Am 3. März 1978 fand im Staatsratsgebäude in Ost-Berlin ein Gespräch statt, von dem im Vorfeld nur wenige Eingeweihte wussten. Die Wichtigkeit dieses Treffens war allen Beteiligten bewusst, und dennoch wurde es geheim gehalten, da öffentliche Berichterstattung sein Zustandekommen wohl verhindert hätte. Denn es handelte sich hier um ein Gespräch zwischen der Spitze des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR einerseits und Vertretern eines sozialistischen Staatsapparates andererseits – also Menschen, deren ideologische Grundüberzeugung nicht verschiedener hätte sein können. Vielleicht wurde es im Nachhinein gerade deshalb gern als „Spitzengespräch“ bezeichnet.
Hier wirft sich die Frage auf, warum ein solches Gespräch überhaupt, und warum erst 1978 - fast dreißig Jahre nach der Gründung der DDR - stattfand.
Diese Hausarbeit soll Untersuchen, welche Faktoren beide Parteien zu diesem Treffen auf höchster Ebene bewogen, und inwieweit ihre Ziele erreicht wurden. Auch die umstrittene Formel „Kirche im Sozialismus“ soll hier erläutert werden, die wesentlich zum Verhältnis von Staat und Kirche beitrug und so für das Gespräch nicht unerheblich war.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kirche im Sozialismus
2.1 Vorstellung der SED von Kirche im Sozialismus
2.2 Die Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR
3. Die Situation der Christen in der DDR vor dem Gespräch
4. Das Spitzengespräch vom 6. März 1978
4.1 Zusammenfassung der Vorträge
4.2 Beschlüsse
5. Leere Phrasen? Auswirkungen des Treffens und die Situation in der Folgezeit
5.1 Die Kirche
5.2 Der Staat
5.3 Weitere Anmerkungen
6. Zusammenfassung
7. Literatur
1. Einleitung
Am 3. März 1978 fand im Staatsratsgebäude in Ost-Berlin ein Gespräch statt, von dem im Vorfeld nur wenige Eingeweihte wussten. Die Wichtigkeit dieses Treffens war allen Beteiligten bewusst, und dennoch wurde es geheim gehalten, da öffentliche Berichterstattung sein Zustandekommen wohl verhindert hätte. Denn es handelte sich hier um ein Gespräch zwischen der Spitze des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR einerseits und Vertretern eines sozialistischen Staatsapparates andererseits – also Menschen, deren ideologische Grundüberzeugung nicht verschiedener hätte sein können. Vielleicht wurde es im Nachhinein gerade deshalb gern als „Spitzengespräch“ bezeichnet.
Hier wirft sich die Frage auf, warum ein solches Gespräch überhaupt, und warum erst 1978 - fast dreißig Jahre nach der Gründung der DDR - stattfand.
Diese Hausarbeit soll Untersuchen, welche Faktoren beide Parteien zu diesem Treffen auf höchster Ebene bewogen, und inwieweit ihre Ziele erreicht wurden. Auch die umstrittene Formel „Kirche im Sozialismus“ soll hier erläutert werden, die wesentlich zum Verhältnis von Staat und Kirche beitrug und so für das Gespräch nicht unerheblich war.
2. Kirche im Sozialismus
Die Formel „Kirche im Sozialismus“ entstand am Ende der 1960er und der beginnenden 1970er Jahre. 1968/69 heißt es in Reden des Staatssekretärs für Kirchenfragen Seigewasser, dass die Kirche nach der Einführung der neuen Verfassung der DDR erkennen solle, dass sie ihrem eigenen Auftrag nur gerecht werde, wenn sie die humanistische Staatspolitik des Sozialismus anerkenne.[1] Nur so könnten sich „einerseits korrekte und vertrauensvolle Beziehungen der Kirche zum Staat, andererseits die Bereitschaft des sozialistischen Staates, den Geistlichen und den Kirchenleitungen mit gutem Rat zu helfen“, entwickeln.[2] Man wollte also von staatlicher Seite eine klare Formulierung der Kirchen zur Bejahung des Sozialismus.
