„Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) – Diese Frage hat nicht nur Pilatus interessiert, sondern auch unzählige Philosophen und Theologen der ganzen Menschheitsgeschichte. Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es einen Gott oder sogar mehrere Götter? Welche ist die wahre Religion? Das sind Fragen, die uns auch heute noch brennend interessieren.
Aurelius Augustinus (354-430), Bischof von Hippo, Kirchenvater und Kirchenlehrer und einer der größten und leidenschaftlichsten Wahrheitssucher der Weltgeschichte, geht in seinem Werk „De vera religione“ (Über die wahre Religion) , das zwar primär „gegen die Zweinaturenlehre der Manichäer Stellung nimmt“, auch auf diese Fragen ausführlich ein. Daher soll Sinn und Ziel dieser Arbeit sein, darzulegen, wie Augustinus in diesem Werk diese Fragen beantwortet hat und ob sie auch heute noch gültig, wahr und nützlich sind.
INHALT
Einleitung
1. Demonstratio religiosa
1.1. Religion als Weg zur Glückseligkeit und Vollkommenheit
1.2. Religion als Weg zur Wahrheit und Ewigkeit
1.3. Vernunft und Autorität als Wegweiser der Wahrheit
1.4. Der Gottesbeweis aus der Illuminationslehre
1.5. Monotheismus als wahre Religionsform
2. Demonstratio cristiana
2.1. Der Unterschied zwischen PlatonundChristus
2.2. Gnade, Geist und Heil
Fazit
Literaturliste
Einleitung
„Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) – Diese Frage hat nicht nur Pilatus interessiert, sondern auch unzählige Philosophen und Theologen der ganzenMenschenheitsgeschichte. Was ist der Sinn des Lebens?Gibt es einen Gott oder sogar mehrere Götter? Welche ist die wahre Religion? Das sind Fragen, die uns auch heute noch brennend interessieren.
AureliusAugustinus (354-430), Bischof von Hippo, Kirchenvater und Kirchenlehrer und einer der größten und leidenschaftlichsten Wahrheitssucher der Weltgeschichte, geht in seinem Werk „De verareligione“ (Über die wahre Religion)[1], das zwar primär „gegen die Zweinaturenlehre der Manichäer Stellung nimmt“[2], auch auf diese Fragen ausführlich ein. Daher soll Sinn und Ziel dieser Arbeit sein, darzulegen, wie Augustinusin diesem Werk diese Fragen beantwortet hat und ob sie auch heute noch gültig, wahr und nützlich sind.
Die Arbeit wird nach den klassischen apologetischen bzw. fundamentaltheologischen Grundtraktatenstrukturiert, d.h. in Kap. 1 soll zunächst die Frage nach Gott und Religion im Allgemeinen gestellt werden (demonstratioreligiosa) und in Kap. 2 die Frage nach dem wahren Glauben (demonstratiocristiana). Aus Platzgründen kann leider nicht auf die Frage nach der wahren Kirche (demonstratiocatolica) eingegangen werden, die Augustinus in diesem Werk nur sekundär behandelt.[3] Am Ende wird ein Fazit über die Aktualität und Bedeutung des augustinischen Werkes gegeben.
1. Demonstratio religiosa
Beim ersten Religionstraktat handelt es sich (im Gegensatz zu den zwei weiteren) um erste und grundlegende Prinzipien der Religion und Voraussetzungen des Glaubens (praeambula fidei), die durch das Licht der natürlichen Vernunft eingesehen werden können, die allen Menschen gemeinsam ist.Daher wird der erste Traktat nicht auf dem Glauben begründet, sondern auf der Vernunft, der Philosophie und der natürlichen Theologie (vgl. Röm 1,20; DS 3004;KKK 36).[4] Das ist – wie wir noch sehen werden – ein sehr wichtiges christliches und katholisches Prinzip, nämlich dass der Glaube der Vernunft nicht widerspricht, sondern mit ihr übereinstimmt, wie es Augustinus selber sagt:
„Wir Christen glauben und lehren ja, und unser Heil hängt daran, daß Philosophie, das heißt Weisheitsstreben, und Religion nicht voneinander verschieden sind.“ (V.8.26)
Hiermit liefert uns Augustinus schon eine erste gemeinsame Definition von Religion und Philosophie, nämlich „Weisheitsstreben“. Darin sind sich also Theologie und Philosophie, Glaube und Vernunft einig, dass sie nach Weisheit und Erkenntnis streben.
1.1. Religion als Weg zur Glückseligkeit und Vollkommenheit
„Den Zugang zu einem guten und glückseligen Leben eröffnet allein die wahre Religion, welche nur einen Gott verehrt und mit geläuterter Frömmigkeit als Ursprung aller Wesen erkennt, als den, der das Weltall anfänglich setzt, es vollendet und umfaßt.“ (I.1.1)
Mit diesen Worten fängt Augustinus sein Werk an. Hier kommt der allgemeine Sinn und Zweck von Religion klar zu Ausdruck: Religion ist dazu da, „zu einem guten und glückseligen Leben zu führen“. Jeder Mensch will glücklich sein und ein gutes Leben führen. Allein der eine und wahre Gott kann dem Menschen schenken, dieses Ziel zu erlangen, da er der „Ursprung aller Wesen“, d.h. der Schöpfer des Menschen und ganzen Weltalls ist. Der Mensch hat sich nicht selbst das Leben gegeben, sondern er hat es von Gott, seinem Schöpfer empfangen. Daher muss er sich durch die wahre Religion an Gott wenden, da Gott als Ursprung seines Lebens allein sein Leben „vollenden“ kann. Hier bietet Augustinus schon den Grundrahmen der demonstratio religiosa: Gott ist Ursprung und Ziel, Alpha und Omega, Schöpfer und Vollender des Alls(vgl.Röm 11,36; APG 17,28; Offb 1,8). Damit ist er das erste, wichtigste und höchste Prinzip aller Theologie, Kosmologie und Anthropologie. Gott steht über allem und nimmt den ersten Platz und Rang im Leben des Menschen ein. Er ist das Maß aller Dinge. Ihm gebührt Ehre, Lob und Dank in Ewigkeit. Diese klassische, monotheistische Gotteslehre ist absolut grundlegend für augustinische Theologie.
