Der 1. Mai, der in der heutigen Bundesrepublik ein gesetzlicher Feiertag ist, verkörpert eine lange und bewegte Geschichte als Maifeiertag, Tag der Arbeit und Kampftag der Arbeiterbewegung. Dabei verdankt er seinen politischen Impetus und seine Massenwirksamkeit der Kombination von politischer Forderung und ästhetischem Ritualismus. Als traditioneller Anfangstermin der bäuerlichen Sommerarbeit wurde das kalendarische Datum in der Landwirtschaft genauso zelebriert wie in der Politik, wo der Tag einen Aktionsrahmen zur Entfaltung politischer Perspektiven und öffentlicher Kundgebungen bot. Im Folgenden möchte ich auf die Symbolgeschichte des 1. Mai als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen eingehen.
Inhalt
I. Die Anfänge
II. Symbole
III. Die Bedeutung der roten Fahne
IV. Historische Meilensteine
V. Der 1. Mai in der BRD: Inhalte der Maiparolen
VI. Gestern wie heute: menschliche Würde und gerechter Lohn
Literaturverzeichnis:
Abbildungen:
Der 1. Mai, der in der heutigen Bundesrepublik ein gesetzlicher Feiertag ist, verkörpert eine lange und bewegte Geschichte als Maifeiertag, Tag der Arbeit und Kampftag der Arbeiterbewegung. Dabei verdankt er seinen politischen Impetus und seine Massenwirksamkeit der Kombination von politischer Forderung und ästhetischem Ritualismus. Als traditioneller Anfangstermin der bäuerlichen Sommerarbeit wurde das kalendarische Datum in der Landwirtschaft genauso zelebriert wie in der Politik, wo der Tag einen Aktionsrahmen zur Entfaltung politischer Perspektiven und öffentlicher Kundgebungen bot. [1] Im Folgenden möchte ich auf die Symbolgeschichte des 1. Mai als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen eingehen.
I. Die Anfänge
Die Geburtsstunde der europäischen Gewerkschaftsgeschichte ist zurückzuführen auf die Versammlung des internationalen Arbeiterkongresses 1889 in Paris.
In diesem Jahr wurde am 20. Juli beschlossen, dass eine große internationale Manifestation zu organisieren sei, und zwar dergestalt, dass gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten die Arbeiter an einem bestimmten Tag an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des internationalen Kongresses von Paris zur Ausführung zu bringen.[2] Dieses Datum wurde in Anbetracht der Tatsache gewählt, dass eine solche Kundgebung bereits von dem Amerikanischen Arbeiterbund auf seinem im Dezember 1888 zu St. Louis abgehaltenen Kongress für den 1. Mai 1890 beschlossen worden war.[3] Obwohl die Arbeiter der britischen Kolonie Victoria in Australien bereits seit 1856 jährlich am 21. April ihren Sieg im Kampf um den Achtstundentag feierten, und die Arbeiter Manchesters seit 1834 den 1. März zu ihrem Streiktag bestimmten, orientierte man sich an den Vereinigten Staaten und übernahm den 1. Mai als Tag der internationalen Kundgebung.[4]
Hiermit wollte man jenen Menschen ein Denkmal setzen, die bei der Demonstration auf dem Heumarkt in Chicago in den ersten Maitagen des Jahres 1886 ihren Tod fanden.[5] Weiterhin war man bemüht, dem in den USA am 1. Mai 1886 begonnenen mehrtägigen Generalstreik um die bescheidene Magna Charta eines beschränkten Arbeitstages rückwirkend eine Bedeutung zuteil werden zu lassen, die über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinausging.
Debatten über den Charakter des Maifeiertages und das Image des Rebellensonntags führten ein Jahr später auf dem Internationalen Arbeiterkongress 1891 in Brüssel zu einem ersten Antrag für einen erweiterten Kampftag gegen Krieg und Militarismus.[6]
Es waren insbesondere die Engländer, die glaubten, die Maifeier mit einer internationalen Friedensdemonstration verbinden zu können. Die Trade Unions erklärten, dass ihnen die Abhaltung der Maifeier und die Arbeitsruhe erleichtert werde, wenn der internationale Frieden mit zum Gegenstand der Maidemonstration gemacht werde.[7] Da der 1. Mai kein Parteitag werden sollte, musste das Arrangement so getroffen werden, dass jede Arbeiterin und jeder Arbeiter grundsätzlich daran teilnehmen konnte.
Man wollte nicht auf die Verschiedenheit im Besonderen, sondern auf die Gleichheit im Allgemeinen aufmerksam machen. In Deutschland wurde auf dem Parteitag in Leipzig 1909 beschlossen, die Vorbereitung der Maifeiern in die Hände örtlicher Kommissionen zu legen. Erst am 17. April 1919 erhob die verfassungsgebende Nationalversammlung den 1. Mai in den Rang eines gesetzlichen und damit tariflich geregelten Feiertags, indem sie beschloss, dass ein allgemeiner Feiertag eingeführt werde, der dem Gedanken des Weltfriedens, des Völkerbundes und des internationalen Arbeiterschutzes geweiht sei und für den der Charakter eines Weltfeiertages erstrebt werde.[8]
Mit dem 1. Mai 1933 begann eine neue Phase der Maifeierbewegung, ideologisch und organisatorisch bis ins kleinste Detail vorbereitet. Die Nationalsozialisten hatten diesen Tag bis in die Dramaturgie der Großkundgebungen hinein präpariert, um ihn zu einer Demonstration deutschen Volkswillens und zum Tag der deutschen Arbeit umzugestalten.[9] Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der 1. Mai als Feiertag in beiden Teilstaaten beibehalten. