Die vorliegende Schrift mit dem Titel "Die Aufstellung polnischer Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg und ihr Verhältnis zur Sowjetunion", entstand 1999 als universitäre Hausarbeit. Der Autor, Nachfahre polnischsprachiger Preußen, setzt sich in seiner Arbeit mit einem wichtigen Aspekt der polnischen Geschichte, insbesondere der polnischen Militärgeschichte, auseinander. Die Frage nach der Aufstellung und Einsetzung polnischer Streitkräfte durch die Exilregierung in London, die Sowjets aber auch die Untergrundbewegung in der besetzten Heimat, musste ab 1989 für die "3. Polnische Republik" neu gestellt werden. Die Schrift ist ein deutscher Beitrag zur Beantwortung der Frage und schließt dabei wichtige Aspekte der deutschen Geschichte mit ein.
Inhalt
I. Einleitung
II. Die Lage Polens 1939
III. Die Offizierslager und die Repressalien des Deutschen Reiches
III.a) Die Lager im Deutschen Reich
III.b) Die Internierungslager in Rumänien und Ungarn
III.c) Repressalien
IV. Die sowjetische Säuberung in Polen und die Internierungslager
IV.a) Die sowjetische Säuberung in Polen
IV.b) Die Internierungslager für polnische Offiziere
V. Die Aufstellung von Streitkräften unter Führung der Exilregierung
V.a) Die polnische Exilregierung
V.b) Die ersten Einheiten unter General Sikorski
V.c) Die Exilarmee unter General Anders
V.d) Die AK und andere Einheiten auf polnischem Boden
VI. Die Aufstellung von Streitkräften und die Errichtung einer Regierung durch die Sowjetunion
VII. Schlussbemerkung
VIII. Literatur
IX. Bildnachweise
I. Einleitung
In dieser Arbeit möchte ich mich mit der Aufstellung polnischer Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg und ihrem Verhältnis zur Sowjetunion beschäftigen. Warum ich gerade dieses Thema auswählte, hat zum Teil persönliche Gründe. Als Südermländer gehörte die Familie meines Vaters zur polnischen Minderheit in Ostpreußen und war durch Sprache und Kultur aufs Engste mit Polen verbunden. Mein Urgroßvater soll zur Aufstellung der polnischen Streitkräfte während des 1. Weltkrieges eine größere Geldsumme gespendet haben. Dazu versuchte mein Großvater sich dem Wehrdienst bei der Wehrmacht zu entziehen. Mit dem Einmarsch der “Roten Armee”, unter dem Eindruck von Flucht, Mord, Deportation und Vertreibung kam es zu einem Umschwung. Als Autochthone sollte die Familie zwangspolonisiert werden. Die Weigerung führte zu Repressalien wie Arbeitsverbot, Gefängnis und dem Verbot deutsch zu sprechen. 1957 konnte die Familie, wohl aufgrund der Einwirkung der bundesdeutschen Regierung, ihre Heimat verlassen. Doch selbst heute wirken sich die Erfahrungen dieser Zeit noch aus. Mangelnde Schulbildung, die Erinnerung an eine schlimme Kindheit und viel Verdrängung prägten meinen Vater und meine Erziehung. Mein Vater spricht lange kein polnisch mehr und die Stätten seiner Kindheit hat er nie wiedergesehen. Als wenn der Krieg einen langen Schatten hat, muss ich mich noch heute mit dieser Zeit auseinandersetzen. Wie sie meine Familie prägte, so prägte sie auch mich. Fast alle Männer meiner Familie sind heute in Staatsdiensten und haben Uniform getragen. Ob als Offizier, Polizeikommissar, Polizeimeister, Unteroffizier oder Zivilbeamter stehen wir dafür ein, dass die vergangenen Zeiten nicht wiederkehren. Was wäre aber mit uns geschehen, wenn wir Polen wären und heute das Jahr 1939 wäre?
