„Wagners Musik bietet melodisch weniger feste, greifbare und voraushörbare Syntax, als damals erwartet wurde.“ Trotzdem gelang es ihm, einen mehrere Tage dauernden Opernzyklus zu komponieren, wobei er sich insgesamt einer neuartigen, schwer nachsingbaren Linearität bediente. Doch wie erreichte er diese „Gesamtmelodie“? Und welche Elemente spielen darüber hinaus für den häufig mystifizierten Ring-Klang eine tragende Rolle?
Diesen Fragen will die vorliegende Arbeit nachgehen und dazu an erster Stelle die äußeren Voraussetzungen für die Klangbilder im Ring betrachten. Dazu werden die Orchesterbesetzung, die Neuschaffung verschiedener Instrumente, die Instrumentationstechnik Wagners sowie der Parameter Raum genauer untersucht. In einem zweiten Schritt rückt die innere Gestaltung des Ring-Klangs auf allgemeiner satztechnischer Ebene in den Fokus, bevor gezielt der Frage nachgegangen wird, in wieweit sich der Ring-Klang in den Jahren seiner Komposition verändert hat. Dazu werden Beispiele aus dem Rheingold als Ausgangsklang, dem Vorspiel zum dritten Aufzug des Siegfried als erstes Stück in einem neuen Kompositionsstil und schließlich die Götterdämmerung als Zielklang Wagners näher untersucht.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die äußeren Voraussetzungen des Ring-Klangs
2.1 Besetzung
2.2 Besondere Instrumente
2.3 Instrumentation
2.4 Raum
3 Die innere Gestaltung des Ring-Klangs
3.1 Die Architektur des Klangs auf satztechnischer Ebene
3.2 Der Ring-Klang im Wandel
3.2.1 Das Rheingold - Der Ausgangsklang
3.2.2 Siegfried - Die Schaffenskrise als Zeit des Umbruchs
3.2.3 Götterdämmerung - Der Zielklang
4 Fazit und Ausblick
Bibliographie
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
1 EINLEITUNG
„Wagners Musik bietet melodisch weniger feste, greifbare und voraushörbare Syntax, als damals erwartet wurde.“1 Trotzdem gelang es ihm, einen mehrere Tage dauernden Opernzyklus zu komponieren, wobei er sich insgesamt einer neuartigen, schwer nachsingbaren Linearität bediente.2 Doch wie erreichte er diese „Gesamtmelodie“3 ? Und welche Elemente spielen darüber hinaus für den häufig mystifizierten Ring-Klang eine tragende Rolle?
Diesen Fragen will die vorliegende Arbeit nachgehen und dazu an erster Stelle die äußeren Voraussetzungen für die Klangbilder im Ring betrachten. Dazu werden die Orchesterbesetzung, die Neuschaffung verschiedener Instrumente, die Instrumenta- tionstechnik Wagners sowie der Parameter Raum genauer untersucht. In einem zweiten Schritt rückt die innere Gestaltung des Ring-Klangs auf allgemeiner satz- technischer Ebene in den Fokus, bevor gezielt der Frage nachgegangen wird, in wieweit sich der Ring-Klang in den Jahren seiner Komposition verändert hat. Dazu werden Beispiele aus dem Rheingold als Ausgangsklang, dem Vorspiel zum dritten Aufzug des Siegfried als erstes Stück in einem neuen Kompositionsstil und schließ- lich die Götterdämmerung als Zielklang Wagners näher untersucht.
Dabei stützt sich die vorliegende Arbeit vorwiegend und exemplarisch auf Tobias Janz, der in seiner Publikation „Klangdramaturgie“ Studien zur theatralen Orches- terkomposition im Ring anstellt und somit die überaus reichlich vorhandene For- schungsliteratur zu Wagner und seinem Zyklus um ein entscheidendes Werk bereichert. Da Janz jedoch von ihm analysierte Elemente des Ring-Klangs nicht konsequent an allen Opern zeigt und bei Vergleichen oft nur zwei bis drei der vier Opern heranzieht - im Kapitel „Raum und Textur“ findet man nahezu nichts zu Wal- küre und Götterdämmerung -, wäre es wünschenswert, dass die Literatur um weite- re Werke dieser Art bereichert würde, die sich noch intensiver, und alle Opern des Zyklus gleichmäßig abdeckend, mit den Klangbildern des Orchesters beschäftigten. Da der Ring jedoch in seinem Umfang schwer zu überschauen ist, müsste es sich bei solchen Publikationen um Forschungsprojekte längerer Dauer handeln.
