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Hausarbeit, 2012
27 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
2. Forschungsüberblick
2.1 Pluralsystem im Deutschen
2.2 Plural im Spracherwerb
3. Analyse von Pluralformen anhand des Simone-Korpus
3.1 Methode
3.2 Analyse
3.2.1 Auslassung
3.2.2 Ersetzung
3.2.3 Hinzufügung
3.3 Ergebnisse
4. Fazit
5. Abbildungsverzeichnis
6. Tabellenverzeichnis
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
Der Erwerb des Plurals stellt einen essentiellen Teil des kindlichen Spracherwerbs dar, der bereits vielfach untersucht worden ist. Eine einheitliche Antwort darauf, wie Kinder die grammatischen Strukturen ihrer Muttersprache erlernen, hat die Wissenschaft bislang jedoch nicht geben können. So gibt es eine Vielzahl verschiedener Ansätze, welche auf unterschiedliche, teilweise auch kontrastierende Weise den Grammatikerwerb zu erklären suchen. Diese theoretischen Modelle basieren oftmals auf der Analyse und Interpretation von empirischen Daten wie etwa kindliche Sprechdaten.
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Analyse von Pluralfehlern, die aus den spontanen Sprechdaten eines Mädchens namens Simone stammen. Zunächst jedoch erfolgt eine grundlegende Darstellung des Pluralsystems im Deutschen. Diese Erläuterung beinhaltet neben den acht Pluralendungen auch einige Regelhaftigkeiten der deutschen Pluralmarkierung. Weiterhin folgt die Vorstellung zweier Spracherwerbstheorien. Diese liefern unterschiedliche Erklärungen dafür, wie grammatische Strukturen erlernt und verarbeitet werden. Diesem theoretischen Unterbau schließt sich dann die Analyse und Besprechung der inkorrekten Pluralmarkierungen, welche Simone verwendet, an. Nach der Vorstellung der Methodik bezüglich der Datenauswahl und Vorgehensweise folgt der eigentliche Hauptteil. Die Analyse orientiert sich neben Erklärungen, die oben genannte Erwerbsmodelle liefern, auch an den Regelhaftigkeiten des deutschen Pluralsystems. Anschließend werden die Ergebnisse der Analyse nochmals zusammengefasst präsentiert und besprochen. Den Abschluss der Hausarbeit bildet dann das Fazit, in dem die Ergebnisse noch einmal diskutiert werden. Auch soll hier ein Ausblick in die Zukunft der Spracherwerbsforschung gewagt werden.
Im Anhang befindet sich eine detaillierte Auflistung aller von Simone verwendeten Pluralformen in den ausgewählten Transkripten. Diese beinhaltet auch die im Rahmen der Fehleranalyse besprochenen inkorrekt markierten Formen. Diese sind den einzelnen Altersstufen chronologisch zugeordnet.
Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über das deutsche Pluralsystem gegeben werden. Dies geschieht, um die Komplexität des Systems der Pluralflexion im Deutschen darzustellen und somit vor Augen zu führen, was ein Kind im Laufe seines Spracherwerbs für eine Leistung vollbringt. Auch soll mit Hilfe dieser einführenden Erläuterung des Pluralsystems die Basis für die spätere Fehleranalyse gelegt werden. Im Anschluss folgt die Vorstellung zweier Spracherwerbstheorien, das Dual-Route-Modell nach Pinker (1991) und Clahsen (1999) und das Schemata-Modell nach Köpcke (1993).
Das Pluralsystem im Deutschen ist ein sehr komplexes System, bedenkt man, auf welch unterschiedlichste Art und Weise der Plural markiert wird. Neben den Endungen -e, -n, -en, -er und -s gibt es sowohl endungslose als auch Plurale, die mit Umlaut gebildet werden. Diese Varietät ist aber keineswegs willkürlich, sondern basiert vielmehr auf einer Reihe von Regeln, die im Folgenden erläutert werden sollen. Laut Duden (2005) folgt die Pluralbildung drei zentralen Grundregeln, welche allerdings nicht das komplette Regelsystem abdecken, sondern durch weitere Sonderfälle und Zusatzregeln ergänzt werden. Da eine umfassende Darstellung und Erläuterung dieses Regelwerks den Umfang dieser Hausarbeit sprengen würde, sollen an dieser Stelle lediglich die acht Regelhaftigkeiten der Pluralbildung (vgl. Tab. 1) wie Szagun (2008: 28) sie vorstellt, besprochen werden.
