In der vorliegenden Arbeit soll die Rolle der Sprache bzw. der Rede für Heideggers Daseinskonzeption näher untersucht werden, wie er sie in seinem frühen Hauptwerk "Sein und Zeit" (1927) besonders im § 34 entwickelt. Ziel dabei ist es den sprachlichen Charakter des Daseins aufzuzeigen, der sich besonders im Mitsein mit den Anderen zeigt. Dabei soll auch auf die berühmte aristotelische Formel, dass der Mensch ein zoon logon echon ist, ein Lebewesen also das über Sprache verfügt, genauer eingegangen werden, da sie für Heidegger Deutung des menschlichen Daseins von Relevanz ist.
Gerade wegen des sprachlichen Aspekts des Daseins, lässt sich die Frage nun stellen, ob nicht auch ein Bezug zur Rhetorik implizit bei Heidegger vorhanden ist. Was hier unter Rhetorik verstanden wird, soll vor allem durch das Eingehen auf moderne Rhetorikforscher wie Joachim Knape geklärt werden. Neben diesem Punkt bedarf ebenso der Zusammenhang zwischen dem Verstehen und der Rede einer gesonderten Behandlung. Der Logosbegriff, der hier für die Rede steht, ist einer der zentralen Kernbegriffe dieser Arbeit und erfährt daher eine besondere Beachtung. Die Auseinandersetzung mit dem Haupttext soll auch durch das Eingehen auf Vorlesungen, die Heidegger in den 1920-er Jahren gehalten hat, vertieft werden.
Wichtig ist zu beachten, dass alles was über die Beziehung des Logos zum Dasein gesagt wird, nur den frühen Heidegger betrifft, den der späte wird zu einer anderen Position hinsichtlich des Logosbegriffs kommen. Abgesehen von Joachim Knape, der Professor für Rhetorik in Tübingen ist, soll zudem durch das Eingehen auf den Philosophen Jacques Derrida ein weiterer relevanter Bezug zur Forschung hergestellt werden. Knape selber liest in seinem Buch "Was ist Rhetorik?" (2000) Heidegger rhetoriktheoretisch, Derrida problematisiert in seinem frühen Werk Grammatologie dessen Logozentrismus. Beide Forscher verbindet trotz theoretischer Unterschiede die Behandlung des Logozentrismus bei Heidegger.
Inhaltsverzeichnis
A: Einleitung
B: Über den Zusammenhang von Dasein und Rede in Heideggers Sein und Zeit
1.1 Erste Grundzüge der heideggerschen Logostheorie
1.2 Über den hermeneutischen Charakter der Rede und des Daseins
1.3 Dasein als Miteinanderreden oder über Hören und Schweigen im sprachlichen Kontext
1.4 Von der Rede zum Gerede
1.5 Die Zeitlichkeit der Rede und des Daseins
1.6 Heidegger aus der Sicht Joachim Knapes und Jacques Derridas
Bibliografie
A: Einleitung:
In der vorliegenden Arbeit soll die Rolle der Sprache bzw. der Rede für Heideggers Daseinskonzeption näher untersucht werden, wie er sie in seinem frühen Hauptwerk Sein und Zeit (1927) besonders im § 34 entwickelt. Ziel dabei ist es den sprachlichen Charakter des Daseins aufzuzeigen, der sich besonders im Mitsein mit den Anderen zeigt. Dabei soll auch auf die berühmte aristotelische Formel, dass der Mensch ein zoon logon echon ist, ein Lebewesen also das über Sprache verfügt, genauer eingegangen werden, da sie für Heidegger Deutung des menschlichen Daseins von Relevanz[1] ist. Gerade wegen des sprachlichen Aspekts des Daseins, lässt sich die Frage nun stellen, ob nicht auch ein Bezug zur Rhetorik[2] implizit bei Heidegger vorhanden ist. Was hier unter Rhetorik verstanden wird, soll vor allem durch das Eingehen auf moderne Rhetorikforscher wie Joachim Knape geklärt werden. Neben diesem Punkt bedarf ebenso der Zusammenhang zwischen dem Verstehen und der Rede einer gesonderten Behandlung. Der Logosbegriff, der hier für die Rede steht, ist einer der zentralen Kernbegriffe dieser Arbeit und erfährt daher eine besondere Beachtung. Die Auseinandersetzung mit dem Haupttext soll auch durch das Eingehen auf Vorlesungen[3], die Heidegger in den 1920-er Jahren gehalten hat, vertieft werden. Wichtig ist zu beachten, dass alles was über die Beziehung des Logos zum Dasein gesagt wird, nur den frühen Heidegger[4] betrifft, den der späte[5] wird zu einer anderen Position hinsichtlich des Logosbegriffs kommen. Abgesehen von Joachim Knape, der Professor für Rhetorik in Tübingen ist, soll zudem durch das Eingehen auf den Philosophen Jacques Derrida ein weiterer relevanter Bezug zur Forschung hergestellt werden. Knape selber liest in seinem Buch Was ist Rhetorik? (2000) Heidegger rhetoriktheoretisch, Derrida problematisiert in seinem frühen Werk Grammatologie dessen Logozentrismus. Beide Forscher verbindet trotz theoretischer Unterschiede die Behandlung des Logozentrismus bei Heidegger.