Neben Janz bezieht sich die vorliegende Arbeit weiterhin auf Voss und Lütteken, womit für die vorliegende Thematik und den beschränkten Umfang der Seminarar- beit genug Material vorhanden war. Da es sich nicht um eine Abhandlung über Leitmotivik in ihrem traditionellen Verständnis oder um eine harmonische Analyse des Rings handeln soll, wurde auch bewusst auf den Einbezug entsprechender For- schungsliteratur verzichtet. Vielmehr will die vorliegende Arbeit neben den bereits genannten Schwerpunkten der Frage, wodurch die vielen Motive zum Ring- Gesamtklang verschmelzen, nachgehen, und die Leitmotive, die deshalb auch fast nie als solche erläutert werden, in den Kontext des Orchesterklangs stellen.
2 DIE ÄUßEREN VORAUSSETZUNGEN DES RING-KLANGS
Der Ring ist ein Kunstwerk, in dem zum ersten Mal die verschiedensten Aspekte der Materialität der Musik - Instrumentenbau, Instrumentationstechnik, Orchesterbeset- zung und Raumdesign - zu einer künstlerischen Gesamtkonzeption zusammenfin- den.4 Diese Beobachtung Janz‘ soll im Folgenden besprochen werden, indem die genannten Einzelaspekte detailliert betrachtet und in den damaligen Kontext einge- ordnet werden. Auch Albrecht attestiert Wagners Ring in der Zeitschrift Die Deut- sche Bühne neuartige Elemente im Bereich der Instrumentation. Darüber hinaus führt er jedoch noch zu Recht die harmonisch-melodischen Neuerungen an,5 die jedoch aufgrund der Ferne zum eigentlichen Thema keinen Eingang in die vorlie- gende Arbeit finden sollen.
2.1 Besetzung
Seit dem 18. Jahrhundert ist das Ensemble „Orchester“ vielfach hinsichtlich der An- zahl und Art seiner Instrumente verändert worden. Kam etwa Haydn in seinen frü- hen Jahren noch mit einer sehr einfachen und kleinen Besetzung aus, die ihm jedoch schon in seinen späten Jahren bereits nicht mehr genügte und darum erwei- tert wurde, fügte Beethoven das dritte Horn, die Piccoloflöte, das Kontrafagott und Posaunen hinzu. Es ist jedoch anzumerken, dass letztere Instrumente bereits vor Beethoven Eingang ins Opernorchester gefunden hatten. Doch erst die Integration ins Symphonieorchester etabliert sie dauerhaft. Im 19. Jahrhundert wuchs die Be- setzung in Art und Größe weiter, wobei besonders die Harfe, die Bassklarinette, die Basstuba und Schlaginstrumente wie die Triangel und das Becken hervorzuheben sind.6 Auch wenn Mendelssohn laut einiger Briefe bereits Streicherapparate verhältnismäßig immenser Ausmaße mit je 20 Violinen pro Stimme verwendete, lässt sich doch festhalten, dass die Besetzung des Ring-Orchester in der Anzahl, besonders aber der Vielfalt der Instrumente über das gewöhnliche Maß hinaus geht.