Tabelle 1: Pluralbildung beim Nomen (Szagun 2008: 28)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese verschiedenen Regeln, nach denen im Deutschen der Plural gebildet wird, lassen sich unterscheiden in deterministische und probalistische Regelhaftigkeiten. Deterministische Regeln sind diejenigen, welche immer zutreffen; d.h. es gibt keine Ausnahmen zur Pluralmarkierung der von der Regel betroffenen Nomen. Probalistische Regeln hingegen treffen nicht immer, sondern lediglich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu. Nach welcher Regel sich die Pluralmarkierung richtet, hängt hauptsächlich von dem Wortauslaut oder dem Genus des Wortes ab (Szagun 2008: 86). Zunächst sollen an dieser Stelle einige deterministische, also regelhafte Pluralbildungen dargestellt werden.
- Femina und Maskulina, die auf -e enden, bekommen ein -n als Pluralmarkierung, wie Note-n und Pate-n.
- Femina mit umlautfähigem Vokal und Plural -e hingegen markieren den Plural immer mit Umlaut, wie Kunst - Künste und Gans - Gänse.
- Maskulina und Neutra, die auf -er, -en, -el, -chen und -lein enden, verändern sich im Plural nicht, wie Feuer, Balken, Übel, Blümchen und Kindlein.
- Bei Nomen mit umlautfähigem Vokal, die ihren Plural auf -er bilden, kommt es immer zur Umlautierung, wie Fass - Fässer und Horn - Hörner.
- Nomen, die einen unbetonten Vokal als Wortauslaut haben und Familiennamen haben ein -s als Plural, wie Auto-s, Oma-s, Uhu-s und Meier-s (Szagun 2008: 86) .
Die Plurale, die auf der Basis von probalistischen Regeln gebildet werden, folgen im Gegensatz dazu lediglich regelhaften Tendenzen; d.h. sie gelten nur für einen bestimmten Anteil an Nomen, treffen also nicht immer zu (Szagun 2008: 86).
- Die meisten Maskulina und Neutra markieren den Plural mit -e, wie Tag-e und Ziel-e.
- Einige Maskulina und Neutra bilden den Plural auf -er, wie Geist-er und Feld-er.
- Manche Maskulina und Neutra mit umlautfähigem Vokal und Plural -e markieren den Plural mit Umlaut, wie General - Generäle und Stoß - Stöße (Szagun 2008: 87).
Bereits eine Auflistung der Regeln für die Bildung des Plurals im Deutschen, die Sonderfälle wie Komposita, Nomen mit Präfix und Fremdwörter nicht beinhaltet, zeigt um welch komplexes System es sich handelt. Bedenkt man, dass die Pluralbildung lediglich einen kleinen Teilbereich der Grammatik einer Sprache ausmacht, wird die Leistung, die Kinder im Laufe des Spracherwerbs erbringen, umso evidenter. So gibt es in diesem Bereich eine Menge an Studien, Untersuchungen und Theorien, die Erklärungsansätze darüber liefern sollen, wie die Grammatik im Erstspracherwerb erlernt wird. Zwei Theorien zum Erwerb des Plurals werden im folgenden Kapitel dargestellt.
Grundlegend betrachtet, lassen sich die Theorien, die sich mit dem Erwerb des Plurals beschäftigen, in zwei Ansätze unterscheiden. Hierbei handelt es sich um unitäre und dualistische Modelle, welche auf jeweils unterschiedliche Weise zu erklären versuchen, wie die Verarbeitung der Prozesse beim Erwerb der Flexionsmorphologie vonstattengeht (Spendier 2009: 6).
Dualistische Modelle basieren auf der Annahme, dass Flexionssysteme wie das Pluralsystem sich in regelmäßige und unregelmäßige Formen einteilen lassen (Pinker 1991; Clahsen 1999). Wie die Bezeichnung dualistisch schon erahnen lässt, werden beide Flexionsarten durch jeweils unterschiedliche Prozesse verarbeitet, die in zwei separaten Systemen operieren (Szagun 2008: 88).
So werden die regelmäßigen Formen durch eine abstrakte Regel gebildet, welche als solche im Gedächtnis verankert wird. Diese Regel wird auch als Default bezeichnet. Dieses Regelsystem ist produktiv, d.h., es ist auf beliebige Wörter einer Kategorie anwendbar und kommt immer dann zum Einsatz, wenn keine irreguläre Form im Gedächtnis abgespeichert wurde und somit auch nicht abrufbar ist. Diese Mechanik verläuft unabhängig davon, wie oft eine Flexion im sprachlichen Input vorkommt. Auch die phonologische Ähnlichkeit mit anderen Items derselben flexionsmorphologischen Kategorie ist hier nicht von Bedeutung (Steinbrink 2004: 4). Ob ein Kind also bereits über bestimmte Flexionsformen verfügt oder Ähnlichkeiten zu diesen existieren, ist für den Einsatz des Defaults unerheblich.
