Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund im Schul- und Vorschulalter nimmt seit Jahren zu, in den Stadtstaaten betrifft dies mittlerweile beinahe ein Drittel aller Vorschulkinder unter sechs Jahren. 2013 stammten in Berlin beispielsweise 30,5 Prozent aller Vorschulkinder aus Einwandererfamilien, in denen nicht vorrangig Deutsch gesprochen wurde; in Bremen betrug der Anteil dieser Kinder 29,6 Prozent. Die lawinenartige Masseneinwanderung seit 2015 dürfte diese Situation nochmals verschärfen, allein im Land Berlin mussten 7.000 Kinder von Asylbewerbern in behelfsmäßig eingerichteten Willkommensklassen unterrichtet werden, weil in Deutschland alle Kinder der Schulpflicht unterliegen. Die Nachfrage nach speziellen Unterrichtsformaten für Lerner mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) dürfte in der Folge deutlich ansteigen.
Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften sehen sich Lernende nichtdeutscher Erstsprache besonderen Herausforderungen gegenüber, die mit dem spezifischen Fachwortschatz der unterschiedlichen Themengebiete zusammenhängen. Während in den Naturwissenschaften das Vokabular spiral-curricular - d. h. stofflich wiederholend und aufbauend durch die gesamte Schullaufbahn - vermittelt wird, weisen die Bildungsinhalte in den Geschichts- und Politikwissenschaften eine eigenständige Terminologie auf, die extrem abhängig von den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Kontexten einer Zeitepoche oder eines Politikfeldes sind.
Daraus resultieren bei der Behandlung von Sachtexten Verständnisschwierigkeiten oder Fehlleistungen, die Lehrkräften mitunter nicht gleich auffallen und zur Überschätzung des Texterfassungsvermögens von DaZ-Lernern verleiten können. Die nachfolgende Aufbereitung eines Textes aus der Politischen Bildung zum Thema „Akteure in der Politik“ soll dem vorbeugen und Handlungsmuster bzw. Lösungsstrategien für ähnlich gelagerte Probleme im künftigen Lehrerberuf entwerfen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Textvorlage
3. Bedarfsanalyse
3.1 Kompetenzzuwachs laut Rahmenlehrplan
3.2 Sprachliche Stolpersteine
4. Vor dem Lesen
4.1 Hinführung
4.2 Textentlastung
5. Während des Lesens
6. Verdeutlichung fachsprachlicher Strukturen
7. Nach dem Lesen
8. Fazit
9. Abkürzungsverzeichnis
10. Literaturverzeichnis
1. Einführung
Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund im Schul- und Vorschulalter nimmt seit Jahren zu, in den Stadtstaaten betrifft dies mittlerweile beinahe ein Drittel aller Vorschulkinder unter sechs Jahren. 2013 stammten in Berlin beispielsweise 30,5 Prozent aller Vorschulkinder aus Einwandererfamilien, in denen nicht vorrangig Deutsch gesprochen wurde; in Bremen betrug der Anteil dieser Kinder 29,6 Prozent.[1] Die lawinenartige Masseneinwanderung seit 2015 dürfte diese Situation nochmals verschärfen, allein im Land Berlin mussten 7.000 Kinder von Asylbewerbern in behelfsmäßig eingerichteten Willkommensklassen unterrichtet werden, weil in Deutschland alle Kinder der Schulpflicht unterliegen. Die Nachfrage nach speziellen Unterrichtsformaten für Lerner mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) dürfte in der Folge deutlich ansteigen.
Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften sehen sich Lernende nichtdeutscher Erstsprache besonderen Herausforderungen gegenüber, die mit dem spezifischen Fachwortschatz der unterschiedlichen Themengebiete Zusammenhängen. Während in den Naturwissenschaften das Vokabular spiral-curricular - d. h. stofflich wiederholend und aufbauend durch die gesamte Schullaufbahn - vermittelt wird, weisen die Bildungsinhalte in den Geschichts- und Politikwissenschaften eine eigenständige Terminologie auf, die extrem abhängig von den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Kontexten einer Zeitepoche oder eines Politikfeldes sind. Daraus resultieren bei der Behandlung von Sachtexten Verständnisschwierigkeiten oder Fehlleistungen, die Lehrkräften mitunter nicht gleich auffallen und zur Überschätzung des Texterfassungsvermögens von DaZ-Lernern verleiten können.[2] Die nachfolgende Aufbereitung eines Textes aus der Politischen Bildung zum Thema „Akteure in der Politik“ soll dem Vorbeugen und Handlungsmuster bzw. Lösungsstrategien für ähnlich gelagerte Probleme im künftigen Lehrerberuf entwerfen.
