Die aktuelle Dekade des 21. Jahrhunderts ist geprägt durch Begrifflichkeiten wie Globalisierung, Einwanderungsgesellschaften, Multikulturalität, Migrations-, Asyl- und Integrationspolitik. Diese und ähnliche Begriffe sind in aller Munde und werden nahezu inflationär, mitunter gar unreflektiert, verwendet. In den Medien wird die Angst Europas vor der Islamisierung Europas und dem Terror, der vom Islam und den Muslimen ausgeht, täglich propagiert und genährt.
Eine Folge dieser Entwicklungen ist die Entstehung von Organisationen wie der PEGIDA, welche seit Oktober 2014 wie ein unheilbringendes Gespenst mit wöchentlichen Demonstrationen durch Dresdens Straßen spukt. Seit dem 19. Dezember 2014 agieren die Patriotischen Europäer, die sich gegen die Islamisierung des Abendlandes organisieren, sogar als eingetragener Verein und finden Nachahmer und Anhänger in etlichen weiteren Städten Deutschlands (z.B. München - Mügida, Köln - Kögida, Leipzig - Legida, Suhl - Sügida).
Am 31. Januar 2015 veröffentlicht die Zeit einen Artikel, in dem die 20jährige Journalistin Laura Meschede über die „gefährlichen Ängste der Alten“ sinniert. Darin konstatiert sie: „Die Pegida-Demonstranten haben Angst vor dem Islam, Sarrazin hat Angst vor kriminellen Ausländern und eine ganze Generation von Stammtisch-Deutschen hat Angst um ihre Kultur“.
Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Kultur, die etliche Deutsche als schützenswert und -nötig vor Einflüssen respektive „Angriffen“ von außen betrachten, sodass sie sich veranlasst fühlen an Demonstrationen gegen die Islamisierung des Abendlandes teilzunehmen?
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. THEORIE
2.1 Etymologie des Lexems Kultur
2.2 Die vier historischen Grundtypen des Kulturbegriffs
2.3 Einteilung des Kulturbegriffs
2.3.1 Traditioneller Kulturbegriff
2.3.2 Erweiterter Kulturbegriff
2.3.2.1 Geschlossener erweiterter Kulturbegriff
2.3.2.2 Offener erweiterter Kulturbegriff
2.4 Exkurs: Zeitalter der Globalisierung - Globalisierung
2.5 Konzepte von Kultur
2.5.1 Multikulturalität
2.5.2 Interkulturalität
2.5.3 Transkulturalität
2.6 Globalisierung und Kultur
2.6.1 Mikroebene
2.6.2 Makroebene
3. PRAXIS
3.1 Ziel der Umfrage
3.2 Fragestellung nach Sympathien und Antipathien gegenüber der eigenen Kultur
3.3 Fragestellung nach Vorstellung von Kultur
3.4 Ergebnisse
3.4.1 Aussagen zum engen bzw. traditionellen Kulturbegriff
3.4.2 Aussagen zum erweiterten Kulturbegriff
4. FAZIT
5. QUELLENVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
Die aktuelle Dekade des 21. Jahrhunderts ist geprägt durch Begrifflichkeiten wie Globalisierung, Einwanderungsgesellschaften, Multikulturalität, Migrations-, Asyl- und Integrationspolitik. Diese und ähnliche Begriffe sind in aller Munde und werden nahezu inflationär, mitunter gar unreflektiert, verwendet. In den Medien wird die Angst Europas vor der Islamisierung Europas und dem Terror, der vom Islam und den Muslimen ausgeht, täglich propagiert und genährt. Eine Folge dieser Entwicklungen ist die Entstehung von Organisationen wie der PEGIDA, welche seit Oktober 2014 wie ein unheilbringendes Gespenst mit wöchentlichen Demonstrationen durch Dresdens Straßen spukt. Seit 19. Dezember letzten Jahres agieren die Patriotischen Europäer, die sich gegen die Islamisierung des Abendlandes organisieren, sogar als eingetragener Verein und finden Nachahmer und Anhänger in etlichen weiteren Städten Deutschlands (z.B. München - Mügida, Köln - Kögida, Leipzig - Legida, Suhl - Sügida).