1.2. Religion als Weg zur Wahrheit und Ewigkeit
Ein zweiter Aspekt, der eng mit der Glückseligkeit und Vollendung des Menschen verknüpft ist, ist die Erkenntnis der Wahrheit.
„Daran ist nicht zu zweifeln, an welche Religion man sich in unserem christlichen Zeitalter zu halten hat und welche uns den Weg zur Wahrheit und Glückseligkeit eröffnet.“ (III.3.8)
Augustinus zweifelt nicht, dass die christliche Religion der wahre Weg „zur Wahrheit und Glückseligkeit“ ist, aber – und das ist das Entscheidende – nicht nur aus Glaubensgründen, sondern auch, weil er in der christlichen Religion nahezu vollkommene Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Philosophie findet. Vor allem darin, dass die Wahrheit mit dem Geiste und der Seele geschaut wird und nicht mit dem materiellen Leibe und den körperlichen Sinnen, stimmt Augustinus vollkommen mit Platonein:
„Denn er (sc. Platon) hatte seinen Schülern klargemacht, daß man die Wahrheit nicht mit leiblichen Augen, sondern nur mit reinem Geiste schaut, daß die Menschenseele, welche dieser Wahrheit anhangt, selig und vollendet sein wird, und daß nichts so sehr daran hindert, zu ihr durchzudringen, wie ein den Lüsten ergebenes Leben und die trügerischen Bilder sinnenfälliger Dinge, welche uns diese Sinnenwelt durch Vermittlung des Körpers zuführt und dadurch die verschiedensten Mutmaßungen und Irrtümer erzeugt.“ (III.3.8)
Hier kommt sehr die paulinische Theologie zum Vorschein, die den Widerstreit des Geistes und des (durch die Sünde geschwächten und erkrankten) Fleisches im Menschen behandelt (vgl. Röm 7,15-24). Der Weg zur Wahrheit und damit zum ewigen und glückseligen Leben, den Christus im Evangelium lehrt, ist für Platon, Paulus und Augustinus eindeutig ein Weg des Geistes:
„Er (sc. Platon) hatte sie ferner belehrt, daß folglich die Seele erst gesunden muß, um die unwandelbare Form der Dinge und die stets unveränderliche, sich gleichbleibende Schönheit zu schauen. (...) Er hatte ihnen auch gesagt, daß es von allen Geschöpfen allein der vernünftigen, geistigen Seele verliehen ist, Gottes Ewigkeit schauend zu genießen und, von ihr berührt und geziert, des ewigen Lebens teilhaftig zu werden (...) es gebe etwas, das man nicht mit leiblichen Augen erblicken, nicht mit Phantasievorstellungen begreifen, sondern allein geistig und intellektuell schauen kann.“ (III.3.9-10)[5]
Hierin, d.h. in ihrem Ziel, sind sich also Philosophie und Theologie vollkommen einig, es geht nämlich darum, „Gottes Ewigkeit schauend zu genießen“ und „des ewigen Lebens teilhaftig zu werden“ (vgl. Joh 17,3). Genau das wirdin Kap. 2 (demonstratio cristiana) die Pointe Augustins, nämlich dass er sagt, dass sich das, was die Philosophie sucht, in der wahren Religion, d.h. in Christus erfüllt.
Wichtig und ausschlagebend für die wahre Religion ist der wahre Gottesbegriff, den Augustinus hier entwickelt:„Gott ist Geist“ (Joh 4,24) und nicht Körper oder Materie oder irgendeine Kraft. Gott ist „unwandelbar“ und für das leibliche Auge „unsichtbar“, es kann kein Bild und keine „Vorstellung“ von ihm gemacht werden (vgl. Ex 20,4; Dtn 5,8), denn er ist unbegrenzt und ewig, über alles Irdische, Materielle und Sichtbare erhaben. Gott ist also von aller Schöpfung wesentlich und unendlich verschieden.Aber da der (gefallene, sündhafte) Mensch gewohnt ist, leiblich, plastisch und bildlich zu denken, kommt es leider dazu, dass er „das Geschöpf anstelle des Schöpfers verehrt“ (Röm 1,25):
„Sondern die Sünden sind es, die die Seelen täuschen, wenn diese das Wahre suchen und dabei die Wahrheit verlassen und vernachlässigen. Denn da sie die Werke mehr liebten als den Künstler und die Kunst selbst, werden sie durch den Irrtum gestraft, daß sie den Künstler und die Kunst in den Werken wohl suchen, aber nicht finden können – denn Gott unterliegt nicht den leiblichen Sinnen, sondern überragt sogar den Geist – und darum die Werke selber für den Künstler und die Kunst halten. Daraus entsteht alle Gottlosigkeit (...)“ (XXXVI.67.188-190)
Religion ist also ein „geistiges und intellektuelles“ Streben nach der „unwandelbaren Wahrheit“, die Gott ist. Gott und die Wahrheit sind also nicht in den weltlichen, materiellen und sichtbaren Dingen zu finden, sondern über ihnen, bzw. im Inneren des Menschen. Augustinuswird nicht müde, das zu wiederholen:
„Geh nicht nach draußen, kehr wieder ein bei dir selbst! Im inneren Menschen wohnt die Wahrheit.“ (XXXIX.73.202)
Die bemerkenswerte Einsicht, die hieraus hervorgeht, ist, dass es gerade die Vernunft ist, die (durch ihr Streben nach Wahrheit) den Menschen religiös macht. Der Mensch ist von Natur aus, d.h. durch seinen rationalen, vernünftigen Geist und Intellekt, ein religiöses Wesen (homo religiosus). Rationalität und Religiösität sind damit zwei untrennbare anthropologische Grundkonstaten des Menschen, die den Menschen als Menschen, d.h. als Vernunftwesen (homo sapiens)auszeichnen und definieren. Zugleich entsteht daraus ein christliches Menschenbild, dessen Wesen aus der Synthese von Vernunft und Religiösität besteht.
