommen wäre, indeme er dadurch vielmehr dazu gezwungen worden.“[28] Die Eigentumskriminalität der Zigeuner steht also im engen Zusammenhang mit der strengeren Handhabung des Bettelverbots.[29]
Nach dem Dreißigjährigen Krieg versuchte der Obrigkeitsstaat die Zigeuner energischer zu bekämpfen. An den Grenzen der einzelnen Territorien stellte man dazu die sogenannten Zigeunerstöcke als Abschreckungsmaßnahme auf. Die bemalten Schautafeln verboten den Zigeunern das Betreten des Landes unter Androhung härtester Körper- und Lebensstrafen. Aufgrund der Vertreibung der Zigeuner aus französischen Gebieten stieg die Zahl der Zigeuner in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert stetig an. In Frankreich wurde in den Edikten von 1678 und 1682 brutal befohlen, über diese Menschen „herzufallen mit Feuer und Schwert“.[30]
Es setzte nun eine dauerhafte und gezielte Bekämpfungspolitik ein, die zugleich im Zeichen des neuen umfassenden politischen Herrschafts- und Reglementierungsanspruchs des absolutistischen Staates stand. Die bewaffneten Zigeunerverbände, mit selbstbewusst auftretenden Führern, wurden von keiner Territorialmacht kontrolliert oder befehligt. Eine Duldung der Verbände innerhalb der Machtsphäre der Fürsten bedeutete zugleich eine Zustimmung zur Einschränkung der fürstlichen Souveränität. Daher fielen die von bürgerlicher Seite gestellten und durch Beamte herangetragenen Forderungen nach schärferer Bekämpfung der Zigeuner bei den Fürsten auf fruchtbaren Boden. In den Klagen der Bevölkerung sahen die Regierungen eine Legitimation zur Verschärfung der Verfolgungen.[31] Durch ihr flexibles Sozialsystem, ihre Beweglichkeit und ihre Anpassungsfähigkeit konnten sich die Zigeuner anfangs dem stärksten Druck entziehen, indem sie in die Nachbarländer, Wald- oder Gebirgsregionen auswichen. Später waren viele Zigeunergruppen gezwungen in den Untergrund abzutauchen und sich mit nicht-zigeunerischen Räuberbanden zu solidarisieren.[32]
[...]
[1] Fricke, S. 11.
[2] Fricke, S. 11.
[3] Gollwitzer, Heinz [Bearb.]: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Band 6, Göttingen 1979, S. 737.
[4] Fricke, Thomas: Zigeuner im Zeitalter des Absolutismus. Bilanz einer einseitigen Überlieferung. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung anhand südwestdeutscher Quellen, Reihe Geschichtswissenschaft, Band 40, Pfaffenweiler 1996; Gilsenbach, Reimar [Hrsg.]: Weltchronologie der Zigeuner, Teil 1. Von den Anfängen bis 1599, Studien zur Tsiganologie und Folkloristik, Bd. 10, Frankfurt am Main 1990; Hippel, Wolfgang von: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit, Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 34, München 1995; Hohmann, Joachim S.: Verfolgte ohne Heimat. Geschichte der Zigeuner in Deutschland, Studien zur Tsiganologie und Folkloristik, Bd. 1, Frankfurt am Main 1990; Köpf, Peter: Sinti und Roma, München 1994; Schulze, Winfried / Gabel, Helmut [Hrsg.]: Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 12, München 1988, S. 113-164; Vierhaus, Rudolf: Deutschland im Zeitalter des Absolutismus (1648-1763), Deutsche Geschichte, Band 6, 2. Aufl., Göttingen 1984; Von Soest, George: Zigeuner zwischen Verfolgung und Integration, Geschichte, Lebensbedingungen und Eingliederungsversuche, 2. Aufl., Weinheim / Basel 1980; Vossen, Rüdiger: Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies zwischen Verfolgung und Romantisierung, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1983.
[5] Siehe Anmerkung 1.
[6] Fricke, Thomas: Zigeuner im Zeitalter des Absolutismus. Bilanz einer einseitigen Überlieferung. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung anhand südwestdeutscher Quellen, Reihe Geschichtswissenschaft, Band 40, Pfaffenweiler 1996, S. 8.
[7] Hippel, S. 100.
[8] Von Soest, George: Zigeuner zwischen Verfolgung und Integration, Geschichte, Lebensbedingungen und Eingliederungsversuche, 2. Aufl., Weinheim / Basel 1980, S. 21.
[9] Schulze, Winfried / Gabel, Helmut [Hrsg.]: Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 12, München 1988, S. 131.
[10] Gilsenbach, Reimar [Hrsg.]: Weltchronologie der Zigeuner, Teil 1. Von den Anfängen bis 1599, Studien zur Tsiganologie und Folkloristik, Bd. 10, Frankfurt am Main 1990, S. 49.
[11] Vgl. Gilsenbach, 1990, S. 49.
[12] Hippel, Wolfgang von: Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Frühen Neuzeit, Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 34, München 1995, S. 42.
[13] Fricke, S. 13.
[14] Schulze, S. 132.
[15] Vgl. Vossen, Rüdiger: Zigeuner. Roma, Sinti, Gitanos, Gypsies zwischen Verfolgung und Romantisierung, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1983, S. 38.
[16] Vossen, S. 44.
[17] Vossen, S. 45.
[18] Gollwitzer, Heinz [Bearb.]: Deutsche Reichsakten unter Maximilian I., Band 6, Göttingen 1979, S. 737.
[19] Gilsenbach, S. 115.
[20] Fricke, S. 14.
[21] Vossen, S. 44.
[22] Gilsenbach, S. 116.
[23] Schulze, S. 132.
[24] Schulze, S. 133.
[25] Fricke, S. 39.
[26] Fricke, S. 72.
[27] Fricke, S. 126.
[28] Fricke, S. 127.
[29] Fricke, S. 128.
[30] Schulze, S.135.
[31] Fricke, S. 78.
[32] Vossen, S. 49.