Der „Brief aus Lehnin“ der Bischöfe der Landeskirchen an Staats- und Parteichef Ulbricht kommentierte den Entwurf der neuen DDR-Verfassung, in der die Kirche nur am Rande erwähnt wird (Artikel 39 (2) sah Vereinbarungen vor, die Näheres über die Tätigkeit der Kirchen regeln sollten.[3]). Hier hieß es, dass die Teilung Deutschland als Kriegsfolge akzeptiert wird, und man sich für die Verständigung der beiden Staaten einsetze. Als Bürger der DDR wolle man helfen, den Sozialismus als Form des gerechten Zusammenlebens zu verwirklichen, als Christen lasse man sich an das Versagen der Kirche im Dritten Reich erinnern.[4] Auf staatlicher Seite hatte man somit die Zusage zur Akzeptanz des Sozialismus durch die Kirchen, was einer ersten Annäherung gleichkam.
Der Gebrauch der Formel „Kirche im Sozialismus“ hatte in Kirchenkreisen wegen seiner Brisanz einen Kompromisscharakter. Es wurde eher beschrieben, was Kirche im Sozialismus nicht war. Auch war innerkirchliche Kritik an der Bezeichnung festzustellen.[5] Eine schlüssige Definition lieferte die Kirche 1973: Demnach ist Kirche im Sozialismus eine Kirche, die dem Christ und der Gemeinde hilft, seinen Weg im Sozialismus zu finden und der Gesellschaft zu helfen; sie ist eine Kirche, die dort, wo sie dem Menschen in der sozialistischen Gesellschaft dienen kann, hilft.[6]
Man darf dennoch nicht verachten, dass die Bezeichnung unter den Vorraussetzungen der Kirche in einer Diktatur entstanden war.[7] So musste auch das Streben der Kirchenvertreter nach mehr gesellschaftlicher Betätigung von der SED als „gefährlich“ betrachtet werden: Die Kirche forderte allgemeines Mitspracherecht, wollte Interessenvertretung der Christen in der DDR sein, kritisierte die Bildungspolitik und trachtete nach Beteiligung an der Infrastrukturplanung.[8] All diese Ressorts beanspruchten aber Staat und Partei für sich.
2.1 Vorstellung der SED von Kirche im Sozialismus
Eine uneingeschränkt patriotische Kirche, die sich aus allen politischen Belangen heraushält, war für die DDR aufgrund der immer noch vorhandenen Beziehungen zur West-Kirche und den historischen Verwurzelungen als politisch-gesellschaftlicher Akteur und Meinungsbildner utopisch. Staatlicherseits sah man diese Wunschvorstellung jedoch als reales Vorbild in Ungarn oder der Sowjetunion (hier die russisch-orthodoxe Kirche).[9] Dort gilt der sozialistische Staat als von Gott zugewiesener und nicht grundlegend veränderbarer Wirkungsort, und politischen Vorgängen wird aus der Kirche weder Zustimmung noch Opposition zuteil. Sie ist also völlig unpolitisch. Dieser Zustand wurde in der DDR nie erreicht, galt aber für die Partei als erstrebenswert.
2.2 Die Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR
Unmittelbar mit der Entstehung der Formel „Kirche im Sozialismus“ ging die Entstehung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) einher. Dieser trat am 10. Juni 1969 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und bestand aus Vertretern aller Landeskirchen auf dem Staatsgebiet der DDR, die zuvor noch unter den Wirkungsbereich der gesamtdeutschen Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) fielen. Da die SED im Kampf um internationale Anerkennung der DDR darum bemüht war, alle gesamtdeutschen Verbindungen zu trennen, wurde es für die Vertreter der Ost-Landeskirchen zunehmend schwierig (unmöglich), zu EKD-Synoden nach Westdeutschland zu reisen. Deshalb geschah die Gründung des BEK auch im Einvernehmen mit der EKD.[10] Dem Staat gelang es jedoch nicht, den Kontakt völlig zu unterbinden, deshalb gab es auch weiterhin enge gegenseitige Abstimmung über den Toleranzrahmen der DDR-Führung hinaus.[11]