1.3. Vernunft und Autorität als Wegweiser der Wahrheit
Wie kann man aber wissen, was wahr ist?Kann man Gott und die Wahrheit wirklich finden und erkennen? Augustinus,der früher selbst ein „Sucher“ war, hat „lange Zeit über diese Frage nachgedacht“(X.20.56) und sagt Ja, es gibt einen Weg, die Wahrheit zu finden, „da der allmächtige Gott selber und durch sich selbst die Wahrheit offenbart und durch gute Engel und mancherlei Menschen dem guten Willen behilflich ist, sie zu schauen und zu erfassen.“ (X.20.55) Anfang und unbedingte Voraussetzung der Religion bzw. des Weisheitsstrebens ist „ der gute Wille “, d.h. das aufrichtige Streben und Suchen nach Wahrheit. Gott wird „allen Menschen guten Willens “[6] die Wahrheit „selbst offenbaren“, da er „er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Der gute Wille ist die erste, allgemeinste und grundlegenste aller Bedingungen auf dem Weg zur Weisheit und Erkenntnis der Wahrheit. Auf der Ebene der demonstratio religiosa ermöglicht der gute Wille allen Menschen, die Wahrheit tatsächlich finden und erkennen zu können, denn, wer die Wahrheit aufrichtig und von Herzen „sucht“, der „wird sie finden“. Das ist ein allgemeines, vernünftiges und religiöses Gesetz (vgl. Jer 29,13-14; Mt 7,8).
„Was dagegen zweifelhaft ist, das glaube so lange, bis Vernunft lehrt oder Autorität vorschreibt, daß es entweder zu verwerfen oder als wahr zu erkennen oder allzeit zu glauben ist. Erwäge also, was nun folgt, so aufmerksam und fromm wie nur möglich, denn solch einem Leser steht Gott bei.“ (X.20.57)
„Aufmerksam und fromm der Vernunft und Autorität folgen“. Das ist die große und zweiseitigeAntwort Augustinsauf die Frage, wie der Mensch die Wahrheit erkennen und Gott finden kann.
„Dementsprechend ist auch die Arznei der Seele, welche die göttliche Vorsehung in unsäglicher Güte darreicht, sehr köstlich. Es sind zwei verschiedene Heilmittel, die aufeinanderfolgend zur Anwendung kommen müssen, nämlich Autorität und Vernunft. Die Autorität verlangt Glauben und bereitet den Menschen auf die Vernunft vor. Die Vernunft führt zur Einsicht und Erkenntnis. Doch ist auch die Autorität nicht gänzlich von Einsicht verlassen, da man sich überlegen muß, wem man glauben soll, und nicht minder eignet auch der bereits einleuchtenden und erkannten Wahrheit unzweifelhaft höchste Autorität.“ (X.20.57)
Der gute Wille äußert und manifestiert sich konkret darin, dass er sowohl der Vernunft, als auch glaubwürdigen Autoritäten glaubt, damit der Glaube zu den Einsichten führen kann, die die Vernunft selbst noch nicht einsehen kann. Das ist vor allem auf der Ebene der demonstratio cristiana und catolica der Fall.
1.4. Der Gottesbeweis aus der Illuminationslehre
Natürlich geht Augustinus von der Erkennbarkeit der Existenz Gottes durch seine Geschöpfe und Werke aus und zitiert oft den klassischen kosmologischen (bzw. teleologischen) Gottesbeweis (vgl. Röm 1,20; DS 3004; KKK 32 + 36), jedoch findet er noch einen zweiten Weg, durch die reine Vernunft auf Gottes Dasein schließen zu können, nämlich durch seine sogenannte „Illuminationslehre“:
„Denn wohin sonst gelangt, wer seine Vernunft recht gebraucht, wenn nicht zur Wahrheit? (...) Aber wenn du nicht einsiehst, was ich sage, und zweifelst, ob es wahr sei, so sieh zu, ob du auch daran zweifelst, daß du es bezweifelst. (...) Jeder, der einsieht, daß er zweifelt, sieht etwas Wahres ein und ist dessen, was er einsieht, auch gewiß. Also ist er eines Wahren gewiß. Jeder also, der daran zweifelt, ob es eine Wahrheit gibt, hat in sich selbst etwas Wahres, woran er nicht zweifelt. Da nun alles Wahre nur durch die Wahrheit wahr ist, kann niemand an der Wahrheit zweifeln, der überhaupt zweifeln kann.“ (XXXIX.73.203-206)
Hier kommt das berühmte augustinische „si fallor, enim sum“ zum Vorschein. An der Wahrheit kann man nicht zweifeln, denn, selbst wenn man an ihr zweifeln wollte, müsste man zugeben, dass es wahr ist, dass man zweifelt. Daraus geht die sichere und unwiderlegbare Existenz der Wahrheit hervor. Wer die Wahrheit leugnen will, fällt zwangsläufig in einen perfomativen Selbstwiderspruch, denn wer sie leugnen will, muss sie voraussetzen.
„Und wenn es gewiß ist, daß du zweifelst, so forsche, woher diese Gewißheit kommt. Da wird dir nicht, ganz gewiß nicht, das Licht dieser unserer Sonne begegnen, sondern ‚das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.‘ (Joh 1,9)“ (XXXIX.73.203)
So wie es eine sichtbare Sonne im Himmel gibt, die den Menschen auf der Erde ihr Licht schenkt, damit sie sehen können, so gibt es über dem Menschen bzw. im Menschen eine unsichtbare Sonne, die mit ihrem geheimnisvollen Licht „alle Menschen erleuchtet“ und ihnen ermöglicht, dass sie geistigsehen, d.h. verstehen und erkennen können. Diese geistige Sonne ist die „ewige und unwandelbare Wahrheit“, die unvergänglich und unzerstörbar ist:
„Kann das (sc. das Licht der Wahrheit) wohl auf irgendeine Weise untergehen, auch wenn jeder, welcher es mit seiner Vernunft erfaßt hat, untergeht oder mit den niederen Fleischesmenschen hinwelkt? Nein, denn der Vernunftgebrauch bringt es nicht hervor, sondern findet es. Ehe es aber gefunden wird, beruht es in sich, und wenn es gefunden wird, erneuert es uns.“ (XXXIX.73.207)
Wahrheit entsteht nicht durch das Denken des Menschen, vielmehr ermöglicht sie das Denken. Wahrheit wird nicht geschaffen, sondern gefunden. Wahrheit wird nicht, Wahrheit ist. Das ist das Charakteristikum der Wahrheit, dass sie nicht wandelbar und zeitlich und räumlich begrenzt ist, sondern dass sie unwandelbar ist, weil sie (ewig) ist. Wahrheit besitzt also höchstes, vollkommenes und „ewiges“ Sein. Das ist eine weitere entscheidende Prämisse der platonischen und augustinischen Philosophie, nämlich dass „Wahrheit und Sein eins sind“ (vgl. „Unum, verum et bonum convertuntur.“).