Noch wären des “Kalten Krieges” wurde ich am 01.07.1986 zur Bundeswehr eingezogen. Mit einem Truppentransport ging es in Kassel los. Um 12.25 Uhr fand ich mich auf dem Bahnhof von Warburg/Westfalen wieder. Wir bestiegen dort Militärfahrzeuge und wurden in das 2 Kilometer entfernte “Lager Dössel” gebracht. Das Lager konnten wir schon von weitem sehen. Mitten auf der Flur konnte man die weißen Baracken mit den schwarzen Dächern erkennen. Als wir ankamen wurden wir auf dem Appellplatz gesammelt. Ich sah von dort 5 niedrige Baracken ein modernes Gebäude, was sich als Saal entpuppte und das Stabsgebäude aus Stein. Ich musste mir mit drei anderen eine Stube im Block 1 teilen. Wenig später erhielten wir eine Einführung in das Lager. Wir befanden uns bei der “2. Ausbildungskompanie Stabsdienst/Militärkraftfahrer der 2. Division (AusbKp StDst/MKF 2/2)”. Davor gab es dort eine Jägerkompanie und ursprünglich eine Pionierkompanie. Das Lager ist die kleinste Kaserne der Bundeswehr und wurde auch scherzhaft als “Erholungsheim der Bundeswehr” bezeichnet. Doch warum eigentlich “Lager” und warum ausgerechnet bei dem Dorf “Dössel” und warum diese Holzbaracken und ..?
In Verlängerung des Weges bei den Blöcken gab es eine große rechteckige freie Fläche. Rechts davon geht ein Weg zum Dorf Dössel. Als ich auf ihm, wegen dem dortigen Schützenfest, nach Dössel ging, kam ich an einem kleinen Friedhof vorbei. Als ich genauer hinsah, erkannte ich rechts ein besonderes Gräberfeld mit einem hohen Kreuz. Ich ging hin und las auf den Grabsteinen. Die Namen waren alle polnisch. Als ich später einen Vorgesetzten danach fragte, erfuhr ich etwas von der Vergangenheit dieses Lagers. Dieses Lager war im zweiten Weltkrieg ein großes Gefangenenlager für polnische Offiziere. Bei einem Bombenangriff der Engländer ist eine Baracke getroffen worden und viele von den Gefangenen sind gestorben. Im Stabsgebäude in dem ich Dienst tat, war die Lagerleitung. Heute 1999 ist das Lager leer. Die Ausbildungkompanie wurde aufgelöst und es blieb nur eine kleine Wache zurück. Ich denke gerne an meine Dienstzeit dort und wie schwer es mir fiel von dort zu gehen. Ich denke aber auch oft an die polnischen Offiziere, die auf dem kleinen Friedhof liegen und gerne gegangen wären. Heute sind sie neben den vier alten Baracken die einzigen Zeugen dieser tragischen Zeit.
Diese Arbeit beschäftigt sich also nicht nur mit den zeitlichen Abläufen, sondern auch mit den Schicksalen von Menschen. Die Aufstellung der polnischen Streitkräfte, vor allem der Exilarmee unter General Anders und die Suche nach den polnischen Offizieren, die von den Sowjets interniert und 1940 ermordet wurden, werden den Kern bilden. Ich möchte herausfinden, was damals wirklich geschehen ist und welche Auswirkungen diese Ereignisse heute noch haben.
II. Die Lage Polens 1939
Im “Schwarzbuch des Kommunismus” gibt Andrzej Paczkowski mit seinem Beitrag “Polen, der Erbfeind” einen Einblick in sowjetischen Repressionsmaßnahmen gegenüber den Polen.[1] Kein Pole würde diesem Bild des Erbfeindes widersprechen. Die Unterschiede zwischen Polen und Russen sind trotz der gemeinsamen slawischen Herkunft anscheinend wirklich unüberwindbar. In Russland die orthodoxe Kirche und totalitäre Herrschaftssysteme und in Polen die römische Kirche und die Republik. Trotzdem hat es aber immer Polen gegeben, die auf der Seite der Russen in der Sowjetunion Macht ausübten. Viele Polen waren bei der “Tscheka” und dem “NKWD” “Narodnyj Kommissariat Vnutrennich Del” (“Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten”), die für die “Säuberungen” unter Lenin und Stalin verantwortlich waren. War es also wirklich nur die Feindschaft zwischen zwei Nationen oder eher die Feindschaft zwischen verschiedenen Lebensmodellen, Einstellungen und Systemen.
Wie sah dieses gesellschaftliche System in Polen aus? Zwischen 1772 und 1795 dem Ende der “1. Polnischen Republik”, der “Adelsrepublik”, gab es drei polnische Teilungen. 1830 und 1863 gab es im russischen Teil Polens Aufstände, die aber niedergeschlagen wurden. In Preußen gab es um 1848 eine polnische Unabhängigkeitsbewegung, die zusammen mit der Revolution in Deutschland auftrat, aber keine große Wirkung zeigte. Bis 1916 blieben der polnische Adel und der Klerus Zentrum des polnischen Patriotismus und des Widerstandes. General Józef Piłsudski wurde zum Führer einer Freiwilligenarmee und zum Vorbild für viele zukünftige Offiziere. 1920 besiegte er die “Rote Armee” vor Warschau durch eine “Nationale Erhebung” und erzwang 1921 den “Friedensvertrag von Riga”. Oberbefehlshaber der “Roten Armee” war damals Trotzki und Truppenführer Marschall Tuchatschewski. Beide haben diese Niederlage nie vergessen. Gerade für sie wurde die enge Verbindung von polnischen Adel, Armee und Klerus zu einem Trauma.