Die SED tat sich mit der Akzeptanz des BEK schwer, war er doch die Institution eines politischen Gegners und musste man dadurch von der Linie abweichen, nur mit den „systemtreueren“ Bischöfen der verschiedenen Landeskirchen zu verhandeln, hier vor allem Bischof Mitzenheim aus der thüringischen Landeskirche.[12]
Der BEK konnte nun Konfliktregulierungsebenen bilden, die die EKD nicht hatte.[13] Der Bund wirkte quasi als Pufferzone zwischen den kritischen Gruppen unter den Christen der DDR, und dem SED-Regime.[14]
3. Die Situation der Christen in der DDR vor dem Gespräch
Die Kirche hatte in der DDR wegen der oben genannten „Gefahren“ für den Staat den Stellenwert eines Klassenfeindes.[15] Um die Einmischung der Kirche in staatliche Angelegenheiten, vor allem die Bildungspolitik, zu unterbinden, wurde 1957 das Staatssekretariat für Kirchenfragen eingerichtet.[16] Auch in dieser Zeit haben Gespräche zwischen staatlichen und kirchlichen Vertretern stattgefunden. Zu nennen ist hier der Empfang des BEK-Vorstandes im Februar 1971 durch den Staatssekretär für Kirchenfragen Hans Seigewasser, der jedoch in kleinerem Rahmen stattfand und geringere Bedeutung hatte als das noch zu behandelnde Treffen 1978. Ergebnisse dieses Empfangs waren die Zusage der Überprüfung von kirchlichen Beschwerden sowie die Garantie von Glaubens- und Gewissensfreiheit. Bei diesen Gesprächen waren meist beide Konfessionen vertreten.[17]
Es gab jedoch trotz der ausdrücklichen Akzeptanz des Sozialismus durch die Kirche kein Entgegenkommen oder Verminderung der Pressionen gegenüber Christen und kirchlichen Institutionen.[18] Diese Diffamierungen sind auf Vorgaben der KPdSU aus den 50er Jahren zurückzuführen,[19] die anfangs nur die Arbeit der Jungen Gemeinden betrafen, sich im Laufe der Zeit aber zu einer Repressionspolitik auf alle Bereiche christlicher Gemeinschaften ausweitete. Die eben erwähnte Differenzierung zwischen einzelnen Landeskirchen trug ebenfalls zu einer Schwächung der Kirche bei, da dies zwangsläufig zu inneren Konflikten führte.
[...]
[1] Vgl. Schröder, Richard, Der Versuch einer eigenständigen Standortbestimmung der evangelischen Kirchen in der DDR am Beispiel der „Kirche im Sozialismus“, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Band VI, Teil 2, Berlin 1995, S. 1205f.
[2] Kirchliches Jahrbuch der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1968, S. 205ff.
[3] vgl. Mau, Rudolf, Eingebunden in den Realsozialismus? Die Evangelische Kirche als Problem der SED, Göttingen 1994, S. 67.
[4] vgl. Schröder, Kirche im Sozialismus, in: Materialien der Enquete-Kommission, S. 1207.
[5] vgl. ebd., S. 1216ff.
[6] vgl. Niederschrift vom 10. März 1978 über das Gespräch des Vorstandes des Konferenz mit dem Vorsitzenden des Staatsrates am 6. März 1978, in: Nach-Denken. Zum Weg des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Frankfurt am Main 1995, S. 163f.
[7] vgl. Schröder, Kirche im Sozialismus, in: Materialien der Enquete-Kommission., S. 1209.
[8] vgl. ebd., S. 1213.
[9] vgl. ebd., S. 1214.
[10] vgl. ebd., S. 1186f.
[11] vgl. ebd., S. 1188
[12] vgl. Mau, Eingebunden in den Realsozialismus? S. 64.
[13] vgl. Onnasch, Martin, Das Spitzengespräch vom 6. März 1978 – Glücks- oder Sündenfall? 20 Jahre nach dem Gespräch zwischen dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen und dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR o. O., o. J., S. 20f.
[14] vgl. Heinecke, Herbert, Konfession und Politik in der DDR. Das Wechselverhältnis von Kirche und Staat im Vergleich zwischen evangelischer und katholische Kirche, Leipzig 2002, S. 353.
[15] vgl. Schröder, Kirche im Sozialismus, in: Materialien der Enquete-Kommission , S. 1219.
[16] vgl. Mau, Eingebunden in den Realsozialismus? S. 44.
[17] vgl. Heinecke, Konfession und Politik in der DDR, S. 132.
[18] vgl. ebd., S. 46f.
[19] vgl. Heinecke, Konfession und Politik in der DDR., S. 121.