„(...) so frage man nach dem, der der Allerschönste ist. Denn von ihm stammt alle Schönheit her. Wer aber ist er? Kein anderer als der eine Gott, die eine Wahrheit, das eine Heil aller, erstes und höchstes Sein, von dem alles ist, was irgend ist, soweit es eben ist. Denn alles, soweit es ist, was es ist, ist gut.“ (XI.21.59-60)
Gott ist – ebenso wie die eine Wahrheit – „erstes und höchstes Sein“. Mit anderen Worten: Gott ist die Wahrheit. Kann man also nicht daran zweifeln, dass die Wahrheit ist, so kann man auch nicht zweifeln, dass Gott ist, denn Gott ist die Wahrheit.[7] Gott selbst ist das geistige Licht, dass den Menschen erleuchtet und ihm Denken, Verstehen und Erkennen ermöglicht. Gott ist die Bedingung der Möglichkeit von menschlicher Wahrheit und Erkenntnis. Folglich existiert Gott. Wer daran zweifelt, beweist perfomativ das Gegenteil, da man Wahrheit ohne Wahrheit nicht leugnen kann. Gottes Existenz ist also unwiderlegbar wie die Wahrheit selbst, da Gott und die Wahrheitein und dasselbe ewige Sein sind. Das ist der augustinische Gottesbeweis, der aus seiner Illuminationslehre resultiert. Hiermit erweist sich Augustinus als philosophisch-theologisches Originalund Genie.
1.5. Monotheismus als wahre Religionsform
Eine der wichtigsten Fragen, wenn nicht die wichtigste Frage der demonstratio religiosa überhaupt ist die Frage nach Gott: Gibt es einen Gott? Wenn ja, gibt es vielleicht mehrere? Was sagt Augustinus dazu?
„Doch bleibt es unsere Aufgabe, zu erwägen, welchen Menschen oder Schriften man glauben soll, um Gott recht zu verehren, worin unser alleiniges Heil besteht. Da muß man nun zunächst fragen, ob man denen mehr glauben soll, die uns zu Verehrung vieler Götter aufrufen, oder denen, die nur von einem Gotte wissen wollen.“ (XXV.46.126)
Augustinus, der lange Zeit im heidnischen Rom lebte und die polytheistischen Kulte und heidnischen Götterverehrungen gut kannte, gibt hierauf eine interessante Antwort:
„Wer aber möchte da zweifeln, daß man am ersten denen folgen muß, die uns zu dem Einen rufen, zumal auch die Verehrer der vielen Götter mit ihnen darin übereinstimmen, daß dieser Eine Herr und Gebieter aller übrigen sei? Ohne Zweifel beginnen ja die Zahlen mit der Eins.“ (XXV.46.126)
Selbst wenn es also mehrere Götter gibt, sagt Augustinus, dann gibt es dennoch einen „Herrn und Gebieter“[8] unter ihnen. Das geben sogar ihre Verehrer selber zu. Das ist interessant, weil hier mit dem „göttlichen“ bzw. „natürlichem“ Prinzip der Hierarchie argumentiert wird. Selbst im Himmel, bei den Göttern, gibt esHierarchie und Ordnung, denn alles beginnt natürlicherweise „mit der Eins“. Die Eins ist die erste und grundlegenste aller Zahlen, denn auf ihr gründen alle weiteren Zahlen. Sie verleiht allem Einheit,Ordnung und Bestand. Und genau das ist das Argument, dass Augustinus hier benutzt und ausbaut, um den Monotheismus als einzig wahre Religionsform zu begründen und zu rechtfertigen.
„Zuvörderst muß man also denen folgen, die sagen, der eine Gott sei der höchste, einzige, wahre und darum auch allein zu verehrende Gott. Erst dann, wenn bei ihnen die Wahrheit nicht an den Tag kommen sollte, müßteman weiter sehen. Denn wie im Naturzusammenhang das Ansehen der Einzahl, die alles zur Einheit bringt, überragend ist, und wie im Menschengeschlecht die Menge machtlos ist, wenn sie nicht übereinkommt, daß heißt einer Meinung ist, so muß auch auf dem Felde der Religion die Autorität derer, die uns zum Einen rufen, die größere und glaubwürdigere sein.“ (XXV.46.127)
Hier kommt die praktische Seite des Arguments zu Ausdruck. So wie die Menschen „machtlos“ sind, wenn sie sich nicht einig sind, so wäre es auch bei den Göttern. Ohne Hierarchie und Einheit gäbe es keinen Bestand (vgl. Mt 12,25). Daher ist es „glaubwürdiger“, dass es nur „einen einzigen, wahren und allein zu verehrenden Gott“ gibt. So gebührt den Monotheisten höhere Glaubwürdigkeit und Autorität als den Polytheisten.
Natürlich gibt es noch ein zweitesArgument, das Augustinus erwähnt, nämlich die Bestätigung der göttlichen Autorität und Wahrheit durch „Wunder“ und „Zeichen“. Doch „da die katholische Kirche heute über den ganzen Erdkreis ausgebreitet und gefestigt ist“, antwortet er kurz, „mussten jene Wunder aufhören“ (vgl APG 2,22; 2,43):
„Denn der Geist sollte nicht immer am Sichtbaren hängen und das Menschengeschlecht nicht durch Gewöhnung an die Wunder erkalten, die es einst, als sie neu waren, in Begeisterung versetzt hatten.“(XXV.47.128)
Wunder sind also ein anfänglicher und primitiver Beweis für die wahre Religion, doch damit der Glaube stark wird, darf „der Geist (des Menschen) nicht mehr am Sichtbaren hängen“, denn vollkommener ist, wer glaubt, „ohne zu sehen“ (vgl. Joh 20,29). Das ist die „stufenweise Pädagogik und Heilslehre Gottes“,[9] der den Menschen vom Sichtbaren (Erde) zum Unsichtbaren (Himmel) führen will(vgl. Kol 3,1) und den „alten, äußerlichen und irdischen Menschen“ in den „neuen, inneren und himmlischen Menschen“ umwandeln will, also vom „leiblichen Menschen Adam “zum „geistigen Menschen Christus “ (vgl. 1 Kor 15,45-58). Das ist das Ziel des Glaubens, darin besteht das Heilder Seele (vgl. Röm 6).
