Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Frage adäquat bearbeiten zu können, ob Bindungserfahrungen Einfluss auf soziale Verhaltensstörungen von Kindern haben. Außerdem ist es Ziel, das Erklären bzw. Entstehen von sozialen Verhaltensstörungen aus bindungstheoretischen Blickwinkel zu betrachten.
Im ersten Teil dieser Arbeit wird einführend die Definition von Bindung dargestellt, um anschließend frühkindliche Bindungserfahrungen unter dem Gesichtspunkt der Bindungstheorie zu analysieren. Es ist vorwegzuschicken, dass die Hausarbeit sich nicht nur mit der Mutter-Kind-Bindung auseinandersetzt, sondern das Augenmerk auf die Eltern-Kind-Bindung richtet, um an das Praxisproblem anzuknüpfen. Darauf folgend wird ein Blick auf die Klassifikation der Bindungsqualitäten und Feinfühligkeit, sowie das „innere“ Arbeitsmodell gewährt, um die Vielfältigkeit, Unterschiede und Zusammenhänge darzustellen. Folgend setzt sich die Hausarbeit mit der Einflussnahme von Bindungserfahrungen auf die weitere Entwicklung auseinander, um nachfolgend auf die sozialen Verhaltensstörungen eingehen zu können. Einführend in das letzte Kapitel werden Grundlagen von Verhaltensstörungen, wie Definition und Klassifikation aufgeführt. Um eine Gegenüberstellung zum bindungstheoretischen Ansatz zu gewährleisten und erste Erkenntnisse für die Hypothese zu gewinnen, wird anschließend die Entstehung von Verhaltensstörungen aus individualpsychologischer Perspektive dargestellt. Es folgt hier eine Eingrenzung, da die verschiedenen Ansätze z.B. psychoanalytischen Ansatz den Rahmen dieser Hausarbeit ausreizen würden. Nachfolgend wird die Störung des Sozialverhaltens im Detail beleuchtet, um einen besseren Einblick in die Problematik zu gewährleisten. Abschließend werden in der Schlussbetrachtung die Zusammenhänge zwischen Bindung und sozialer Verhaltensstörung dargestellt, um die Hypothese bilden und fundiert begründen zu können.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Bindung in der frühen Kindheit
1.1. Definition von Bindung
1.2. Grundlagen der Bindungstheorie
1.2.1. Phasen der Bindungsentwicklung
1.2.2. Bindungs- & Explorationsverhalten und dessen Balance
1.2.3. Methode zur Erfassung der Bindungsqualität
1.2.4. Bindungsqualität
1.3. Feinfühligkeit versus Bindungsqualität
1.4. Das „innere“ Arbeitsmodell
1.5. Einfluss der frühkindlichen Bindungserfahrungen auf die Entwicklung
2. Soziale Verhaltensstörung bei Kindern
2.1. Definition von Verhaltensstörgen .
2.2. Klassifikation von Verhaltensstörungen
2.3. Entstehung von Verhaltensstörungen aus individualpsychologischer Perspektive
2.4. Störungen des Sozialverhaltens
2.4.1. Definition
2.4.2. Leitsymptome
2.4.3. Klassifikation
2.4.4. Einfluss auf das Störungsbild
3. Zusammenfassung und Hypothese
4. Literaturverzeichnis
Einleitung
„Ach, was muß man oft von bösen Kindern hören oder lesen! Wie zum Beispiel hier von diesen, welche Max und Moritz hießen (…) Ja, zu Übeltätigkeit, Ja dazu ist man bereit! Menschen necken, Tiere quälen, Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen
(…)“ (Wilhelm Busch).
Schon in der früheren Kinderliteratur „Max und Moritz“ (1865) von Wilhelm Busch wurde von Verhaltensweisen erzählt, die von den normalen Verhaltensmustern abweichen. Was damals rein literarisch Einzug hielt, taucht im heutigen pädagogi- schen und gesellschaftlichen Kontext vermehrt als „Verhaltensauffälligkeit“ oder „Verhaltensstörung“ auf. Pädagogen verschiedener Institutionen werden im Laufe der Zeit zunehmend in ihrem Alltag mit diesem Phänomen konfrontiert, welches durch Regel- und Grenzverletzungen, sowie auch aggressives Verhalten geprägt ist. Auffällig ist dabei der gesellschaftliche Umgang mit diesen Kindern, da sie durch ihr Verhalten nicht gerade auf Sympathie, Akzeptanz oder Mitgefühl von Seiten der Umwelt stoßen. Es ist zu beobachten, dass es für die Umwelt einfacher ist, einem Kind mit normalen oder ängstlichen und zurückgezogenen Verhaltens- muster entgegen zu treten als einem Kind mit Verhaltensstörungen und dessen Hintergründe, sowie Ursachen für das Verhalten in Betracht zu ziehen, näher zu beleuchten oder gar zu hinterfragen. Motive für diese Verhaltensstörungen können beispielsweise zum einem die leistungsorientierte Erwartungshaltungen an ein kompetentes Kind aus Sicht der Gesellschaft, die Kind-Umwelt-Interaktion oder zum anderen Bindungserfahrungen in dem System Familie.