Das parallel existierende System für die unregelmäßigen Flexionen hingegen funktioniert auf eine andere Art: Irreguläre Formen werden aus dem sprachlichen Input aufgenommen, auswendig gelernt und als einzelne Items im Lexikon abgespeichert (Pinker 1991). Grund dafür ist, dass irreguläre Formen wesentlich komplexer als reguläre Formen sind und somit nicht regelbasiert gebildet werden können. Sie müssen als ganzes Wort abgespeichert werden. Im Gegensatz zum Default ist es hier durchaus von Bedeutung, wie häufig die irregulären Flexionen im Sprachinput vorhanden sind. Auch ob eine phonologische Ähnlichkeit zu anderen Items vorhanden ist, ist in diesem Fall relevant (Steinbrink 2004: 4). Gebraucht ein Kind unregelmäßige Formen, greift es auf die auswendig gelernten und gespeicherten Items zu. Währenddessen ist ein Zugriff auf das Regelsystem nicht möglich (Szagun 2008: 88).
Ursprünglich wurde dieses dualistische System von Pinker (1991) für die Vergangenheitsformen englischer Verben konzipiert. Im Englischen bildet ein Großteil der Verben die Vergangenheit regelmäßig auf -ed, wie bei cook - cooked oder play - played. Bei einem geringen Anteil handelt es sich um unregelmäßige Verben wie z.B. write - wrote oder drink - drank. Im Falle der Vergangenheitsbildung bei englischen Verben ist das Verständnis als dualistisches System naheliegend und offensichtlich (Szagun 2008: 89). Clahsen (1999) wandte dieses Modell auf das deutsche Pluralsystem an und erklärte den -s Plural zum regelmäßigen Plural. Alle anderen Pluralmarkierungen gehören somit zu den unregelmäßigen Formen. Wendet man das oben Genannte nun auf den Pluralerwerb an, würde dies bedeuten, dass der -s Plural als Default definiert, immer dann angewendet wird, wenn das Kind den Plural eines Wortes noch nicht kennt. Weiterhin wird jedes Wort, das eine in diesem Fall unregelmäßige Pluralmarkierung aufweist, auswendig gelernt und als einzelne Vokabel im Gedächtnis abgespeichert.
Diesem Modell einer zweigeteilten Verarbeitung von regelmäßigen und unregelmäßigen Flexionsformen sind unitäre Ansätze deutlich gegenübergestellt. So wird hier keine derartige Unterscheidung vorgenommen. Sie gehen im Gegenteil davon aus, dass sowohl regelmäßige als auch unregelmäßige Flexionen über ein und denselben Lernmechanismus aus dem sprachlichen Input abgeleitet werden. Eine abstrakte Regel zum Erwerb der regelmäßigen Formen, wie dualistische Modelle sie annehmen, kommt hier daher nicht zum Einsatz (Steinbrink 2004: 11).
Das Schema-Modell nach Köpcke (1993), das im Bereich der unitären Modelle zu positionieren ist, stellt weiterhin die Speicherung aller unregelmäßigen Flexionsformen als einzelne Vokabeln in Frage: „Will man nicht annehmen, daß das Kind hier sämtliche Ausnahmen einzeln lernt, muß es auch auf andere Lernmechanismen zurückgreifen können, mit deren Hilfe irreguläre Phänomene der Sprache systematisch erfaßt und erworben werden können“ (Ewers 1999: 107). So erklärt Köpcke (1993) den Erwerb morphologisch komplexer Wörter anhand von Schemata, die im Lexikon verankert sind. Voraussetzung für dieses Modell ist, dass neben Stammformen auch morphologisch komplexe Formen (wie z.B. die Bücher) im Lexikon gespeichert und anschließend mit anderen strukturähnlichen Formen zu Schemata zusammengefasst werden. Jedes dieser Schemata drückt eine bestimmte Funktion (z.B. Plural) aus, auf welche mehr oder weniger verlässlich durch seine Struktur hingewiesen wird. So wird beispielsweise die morphologisch komplexe Form die Bücher im Lexikon gespeichert und mit ähnlichen Formen wie die Fässer und die Blätter in einem Pluralschema zusammengefasst, welches durch diese Struktur der Pluralmarkierung gekennzeichnet ist (Ewers 1999: 109).
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