B: Über den Zusammenhang von Dasein und Rede in Heideggers Sein und Zeit
1.1 Erste Grundzüge der heideggerschen Logostheorie
Heidegger thematisiert den Logosbegriff zum ersten Mal im § 7B von Sein und Zeit. Dort wird schon sofort auf die Vieldeutigkeit dieses Begriffes bei Platon und Aristoteles und auf die ihm eigene Geschichte angespielt (SuZ[6], S.32). Logos kann nämlich „Vernunft, Urteil, Begriff, Definition, Grund, Verhältnis“ bedeuten, was sich nach dem jeweiligen Kontext entscheidet. Für Heidegger ist es aber wichtig, dass der Logos hier nur im Sinne von Rede zu verstehen ist. Mit dieser Geste klammert er größtenteils die weiteren Bedeutungen dieses Begriffes aus und damit auch die komplexe Begriffsgeschichte dieses Wortes. D.h. jedoch nicht, dass er sie ganz unbeachtet lässt. Eine Auseinandersetzung mit anderen Bedeutungen findet zwar in marginalisierter Form statt, hauptsächlich aber nur mit dem Logos im Sinne von Vernunft. Wenn man einen Blick in das Historische Wörterbuch der Philosophie[7] z.B. wirft, wird darauf hingewiesen, dass der Terminus „auf das menschliche Denken und Sprechen“ (HWdP[8], S. 492) in der antiken Philosophie verweist, was Heideggers Anliegen entgegenkommt. Hingegen versteht die Theologie den Logos in ganz anderer Weise, nämlich als das Wort Gottes, dass durch Jesus Christus den Menschen mitgeteilt wird (HWdP, S.500). Wie es zu diesem speziellen Verständnis gekommen ist, kann hier nicht näher behandelt werden, da es nur darum ging zu zeigen, dass nicht von einer Grundbedeutung in selbstverständlicher Weise ausgegangen werden kann. Mit Bezug auf Heidegger, der Logos vor allem als Rede versteht, behauptet Robling (2007, S.79), ein moderner Rhetorikforscher, dass diesem selber deshalb eine „ursprünglich rhetorische Bedeutung“ zukommt und zitiert hierbei folgenden Abschnitt aus Sein und Zeit (S.165) : „Die Griechen haben kein Wort für Sprache, sie verstanden dieses Phänomen »zunächst« als Rede“. Und: „Der Mensch zeigt sich als Seiendes, das redet“[9]. Der Bezug auf die moderne Rhetorikforschung soll an dieser Stelle noch nicht weiter vertieft werden. Fürs erste reicht es aus zu wissen, dass der Logos selber ein Thema der Rhetorik ist und Heidegger auf Grund seiner Logosauffassung in den Interessenkreis der modernen Rhetorikforschung gerückt ist. Durch das Behandeln von Knapes „Fundamentalrhetorik“ (2000), die sich besonders mit Heidegger rhetoriktheoretisch auseinandersetzt, wird dies noch verdeutlicht werden. Anderseits darf hier aber nicht der Eindruck entstehen, dass Heidegger mit seiner Logostheorie auf eine Art Rhetorik abzielt, jedenfalls nicht bewusst. Ob unbewusst eine Rhetorikkonzeption im Werk des frühen Heidegger liegt, wird vor allem von der Tübinger Rhetorik diskutiert. Die Thematisierung dieser Frage soll jedoch zunächst aufgeschoben werden und mit der Behandlung von Knape wieder aufgenommen werden. Heidegger selber will jedoch auf eine „Phänomenologie der Rede bzw. des Logos[10] “ hinaus. D.h. er versteht das, was er über den Logos sagt, als phänomenologischen Zugang zum Logos und nicht als Entwurf einer Rhetorik. Wie sieht diese phänomenologische Theorie des Logos nun aber konkret