Die Zulässigkeit von Beamtenstreiks ist seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ein hoch umstrittenes Thema. Während der Streit auf nationaler Ebene festgefahren scheint und sich im Wesentlichen um die gleichen Streitpunkte dreht, hat sich international die Rechtslage gewandelt. Gerade der EGMR hat in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass Beamtenstreiks zulässig sind.
Dennoch zeigen sowohl die Gerichte als auch die Behörden in Deutschland für diese Entwicklung wenig Verständnis und verbleiben auf dem Standpunkt, dass derartige Streiks weiterhin unzulässig seien. So hat das Bundesverwaltungsgericht sich Anfang 2014 für ein Verbot auf Grund der nationalen Rechtslage ausgesprochen.
Diese Arbeit soll im ersten Teil die völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen darstellen. Der zweite Teil stellt kurz die rein nationale Rechtslage dar und befasst sich sodann mit der Frage, welche Wirkung das Völkerrecht auf das nationale Recht hat.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Literatur:
Aufsätze:
A.Einleitung
B.Hauptteil
I.Völker- sowie europarechtliche Rechtsgrundlagen
1.Europäische Sozialcharta
a)Schutzbereich
b)Innerstaatliche Wirkung
aa)Verbindlichkeit
bb)Interpretationshoheit
cc)Zwischenergebnis
2.ILO
3.EMRK
a)Schutzbereich
aa)Entscheidungen des EGMR/ Demir u. Baykara, Enerji Yapi-Yol
bb)Kritik der Literatur
(1)Wortlaut
(2)Methodische Bedenken bei der Berücksichtigung der ESC und ILO
(a)Keine Ratifikation der ESC durch die Türkei
(b)Auslegungen der Ausschüsse sind nicht verbindlich
(c)Keine Berücksichtigung des nationalen Rechts
b)Rechtfertigung eines Eingriffs
4.GrCH
5.Zwischenergebnis
II.Nationale Rechtsgrundlagen
1.Nationale Bedenken
a)Einfaches Recht
b)Grundgesetz
2.Völkerrechtsfreundliche Auslegung des nationalen Rechts
a)Traditionsbestand (Bundesverwaltungsgericht)
b)Staatsorganisationsrecht und EMRK
C.Fazit
Literaturverzeichnis
Literatur:
Däubler, Wolfgang. Arbeitskampfrecht. 3. Auflage. Bremen, 2011. (zit.: Däubler, Arbeitskampfrecht, §, Rn.)
Däubler, Wolfgang. Der Streik im öffentlichen Dienst. 2. überarbeitete Auflage. Tübingen, 1971. (zit.: Däubler, Der Streik im öffentlichen Dienst, §, S.)
Herdegen, Matthias. Völkerrecht. 12. überarbeitete und erweiterte Auflage. München, 2013. (zit.: Herdegen, §, Rn.)
Jarass, Hans/ Pieroth, Bodo. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar.13. Auflage. 2014, Münster. (zit.: Jarass/Pieroth, Art., Rn.)
Löwisch, Manfred/Rieble, Volker. Tarifvertragsgesetz. 3. Auflage 2012, München/Freiburg. (zit.: Löwisch/Rieble, Rn.)
Meyer, Jürgen. Charta der Grundrechte der europäischen Union. 4. Auflage. Kirchzarten/Berlin, 2014. (zit.: Meyer, Art., Rn.)
Meyer-Ladewig, Jens. EMRK. 3. Auflage. Wachtberg, 2011. (zit.: Meyer-Ladewig, Art., Rn.)
Aufsätze:
Batis, Ulrich. Streikrecht für Beamte?. ZBR 2011, 397.
Däubler, Wolfgang. Neue Grundsätze im Arbeitskampf?. AuR 1998, 144.
Gooren, Paul. Das Ende des Beamtenstreikverbots. ZBR 2011, 400.
Kutzki, Jürgen. Beamte und Streikrecht – ein aktuelle Bestandsaufnahme. DöD 2011, 169.
Leisner, Walter. Der Streik im öffentlichen Dienst – Gefahr für Demokratie, Gewerkschaften und Streikrecht. NJW 2006, 1488.
Lindner, Josef Franz. Dürfen Beamte doch streiken?. DÖV 2011, 305.