Damit sind wohl die wichtigsten Aussagen Augustins über den Religionstraktat (demonstratio religiosa) in De vera religione wiedergegeben.
2. Demonstratio cristiana
Nachdem wir gesehen haben, wie Augustinus mit Vernunftgründen versucht hat, zu erklären, dass es einen Gott gibt und dass er einzig, wahr, ewig und vollkommen ist, geht es hier, im zweiten Offenbarungstraktat (demonstratio cristiana) darum, zu sehen, wie er die christliche Religion und Offenbarung als wahren bzw. sinnvollen Glauben begründet.
2.1. Der Unterschied zwischen PlatonundChristus
Das stärkste Argument, das Augustinus benutzt, um die christliche Religion als wahren Glauben und Offenbarung Gottes zu behaupten, besteht in der Praxis. Denndas Problem der Philosophen,so erklärt er in den ersten Kapiteln des Buches ausgiebig, war der Widerspruch zwischen Glaube und Praxis, bzw. zwischen Lehre und Kult. Während sich ihre Weisen und Philosophen „in ihren Lehren widersprachen“ und „verschiedene Schulen“ besuchten, besaßen sie doch „gemeinsame Tempel“ und „gemeinsame Opferfeste“ (I.1-2). Die Philosophen schafften es also nicht, dass ihre Lehren in entsprechende Praxis umgesetzt wurde. Sie lehrten das eine, doch das Volk tat das andere. Sie sprachen von Geist, Erkenntnis, Weisheit und Tugend, die Menschen blieben aber bei Fleisch, Sinnlichkeit, Begierde und Sünde stehen (vgl. Joh 3,19; Röm 1,18-32). Das Ziel beider aber, von Platon (Philosophie) und Christus (Glaube), war ja, wie oben gesagt, die Menschen aus der Sklavenschaft und Blindheit des Fleisches zu befreien, nämlich hin zur Freiheit und Lebendigkeit des Geistes. Und genau das, was Platon und die Philosophie wollte, aber nicht vollbringen konnte, hat Christus in die Tat und Praxis umgesetzt.
„Nun also, angenommen, es fragt ihn (sc. Platon) jener Schüler, ob er wohl, wenn es einen großen und göttlichen Mann gäbe, der es fertigbrächte, das Volk zum Glauben an diese Wahrheiten, die es nicht begreifen kann, zu überreden und den wenigen, die es begreifen können, dazu zu verhelfen, daß sie nicht von den falschen Ansichten der Masse verwirrt und von den weitverbreiteten Irrtümern mit fortgerissen werden, ob er dann solch einen Mann nicht göttlicher Ehren für wert hielte. Plato[10] würde, so meine ich, antworten, kein Mensch könne das leisten, wenn ihn nicht Gottes Kraft und Weisheit über die natürlichen Verhältnisse hinausgehoben (...) hätte...“ (III.3.11-12)
Mit anderen Worten: das, was Christus, geschichtlich gesehen, vollbracht hat, „übersteigt alle natürlichen Verhältnisse“ und zeugt davon, dass in ihm und durch ihn „Gottes Kraft und Weisheit“ selbst am Werk war. Was kein Mensch und Philosoph auf Erden vollbracht hat, hat Christus geschafft: er hat die Völker und Menschenmassen zum wahren Glauben bekehrt. Das ist ein wahres Wunder und Meisterwerk Gottes:
„Das alles (sc. die heiligen Gebote und Seligpreisungen des Evangeliums, wie z.B. Demut, Armut, Liebe, Vergebung, Barmherzigkeit, Kreuz und Keuschheit) wird nunmehr in aller Welt der Menge vorgelesen und ehrfürchtig und willig angehört, und nach so viel Blutvergießen, so vielen Scheiterhaufen, so vielen Märtyrerqualen haben die christlichen Kirchen um so fruchtbarer und üppiger ihre Zweige bis zu den wilden Völkerschaften ausgebreitet. Schon wundert sich niemand mehr, daß Tausende von Jünglingen und Jungfrauen die Ehe verschmähen und keusch leben. (...) Überall, in Groß- und Kleinstädten, in Burgen, Dörfern, Landgütern und Privathäusern, wird die Abkehr von der Welt und die Bekehrung zum einen wahren Gott so nachdrücklich empfohlen und erstrebt, daß nunmehr das Menschengeschlecht auf weitem Erdenrund täglich und fast einstimmig die Antwort gibt: Droben bei dem Herrn haben wir unsere Herzen.[11] “ (III.5.17-19)
Augustinuslebte an einem großen Wendepunkt der Geschichte, nämlich an dem das anfänglich verfolgte Christentum zur Weltreligion wurde und sich das Evangelium und die katholische Kirche weltweit ausgebreitet hatte. Nach so vielen Märtyrern, Verfolgungen und Leiden erlebte endlich das Christentum seinen Höhepunkt: es wurde zur Weltreligion! Und die Völker und Menschenmassen staunten, wie sehr nun das in der christlichen Religion gelebt wurde, was die Philosophie gewollt, jedoch nicht geschafft hatte!
Die Konsequenz, die aus dieser praktischen demonstratio cristiana unmittelbar folgen müsste, wenn sie wahr ist, nämlich dass die wahren Weisheitssucher (= Philosophen) die christliche Autorität und Wahrheit nach aufrichtiger Prüfung einsehen und sich zu ihr bekehren, hat tatsächlich in der Geschichte stattgefunden:
„Wenn also jene Männer (sc. die früheren Philosophen und Platoniker) noch einmal das Leben mit uns teilen könnten, würden sie ohne Zweifel einsehen, durch wessen Autorität den Menschen soviel leichter zurechtgeholfen wird. Dann brauchten sie nur wenige Worte und Ansichten zu ändern, um selbst Christen zu werden. So haben es ja die meisten Platoniker unserer jüngsten Zeit gemacht.“ (IV.7.23)
„Die Platoniker müssen nur wenige Worte und Ansichten ändern, um selbst Christen zu werden“. Das ist eine große Aussage, denn so nahe stehen sich Platon und Christus, d.h. Glaube und Vernunft, Religion und Philosophie! So kommt es, dass Augustinus den ersten Religionstraktat mit dem zweiten Offenbarungstraktat verbindet und die grundlegende These der demonstratio religiosa „Gott ist die Wahrheit“durch die grundlegende These der demonstratio cristiana „Christus ist die Wahrheit“ ergänzt und ausbaut:
„Sollen wir nun noch länger gähnen, ermüdet vom gestrigen Rausch, in Tierkadavern[12] göttliche Orakel suchen und, wenn´s zu Streitgesprächen kommt, lieber Mäuler haben wollen, aus denen Platos Name tönt, als Herzen, die angefüllt sind mit Wahrheit?“ (IV.5.19)
Jetzt nennt Augustinus Christus nämlich nicht mehr wie Platon beim Namen, als ob Christus nur ein Philosoph neben anderen wäre, sondern er setzt anstelle seines Namens das Wort „Wahrheit“ selbst und setzt es sogar Platonals Kontrast entgegen, um klar zu machen, dass der christliche Glaube nicht irgendeine Wahrheit unter vielen ist, sondern dass sich in Christus die Wahrheit selbst offenbart hat (vgl. Joh 1,14; 14,6).Christus hat alle Philosophien und Religionen, die bestenfalls nur einen Teil der göttlichen Wahrheit widerspiegeln, endlich überwunden, denn, sofern er die Wahrheit ist, ist er Gott selbst (vgl. Joh 1,1; 10,30; 20,28; Hebr 1,1-3).
2.2. Gnade, Geist und Heil
Es ist aber nicht die göttliche Autorität Christi allein, die zur „Rettung und Erziehung der Volksmassen“ (IV.6.21) geführt hat, sondern auch und vor allem seine Gnade und sein Geist, den er allen Gläubigen verleiht (vgl. Joh 1,12; 3,34). Das ist es nämlich, was den Philosophen und einfachen Menschen fehlt: sie haben vielleicht Kenntnis und Wissen, sie erkennen theoretisch das Ziel, können es aber praktischnicht (oder nur schwer) erreichen.[13] Ihnen fehlt die Gnade und Kraft, den schweren und „engen Weg“ der Tugend und Gerechtigkeit zu gehen (vgl. Mt 7,13-14), da die Begierden des Fleisches zu stark und ihr Geist zu schwach ist (vgl. Mt 26,41; Röm 7,24). Daher ist Christus als Erlöser und „Mittler zwischen Gott und den Menschen“ (1 Tim 2,5)gekommen, um die Menschen von der Sklavenschaft des Bösen zu befreien:
„Doch könnte die Menschenseele, überhäuft und belastet mit Sünden, dies (sc. das ewige Leben) nicht von sich aus schauen und festhalten, wenn es keine Stufe gäbe, die vom menschlichen Bereich zum göttlichen den Übergang bildet, und mit Hilfe derer der Mensch vom irdischen Leben zur Gottähnlichkeit aufsteigen kann. Doch nun verhilft Gottes unaussprechliches Erbarmen, in einer zeitlichen Veranstaltung und durch Vermittlung eines zwar wandelbaren, aber den ewigen Gesetzen gehorsamen Geschöpfes, teils einzelnen Menschen, teils sogar dem menschlichen Geschlecht dazu, sich seine erste und vollkommene Natur wieder in Erinnerung zu bringen.“ (X.19.54)
Hier bildet sich schon die spätere augustinische Gnaden- und Heilslehre ab. Alle Elemente sind vorhanden: die menschliche (Erb-)Sünde; die Schwachheit und Unfähigkeit, sich selbst von ihr zu erlösen (Erlösungsbedürftigkeit); die Gnade und das Erbarmen Gottes; die Menschwerdung Gottes; die Vermittlung und Zwei-Naturenlehre Christi; die Erlösung und „Vergöttlichung“ des Menschen. Die Pointe ist, dass der Mensch aufgrund der (Erb-)Sünde geschwächt ist, so dass er nicht mehr aus eigener Kraft zu Gott (zur Gottähnlichkeit) aufsteigen kann, sondern der Gnade des Mittlers bedarf, die Augustinus hier „Stufe“ nennt. Der Mensch braucht eine Stufe, um zu Gott aufsteigen zu können. Diese Stufe ist „die christliche Religion“ bzw. Christus selbst. Er wird zur Stufe, zur Brücke und zum „Tor“, das zu Gott in den Himmel führt (vgl. Joh 10,9). In Christus erhalten die Menschen – durch Gottes „unaussprechliches Erbarmen“ –die „Vergebung ihrer Sünden“ und „den Hl. Geist“ (vgl. APG 2,38)und „Anteil an der göttlichen Natur Christi“ (vgl. 2 Petr 1,4), so dass sie in Christus zu „Kindern Gottes“ werden (vgl. Joh 1,12). Der neue und Hl. Geist in ihnen erneuert, heilt und verleiht ihnen jetzt Kraft, damit sie die Begierden des Fleisches besiegen und zum ersehnten Ziel gelangen können:
„Wenn aber die Seele während des Ablaufs dieses Erdenlebens die Begierden besiegt, die sie durch den Genuß des Vergänglichen zum eigenen Schaden nährte, und darauf vertraut, daß Gottes Gnade ihr dabei helfen wird, und wenn sie reinen Geistes und guten Willens Gott dient, dann wird sie ohne Zweifel gesunden. Sie wird, erneuert durch die ungeschaffene, vielmehr allschöpferische Weisheit, von dem vielen Wandelbaren zum Einen und Unwandelbaren zurückkehren und Gott durch den Heiligen Geist, Gottes Gabe, genießen.“ (XII.24.65)
Es ist der „Hl. Geist“, die „Gabe Gottes“, den die Philosophie nicht verleihen kann, sondern nur die wahre Religion. Das ist es, was der Glaube der bloßen Vernunft voraus hat! Den Hl. Geist kann also weder Platon, noch Aristotels, noch irgendein anderer Philosoph den Menschen schenken, sondern nur der Vater im Namen Jesu Christi, seines Sohnes. Damit hat Augustinus auch schon die trinitarische Struktur des christlichen Glaubens angedeutet, die hier aus Platzgründen leider nicht mehr ausgeführt werden kann. Der Sinn und Zweck der demonstratio cristiana wurde aber deutlich klar, nämlich zu zeigen, dass genau das, was die Philosophie sucht und will, in der christlichen Religion erfüllt und geschenkt wird. Die christliche Religion wird damit zum „Heilsweg“:
„Das aber ist die christliche Religion unserer Tage. Sie zu kennen und ihr zu folgen, ist der sicherste und gewisseste Weg zum Heil.“ (X.19.55)[14]
Hier sieht man die Offenheit des augustinischen Geistes: obwohl er natürlich an der Heilsnotwendigkeit der Taufe und Kirche festhielt (vgl. LG 14), sagt er nicht, der christliche Glaube sei „der einzige Weg zum Heil“, sondern „der sicherste und gewisseste “, womit er die Möglicheit eingesteht, dass auch andere, die „ohne eigene Schuld“ nichts vom christlichen Glauben wussten, gerettet werden können (vgl. LG 16)[15].