aus? Welches sind ihre wesentlichen Grundzüge? Und berechtigt dies nun einen möglichen Zusammenhang von Phänomenologie und Rhetorik anzunehmen? Zunächst zu den ersten beiden Fragen. Die erste wesentliche Funktion des Logos ist für Heidegger das Sehenlassen dessen, worüber in der Rede gesprochen wird (SuZ, S.32). Der Logos ist somit ein genuin phänomenologischer, wenn man unter Phänomenologie die Kunst des Sehens versteht. Hierbei macht jedoch Heidegger eine wichtige Einschränkung, indem er darauf verweist, dass nicht jede Rede über diesen „Modus des Offenbarmachens im Sinne des aufweisenden Sehenlassens“ (ebd.) verfügt. Als Beispiel dafür führt er das Bitten[11] an, das in anderer Weise offenbar macht, als der Logos im Sinne des Aussagesatzes. Heideggers nächster wesentlicher Argumentationsschritt ist, dass gerade, weil der Logos seine primäre Funktion im aufweisenden Sehenlassen hat, diesem auch die Eigenschaft zukommt, entweder wahr oder falsch zu sein (SuZ, S.33). Was wird nun aber unter Wahrheit hier verstanden? Jedenfalls nicht das, was man traditionellerweise in der Logik darunter versteht. Es geht nicht um die Wahrheit im Sinne einer „Übereinstimmung[12] “, sondern das Wahrsein des Logos besteht darin, dasjenige Seiende worüber gesprochen wird aus seiner „Verborgenheit“ herauszuführen und in die „Unverborgenheit“ zu bringen, damit beide am Gespräch Teilnehmende es sehen können. Hierbei wird das Seiende nach Heidegger als solches entdeckt. Der falsche Logos ist hingegen derjenige, der verdeckt, der etwas als etwas ausgibt, was es nicht ist (SuZ, S.33). Dass der Logos wahr oder falsch sein kann, muss zuerst als strukturelle Eigenschaften des Logos verstanden werden. Dass der Logos auch falsch sein kann, wird von Heidegger nicht als negativ verstanden, sondern diese Eigenschaft wohnt der Struktur des Logos inne. Jedenfalls wendet sich Heidegger dagegen, dass der Logos gerade nicht wegen der genannten Eigenschaften der primäre „Ort“ der Wahrheit sein kann (ebd.), denn dies würde ja eine Verkennung seiner Eigenschaften bedeuten. Trotz dieser Tatsache ist es nicht zu bestreiten, dass eine unmittelbare Verbindung zwischen Phänomenologie, Wahrheit und Logos vorliegt. Diese gilt es zu bedenken, da der Logos ohne die phänomenologische Wahrheit nicht zu denken ist, wie Heidegger im § 44 noch genauer ausführen wird. Zunächst reicht es aber aus, dass die beiden Grundeigenschaften des Logos skizziert worden sind. Auf die letzte Frage betreffend den Zusammenhang von Phänomenologie und Rhetorik soll mit der Diskussion auf Knape eingegangen werden.
[...]
[1] Diese Relevanz wird sich besonders in der Auseinandersetzung mit dem § 34 aus Sein und Zeit zeigen.
[2] Der Bezug zur Rhetorik lässt sich insofern denken, wenn man von einem rhetorischen Charakter der Sprache ausgeht. Was genau darunter zu verstehen ist, wird sich im weiteren Verlauf zeigen.
[3] Das sind vor allem Die Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie (SS 1924), Die Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs (WS 1925) u.a.
[4] Mit dem „frühen“ Heidegger ist der Heidegger der 1920-er Jahre gemeint, also der bis zur Veröffentlichung von Sein und Zeit.