Löber, Katrin. Beamtenstreikrecht als Menschenrecht. AuR 2011, 74.
Lörcher, Klaus. Das Menschenrecht auf Kollektiverhandlung und Streik auch für Beamte. AuR 2009, 229.
Michaelis, Oliver. Das beamtenrechtliche Streikverbot. JA 2015, 121.
Niedobitek, Matthias. Denationalisierung des Streikrechts – auch für Beamte? -Tendenzen im europäischen und im internationalen Recht-. ZBR 2010, 361.
Rüthers, Bernd. Zum Arbeitskampf im öffentlichen Dienst. NJW 2006, 970.
Schlachter, Monika. Beamtenstreik im Mehrebenensystem. RdA 2011, 341.
Schubert, Claudia. Das Streikverbot für Beamte und das Streikverbot aus Art. 11 EMRK im Konflikt. AöR 2012, 92.
Seifert, Achim. Recht auf Kollektivverhandlungen und Streikrecht für Beamte. KritV 04/2009, 357
Thüsing, Gregor/ Traut, Johannes. Zur begrenzten Reichweite der Koalitionsfreiheit im Unionsrecht. RdA 2012, 65.
Wisskirchen, Alfred. Die normensetzende und normenüberwachende Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). ZFA 2003, 691.
A. Einleitung
Die Zulässigkeit von Beamtenstreiks ist seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ein hoch umstrittenes Thema.[1] Während der Streit auf nationaler Ebene festgefahren scheint und sich im wesentlichen um die gleichen Streitpunkte dreht,[2] hat sich international die Rechtslage gewandelt. Gerade der EGMR hat in den letzten Jahren deutlich gemacht, dass Beamtenstreiks zulässig sind.[3] Dennoch zeigen sowohl die Gerichte als auch die Behörden in Deutschland für diese Entwicklung wenig Verständnis und verbleiben auf dem Standpunkt, dass derartige Streiks weiterhin unzulässig sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht sich Anfang 2014 für ein Verbot auf Grund der nationalen Rechtslage ausgesprochen.[4] Diese Arbeit soll im ersten Teil die völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen darstellen. Der zweite Teil stellt kurz die rein nationale Rechtslage dar und befasst sich sodann mit der Frage, welche Wirkung das Völkerrecht auf das nationale Recht hat.
B. Hauptteil
Für die Durchführung von Streiks durch Beamte kommt eine Vielzahl von Rechtsgrundlagen in Betracht, die im Folgenden dargestellt werden sollen.
I. Völker- sowie europarechtliche Rechtsgrundlagen
Zunächst wird ein Blick auf die wichtigsten Vorschriften des Völker und Europarechts geworfen. Schon hier zeigt sich, dass mehrere Rechtsgrundlagen bestehen, die aufeinander aufbauen oder aber alternativ nebeneinander bestehen können. Dabei werden die ESC und das ILO-Übereinkommen Nr. 87 nur angerissen. Der thematische Schwerpunkt soll auf der EMRK liegen. Zuletzt wird kurz die Grundrechte Charta als möglich Rechtsgrundlage angesprochen.
1. Europäische Sozialcharta
Beamtenstreiks lassen sich möglicherweise auf Grundlage des Art. 6 Abs. 4 ESC durchführen.
a) Schutzbereich
Jedenfalls lässt sich aus der Europäischen Sozialcharta ein Streikrecht für Beamte entnehmen. So stellte der europäische Ausschuss für Soziale Rechte im Jahr 2006 fest, die Einschränkung von Streiks im öffentlichen Dienst in den Ländern Albanien, Estland, Finnland, Frankreich und Moldavien widersetze sich der Bestimmung des Art. 6 Abs. 4 ESC.[5]
b) Innerstaatliche Wirkung
Problematischer hingegen ist die Frage, ob innerstaatlich eine Bindungswirkung durch die ESC entfaltet wird. Hierzu ist zunächst festzustellen, ob die ESC im Innenverhältnis verbindlich ist aa) und in wie weit die Auslegungspraxis der Spruchkörper zu berücksichtigen ist bb).