Fazit
Hat Augustins De vera religione auch heute noch bleibende Gültigkeit, Bedeutung und Nutzen? Ja, in der Tat, zum größten Teil!Wie aktuell seine Lehre ist, sehen wir z.B. schön an einem Argument, das Josef Ratzinger benutzt, um die bleibende Bedeutung und Sinnhaftigkeit des Glaubens zu begründen:
„Warum hat der Glaube überhauptnoch eine Chance? Ich würde sagen: Weil erdem Wesen des Menschen entspricht.“[16]
So wie Ratzinger den Glauben anthropologisch begründet und im „Wesen“ des Menschen verankert, so sagt auch Augustinus, dass der Mensch von Natur aus nach der göttlichen Wahrheit und Weisheit strebt. Es ist die menschliche Vernunft, die den Menschen religiös macht und solange der Mensch ein Vernunftwesen bleibt, so lange behält auch die Religion ihre Berechtigung, ihren Sinn und Nutzen. Der bleibende Sinn und Nutzen des Glaubens ist aber nach Augustinus: er schenkt dem Menschen das wahre Glück, führt zur Erkenntnis der Wahrheit, gibt dem Leben Sinn, vollendet den Menschen und schenkt ihm Erlösung, Heil und ewiges Leben. Das ist in der Tat nicht wenig!
Auch ist Augustins Antwort auf die Frage, wie man die Wahrheit findet kann, noch heute bemerkenswert, nämlich durch „Vernunft und Autorität“. Diese zwei Elemente sind wesentlich für die Wahrheitssuche. Jeder, der in der Erkenntnis der Wahrheit und Weisheit voranschreiten will, muss auf diese zwei Pfeiler bauen, um ans Ziel zu gelangen, denn: „Die Vernunft wird ohne den Glauben nicht heil, aber der Glaube wird ohne die Vernunft nicht menschlich.“ [17]
Ebenso von unschätzbarem Wert ist Augustins Aufwertung der Vernunft und Philosophie, durch die man die Existenz und Vollkommenheit Gottes als Ursprung und Ziel des Weltalls ohne den Glauben erkennen kann. Heute gibt es nämlich eine große Tendenz, außerhalb, aber auch innerhalb der Kirche, die behauptet, dass man nicht sicher wissen könne, ob es Gott gibt oder nicht. Oft ist zu hören: „Man kann Gottes Existenz weder beweisen, noch widerlegen.“ Das ist nicht nur falsch, sondern gegen das Wort Gottes und die Lehre der Kirche (vgl. Röm 1,20; DS 3004; KKK 36). Ein großer Nutzen der Philosophie besteht also auch heute darin, vernünftig und argumentativ zu beweisen, dass es Gott gibt, ob das nun durch den kosmologischen Gottesbeweis geschieht, der von der Wirkung der Schöpfung auf die Ursache des Schöpfers schließt oder durch die Illuminationslehre, die von der menschlichen Erkenntnis auf die Existenz der göttlichen Wahrheit schließt. Wichtig ist, dass durch solche Vernunftargumente der Glaube an Gott, den ewigen Schöpfer des Alls, gestärkt wird. Das ist eine große und wichtige Aufgabe der Philosophie und Theologie, die durch das I. und II. Vatikanum neue Aktualität und Dringlichkeit gewonnen haben!
Ebenfalls von sehr großem Nutzen für die heutige Philosophie und Theologie ist die augustinische Illuminationslehre, die von der sicheren Erkennbarkeit der Wahrheit ausgeht und damit gegen den modernen Relativismus und (Sprach-)Skeptizimus helfen kann. Denken wir z.B. nur an den Sprachrelativismus von Ludwig Wittgenstein, der weite Wellen geschlagen hat. Die Tendenz, die durch solchen Sprachskeptizismus und philosophischen Relativismus entsteht, ist, dass man sagt, dass es keine sichere, objektive und endgültige Erkenntnis gäbe, da die menschliche Sprache unfähig und unvollkommen sei, die Wahrheit zu erkennen und auszudrücken. Das augustinische „si fallor, enim sum“ hilft dabei, aufzudecken, dass der moderne Sprachrelativimus ebenso wie der antike Skeptizismus in einen perfomativen Selbstwiderspruch fällt, da er sicher und objektiv behauptet, dass es keine sichere und objektive Erkenntnis gäbe. So hilft uns die augustinische Illuminationslehre auch heute noch, unsere Philosophie und Theologie auf dem sicheren und „felsenfesten“ Fundament der Wahrheit und Gottes zu bauen, das unwiderlegbar und unzerstörbar ist. Dadurch wird der Zweifel und Skeptizismus schwächer, der Glaube an Gott stärker und das Licht der Weisheit größer! Das ist es, was die heutige Welt dringend braucht: Glauben und Weisheit!
