Für neue Autoren:
kostenlos, einfach und schnell
Für bereits registrierte Autoren
Hausarbeit (Hauptseminar), 2011
36 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
1.1. Methodisches Vorgehen
1.2. Forschungsstand und Literaturhinweise
2. Begriffsdefinitionen
3. Der Totalitarismusbegriff nach Friedrich und Brzezinski
4. Der italienische Faschismus
4.1. Entstehungsbedingungen der faschistischen Bewegung
4.2. Anfänge der faschistischen Bewegung 1919-1922
4.3. Entwicklung des faschistischen Diktaturregimes 1922-1929
4.4. Konsolidierung und Radikalisierung des Regimes 1929-1943
4.5. Die italienische Sozialrepublik 1943-1945
5. Fazit: War der italienische Faschismus totalitär?
Literaturverzeichnis
Der Aufstieg des italienischen Faschismus nach dem Ersten Weltkrieg ist, und darin stimmen nahezu sämtliche Forscher und Theoretiker überein, das Ergebnis tiefgreifender ökonomischer und gesellschaftlicher Krisenerscheinungen gewesen.[1]
Besonders das von vielen Italienern gefürchtete Gespenst einer die Nation überrennenden sozialistischen Revolution hat der faschistischen Bewegung starken Auftrieb gegeben. Aber auch andere Faktoren, wie z. B. das Problem des unvollendeten Nationalstaates, spielten eine gewichtige Rolle. Viele bürgerliche und aristokratische Herrschaftseliten sahen den italienischen Nationalstaat als lediglich fragmentiert an, da bei der Gründung nicht alle beanspruchten Gebiete dem neuen Staat eingegliedert werden konnten. Mit der Zeit entwickelte sich aus dieser Unzufriedenheit ein imperialistisch aufgeladener Nationalismus, der trotz einiger territorialer Zugeständnisse auf der Pariser Friedenskonferenz nicht befriedigt werden konnte. Vielmehr entwickelte sich ein Gefühl ungerechter Behandlung, welches sich in der Wahrnehmung eines „verstümmelten Sieges“ offenbarte.[2]
Zusammen mit der Schwäche des italienischen Liberalismus als auch mit den Problemen des organisierten Kapitalismus, auf die an anderer Stelle genauer verwiesen wird, hatte sich eine umfassende gesamtgesellschaftliche Krise entwickelt.[3]
Das gewaltsame Vorgehen des Faschismus in dieser Krisensituation, vor allem gegen die Sozialisten, die besonders bei den traditionellen Herrschaftseliten des Landes Angst geweckt und diese verunsichert hatten, führte in nicht sozialistischen Kreisen zu der Ansicht, dass die Faschisten als Hüter der bestehenden Ordnung auftraten. Folglich ließen sich besonders konservative Kräfte immer wieder auf ein Zusammengehen mit dem Faschismus ein, was in hohem Maße darauf zurückzuführen ist, dass diese entweder nicht begriffen, dass die Faschisten auch ihre eigene politische Hegemonie bedrohten oder sie daran glaubten die faschistische Bewegung politisch einbinden und so mäßigen zu können. Dass die Faschisten dann 1922 trotzdem die Macht übernehmen und Italien ihr eigenes System aufzwängen konnten, ist hauptsächlich der o. g. politischen Unterschätzung der faschistischen Bewegung geschuldet.[4]
Was aber war der Faschismus für eine Bewegung? Welche Ziele verfolgte er und wodurch ist seine Herrschaft charakterisiert? Diesen Fragen soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Besonders aber spielt die Untersuchung und Beantwortung der Frage, ob der Faschismus als ein totalitäres Regime gelten kann, hierbei eine entscheidende Rolle und soll daher das weitere Vorgehen wie einen roten Faden durchziehen. Die Frage nach dem Totalitarismus ist gerade deswegen interessant, da der Faschismus sich in seiner Selbstdefinition durchaus einen totalitären Anspruch gegeben hat.[5]
Als Maßstab dient hier das sechs Punkte umfassende Totalitarismusmodell von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski, welches von beiden Forschern in den 50er Jahren entwickelt wurde und zu jenem Zeitpunkt neben der Phänomenologie des Totalitarismus von Hannah Arendt als Höhepunkt der Bemühungen um ein Modell des Totalitarismus angesehen werden muss.[6]
Insgesamt ist die vorliegende Arbeit in sechs Kapitel gegliedert. Nachdem im ersten Kapitel eine kurze Themeneinführung gegeben wurde und sowohl Forschungsstand diskutiert als auch auf relevante Literatur verwiesen worden ist, werden im zweiten Kapitel die Begriffe demokratisch, autoritär und totalitär im Sinne der Definitionen von Robert Dahl und Juan Linz näher bestimmt. Das dient vor allem der klaren Abgrenzung der Begrifflichkeiten, die für den weiteren Verlauf der Arbeit als wichtig erscheinen.