aa) Verbindlichkeit
Jedenfalls wurde die ESC in das nationale Recht gemäß Art. 59 Abs. 2 GG 1964 transformiert.[6]
Des Weiteren wird für die Verbindlichkeit gefordert, dass Art. 6 Abs. 4 hinreichend bestimmt ist und keiner weiteren nationalen Konkretisierung bedarf.[7]
Das BAG ließ die Frage der Verbindlichkeit der ESC bis heute offen.[8] Auf der anderen Seite wurde aber auch deutlich gemacht, dass innerstaatliches Recht im Lichte der ESC angewendet werden muss.[9]
Für eine Verbindlichkeit der ESC spricht jedoch der Wortlaut.[10] Danach handelt es sich nicht um ein bloße Absichtserklärung, sondern das Streikrecht soll „gewährleistet“ werden.[11] Des Weiteren legt Art. 31 Abs. 1 ESC selbst fest, unter welchen Bedingung Art. 6 Abs. 4 ESC eingeschränkt werden kann.[12] Es wäre also widersprüchlich, nicht von einer Verbindlichkeit des Art. 6 Abs. 4 ESC auszugehen, und trotzdem eine Festlegung der Schranken vorzunehmen. Folglich kann der Bürger sich auf Art. 6 Abs. 4 gegen den Staat grundsätzlich berufen und sämtliche staatliche Gewalt ist nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden.
Allerdings ist zu erwähnen, dass die Bundesrepublik Deutschland erklärte, Art. 6 Abs. 2, 4 gelte nicht für Beamte, was einen Vorbehalt nach Art. 19 WVK darstellt.[13] Den Grund, warum dieser formale Vorbehalt nicht wirksam ist, nennt jedoch die ESC selbst. Nach Art 19 lit. a WVK ist nämlich ein Vorbehalt dann unzulässig, wenn der Vertrag selbst den Vorbehalt verbietet. Dem Anhang der Sozialcharta Art. 6 Abs. 4 ESC ist zu entnehmen: „Es besteht Einverständnis darüber, daß jede Vertragspartei für sich die Ausübung des Streikrechts durch Gesetz regeln kann, vorausgesetzt, daß jede weitere Einschränkung dieses Rechtes auf Grund des Artikels 31 gerechtfertigt werden kann.“ Demnach ist das Verfahren, wie Art. 6 Abs. 4 ESC eingeschränkt werden kann vorgegeben. Da die Bundesrepublik Deutschland Art. 6 Abs. 4 ESC grundsätzlich anerkannt hat, wäre es somit eine Umgehung des Schutzbereichs, wenn er für Beamte restriktiver ausgelegt würde. Dieses würde dem Einschränkungsverfahren gemäß Art. 31 ESC i.V.m. Art. 6 Abs. 4 Anhang der ESC widersprechen, da ein Verbot des Beamtenstreikrechts nicht gerechtfertigt werden müsste. Folglich kann Art. 6 Abs. 4 ESC nur als ganzes anerkannt werden beziehungsweise als ganzes ein Vorbehalt geäußert werden. Hierfür spricht auch der Wortlaut des Art. 20 Abs. 1 ESC, danach können einzelne Artikel nur als ganzes anerkannt werden. Art. 6 Abs. 4 ESC ist somit im vollen Umfang verbindlich.
bb) Interpretationshoheit
Weiterhin müssten deutsche Gerichte an die Auslegung der Ausschüsse der ESC und des Ministerkomittees gebunden sein. Gegen eine innerstaatliche Bindungswirkung spricht, dass die ESC gerade nicht über ein verbindlichen und somit authentischen Spruchkörper verfügt (Art 27 ESC).[14] Dieses sei im Gegensatz zur EMRK, die nach Art 46 EMRK die Urteile des EGMR für verbindlich erklärt, der entscheidende Unterschied.[15] Es sei auch hinzunehmen, dass „dadurch die Gefahr national unterschiedlicher Interpretationen der Vertragsstaaten heraufbeschworen wird“[16]. Dieser Ansicht ist nicht vollständig zuzustimmen. Einerseits ist richtig, dass es an einem authentischen Interpreten fehlt. Jedoch muss auch der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit gewahrt bleiben. Demnach darf es zwar Abweichungen der einzelnen Vertragsstaaten bei der Auslegung geben, allerdings nur dann, wenn ein triftiger Grund vorliegt.[17] Dieser Ansicht ist schon deshalb Vorzug zu gewähren, weil sich die Vertragsparteien in der Präambel zu einer engeren Verbindung verpflichten. Eine enge Zusammenarbeit kann jedoch nur dann gewährleistet werden, wenn man grundsätzlich einer gemeinsamen Auslegungslinie folgt.