So zeigt es auch die Praxis der Verfasser, dass gerade Kinder mit Verhaltensstö- rungen verschiedene Bindungsbeziehungen in der Familie zu Grunde liegen. Das bedeutet, dass diese Kinder zu einem Elternteil eine Bindung pflegen, welche je- doch sehr autoritär gestaltet ist und zu dem anderen eher Abstand walten lassen. Der Alltag dieser Kinder beinhaltet beispielsweise grobe Regelverstöße, aggressi- ve Handlungen gegenüber Mitmenschen, niedrige Frustrationstoleranz, Zerstö- rung fremden Eigentums oder häufiges Lügen, um nur einen kurzen Einblick der Praxis wieder zu spiegeln. Es wird somit vermutet, dass ein Zusammenhang zwi- schen Bindungserfahrungen und sozialen Verhaltensstörungen besteht, da Eltern- Kind-Beziehungen eine gewichtige Rolle für die soziale Entwicklung des Kindes spielen.
Anhand der dargestellten Praxisproblematik und intensiven Auseinandersetzung mit der oben aufgeführten Thematik durch Fachliteratur geht diese Hausarbeit der zentralen Frage nach, in wie weit kindliche Bindungserfahrungen Störungen des Sozialverhaltens beeinflussen.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, Erklärungen und Antworten für die abschließende Hypothesenbildung zu finden und die Frage adäquat bearbeiten zu können, ob Bindungserfahrungen Einfluss auf soziale Verhaltensstörungen von Kindern haben. Außerdem ist es Ziel, das Erklären bzw. Entstehen von sozialen Verhaltensstörungen aus bindungstheoretischen Blickwinkel zu betrachten.
Im ersten Teil dieser Arbeit wird einführend die Definition von Bindung dargestellt, um anschließend frühkindliche Bindungserfahrungen unter dem Gesichtspunkt der Bindungstheorie zu analysieren. Es ist vorwegzuschicken, dass die Hausarbeit sich nicht nur mit der Mutter-Kind-Bindung auseinandersetzt, sondern das Au- genmerk auf die Eltern-Kind-Bindung richtet, um an das Praxisproblem anzuknüp- fen. Darauf folgend wird ein Blick auf die Klassifikation der Bindungsqualitäten und Feinfühligkeit, sowie das „innere“ Arbeitsmodell gewährt, um die Vielfältigkeit, Un- terschiede und Zusammenhänge darzustellen. Folgend setzt sich die Hausarbeit mit der Einflussnahme von Bindungserfahrungen auf die weitere Entwicklung aus- einander, um nachfolgend auf die sozialen Verhaltensstörungen eingehen zu kön- nen. Einführend in das letzte Kapitel werden Grundlagen von Verhaltensstörun- gen, wie Definition und Klassifikation aufgeführt. Um eine Gegenüberstellung zum bindungstheoretischen Ansatz zu gewährleisten und erste Erkenntnisse für die Hypothese zu gewinnen, wird anschließend die Entstehung von Verhaltensstörun- gen aus individualpsychologischer Perspektive dargestellt. Es folgt hier eine Ein- grenzung, da die verschiedenen Ansätze z.B. psychoanalytischen Ansatz den Rahmen dieser Hausarbeit ausreizen würden. Nachfolgend wird die Störung des Sozialverhaltens im Detail beleuchtet, um einen besseren Einblick in die Proble- matik zu gewährleisten. Abschließend werden in der Schlussbetrachtung die Zu- sammenhänge zwischen Bindung und sozialer Verhaltensstörung dargestellt, um die Hypothese bilden und fundiert begründen zu können.