Die beachtliche physische Größe des Ring-Orchesters ist daher auch durch die Kraft des Schalldrucks mitverantwortlich für den Ring-Klang sowie den beim Publikum entstehenden Eindruck des „Klangwaldes“7, der alles zu umschließen scheint.8 Konkret gestaltet sich die Besetzung wie folgt:
Der Streicherapparat umfasst in seiner maximalen Größe 16 erste und ebenso viele zweite Violinen, je 12 Violen und Violoncelli sowie 8 Kontrabässe. Die Holzbläser sind mit bis zu 2 Piccoloflöten, 3 Flöten, 3 bis 4 Oboen, einem Englisch Horn, sowie 3 Klarinetten, einer Bassklarinette und 3 Fagotten bis zu 17-fach besetzt. Das Blech setzt sich aus 8 Hörnern, 2 Tenor- und 2 Basstuben, einer Kontrabasstuba, 3 Trom- peten, sowie einer Basstrompete, 3 Tenor- und 3 Bassposaunen und einer Kontra- bassposaune zusammen, während im Schlagwerk nicht die beiden Paare Pauken, die Rührtrommel, die Triangel oder das Becken, sondern 16 Ambosse hervorzuhe- ben sind. Diese sorgen zweifelsohne für einen beeindruckenden Effekt beim Publi- kum, kommen aber lediglich zum Ende des zweiten Aufzugs des Rheingold in der Szene des Abstiegs Wotans und Loges zur Schmiede Alberichs zum Einsatz. Nicht zu vergessen sind in diesem Ensemble die 6 Harfen, wobei es streng genommen sogar 7 Instrumente sind - eine Harfe befindet sich zusätzlich auf der Bühne.9
2.2 Besondere Instrumente
Auf der Suche nach dem idealen Klangkörper war Wagner nicht vollends durch die ihm bekannten Instrumente zufrieden zu stellen. Nachdem er jedoch in der Kompo- sitionsphase des Rheingolds die Sax-Instrumente kennen lernte, war er so begeis- tert von deren Klang, dass er sie laut frühen Skizzen in sein Werk einbinden wollte. Aber auch diese Lösung konnte den exzentrischen Komponisten nicht vollends überzeugen, wie die publizierte Fassung der Partitur zeigt. Denn dort findet man etwa in der zweiten Szene des Rheingolds keine Sax-Instrumente, sondern unter anderem das als „Wagnertuba“ bekannt gewordene Instrument, das auf Anregung Wagners ca. 1854 konstruiert worden war. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Tuba, sondern um ein Blechblasinstrument in Tenor- und Basslage mit 3 bis 4 Ventilen und Waldhornmundstück. Weitere Merkmale sind die enge, durchgehend konische Bohrung und die ovale Form.10 Der dadurch entstehende Klang - er ist etwas derber als der eines Waldhorns, jedoch weicher als der Klang einer Posaune - eignet sich hervorragend zur Schließung klanglichen der Lücke zwischen den beiden traditionellen Instrumenten. Durch ihre Öffnung nach oben kann die Wagnertuba auch räumlich interessante und neue Akzente setzen.
Dadurch wirkt der Klang der Wagnertuba etwas derber als der des Waldhorns, jedoch weicher als jener der Tuba. Auf diese Weise füllt das neue Instrument die Lücke zwischen den beiden traditionellen Instrumenten.
Darüber hinaus feilte Wagner an weiteren Instrumenten: Das Fagott erfuhr eine Er- weiterung des Tonumfangs bis zum Kontra a und anstelle des Englisch Horns, das Wagners Klangvorstellungen nicht vollständig erfüllte, trat die neu konstruierte Alt- Oboe.11 Die bereits 1828 konstruierte Basstrompete wurde eigens für die von ihr im Ring geforderte Tiefe mit einem vierten Ventil ausgerüstet, um Intonationsprobleme zu beheben.12
Durch die Integration dieser und weiterer neuer bzw. abgewandelter Instrumente erreichte Wagner die klangliche Annäherung der Instrumentenfamilien, da nun Zwi- scheninstrumente geschaffen waren, die einen bruchlosen Übergang zwischen den Chören des Orchesters, sowie vielfache Differenzierungsmöglichkeiten innerhalb derselben erlaubten.13 Die beschriebene Basstrompete fungiert durch ihre damalige Tenorlage so etwa als Bindeglied zwischen den Posaunen und dem höheren Blech. Auf diese Art und Weise schuf Wagner eine bis dahin unerreichte Vielfarbigkeit, die charakteristisch für Ring-Klang ist.