Am 31. Januar 2015 veröffentlicht die Zeit einen Artikel, in dem die 20jährige Journalistin Laura Meschede über die Ägefährlichen Ängste der Alten“ sinniert. Darin konstatiert sie: ÄDie Pegida-Demonstranten haben Angst vor dem Islam, Sarrazin hat Angst vor kriminellen Ausländern und eine ganze Generation von StammtischDeutschen hat Angst um ihre Kultur“ (MESCHEDE 2015, zeit.de).
Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Kultur, die etliche Deutsche als schützenswert und -nötig vor Einflüssen respektive ÄAngriffen“ von außen betrachten, sodass sie sich veranlasst fühlen an Demonstrationen gegen die Islamisierung des Abendlandes teilzunehmen und dabei Plakate emporzurecken, auf denen ausländerfeindliche Parolen stehen?
Der Begriff ÄKultur“ ist einer der am wenigsten greifbaren Termini überhaupt. An dieser Stelle versucht die Kulturphilosophie Licht ins Dunkel zu bringen, indem sie sich hauptsächlich mit der Unschärfe des Kulturbegriffes befasst und versucht ihn als analytische Kategorie zu profilieren. Dabei sollen die unterschiedlichsten Aspekte der Kulturalität des Menschen und deren Zusammenhang berücksichtigt werden. ÄEine solche Profilierung des Kulturbegriffes steht bislang aus“ (Arbeitskreis Kultur- und Sozialphilosophie 2013, 7). Die verschiedenen Kulturwissenschaften operieren mit heterogenen Vorstellungen von Kultur.
In der vorliegenden Arbeit wird in einem theoretischen Teil eine Annäherung an den Begriff Kultur gewagt, bevor im praktischen Teil der Frage nachgegangen wird, welche Vorstellung(en) von Kultur in den Köpfen der Deutschen besteht. Exemplarisch werden dazu mehr als einhundert Studierende der PH Weingarten befragt.
2. THEORIE
Der theoretische Teil soll dem Kulturbegriff auf den Grund gegangen werden. Dazu wird in einem ersten Schritt die Etymologie des Lexems beleuchtet, woraufhin in einem zweiten Schritt die vier historischen Grundtypen des Kulturbegriffes nach ELM dargestellt werden. In einem nächsten Schritt wird eine Einteilung des Kulturbegriffes vorgenommen, welche immanent für den praktischen Teil der Hausarbeit sein wird. Nachfolgend bereitet ein Exkurs zum Zeitalter der Globalisierung auf die im Anschluss dargestellten Konzepte von Kultur vor, die in eben diesem Zeitalter von Bedeutung sind. In einem letzten Schritt werden die Einflüsse der Globalisierung auf die Mikro- und Makroebene von Kultur abrundend ausgeführt.
2.1 Etymologie des Lexems Kultur
Entlehnt wurde das Lexem Kultur ins Deutsche vom lateinischen Substantiv cultura, welches dem lateinischen Verb colere zuzuordnen ist, was so viel wie pflegen respektive bebauen bedeutet. Zunächst bezog sich die Vokabel Kultur im deutschsprachigen Raum auf die Pflege von Ackerbau und Viehzucht. Im Laufe des 17. Jahrhunderts erlebte der Begriff eine Bedeutungserweiterung im Sinne von Kenntnis der freien Künste sowie Erziehung zum ehrbaren und geselligen Leben, welche auf das mittellateinische cultura animi zurückzuführen ist. Seither fand eine Ausweitung des Wortes Kultur im deutschsprachigen Raum statt und es wurde in die Volkssprache übernommen (vgl. KLUGE 2011, 548).