[5] Vgl. dazu besonders Band 55 der Gesamtausgabe. In diesem Band sind zwei Vorlesungen enthalten, die jeweils im Sommersemester 1943 und 1944 gehalten wurden. Sie setzen sich besonders mit Heraklit und seiner Lehre vom Logos auseinander. Dabei gelangt Heidegger mit Blick auf Heraklit zu einer neuen Auffassung von dem, was Logos bedeutet. Auf diese neue Position kann allerdings hier nicht eingegangen werden.
[6] Die Abkürzung SuZ steht von nun an für Sein und Zeit.
[7] Eine Alternative zu diesem Wörterbuch bildet das Historische Wörterbuch der Rhetorik. Der fünfte Band enthält einen informativen Artikel über den Begriff, wo besonders am Anfang darauf hingewiesen wird, dass im Begriff des Logos Sprache „vornehmlich unter dem Aspekt der Performanz bzw. der parole “ betrachtet wird und nicht als „grammatisches Regelsystem (langue) oder gar als bestimmte Einzelsprache“ (HWdR, Band 5, S.624). Diesen performativen Charakter der Sprache wird auch Heidegger folgen, wie zu zeigen sein wird. Innerhalb der Rhetorik ist der Logos in „vielfältiger Weise“ bedeutsam: „als menschliches Sprachvermögen und rationales Denkvermögen, als sprachliche Gedankenäußerung vom Satz bis zur vollständigen Rede, als Bezeichnung für Prosatexte, insbesondere für Reden aller Gattungen und Arten, als in der Rede behandelter Sachverhalt (Thema), als seelenlenkende und kulturbildende persuasive Macht, als Prinzip rationaler, vernünftiger Argumentation sowie als sachbezogenes, intellektuelles Überzeugungsmittel neben Ethos und Pathos und die daraus resultierende Wirkungsrichtung (Belehrung, docere) der Rede“ (ebd., S.626).
[8] Die Abkürzung HWdP meint Historisches Wörterbuch der Philosophie. In diesem Fall handelt es sich um den fünften Band.
[9] Vgl. dazu sein Buch Redner und Rhetorik. Studie zur Begriffs- und Ideengeschichte des Rednerideals (2007), besonders S.79.
[10] Vgl. dazu Martin Heidegger, Gesamtausgabe, II. Abteilung: Vorlesungen 1923-1944, Band 20, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, S.364, wo es heißt: „ Der Sinn einer wissenschaftlichen Logik ist die Herausarbeitung dieser apriorischen Daseinsstruktur der Rede, die Herausarbeitung der Möglichkeiten und Arten der Auslegung, der Stufen und Formen der darin erwachsenen Begrifflichkeit. Eine solche wissenschaftliche Logik ist nichts anderes als eine Phänomenologie der Rede, d.h. des Logos. (…) Rhetorik ist ein erstes Stück rechtverstandener Logik.“
[11] Heidegger knüpft hier insofern an Aristoteles an, da er dessen Unterscheidungen der verschiedenen Arten des Sprechens mitaufnimmt. Aristoteles unterscheidet in seiner Schrift De interpretatione zwischen Auftrag, Bitte, Erzählung, Drohung, Frage, Antwort usw. Es wird noch weiter zu sehen sein, inwiefern das, was Heidegger über den Logos sagt, mehr oder weniger auf Aristoteles sich stützt.
[12] Die traditionelle Auffassung von Wahrheit wird später mit Bezug auf Kant näher erläutert (SuZ, S.215). Heidegger zitiert folgenden Abschnitt aus der Kritik der reinen Vernunft, wo Wahrheit definiert wird als Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Traditionellerweise gilt Aristoteles als Begründer dieser Sichtweise, worauf Heidegger auch hinweist (SuZ, S.214). Allerdings wendet er sich kritisch dagegen, dass Aristoteles wirklich diese Position vertreten haben soll. Vielmehr soll Aristoteles den Entdeckungs- und Verdeckungscharakter des Logos (SuZ, S.226) erkannt haben. Die Diskussion soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden, da ein kurzer Blick auf die traditionelle Sichtweise und die ihr nach Heidegger eigens problematische Seite für diesen Kontext ausreicht.