Am Ende sei noch ein Wort über die Praxis gesagt: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ (Mt 7,16) und: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,35) Das große Argument und Zeichen, das Augustinus benutzt, um den christlichen Glauben als wahren Glauben zu rechtfertigen, ist die Praxis, die sich in der Tugend und Gerechtigkeit, in der Liebe und Heiligkeit zeigt und vollendet. Das, wozu der Mensch aus eigener Kraft zu schwach ist, nämlich sich von den Begierden und Sünden des Fleisches zu lösen und nach dem Willen des Geistes zu leben, sollte bei den Christen verwirklicht sein und gelebt werden, da ihnen „die Kraft aus der Höhe“ geschenkt ist (Lk 1,78; APG 1,8; 1 Petr 1,12), damit sie „heilig und untadelig leben vor Gott“ (Eph 1,4) und das „Licht der Welt und Salz der Erde“ seien (Mt 5,13-14). Die wahre Religion äußert sich also nicht bloß durch theoretische Argumente, sondern auch und erst recht durch die Praxis, durch gute Werke und Früchte, d.h. durch die Liebe. Es liegt also an der Christenheit selbst, ob sie der Welt ein wahrhaftes Zeugnis des wahren Glaubens ablegt. Jeder einzelne Christ, wie auch die Kirche im Gesammten, ist dazu berufen, durch das persönliche und gemeinschaftliche Glaubenszeugnis der Welt das Licht zu zeigen, dass in ihnen leuchtet, so dass alle Aussenstehenden sagen: „Wahrhaftig! Gott ist bei euch!“ (vgl. 1 Kor 14,25) Es liegt also auch und sogar sehr (!) an unserer Mitwirkung und Teilhabe, ob die wahre Religion in der Welt sichtbar und wirksam wird. So verstehen wir, was sich der Apostel gewünscht hat, als er sagte: „damit auch wir zu Mitarbeitern für die Wahrheit werden“ (3 Joh 8). Dass der hl. Augustinus ein großer cooperator veritatis zu seiner Zeit war, beweist, dass er es auch heute noch ist und für immer bleiben wird, da die Wahrheit unwandelbar und ewig ist. Gott sei Dank!
Literaturliste
1.) Quellen
- Augustinus,Aurelius,
- De verareligione (+ Retractationes)
- (Deutsche Übersetzung): Über die wahre Religion (+ Überprüfungen), (Lat. /Dt.), herausgegeben und übersetzt von Wilhelm Thimme,Reclam-Verlag, Ditzingen 2006.
- De libero arbitrio
- De moribus ecclesiae catholicae et de moribusManichaeorum
- (Deutsche Übersetzung): Die Sitten der katholischen Kirche und die Sitten der Manichäer.
2.) Sekundärliteratur
- II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche: LumenGentium.
- Benedikt XVI., Papst, Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg 2003.
- Denzinger-Schönmetzer bzw.Denzinger-Hünermann, Enchiridion Symbolorum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen (DS/ DH).
- Johannes Paul II., Papst, Katechismus der Katholischen Kirche (KKK).
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[1] Hier liegt folgende deutsche Übersetzung vor: Aurelius Augustinus, De verareligione. Über die wahre Religion, (Lat. /Dt.), herausgegeben und übersetzt von Wilhelm Thimme, Reclam-Verlag, Ditzingen 2006.
[2] So fasst Augustinus selbst das Grundanliegen seiner Schrift in seinen Retractationes(Überprüfungen) zusammen. Die deutsche Übersetzung der Retractationes findet sich ebenfalls in der vorliegenden Reclam Ausgabe.
[3] Mehr zum Kirchentraktat findet sich in Augustins Schrift: De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum (Die Sitten der katholischen Kirche und die Sitten der Manichäer).
[4] DS 3004 = Denzinger-Schönmetzer bzw. Denzinger-Hünermann, Enchiridion Symbolorum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Nr. 3004; KKK 36 = Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 36.
[5] Vgl.: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts.“ (Joh 6,63)
[6] Vgl. VUL: „Gloria in altissimis Deo, et in terra pax hominibus bonævoluntatis.“ (Lk 2,14)
[7] Vgl. Augustinus, De liberoarbitrio,II.35.
[8] Gemeint ist hier wohl der Göttervater „Zeus“ (lat.) bzw. „Jupiter“ (griech.).
[9] Hier, in Kapitel XXVI.48-49.130-135, beschreibt Augustinus schön ein siebenfaches geistiges Lebensalter des Menschen, angefangen über die „geistige Wiedergeburt“ des Menschen (Taufe), über das Streben nach Weisheit und Gesetzestreue, bis hin zur „vollendeten Gestalt, die geschaffen ist, nach Gottes Ebenbild und Gleichnis“, „in Gerechtigkeit und Unsterblichkeit“.
[10] Andere Form für „Platon“.
[11] Anspielung auf das Sursum corda aus der Präfation des Messkanons, wasdie von Platon gelehrte Abkehr von der materiellen Welt und den Aufstieg in den geistige Himmel ausdrückt (vgl. Kol 3,1).
[12] Dazu die Anmerkung von Wilhelm Thimme: Es ist an die Eingeweideschau der Haruspices gedacht.
[13] Daher konnte Mose (der symbolisch für das Gesetz steht) auch nur das gelobte Land „ sehen “, aber „nichthineinkommen“ (Dtn 32,52), damit klar wird, dass die Gerechtigkeit und das Heil „nicht durch das Gesetz und Menschenwerke“ kommt, sondern allein durch die göttliche „Gnade und den Glauben an Christus“ (vgl. Joh 1,17; Gal 2,16.21). Die Philosophie bzw. die Vernunft kann wie Mose also nur das Ziel sehen, aber nicht dorthin führen. Das kann nur der Glaube und die Religion.
[14] Hierzu schreibt Augustinus in seinen Retractationes: „Wenn ich ferner sagte: 'Das ist die christliche Religion unserer Tage. Sie zu kennen und ihr zu folgen, ist der sicherste und gewisseste Weg zum Heil', so bezieht sich das nur auf den Namen der christlichen Religion, nicht auf die Sache, die mit diesem Namen bezeichnet wird. Die Sache selbst, die nun christliche Religion genannt wird, gab es ja schon bei den Alten. Denn vom Anbeginn des Menschengeschlechtes an fehlte sie nicht, bis Christus selbst im Fleische erschien. Erst seitdem fing man an, die längst vorhandene wahre Religion christlich zu nennen… (vgl. APG 11,26).“ (Retractationes, I, 12,3)
[15] II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche: Lumen Gentium, Nr.14 und 16.
[16] Papst Benedikt XVI., Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentumund die Weltreligionen, Freiburg 2003, S. 111.
[17] Ebd., S. 110.
- Arbeit zitieren
- Petar Komljenovic (Autor:in), 2015, Demonstratio religiosa et christiana in Augustins Werk "De vera religione", München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/310658