2.2 Die vier historischen Grundtypen des Kulturbegriffs
Von der Antike bis heute hat sich die Bedeutung der Verwendung des Begriffes Kultur insofern gewandelt, als dass sich vier historische Grundtypen herausstellen lassen: CICERO, der mit seinem ‚locus classicus‘ den ersten Typus der Verwendung des Kulturbegriffes maßgeblich prägt, indem er Kultur immer als in Bezugsbereiche integriert versteht, welche einer Kultivierung bedürfen, konstatiert, dass auch der menschliche Geist durch Belehrung und Ausbildung gepflegt und kultiviert werden muss (‚cultura animi‘).
Auch im zweiten Grundtyp, in dem Kultur vor allem vom Individuum her verstanden wird, spielt Bildung eine wichtige Rolle, indem sich aus ihr die Kultur ergibt, die dem jeweiligen Individuum zu eigen ist.
Den nächsten Wandel vollzieht der Gebrauch des Terminus Kultur mit Einsetzen der Neuzeit im ausgehenden 15. Jahrhundert. Mit der Kultur als gesellschaftlicher Größe, die als Gegenpol zur Natur zu erschaffen sei, setzen sich unter anderem neuzeitliche Philosophen wie HOBBES sowie BACON (status civilis) und PUFENDORF (status cultura) auseinander.
Ende des 18. Jahrhunderts beeinflusst vor allem HERDER mit seinen hberlegungen den dritten historischen Grundtypen der Benutzung des Wortes Kultur. ÄDer Herdersche Kulturbegriff ist durch drei Momente charakterisiert: durch die ethnische Fundierung, die soziale Homogenisierung und durch die Abgrenzung nach außen“ (WELSCH 1995, 1).
Die Industrialisierung bedingt den hbergang zum vierten historischen Grundtypen. Diese Zeit ist gekennzeichnet durch eine ÄEntzweiung der Kultursphäre vom zivilisatorisch Technischen, Ökonomischen und Politischen“ (ELM 2001, 20). Kultur wird zu dieser Zeit der Charakter von Werten zugeschrieben, die durch die Auseinandersetzung mit Kunst und Wissenschaften wie Philosophie zum Kulturbesitz avancieren, welcher nicht vor einer Kommerzialisierung gefeit ist (vgl. ELM 2001, 18ff.).
2.3 Einteilung des Kulturbegriffs
Ebenso wie in der Kulturphilosophie hat der Begriff Kultur im Bereich der Kulturwissenschaft Bedeutungswandlungen vollzogen bzw. vollzieht sie noch immer. Grundlegend kann man folgende Unterscheidungen in der Verwendung des Kulturbegriffes festmachen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Kulturbegriff (Quelle: Homepage der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen)
2.3.1 Traditioneller Kulturbegriff
Dieser Kulturbegriff ist auch als eingegrenzter bzw. enger Kulturbegriff bekannt. Er umfasst ausschließlich die Bereiche der Ähohen“ Kultur. Dazu gehören beispielsweise Architektur, bildende Kunst, Musik sowie Schauspielerei und Tanz. Diese Sichtweise auf Kultur ist um Abgrenzung gegenüber dem ÄNicht Kultivierten“ bemüht.
2.3.2 Erweiterter Kulturbegriff
In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts findet der erweiterte Kulturbegriff, welcher aus dem Wissenschaftszweig der Ethnologie stammt, immer mehr Beachtung. In dieser Sichtweise auf Kultur hat, im Gegensatz zum engen Kulturbegriff, die gesamte Lebenswirklichkeit der in einem bestimmten Sprach- und Kulturraum lebenden Menschen ihre Berechtigung. Dazu zählen also neben der im engen Kulturbegriff ausschließlich Beachtung findenden Hochkultur auch alle Produkte und Tätigkeiten ihres Denkens und Handelns.