Trotz “Nichtangriffs-Pakten” mit der Sowjetunion und dem Deutschen Reich, trotz der Militärbündnisse mit England und Frankreich und trotz einer gut ausgebildeten und ausgerüsteten 500 000 Mann starken Armee unter ihrem Marschall General Edward Rydz-Śmigły, wurde Polen am 01. September 1939 von der Wehrmacht angegriffen. In einer großen Zangenbewegung wurde die weit auseinander stehende polnische Armee zerteilt und bis zum 17. September stark abgenutzt. Viele Einheiten zogen nach Ostpolen, um sich dort neu zu formieren. Die Sowjetunion betrachtet Polen aber als nicht mehr existent und marschiert in Ostpolen ein. General Rydz-Śmigły untersagt Kampfhandlungen mit der “Roten Armee”, da kein Kriegszustand zwischen Polen und der Sowjetunion besteht. 200 000 polnische Soldaten begeben sich in die Hände der “Roten Armee” und werden interniert. Die polnische Regierung unter Staatspräsident Mościcki flieht nach Rumänien und wird dort ebenfalls interniert. Viele polnische Einheiten folgen diesem Beispiel und überschreiten die Grenzen zu Rumänien und Ungarn. Nach dem Fall von Warschau am 27. September 1939 ernennt Mościcki den Sejm-Marschall General Władysław Raczkiewicz (in Frankreich) zu seinem Nachfolger. Am 30. September 1939 bildet sich eine polnische Exilregierung mit Sitz in London.
Was wurde aus den polnischen Offizieren? Nach Czesław Madajczyk können folgende Daten angenommen werden[2]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Von den 28000 gefangengenommenen Offizieren gerieten 19000 in deutsche Kriegsgefangenschaft und 9000 in sowjetische Internierungslager. 10000 Offiziere flohen über die südliche Landesgrenze und wurden dort interniert. 2000 Offiziere entkamen. Im Kampf gegen die Wehrmacht sind 4 Generale und 57 Stabsoffiziere gefallen. 69 wurden verwundet. Insgesamt sind 1967 Offiziere in diesem Feldzug gefallen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III. Die Offizierslager und die Repressalien des Deutschen Reiches
III. a) Die Lager im Deutschen Reich
Warum sind bei den meisten Berichten über Kriegsgefangenenlagern die Offizierslager so wichtig. Nach dem Kriegsvölkerrecht hat der Soldat nicht nur das Recht auf Flucht, sondern auch das Recht auf eine entsprechende Behandlung dem Dienstgrad entsprechend. Während Mannschaften zu körperlichen Arbeiten und Unteroffiziere zu Aufsichtsarbeiten herangezogen werden können, dürfen Offiziere nur verwahrt werden. Darüber hinaus sind sie die Basis jeder Armee und aufgrund ihrer Bildung, Herkunft und militärischen Ausbildung nicht durch Unteroffiziere oder Mannschaften ersetzbar. Um eine fremde Armee kontrollieren zu können, muss man also nur die Offiziere von den anderen Soldaten trennen und jeglichen Kontakt ausschließen. Im Deutschen Reich unterstanden die Offizierslager der Wehrmacht und ein Einfluss der SS oder Gestapo konnte weitgehend vermieden werden. Czesław Madajczyk gibt auch hier wichtige Daten:
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Die Abgänge von 1939 bis 1944 ergeben sich aus Todesfällen und Entlassungen. 1945 kamen die Deportierten Offiziere aus Ungarn und dem Warschauer Aufstand hinzu.
[...]
[1] Paczkowski, Andrzej: Polen der “Erbfeind”, in: Courtois, Stéphane u.a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus, München 1998, Seite 397
[2] Madajczyk, Czesław: Das Drama von Katyn, Berlin 1991, S. 13ff
- Arbeit zitieren
- M.A. Christian Bruno von Klobuczynski (Autor:in), 1999, Die Aufstellung polnischer Streitkräfte im zweiten Weltkrieg und ihr Verhältnis zur Sowjetunion, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/31519