2.3 Instrumentation
Für Wagner stand fest: „An dem Gesamtausdrucke aller Mittheilungen [sic!] des Darstellers nimmt das Orchester […] einen ununterbrochenen, nach jeder Seite hin tragenden und verdeutlichenden Antheil [sic!].“14 Dieses Zitat macht eindringlich den stetigen Bezug der Musik zum Drama deutlich,15 den Richard Wagner anstrebt und nach dem er seine Instrumentation im Ring ausgerichtet hat. Damit kommt dem Orchester eine grundlegend neue Bedeutung jenseits von der bloßen Begleitung der Stimmen zu: Das Ausdifferenzieren und die Steigerung der Eindringlichkeit von Stimmungen gehört nun ebenso zu seinen Aufgaben16 wie das Verstärken der Singstimmen.17 Außerdem ist es Träger der Struktur; Instrumentationswechsel dienen oft der Gliederung und metrischen Akzentsetzung.18
Wagner war jedoch aufführungstechnisch nicht mit diesem innovativen Ensemble vertraut19, sodass er im Laufe des Kompositionsprozesses zahlreiche Änderungen in der Instrumentation vornahm. So waren beispielsweise manche Stellen anfangs zu dicht besetzt, was Wagner wie etwa beim Schluss des ersten Aktes der Walküre korrigierte. In diesem konkreten Fall nahm er die Bläser bei Einsatz des Sängers nachträglich von ff auf mf zurück.20 Da Wagner sich also im Laufe der Zeit und der geschriebenen Partiturseiten an sein Ensemble gewöhnen musste und eben nicht wenige instrumentationstechnische Neuerungen Reaktionen auf vorausgegangene Partituren des Rings waren, kann man sagen, dass die Komposition dieses Ge- samtwerkes gleichzeitig die Suche nach dem idealen Ring-Klang war.21 Im Folgen- den werden kurz die groben Innovationen der Instrumentation des Rings erläutert, da die detailliertere Analyse im nächsten Großkapitel erfolgt.
Zunächst einmal ist anzumerken, dass Wagner im Ring auch die Randlagen der Instrumente voll ausschöpft22, um die Vielfarbigkeit des Klanges zu erhöhen. Dar- über hinaus rückt nun im Vergleich zu vorherigen, mehr streicherzentrierten Epo- chen das Blech als Klangzentrum in den Mittelpunkt des Tuttis. Damit einher geht die Absenkung des gesamten Klangraums in die Tiefe, welche wiederum eine ab- gedunkelte Tonfarbe und die Effekte der Schwere, Größe und Massivität mit sich bringt. Diese Phänomene hüllen den Zuhörer regelrecht physisch in den Ring-Klang ein.23 Im Vergleich zum Orchesterklang um 1900 macht Wagner in seinem Werk im Umkehrschluss wenig Gebrauch von hohen und grellen Farben des Orchesters, wie sie beispielsweise die Flöten erzeugen können.24 Insgesamt werden die Instrumente sehr dosiert eingesetzt,25 was der Transparenz und dem im Folgenden behandelten Raumeffekt zugutekommt.
2.4 Raum
Auch der Raum ist ein Parameter, der nicht unerheblich für den Ring-Klang ist. Be- reits während der Komposition orientierte sich Wagner bezüglich der Instrumentati- on an den raumakustischen Eigenschaften des damals virtuellen Festspielhauses.26 Damit ist zum einen der außergewöhnlich tiefe Orchestergraben, der weltweit sei- nesgleichen sucht, gemeint. Andererseits geht es um den Orchesterklang selbst, der durch Wagner zu einem klingenden Raum wurde, „in dem die Komponenten des Gesamtklangs - die Einzelklänge, Klanggruppen und Chöre - in räumlicher Anord- nung zueinander stehen.“27 Dies bedeutet konkret, dass der Orchesterklang neben einem Tonhöhenspektrum auch eine Perspektive in der Raumtiefe aufweist.28 Mög- lich werden diese Staffelung des Klangs und seine Plastizität durch die durchdachte Aufstellung der Instrumentengruppen, die Voraussetzung dafür ist, dass „Klang- gruppen so überblendet […] werden können, daß [sic!] sie sich prägnant voneinan- der abheben, anstatt zu einem diffusen Flächenklang zu verschmelzen.“29
Wie im nächsten Kapitel zu sehen ist, sind gerade die verschiedenen übereinander gelagerten Schichten typisch für den Ring-Klang - und wie bereits erwähnt, trägt der Raum maßgeblich zu diesem Klangergebnis bei.