Daraufhin wird dann im dritten Kapitel das Totalitarismusmodell von Friedrich und Brzezinski vorgestellt. Obwohl dieses Modell in der vorliegenden Arbeit als absoluter Maßstab für die mögliche Einordnung des italienischen Faschismus als totalitäres Regime angesehen wird, kann die Totalitarismuskonzeption von Linz am Rande der Arbeit einbezogen werden, um eine breitere Sichtweise des Totalitarismusproblems zu ermöglichen. Anschließend stehen dann die Entstehungsgeschichte des Faschismus, ihr Aufstieg, die Machtergreifung, die Ausübung der faschistischen Diktatur und ihr Untergang im Vordergrund der Betrachtungen. Die verschiedenen Phasen des Faschismus, die hier nacheinander systematisch bearbeitet werden, erhalten dabei einen konkreten Bezug zum Modell Friedrichs und Brzezinski, indem in den verschiedenen Phasen nach den typischen sechs totalitären Charakteristika in der Herrschaftsausübung des faschistischen Regimes
gesucht wird. Abschließend kann dann, nachdem der Charakter des Faschismus ausreichend untersucht wurde, im fünften Kapitel die Frage beantwortet werden, ob es sich beim italienischen Faschismus um ein totalitäres oder eher autoritäres Regime handelt.
Sowohl die Erforschung des Totalitarismus als auch des italienischen Faschismus ist weit fortgeschritten. Beide Begriffe sind nahezu zeitgleich entstanden, da mit dem Aufkommen der faschistischen Bewegung auch erstmals die Bezeichnung „totaler Staat“ verwendet wurde, welche von dem liberalen, antifaschistischen Führer Giovanni Amendola stammte, der sie verwendete, um die diktatorischen Extreme zu bezeichnen, zu denen die Regierung Mussolinis seiner Ansicht nach führen würde.[7]
Der Begriff des totalen Staates wurde später auch auf andere Systeme mit umfassenden Herrschaftsanspruch angewendet, wie z. B. auf die Sowjetunion Stalins oder Nazideutschland. In der Forschung war und ist der Begriff weitgehend umstritten, da er einerseits als politischer Kampfbegriff diente, andererseits aber eine wissenschaftlich-politologische Berechtigung erhalten sollte, was sich aufgrund seiner Komplexität als äußerst schwierig erwies. Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Totalitarismusforschung hat Klaus Hildebrand mit seinem Aufsatz „Stufen der Totalitarismus-Forschung“ geleistet, in dem er ausgehend von den Anfängen der Totalitarismusforschung die beiden großen Konzeptionen von Hannah Arendt und Carl Joachim Friedrich (zusammen mit Zbigniew Brzezinski) vorstellt und anschließend den Weg in die neuere und aktuellere Totalitarismusforschung beschreitet. Hierbei spielt der Verweis auf die Kritik an den genannten Autoren und die Entwicklung neuerer Modelle durch Forscher wie z. B. Renate Müller oder Werner Wolfgang, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, eine wichtige Rolle.[8]
Dennoch haben sicherlich vor allem Friedrich und Brzezinski, die erstmals systematisch mehrere gemeinsame Merkmale totalitärer Diktaturen herausgearbeitet haben, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Totalitarismus geleistet. Aus diesem Grund stützt sich der Autor dieser Arbeit auf die Merkmale der totalitären Diktatur, die in dem Aufsatz „Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur“ erarbeitet wurden.[9]