2. Bindungstheorie - Definition und Grundlagen
Dieses Kapitel der Hausarbeit befasst sich mit der Definition von Bindung und de- ren Grundlagen. Ebenso werden die Phasen der Bindung, die Balance zwischen Bindungsverhalten und Explorationsverhalten, die Methode der Erfassung ver- schiedener Bindungsqualitäten, die Bindungsqualitäten selbst sowie die Feinfüh- ligkeit der Bezugsperson beschrieben. Weiter werden die inneren Arbeitsmodelle der Kinder und Auswirkungen des Bindungsverhaltens auf die Entwicklung skiz- ziert.
2.1 Definition
Bindung wird definiert als ein gefühlstragendes Band zwischen einem Kind und seiner primären Bezugsperson. Gemeint ist hierbei insbesondere die Beziehung zwischen einem Kind und seinen Eltern, welche sich ab der Geburt beiderseitig entwickelt (vgl. Spangler 2001, S. 157). Aus Sicht der Phylogenese (Stammesgeschichte) ist Bindung ein Verhaltenssystem, „welches die Regulation von Nähe und Distanz zur Bezugsperson in Abhängigkeit von inneren Zuständen und äußeren Gegebenheiten steuert“ (Spangler 2001, S.157).
John Bowlby, Gründer der Bindungstheorie, versteht die primäre Bezugsperson und das Kind als Teilnehmer eines selbstregulierenden Systems. In diesem Sys- tem wird die von Bowlby bezeichnete Mutter-Kind-Bindung von Beziehung unter- schieden, da sie lediglich als Teil des Systems Beziehung verstanden wird (vgl. Brisch 2009, S.35). In Bezug auf den ethologischen Ansatz erklärt Bowlby, dass diese angeborene Neigung, starke emotionale Bindung zu einer bestimmten Per- son aufzubauen, eine grundlegende Komponente der menschlichen Natur ist, die bereits bei der Geburt vorhanden ist und über die ganze Lebensspanne hinweg bleibt, wobei Bindungen im Laufe der Entwicklung durch neue Bindungen ergänzt werden (vgl. Bowlby 2002, S.20 f). So zeigt es sich allein im System Familie, dass Kinder innerhalb dieses Systems individuelle Bindungen in differenzierter Intensi- tät entwickeln. Die Eltern-Kind-Bindung ist für das Kind und dessen psychische und soziale Entwicklung dementsprechend lebensnotwendig.
2.2. Grundlagen
„Der Hunger des kleinen Kindes nach der Liebe und Gegenwart seiner Mutter ist so groß wie der Hunger nach Essen… Die Bindungstheorie gibt uns eine Sprache, in der der Phänomenologie von Bindungserfahrungen eine volle Berechtigung ge- geben wird. Bindung ist ein, primäres Motivationssystem’ mit eigenen Funktions- mechanismen und einer Schnittstelle zu anderen Motivationssystemen“ (Bowlby, 1973).
Die von John Bowlby konzipierte Bindungstheorie stellt Hypothesen über die Beziehung von Kindern und deren Bindungspersonen dar. Sie bringt ethologische, entwicklungspsychologische, systemische und psychoanalytische Ansätze in Einklang. Die Bindungstheorie beschäftigt sich mit den frühen Einflüssen der emotionalen Entwicklung und setzt sich mit der Entstehung, sowie Veränderung von intensiven affektiven Bindungen zwischen Kind und Bezugsperson in der gesamten Lebensgeschichte auseinander (vgl. Brisch 2009,S.35).
Nach den Annahmen von Bowlby besitzt jedes Individuum ein genetisches tief verankertes Verhaltenssystem, das die Eltern-Kind-Beziehung aufrechterhält. Durch diese Verankerung wird davon ausgegangen, dass sich Bindung unabhängig von anderen Systemen entwickelt. So ist jeder Mensch von Geburt an mit einen komplementären System ausgestattet, welches das Bedürfnis nach Bindungsund Explorationsverhalten beinhaltet
2.2.1. Phasen der Bindungsentwicklung
Ein Neugeborenes trägt bereits in den ersten Lebenswochen aktiv zu sozialen Interaktionen bei, wie beispielsweise durch schreien oder lachen. Die Entwicklung der Bindung durchläuft die ersten Lebensjahre eines Kindes, welche von Bowlby und Ainsworth als Phasen der Bindungsentwicklung niedergeschrieben wurden (vgl. Damon 1989, S.61).