3 DIE INNERE GESTALTUNG DES RING-KLANGS
Nachdem nun die „äußeren“ Voraussetzungen des Ring-Klangs beleuchtet worden sind, stellt sich die Frage, welche Faktoren auf innerer, kompositorischer Ebene für das Klangbild des Rings von zentraler Bedeutung sind. Dazu äußert Nietzsche, die Musik sei aufgelöst und gleichzeitig elementarisch gemacht worden.30 Damit be- schreibt er bereits peripher das für den Ring wesentliche Kompositionsprinzip, wie im Folgenden näher erläutert wird. Janz wird genauer, wenn er sagt, den Ring- Klang machten Wagners dort angestrebtes Ideal des kräftigen, fortklingenden Tons mit virtuell mitklingendem Raum aus.31 Der daraus resultierende „kontinuierliche Klangfluss“32 ist in der Forschung um den Ring bereits vielfach belegt und dürfte auch dem wagnerkundigen Zuhörer als sogenannte „unendliche Melodie“ als wesentlicher Bestandteil der Musik des Ring bekannt sein. Doch wie schafft es Wagner nun konkret, diese beschriebenen Klangeindrücke zu erschaffen? Das folgende Unterkapitel will dazu einige Antworten geben.
3.1 Die Architektur des Klangs auf satztechnischer Ebene
Das durch Nietzsche bereits angerissene Kompositionsprinzip, das den Orchestersatz als Ganzes umfasst und zentral für den Ring-Klang ist, nennt man Texturtechnik. Es handelt sich hierbei um ein Satzprinzip, das sich unmittelbar aus den instrumentalen Hierarchien des Orchesters ableiten lässt, was durch die klanglichräumliche Staffelung des Ensembles deutlich wird.33 Der Kerngedanke des Texturprinzips besteht in der Überordnung bzw. Unterordnung von einzelnen Motiven innerhalb der gleichen Textur anstelle ihrer Kombination oder Verarbeitung.34 Insgesamt stellt die Texturtechnik Wagners einen Gegenpol zur bis dato gebräuchlichen thematischen Arbeit dar. Innerhalb des orchestralen Texturklangs kann man verschiedene Schichten voneinander unterscheiden:
Zunächst befasst sich die vorliegende Arbeit mit der sogenannten Hintergrund- oder Pedalschicht. Sie ist durch liegende, statische und unbewegte Klänge gekennzeichnet. Auch ein Ostinato aus Liegetönen ist hier möglich. Des Weiteren weist diese Schicht eine deutlich niedrigere Geschwindigkeit in Harmonik, Rhythmik und Notenwerten auf als vordergründige Schichten.35 Dadurch wird die gesamte harmonische Beweglichkeit des betreffenden Texturausschnitts reduziert, was ein typisches Merkmal für den Orchesterklang des Ring ist. Oftmals werden für diese Pedalschicht weiche Bläserregister wie die Hörner eingesetzt.36
Neben der Hintergrund- oder Pedalschicht existieren innerhalb einer Textur weitere vordergründigere Schichten. Da mir der von Janz vorgeschlagene Begriff der „Tex- turschichten“ dafür missverständlich erscheint - entspricht er doch sehr einem Oberbegriff - schlage ich an dieser Stelle die Bezeichnung „bewegte Schicht“ vor. Durch eben diese Eigenschaft heben sich nämlich jene Lagen von der Hintergrund- schicht ab: Sie weisen eine verhältnismäßig hohe Bewegungsrichtung bzw. Bewe- gungsgeschwindigkeit hinsichtlich der Notenwerte, der Harmonik und des Rhythmus auf. Darüber hinaus differenzieren sie sich untereinander durch eine farbliche An- dersartigkeit, die entweder durch die traditionelle Schichteinteilung gemäß den In- strumentenfamilien oder aber durch die Schaffung neuer Gruppen zustande kommt. Trotz der Vielschichtigkeit in der Musik des Ring erreicht Wagner jedoch eine be- merkenswerte und für den Ring-Klang typische Transparenz, indem er die einzelnen Schichten geschickt gegeneinander ausbalanciert, sodass ein Gesamtklang ent- steht.37
Neben den verschiedenen Schichten innerhalb einer Textur unterscheiden sich auch die Texturen selbst voneinander. Dabei kann mein eine chronologische Entwicklung feststellen, die im folgenden Kapitel näher behandelt wird.
3.2 Der Ring-Klang im Wandel
Die Komposition des Ring erstreckte sich - mit Unterbrechungen - von 1848 bis 1874, und damit über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren. Somit ist es nicht verwunderlich, dass es „den Ring-Klang“ nicht gibt. Vielmehr hat er sich über die Jahre ständig gewandelt. Wie sich dies auf satztechnischer Ebene bemerkbar gemacht hat, ist Thema dieses Kapitels.
3.2.1 Das Rheingold - Der Ausgangsklang
Im Rheingold - der ersten Oper des Zyklus - baut Wagner besonders auf Natur- klänge, die er in Formen reiner Klangauffächerung bzw. Klangflächen darzustellen sucht. Diese Art von Texturklang kommt ohne viele motivisch prägnante Gestalten aus. Auch die harmonische Bewegung ist minimal. Des Weiteren liegt eine geringe Schichtendifferenzierung vor.38 Insgesamt entsteht ein recht statischer, unbewegter Eindruck der Musik, wobei sich die verschiedenen Schichten der Textur als vonei- nander abgegrenzte, in sich geschlossene Gruppen gegenüber stehen. All dies kann man etwa zu Beginn des Rheingolds plastisch erkennen (vgl. Anlage 1):
Am Anfang erklingt zunächst die Bassgruppe - Fagotte auf b und Kontrabässe mit auf es umgestimmter leerer tiefer Saite - als Pedalschicht. Durch die Quinte wird
[...]
1 Laurenz Lütteken (Hrsg): Wagner-Handbuch, Kassel: Bärenreiter, Stuttgart; Weimar: Metzler, 2012, 241.
2 vgl. Ibid., 242.
3 Ibid.
4 vgl. Tobias Janz: Klangdramaturgie: Studien zur theatralen Orchesterkomposition in Wagners "Ring des Nibelungen", Würzburg: Königshausen&Neumann, 2006, 24.
5 vgl. Detlef Brandenburg: „Wagners dramatische Wahrheit. Wagner dirigieren: Der Dirigent Marc Alb- recht über seine Arbeit am Gesamtkunstwerk“, in: Deutscher Bühnenverein, Bundesverband der Theater und Orchester (Hrsg.): Die deutsche Bühne.Schauspiel.Musiktheater.Tanz,, Heft 1 in Nr.84, Hamburg: Inspiring Network 2013, S. 40
6 vgl. Egon Voss: Studien zur Instrumentation Richard Wagners, Regensburg: Bosse, 1970, 23.
7 Janz, op. cit., 55.
8 vgl. Ibid., 59.
9 vgl. Ibid., 56.
10 vgl. http://universal_lexikon.deacademic.com/317080/Wagnertuba.
11 vgl. Janz, op. cit., 58.
12 vgl. http://www.tromposaund.de/basstrompete-bassfluegelhorn-tenortrompete-bass-trompete-bass- flugelhorn-aerophon.
13 vgl. Janz, op. cit., 58; 62.
14 Wagner zit. bei Fritz Reckow: „Zu Wagners Begriff der ˃unendlichen Melodie˂“, in: Carl Dahlhaus (Hrsg.): Das Drama Richard Wagners als musikalisches Kunstwerk, Regensburg: Gustav Bosse 1970, 84.
15 vgl. Voss, op. cit., 47.
16 vgl. Lütteken, op. cit., 246.
17 vgl. Voss, op. cit., 47.
18 vgl. Lütteken, op. cit., 248.
19 vgl. Janz, op. cit., 56.
20 vgl. Lütteken, op. cit., 248.
21 vgl. Janz, op. cit., 58.
22 vgl. Voss, op. cit.,24.
23 vgl. Janz, op. cit., 59.
24 vgl. Ibid., 60.
25 vgl. Ibid., 62.
26 vgl. Janz, op. cit., 58.
27 Ibid., 61.
28 vgl. Ibid.
29 Waldenfels zit. bei Janz, op. cit., 61.
30 vgl. Nietzsche zit. bei Janz, op. cit., 9.
31 vgl. Janz, op. cit., 61.
32 Ibid., 62.
33 vgl. Janz, op. cit., 63sq.
34 vgl. Ibid., 63.
35 vgl. Ibid., 70.
36 vgl. Ibid., 71.
37 vgl. Janz, op. cit., 72.
38 vgl. Ibid., 73.