Auch bez. der Erforschung des italienischen Faschismus sind im Laufe der Jahre zahlreiche Beiträge entstanden, von denen hier nur die wichtigsten für die vorliegende Arbeit genannt werden können. Vor allem aktuelle Beiträge, wie z. B. der Abschnitt über das faschistische Italien von Hans Woller aus seinem Werk „Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert“, in dem er neben der innenpolitischen Entwicklung Italiens den Fokus primär auf die imperialen Ambitionen des Landes legt und dabei den Krieg in Abessinien und die Annäherung an das Deutsche Reich umfassend thematisiert[10] oder das Buch „Der italienische Faschismus“ von Wolfgang Schieder, in dem eine umfassende Gesamtübersicht mit einer systematischen Phaseneinteilung, die mit Abstrichen vom Autor dieser Arbeit so übernommen wurde, gegeben wurde[11], waren bei der Bearbeitung des Themas von herausragender Bedeutung. Darüber hinaus hat Stanley Payne mit seinem Werk „Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung“ eine umfassende Geschichte des europäischen Faschismus geliefert, in der eine weit gefasste Gesamtdarstellung des italienischen Faschismus enthalten ist.[12]
Zuletzt wäre dann noch Ernst Nolte zu nennen, der in seinem Werk „Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise. Italienischer Faschismus, Nationalsozialismus“ eine vergleichende Perspektive der verschiedenen faschistischen Bewegungen in Deutschland, Frankreich und Italien eingenommen und bez. Italien besonders die gewalttätige Praxis und den Aktionismus der Faschisten zum Gegenstand seiner Untersuchungen gemacht hat.[13]
Um eine klare Abgrenzung der Begriffe demokratisch, autoritär und totalitär, die im weiteren Verlauf der Arbeit für die Beschreibung des jeweiligen Regimes zu einem bestimmten Zeitpunkt enorm wichtig sind, zu ermöglichen, müssen die Begriffe im Folgenden eine konkrete Definition erhalten.
Hierbei wird auf das acht Punkte umfassende minimalistische Demokratiemodell Robert Dahls zurückgegriffen und eine Unterscheidung von autoritären und totalitären Herrschafts-formen anhand der Kriterien von Juan Linz vorgenommen. Dahl unterscheidet bei seinem Modell zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Demokratie. Als notwendige Bedingungen versteht Dahl dabei vor allem pluralistischen Wettbewerb und politische Partizipation. Diese Bedingungen müssen jedoch institutionell abgesichert werden, durch Assoziations- und Koalitionsfreiheit, Meinungsfreiheit, aktives sowie passives Wahlrecht, das Recht politischer Eliten um Wählerstimmen zu konkurrieren, Pluralismus von Informationsquellen, freie und faire Wahlen und Institutionen, die die Regierungspolitik von Wählerstimmen und anderen Ausdrucksformen der Bürgerpräferenzen abhängig machen.[14]
Sind alle diese Bedingungen erfüllt, kann nach Dahls minimalistischer Definition von Demokratie gesprochen werden.
Für autoritäre Systeme hat Juan Linz die einflussreichste politikwissenschaftliche Definition vorgelegt.[15]
Für ihn sind es vor allem drei Merkmale, die autoritäre von demokratischen wie totalitären Systemen unterscheiden. Autoritäre Systeme verfügen erstens über einen eingeschränkten politischen Pluralismus; zweitens besitzen sie keine alle Lebensbereiche durchdringende Ideologie, dafür aber ausgeprägte Mentalitäten und drittens findet keine extensive oder intensive politische Mobilisierung, von einigen Momenten ihrer Entwicklung abgesehen, statt.[16]
Demgegenüber verfügen totalitäre Regime über eine monistische Herrschaftsstruktur, die jede Art des Pluralismus ausschließt. Desweiteren legitimieren sie sich über eine umfassende alle Lebensbereiche durchdringende Ideologie und sind durch eine von oben inszenierte, kontrollierte und dauerhafte Mobilisierung der Bevölkerung gekennzeichnet.[17]
An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Definitionen autoritärer und totalitärer Systeme von Juan Linz dem im folgenden Kapitel vorgestellten sechs Punkte umfassenden Modell von Friedrich und Brzezinski nicht entgegensteht, sondern vielmehr als Ergänzung fungiert. Wie in der Einleitung erwähnt soll die Frage, ob der italienische Faschismus totalitär gewesen sei, hauptsächlich anhand des Modells von Friedrich und Brzezinski beantwortet werden, wobei die Definitionen von Linz, aufgrund ihrer strikten Trennungslinien, am Rande aber ebenfalls Berücksichtigung finden soll.
Friedrich und Brzezinski sehen den Kern totalitärer Systeme vor allem in sechs gemeinsamen Merkmalen begründet, die, wie sie betonen, alle erfüllt sein müssen, damit überhaupt von Totalitarismus gesprochen werden kann.[18]
Darum erscheint eine sinngemäße Darlegung der Merkmale an dieser Stelle als notwendig.
Erstens muss es eine offizielle und ausgearbeitete Ideologie geben. Sie bildet praktisch ein offizielles Lehrgebäude, welches versucht alle lebenswichtigen Bereiche des menschlichen Zusammenlebens und der menschlichen Existenz zu umfassen und zu durchdringen. An diese Ideologie müssen sich die in der Gesellschaft Lebenden zumindest passiv halten. Sie ist auf einen idealen Endzustand der Menschheit ausgerichtet, den sie anstrebt und enthält eine chiliastische Forderung (z.B. Errichtung eines tausendjährigen Reiches), die gegründet ist auf der radikalen Ablehnung der bestehenden Gesellschaft mit der Forderung nach der Eroberung der Welt für die neue.[19]
Zweitens ist charakteristischerweise eine einzige Massenpartei vorhanden, die in der Regel von einem einzigen Diktator geführt wird. Sie besteht aus einem relativ niedrigen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung (bis zu zehn Prozent). Männer und Frauen können gleichermaßen Mitglied in ihr sein, in der ein fester Stamm der Ideologie ohne Vorbehalte und leidenschaftlich anhängt und dabei bereit ist, die Durchsetzung ihrer allgemeinen Übernahme in jeder Weise zu fördern. Eine solche Partei ist hierarchisch und oligarchisch organisiert und typischerweise der Staatsbürokratie übergeordnet oder mit ihr völlig verflochten.[20]
Drittens muss ein Terrorsystem vorhanden sein, welches auf psychischer, sowie physischer Grundlage Terror ausübt. Dieses ist durch eine Partei- oder Geheimpolizei-Kontrolle verwirklicht, die für ihre Führer auch die Partei selbst überwacht. Terror wird nicht nur gegen erwiesene „Feinde“ des Systems angewendet, sondern auch gegen mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Klassen der Bevölkerung. Der Terror macht sich dabei die moderne Wissenschaft zunutze, ganz besonders die wissenschaftliche Psychologie.[21]
Viertens ist ein technologisch bedingtes nahezu vollständiges Monopol der Kontrolle über alle wirksamen Mittel der Massenkommunikation, wie Presse, Funk und Film notwendig. Dieses liegt in den Händen von Partei und Staat.[22]
Fünftens muss es ein gleichermaßen technologisch bedingtes, nahezu vollständiges Monopol über die wirksame Anwendung von Kampfwaffen geben.[23]
Sechstens existiert eine zentrale Überwachung und Lenkung der gesamten Wirtschaft durch die bürokratische Koordinierung vorher unabhängiger Rechtskörperschaften, charak-teristischerweise unter dem Einfluss der meisten anderen Gesellschaften und Konzerne.[24]
Diese sechs Merkmale können nach Friedrich und Brzezinski als Minimalvoraussetzung für ein totalitäres System gelten, was allerdings die Existenz anderer gemeinsamer, bisher noch nicht entdeckter Merkmale nicht ausschließt.
Die Entstehung des Faschismus in Italien nach dem Ersten Weltkrieg ist auf das Zusammenwirken einer Reihe von Faktoren zurückzuführen, die speziell durch ihr gemeinsames Auftreten eine gesamtgesellschaftliche Krise auslösten und bei der Bevölkerung das Vertrauen in den liberalen Staat erschütterten. Um insgesamt ein besseres Verständnis für den Aufstieg des Faschismus zu ermöglichen, müssen die wichtigsten dieser Faktoren hier erläutert werden. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, spielte dabei der nach Ansicht vieler Italiener unvollendete Nationalstaat eine wichtige Rolle. Denn weil bei der Gründung des italienischen Staates nicht alle beanspruchten Gebiete dem neu entstandenen Land einverleibt werden konnten, entwickelte sich ein starker Nationalismus, der vor allem die Integration der „unerlösten“ Gebiete anstrebte, wegen seiner liberalen Unterfütterung aber zunächst in Zaum gehalten werden konnte.[25]
Erst um die Jahrhundertwende schlug die national-liberale Ideologie in einen militanten, imperialistisch aufgeladenen Nationalismus um, der Italien im Jahre 1911 in den Libyenkrieg und 1915 in den Ersten Weltkrieg führte.[26]
Nach Beendigung des Weltkrieges, den Italien an der Seite der Sieger geführt hatte, war die Euphorie innerhalb der Bevölkerung zunächst groß und es keimten Hoffnungen auf die endgültige Vollendung des Nationalstaates und die Lösung der Probleme Italiens. Diese Hochstimmung hielt aber nicht lange an, da auf der Friedenskonferenz in Paris offensichtlich wurde, dass nicht alle nationalen Ambitionen Italiens erfüllt werden sollten. Denn sowohl der größte Teil Dalmatiens als auch die Stadt Fiume, die Italien für sich beanspruchte, wurden dem neu gegründeten Jugoslawien zugeschlagen.[27]
Somit war das Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz weit entfernt von den imperialistischen Maximalforderungen, obwohl objektiv betrachtet die Gebietsgewinne keineswegs schlecht ausfielen. Denn mit Südtirol, dem Trentino, Triest, Julisch-Venetien, Istrien und Teilen Dalmatiens konnte Italien beträchtliche Gebietsgewinne verzeichnen.[28]
Dennoch fühlten sich viele Nationalisten um die Früchte ihres Sieges betrogen. In diesem Zusammenhang entwickelte sich das Schlagwort vom „verstümmelten Sieg“, dem italienischen Pendant zur deutschen Dolchstoßlegende, welches vor allem die Enttäuschung vieler Italiener über die Ergebnisse des Krieges wiederspiegelte und sich als politische Waffe sowohl gegen die Alliierten als auch gegen die politische Linke, die den Krieg ja größtenteils abgelehnt hatte, verwenden ließ.[29]
Die Folge des nun nach wie vor unbefriedigten Nationalismus war seine zunehmende Radikalisierung, die mit der Besetzung der Stadt Fiume durch den Dichter Gabriele D’Annunzio mit einer Truppe meuternder Soldaten einen ersten Höhepunkt erlebte. Ermöglicht wurde dieses illegale Vorgehen durch die enormen Schwächen des liberalen Staates und seiner Organe, die den späteren Aufstieg des Faschismus, der sich den radikalen Nationalismus zu Eigen machte, wesentlich erleichterten.[30]
Diese Schwächen resultierten aus unterschiedlichen Gründen. Obwohl Italien bei seiner Gründung ein vergleichsweise modernes Regierungssystem geschaffen hatte, zeigte sich schon Ende des 19. Jahrhunderts die Unfähigkeit des Liberalismus organisierte Parteien aufzubauen. Vielmehr standen sich im Parlament lediglich zwei große liberale, nicht klar voneinander abgrenzbare Blöcke der „Destra“ und der „Sinistra“ gegenüber, die abwechselnd die Regierung stellten. Diese Tatsache führte schon früh zu Wahlmanipulationen und parlamentarischer Korruption. In der Ära von Giovanni Giolitti, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Ministerpräsident gewesen war, lösten sich die Parlamentsparteien sogar vollends auf. An ihre Stelle trat die politische Praxis des „Trasformismo“, in dem der Ministerpräsident keine Mehrheiten durch Bündnisse verschiedener Parlamentsfraktionen aufstellte, sondern sie sich mit Hilfe eines ausgeklügelten Systems klientelistischer Abhängigkeiten jeweils zusammensuchte.[31]