In der Vorphase der Bindung, die etwa bis zur sechsten Lebenswoche anhält, zeigt das Kind ungerichtete Responsivität zu jeder Person. Das Kind lernt in dieser Phase durch Interaktion mit der primären Bezugsperson, zwischen der vertrauten und fremden Person zu unterscheiden. Außerdem gibt das Kind angeborene Signale wieder, die die Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.
Danach folgt die Phase der entstehenden Bindung, die im Kindesalter von etwa 6 Wochen und 6-8 Monaten vollzogen wird. Dabei unterscheidet das Kind immer deutlicher zwischen verschiedenen Personen. Das Kind richtet zunehmend seine Aufmerksamkeit auf die Bezugsperson und entwickelt Erwartungen an das Verhal- ten dieser Person.
In der Phase der ausgeprägten Bindung, welche in der Zeit von 6-8 Monaten und 1,5-2 Jahren liegt, entsteht die spezifische Bindung, indem das Kind ein zielorien- tiertes Verhalten im Umgang mit fremden Personen zeigt. Das bedeutet, dass es die primäre Bezugsperson als sichere Basis für seine Erkundung der Umwelt be- nutzt und den Versuch angeht, die vertraute Person bei Unbehagen und Span- nung in Anwesenheit von Fremden in die Nähe zu bringen. Das Kind reagiert mit Protest (Trennungsangst oder Fremdeln) bei der Entfernung bzw. Trennung der Primärperson, was eine aktive Kontaktaufnahme zur Bezugsperson aus Sicht des Kindes darstellt.
Die letzte Phase reziproker Beziehung, beginnt mit 1,5 Jahren und 2 Jahren. In dieser Phase entwickelt sich ein inneres Arbeitsmodell zur Bindungsrepräsentati- on. Das Kind ist immer mehr in der Lage die Gefühle, Ziele und Motive seiner El- tern zu verstehen und diese in seine Verhaltenssteuerung einzubeziehen. Es wird zunehmend aktiver und lernt dabei, wie es das Verhalten der Bezugsperson be- einflussen kann (vgl. Damon 1989, S.61 f). Die Rede ist hier von einer zielkorri- gierten Partnerschaft, in der das Kind und seine Bezugsperson ihre emotionalen Ziele in die Beziehung einbringen, die Interesse gegenseitig reflektieren, um letzt- endlich gemeinsame Ziele zu korrigieren oder zu verhandeln (vgl. Brisch 2009, S.40). Die Phase entwickelt den Aufbau einer funktionierenden wechselseitig ge- regelten Beziehung, in dem das Kind Trennungen von seiner Bezugsperson ak- zeptiert und somit weniger Trennungsstress erfährt (vgl. online 2013).
2.2.2. Bindungs- und Explorationsverhalten und deren Balance
Kinder verfügen über ein bestimmtes Verhaltensrepertoire, welches sie bei Bedro- hungen oder Gefahren aktivieren, um die vorhandene primäre Bindungsperson als sichere Basis zu verwenden. In Situationen wie Trennung oder vorläufige Abwe senheit der Bezugsperson aktiviert das Kind sein Bindungsverhalten. Das Bin- dungsverhalten der Kinder spiegelt verschiedene elementare Verhaltensdimensio- nen wieder, welche sich durch Nähe suchen, Vermeidung, Ambivalenz und Des- organisation auszeichnen (vgl. Ahnert 2009, S.67 f). Die beim Kind beobachtbaren Verhaltensweisen wie Weinen, Anklammern, Schreien, Nachfolgen, Anschmiegen oder Lächeln können dem kindlichen Verhaltenssystem dienen. Das Bindungsver- halten wird dadurch als Ausdruck eines instinktgesicherten Verhaltenssystems betrachtet.
Dieses Verhaltenssystem korrespondiert mit dem ebenfalls instinktiv verankerten elterlichen Fürsorgesystem, was auf die Befriedigung kindlicher Bedürfnisse nach Nähe und Sicherheit ausgerichtet ist. Bezugspersonen sind mit einer Tendenz zur Fürsorge gegenüber dem Kind ausgestattet, was ihnen den Umgang mit ihm er- leichtert. Das bedeutet, dass sie auf frühere Erfahrungen der Fürsorge, die im in- neren Arbeitsmodell gespeichert sind, zurückgreifen. Wenn das Fürsorgesystem durch das Kind aktiviert wird, so wählt die Bezugsperson ein angemessenes Ver- halten aus, welches sich im gespeicherten Fundus des inneren Arbeitsmodells befindet (Ahnert, S.152 ff).
Ein weiteres motivationales System stellt das Explorationsverhalten dar, welches dem Bindungsverhalten gegenüber steht. Obwohl beide Systeme entgegengesetz- ten Motivationen entspringen, stehen sie in Wechselwirkung zu- und sind abhän- gig voneinander. Wenn ein Kind während des Explorierens Unsicherheit verspürt, wird das Bindungsverhalten aktiviert, und sobald das Kind sich durch die Bezugs- person wieder sicher fühlt bzw. emotionale Sicherheit erfährt kann es erneut dem Explorieren nachgehen. Durch die Wechselwirkung werden beide Systeme in Ba- lance gehalten.
„Eine sichere Bindung ist also Voraussetzung dafür, dass ein Säugling seine Um- welt erforschen und sich dabei als selbsteffektiv und handelnd erfahren kann“ (Brisch 2009, S.39). Für das Kind fungiert die Bezugsperson als sichere Basis, zu welche es stets bei Unsicherheit zurückkehren und zugleich die Welt erkunden kann. Die Selbststeuerung des Kindes in Bezug auf Nähe und Distanz erlaubt die Akzeptanz von feinfühligen Bezugspersonen. Wenn ein Kind beim Erfahren von Stress keine Nähe oder die sichere Basis nicht sucht, ist davon auszugehen, dass aufgrund von Zurückweisung oder Ablehnung von Seiten der Bezugsperson dieses Verhalten aktiv unterdrückt wurde. So z.B. frustrieren Mütter mit übermäßiger Bindung, ihr Kind, indem sie ihnen keinen Freiraum für das Explorationsverhalten gewährleisten. Es ist also festzuhalten, dass die Initiative und Steuerung der beiden Verhaltenssysteme, Bindung und Exploration, stets vom Kind ausgehen und nicht beeinflussbar sind (vgl. Brisch 2009, S.39).
2.2.3. Methoden zur Erfassung der Bindungsqualität
Ainsworth, die die Bindungstheorien von Bowlby erweiterte und mit ihren Untersu- chungen an dieser anknüpfte, entwickelte aus den Beobachtungen ihrer Längs- schnittstudie in den 1950er Jahren die Methode zur Erfassung der Bindungsquali- tät, die sogenannte „fremde Situation“. Es handelt sich dabei, um standardisierte Beobachtungen in fremden Situationen. Diese Methode umfasst acht Episoden, in denen zweimal Trennung und Wiedervereinigung von Kind und Mutter erfolgen. Dabei wird geprüft, wie stark das Bindungsverhalten des Kindes aktiviert ist, sowie „das Kind die Bezugsperson als sichere Basis für seine Erkundungen und als Ha- fen der Sicherheit bei Belastung nutzt“ (Ahnert 2008, S.86). In den Episoden der Trennung und Wiedervereinigung zeigen die Kinder unter- schiedliche Verhaltensmuster, wie Nähe und Kontakt halten/ suchen, Kontaktwi- derstand oder Vermeidungsverhalten, aus denen anschließend die Bindungsquali- tät gemessen wird.
2.2.4. Bindungsqualität
„Wenn man Kinder im Alter von einem Jahr in der Fremden Situation beobachtet, sieht man unterschiedliche Reaktions- und Verhaltensweisen, die sich reliabel in drei unterschiedliche Klassifikationen der Bindungsqualität sowie eine vierte Zusatzqualifikation unterteilen lassen“ (Ainsworth zit. n. Brisch 2009, S.51).
Sichere Bindung (Typ B) - „secure“: Sicher gebundene Kinder zeigen in der Abwe- senheit der Mutter aktives Bindungsverhalten, indem sie der Mutter nachrufen, nachlaufen, sie suchen oder weinen, weil sie sichtlich gestresst sind. Bei der Rückkehr der Mutter reagieren sie mit Freude, suchen Körperkontakt, Trost und begrüßen sie mit Mimik und Gestik. Sie lassen sich in der Regel dadurch schnell beruhigen und explorieren wieder. Das Kind zeigt eine harmonische Balance zwi- schen Bindungs- und Explorationsverhalten, wenn die Mutter anwesend ist. Dem- zufolge wird während der Abwesenheit der Mutter das Bindungsverhalten stark aktiviert und das Explorationsverhalten deutlich gemindert (vgl. Brisch 2009, S.51).
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