Ob ein triftiger Grund vorliegt, lässt sich innerstaatlich nicht eindeutig klären. An dieser Stelle sei deshalb auf die Ausführungen zur nationalen Rechtslage verwiesen, danach muss das Streikrecht für Beamte gewährleistet werden,[18] insofern kommt eine Abweichung von der ESC nicht in Frage.
cc) Zwischenergebnis
Damit ergibt sich grundsätzlich ein für die Bundesrepublik Deutschland verbindliches Streikrecht aus Art. 6 Abs. 4 ESC. Dennoch wird der ESC unmittelbar keine bedeutende Rolle zukommen. Zwar ergibt sich nach Auffassung des Verfassers ein durchsetzbares Streikrecht aus der ESC, dennoch besteht bei der nationalen Handhabung erhebliche Unsicherheit, so dass in einem Prozess nicht absehbar wäre, ob wie tatsächlich mit der ESC umzugehen ist.[19]
2. ILO
Auch das ILO – Übereinkommen Nr. 87 verankert das Streikrecht für Beamte. Seit dem Jahr 1987 gelangen die Ausschüsse zu dem Ergebnis, dass auch das Beamtenstreikrecht gewährleistet wird.[20] Hiergegen wird im wesentlichen vorgetragen, ein Streikrecht sei dem Wortlaut des Übereinkommens nicht zu entnehmen, insofern seien die Auslegungsmethoden nach Art. 31 ff überzogen worden.[21] Gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK sind jedoch Verträge „im Lichte seines Zieles und Zwecks“ auszulegen. Da Art. 3 Abs. 1 ILO-Übereinkommen die Förderung zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer schützt, muss auch das Streikrecht umfasst sein.[22] Dieses ist als Kampfmethode gerade innerer Kern der gewerkschaftlichen Tätigkeit zur Durchsetzung der eigenen Interessen.
Jedoch ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Auslegungen der Ausschüsse nicht verbindlich sind, Art. 37 Abs. 1 ILO-Verfassung. Dennoch wird man, wie bei der ESC, nur eine Abweichung aus triftigen Grund annehmen können.[23]
[...]
[1] sehr ausführliche Darstellung aus dem Jahr 1971, in: Däubler, Der Streik im öffentlichen Dienst, § 9 ff.
[2] dazu heute: Hensche, in: Däubler, § 18 a, Rn. 27 ff.
[3] EGMR, v. 21. 4. 2009 - 68959/01 Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei, in: NZA 2010,1423, ff.
[4] BVerwG, v. 27.02.2014, NZA 2014, 616.
[5] Conclusions 2006, S. 51, S. 188, S. 249, S. 577; zu beachten ist, dass es sich in den genannten Ländern nicht immer um ein generelles Streikverbot handelt.
[6] BGBl. II 1964, S. 1251; 1965, S. 1122
[7] Herdegen, § 22, Rn. 5.
[8] BAG, Urteil v. 10.09.1984 – 1 AZR 342/83.
[9] a.a.O.
[10] Lörcher, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, § 10, Rn. 22 f.
[11] a.a.O..
[12] a.a.O., Rn. 23.
[13] Lörcher AuR 2009, 229, 233, die Äußerungen der Bundesrepublik Deutschland liegen dem Verfasser nicht vor.
[14] Das Ministerkomittee kann gemäß Art. 29 ESC mit 2/3 Mehrheit nur Empfehlungen aussprechen.
[15] Löwisch/Rieble, Rn. 293ff.
[16] a.a.O., Rn. 298.
[17] Däubler, AuR 1998, 144, 147f.
[18] Vergleiche Ausführungen zur nationalen Rechtslage, S. 14 ff.
[19] Vgl. nur: VG Bremen, v. 03.07.2012, Az.: D K 20/11
[20] ILO CEACR Report 1987, 179ff.
[21] Wisskirchen, ZfA 2003, 691, 726ff.
[22] Lörcher, in Däubler: § 10, Rn. 52
[23] so auch Lörcher, in Däubler, § 10, Rn. 53.