Ein weiteres Problem stellte in diesem Zusammenhang die Abschottung der liberalen Führungsschichten dar, die sich oligarchisch abschlossen und das Wahlrecht zu ihren Gunsten beschränkten. Ihr Ziel war dabei hauptsächlich der Schutz vor dem nur wenig kalkulierbaren Verhalten der Unterschichten. Besonders aber seit der Gründung der Sozialistischen Partei (PSI) machte sich in den bürgerlichen Schichten die Angst vor einer sozialistischen Revolution breit. Dieses exklusive System oligarchischer Abschottung wurde erst im Jahre 1919 durchbrochen als Italien das allgemeine Wahlrecht für Männer einführte, was bei den Wahlen 1919 bewirkte, dass die Sozialisten mit 156 Sitzen und die neu gegründete katholische Partito Popolare Italiano (PPI) mit 100 Sitzen die Parlamentsmehrheit erhielten. Lediglich die übrigen 252 Sitze entfielen auf das bürgerliche Lager.[32]
Verkompliziert wurde diese Situation jedoch dadurch, dass weder das bürgerliche Lager mit den Sozialisten oder den Katholiken, noch beide Parteien untereinander eine Koalition eingehen wollten. Diese Unfähigkeit zu Kompromissen ist in besonderem Maße der inneren Spaltung der Parteien geschuldet. Innerhalb der Sozialisten standen sich Reformisten und Revolutionäre unversöhnlich gegenüber (1921 Abspaltung vieler Revolutionäre zur Kommunistischen Partei). Der PPI war in Christliche Demokraten und Konservative gespalten und das bürgerliche Lager war in zahlreiche weniger richtungspolitische als personenorientierte Gruppierungen zersplittert.[33]
Der katastrophale Zustand der im Parlament vertretenen politischen Parteien offenbarte die Schwächen des liberalen Verfassungsstaates, der, aufgrund der politischen Ausrichtung der wichtigsten Parteien, ihrer inneren Zersplitterung und ihrer Unfähigkeit Koalitionen zu bilden, nicht zur Selbstregulierung in der Lage war. In der Konsequenz kam es zu zahlreichen
Streitigkeiten und Uneinigkeiten, die ein gut organisiertes Krisenmanagement und ein hartes Durchgreifen des Staates gegen illegale Handlungen wie den Einmarsch von D’Annunzio in die Stadt Fiume verhinderten.[34]
[...]
[1] Wippermann, Wolfgang: Europäischer Faschismus im Vergleich (1922-1982), Frankfurt a. M. 1983, S. 22.
[2] Schieder, Wolfgang: Der italienische Faschismus 1919-1945, München 2010, S. 12-13.
[3] ebd., S. 16.
[4] ebd., S. 16-17.
[5] Payne, Stanley: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001, S. 161-162.
[6] Hildebrand, Klaus: Stufen der Totalitarismus-Forschung, in: Jesse, Eckhard (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert, 2. Aufl., Baden-Baden 1999, S. 78-79.
[7] Payne, Stanley: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001, S. 161-162.
[8] vgl. Hildebrand, Klaus: Stufen der Totalitarismus-Forschung, in: Jesse, Eckhard (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert, 2. Aufl., Baden-Baden 1999, S. 70-94.
[9] vgl. Brzezinski, Zbigniew/Friedrich, Carl Joachim: Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur, in: Jesse, Eckhardt (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, 2. Aufl., Baden-Baden 1999, S. 225-236.