2. Textvorlage
Akteure in der Politik[3]
von Robert Geyer
„Politik zu machen“ bedeutet das zeitaufwendige Ringen um Kompromisse, an dessen Ende Gesetze, Verordnungen oder Regelungen stehen, die ein öffentliches Problem (im Idealfall langfristig) lösen.
Das Ausformulieren und Fällen politischer Entscheidungen ist nicht die Aufgabe einzelner Akteure, sondern ein Prozess, an dem eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen beteiligt sind. Die Staatsorgane, aber auch Parteien, Lobbygruppen und Medien haben trotz ihrer Unterschiede eines gemeinsam: Sie alle sind Akteure innerhalb des politischen Prozesses. Diese Vielfalt kann dazu führen, dass Entscheidungen manchmal etwas länger dauern; doch gleichzeitig wird sichergestellt, dass bei der Politikgestaltung möglichst viele Interessen und Anliegen berücksichtigt werden.
Der Erfolg von Politik wird immer an ihren Ergebnissen gemessen. Für ein ausgewogenes Urteil reicht es jedoch nicht, sich nur mit den Resultaten zu beschäftigen. Wichtig ist auch die Frage, was eigentlich während des Entscheidungsprozesses passiert. Dann kann man sehen, dass Politik nicht gleich Politik ist. Dass es verschiedene politische Akteure gibt, die unterschiedliche Positionen vertreten, die unterschiedlichen Parteien angehören oder die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Hinzukommen wirtschaftliche und gesellschaftliche Gruppen, die versuchen, die Politik zu beeinflussen. Auch sie haben ganz bestimmte Vorstellungen, welche Gesetze gut oder schlecht für ihre Interessen sind.
3. Bedarfsanalyse
3.1 Kompetenzzuwachs laut Rahmenlehrplan
Der Fachtext zielt aus Sicht des Verfassers auf den Sozialkundeunterricht in der Jahrgangsstufe 9/10 - also dem Ausgangsbereich der Sekundarstufe I. Der Rahmenlehrplan (RLP) des Landes Berlin veranschaulicht die Kompetenzziele für das Fach Sozialkunde grafisch.[4]
Analyse kom petenz
Methodenkompetenz
Um diese Kompetenzen zu entwickeln, wird im RLP ein Ansatz der kate- gorialen Bildung verfolgt. Die Schüler sollen sich in der Jahrgangsstufe 9/10 bspw. die vier Themenfelder Demokratie als Herrschaftsform, Wirtschafts- und Arbeitsleben, Europäische Union und Internationale Politik mithilfe dichotomer Kategorien wie Individuum und Gesellschaft, Rechte und Pflichten, Macht und Herrschaft, Konflikt und Konsens, Gemeinwohl und Partikularinteressen, Recht und Gerechtigkeit, Utopie und Realität,
Frieden und Gewalt, Effizienz und Legitimität, Kosten und Nutzen usw. erschließen.[5]
Der ausgewählte Text lässt sich im Themenfeld Demokratie als Herrschaftsform verorten. In diesem Themenfeld sollen sich die Schüler u. a. mit Formen der Partizipation in Vereinen, Parteien, Bürgerinitiativen, Interessenverbänden und sonstigen zivilgesellschaftlichen Korporationen beschäftigen. Für den Kompetenzerwerb definiert der RLP unterschiedliche Standards, die sich an dem ursprünglich dreigliedrig ausdifferenzierten deutschen Schulsystem orientieren. Die Progression dieser Standards lässt sich im direkten Vergleich leicht erkennen:
Das einfache Anspruchsniveau (Haupt- und Gesamtschule) will die Schüler befähigen, „Formen und Möglichkeiten politischer Beteiligung“ zu erklären und „Stellung zu Formen politischer Kultur und Werthaltungen“[6] zu beziehen. Im mittleren Standard (Real- und Gesamtschule) soll das Wissen nicht nur reproduziert, sondern auch handlungsorientiert umgesetzt werden. Dort heißt es, die Schüler „erklären Formen der politischen Beteiligung, setzen diese in Ansätzen um, beziehen Stellung zu Formen politischer Kultur und erarbeiten die zugrunde liegenden Werthaltungen“.[7] Beim erweiterten Standard (Gymnasium und Gesamtschule) müssen Schüler überdies noch selbst gewählte Fallbeispiele zur Erläuterung heranziehen. Ihnen wird mit den Operatoren „untersuchen“ und „erörtern“ Analyse- und Urteilskompetenz abverlangt.[8]
Der vorliegende Text demonstriert, wie viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligt sein können. Ein angemessenes Textverständnis ermöglicht es Schülern, den gesellschaftlichen Pluralismus in einer Demokratie zu verstehen und sich selbst auf der Grundlage dieses Wissens aktiv daran zu beteiligen.
3.2 Sprachliche Stolpersteine
Der oben skizzierte Kompetenzerwerb nach dem RLP setzt ein angemessenes Textverständnis bei den Schülern nichtdeutscher Erstsprache voraus. Ihnen liegen oftmals sprachliche Stolpersteine im Wege, die die Texterschließung erschweren. Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil handelt es sich dabei nicht nur um unbekanntes Fachvokabular, sondern auch um gehäuft auftretende orthographische, morphologische, lexikalische, syntaktische oder typographische Eigenheiten im Wortmaterial von Fachtexten. Zu nennen sind an dieser Stelle
- Präfixe, Infixe, Suffixe
- Fremdwörter, Abstrakta, mehrgliedrige Komposita
- ungewöhnliche Adjektive
- Systeme fachsprachlicher Bezeichnungen mit Ober- und Unterbegriffen
- Funktionsverbgefüge
- Passiv- und Passiversatzformen
- Partizipial- und Infinitivkonstruktionen
- Nominalisierungen (Nominalstil)
- Genitivattribute
- Präpositionalattribute
- komplexe Satzreihen und -gefüge (Hypotaxen)
- Proformen für einzelne Wörter, Satzglieder und ganze Sätze
- koordinierende und subordinierende Konjunktionen
- Tabellen, Grafiken, Spiegelstriche, Kursivierungen, Fettdrücke usw.[9]
Bevor sich Lehrkräfte daher an die Didaktisierung schwer erschließbarer Fachtexte für die DaZ-Lerner machen, müssen sie die sprachlichen Schwierigkeiten eines Fachtextes analysieren. Für den vorliegenden Text soll dies mithilfe einer tabellarischen Übersicht und farblicher Markierungen am Text geschehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Akteure in der Politik von Robert Geyer „Politik zu machen“ bedeutet das zeitaufwendige fingen| um Kompromisse, an dessen| Ende Gesetze. Verordnungen oder Regelungen stehen. di| ein öffentliches
Problem (im Idealfall langfristig) lösen.
Das Ausformulieren und Fällen| politischer Entscheidungen ist nicht die Aufgabe einzelner Akteure, sondern ein Prozess, an dem eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen beteiligt sind. Die Staatsorgane, aber auch Parteien, Lobbygruppen und Medien haben trotz ihrei| Unterschiede eines gemeinsam: Sie alle dass Entscheidungen manchmal etwas länger dauern: doch| gleichzeitig wird sichergestellt, dass bei der Politikgestaltung möglichst viele Interessen und Anliegen berücksichtigt werden. wahrnehmen Hinzukommen wirtschaftliche und gesellschaftliche Gruppen, versuchen, die Politik zu beeinflussen. Auch sie) haben ganz bestimmte Vorstellungen, Aelch| Gesetze gut oder schlecht für |hre Interessen sind.
Nominalkomposita: Idealfall, Staatsorgane (Fugenelemenf), Lobbygruppen, Politikgestaltung, Entscheidungsprozesses (Fugenelemenf)
Substantivierungen]: Ringen, Ausformulieren, Fällen (Nominalstil)
Proformen: dessen (Demonstrativpronomen), die (Relativpronomen), dem (dito), ihrer (Possessivpronomen), eines (Indefinitpronomen), sie (Personalpronomen), alle (Indefinitpronomen), diese (Demonstrativpronomen), dazu (Adverb), dass (subordinierende Konjunktion), etwas (Indefinitpronomen), doch (Konjunktionaladverb), dass (subordinierende Konjunktion), ihren (Possessivpronomen), es (Personalpronomen), sich (Reflexivpronomen), was (Interrogativpronomen), dann (Adverb), man (Indefinitpronomen), dass (subordinierende Konjunktion), dass (dito), es (Personalpronomen), die (Relativpronomen), die (dito), die (dito), die (dito), sie (Personalpronomen), welche (Interrogativpronomen), ihre (Possessivpronomen)
Passivformen: Politik zu machen (Passiversatz durch Infinitivkonstruktion), wird sichergestellt (Passivbildung mit werden), berücksichtigt werden (dito), wird gemessen (dito), sich zu beschäftigten (Passiversatz durch Infinitivkonstruktion) man (Passiversatz durch unpersönliches Indefinitpronomen), die Politik zu beeinflussen (Passiversatz durch Infinitivkonstruktion)
Nebensätze: Dass-Sätze (Konsekutivsätze) oder Relativsatzperioden
[...]
[1] Vgl. Integrationsministerkonferenz 2015, S. 34.
[2] Vgl. Müller 2005, S. 1.
[3] Text entnommen aus: Bundeszentrale für Politische Bildung 2009, S. 1.
[4] Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006, S. 11.
[5] Vgl. ebd., S. 9
[6] Ebd., S. 32.
[7] Ebd.
[8] Vgl. ebd., S. 33.
[9] Vgl. Rösch 2001, S. 23f.