Da im erweiterten Kulturbegriff das Abgrenzungsmoment elliptisch ist und somit, vor allem in Bezug auf die Vermittlung von Kultur und Verständigung unter Kulturen, alles unterschiedslos als Kultur verstanden und als vermittlungswürdig angesehen wird, erfährt der erweiterte Kulturbegriff folgende Unterteilung:
2.3.2.1 Geschlossener erweiterter Kulturbegriff
Identitätsstiftend ist, kohärent gedacht, Kultur sowohl auf der Makro- als auch der Mikroebene durch politische, geographische, sprachliche sowie geistesgeschichtliche Rahmenbedingungen autonom manifestiert (vgl. BOLTEN 2007, 18).
2.3.2.2 Offener erweiterter Kulturbegriff
Vor dem Hintergrund des offenen Kulturbegriffes definieren sich Kulturen Äals soziale Lebenswelten wechselnder Größe und Zusammensetzung“ (ebd.). Vor allem im Kontext der Globalisierung, infolge neuer Kommunikationsmedien, wachsender Mobilität, des Aufbrechens von Staatsgrenzen etc., verlagern sich relevante Bezugsbereiche dieser Lebenswelt außerhalb von nationalstaatlichen Grenzen. Demnach hat man sich die Entwicklung von Identitäten nicht im Sinne einer Kohärenz, sondern vielmehr als vielseitigen, dynamischen Prozess vorzustellen, welcher einer Kohäsion gleichkommt, wie man sie aus naturwissenschaftlichen Zusammenhängen kennt: ÄWie Wassermoleküle aufgrund von Kohäsionskräften eine Oberflächenspannung erzeugen, aus der sie sich aber zu jeder Zeit ‚unbeschädigt‘ auch wieder lösen und anderweitig ‚andocken‘ können, so gilt dies auch für lebensweltliche Identitätsbildungsprozesse der Zweiten Moderne“ (ebd. 2007, 18f).
2.4 Exkurs: Zeitalter der Globalisierung - Globalisierung
Globalisierung beschreibt die zunehmende weltweite Vernetzung von Nationen in allen Bereichen. Dies geschieht sowohl auf der Mikroebene (zwischen Individuen), als auch auf der Makroebene (Organisationen, Unternehmen, Gesellschaften und Staaten). (vgl. www.ikud.de/glossar/globalisierung-definition.html). Vor allem durch Migrationsprozesse kommt es zu einer neuartigen Verflechtung von Kulturen. Die Konzepte der Interkulturalität und der Multikulturalität beachten nicht die für unsere Zeit typischen Phänomene der Durchmischung und Durchdringung. Eigenes und Fremdes ist nicht mehr klar voneinander zu trennen. Innerhalb einer Kulturgemeinschaft kann ebenso Fremdheit bestehen, wie über formale Kulturgrenzen hinweg.
Durch zunehmende Mobilität, Enttraditionalisierungsprozesse, den Abbau räumlicher Distanzen durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien wird die Anschlussfähigkeit kultureller Angebote zum zentralen Kriterium. (WAGNER 2002) Die Kontaktintensität zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen nimmt zu (vgl. Homepage der IKUD).
2.5 Konzepte von Kultur
Zur Auseinandersetzung des Menschen mit der Thematik Kultur gehört ebenso die stetige Entwicklung von Konzepten, die sich damit befassen, welche Kompetenzen Menschen unterschiedlicher kultureller Orientierung benötigen, um erfolgreich miteinander in Interaktion zu treten. Nicht zuletzt durch sich verändernde Rahmenbedingungen bedingt, unterliegen auch solche Ansätze Wandlungen. Gerade in Zeiten der Globalisierung setzen sich diese auch vermehrt mit Fragen des konstruktiven Miteinanders in Einwanderungsgesellschaften auseinander. Nachfolgend werden drei dieser Konzepte kurz vorgestellt und hinterfragt, welche im letzten halben Jahrhundert die hberlegungen zum kulturellen Miteinander maßgeblich prägten (vgl. RÖSCH 2011, 144).
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