[10] vgl. Woller, Hans: Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München 2010.
[11] vgl. Schieder, Wolfgang: Der italienische Faschismus 1919-1945, München 2010.
[12] vgl. Payne, Stanley: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001.
[13] vgl. Nolte, Ernst: Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise. Italienischer Faschismus. Nationalsozialismus, 6. Aufl., München 1984.
[14] Dahl, Robert: Polyarchy. Participation and Opposition, New Haven 1971, S. 2-6.
[15] Merkel, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, 2. Überarb. und erw. Aufl., Wiesbaden 2010, S. 41-42.
[16] Linz, Juan: Totalitäre und autoritäre Regime, 3. überarb. Aufl., Potsdam 2009, S. 129.
[17] Merkel, Wolfgang: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, 2. Überarb. und erw. Aufl., Wiesbaden 2010, S. 41-42.
[18] Brzezinski, Zbigniew/Friedrich, Carl Joachim: Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur, in: Jesse, Eckhardt (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung, 2. Aufl., Baden-Baden 1999, S. 230.
[19] ebd., S. 230-231.
[20] ebd.
[21] ebd.
[22] ebd.
[23] ebd.
[24] ebd.
[25] Schieder, Wolfgang: Der italienische Faschismus 1919-1945, München 2010, S. 12-13.
[26] ebd.
[27] Procacci, Giuliano: Geschichte Italiens und der Italiener, München 1989, S. 347-348.
[28] Woller, Hans: Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 80-81.
[29] ebd.
[30] Carsten, Francis: Der Aufstieg des Faschismus in Europa, Frankfurt a. M. 1968, S. 58-59.
[31] Schieder, Wolfgang: Der italienische Faschismus 1919-1945, München 2010, S. 13-14.
[32] ebd.
[33] ebd.
[34] ebd.
Hausarbeit, 18 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Mittel- und Südamerika
Hausarbeit (Hauptseminar), 20 Seiten
Soziologie - Krieg und Frieden, Militär
Referat (Ausarbeitung), 16 Seiten
Geschichte Europa - and. Länder - Zeitalter Weltkriege
Hausarbeit, 19 Seiten
Politik - Politische Systeme - Historisches
Hausarbeit (Hauptseminar), 26 Seiten
Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg
Hausarbeit, 27 Seiten
Politik - Internationale Politik - Allgemeines und Theorien
Magisterarbeit, 107 Seiten
Politik - Politische Theorie und Ideengeschichte
Bachelorarbeit, 38 Seiten
Romanistik - Italienische u. Sardische Sprache, Literatur, Landeskunde
Hausarbeit (Hauptseminar), 23 Seiten
Politik - Politische Systeme - Allgemeines und Vergleiche
Hausarbeit (Hauptseminar), 21 Seiten
Geschichte Europa - and. Länder - Zeitalter Weltkriege
Hausarbeit (Hauptseminar), 38 Seiten
Hausarbeit, 18 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Mittel- und Südamerika
Hausarbeit (Hauptseminar), 20 Seiten
Soziologie - Krieg und Frieden, Militär
Referat (Ausarbeitung), 16 Seiten
Geschichte Europa - and. Länder - Zeitalter Weltkriege
Hausarbeit, 19 Seiten
Politik - Politische Systeme - Historisches
Hausarbeit (Hauptseminar), 26 Seiten
Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg
Hausarbeit, 27 Seiten
Politik - Internationale Politik - Allgemeines und Theorien
Magisterarbeit, 107 Seiten
Politik - Politische Theorie und Ideengeschichte
Bachelorarbeit, 38 Seiten
Romanistik - Italienische u. Sardische Sprache, Literatur, Landeskunde
Hausarbeit (Hauptseminar), 23 Seiten
Politik - Politische Systeme - Allgemeines und Vergleiche
Hausarbeit (Hauptseminar), 21 Seiten
Geschichte Europa - and. Länder - Zeitalter Weltkriege
Hausarbeit (Hauptseminar), 38 Seiten
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare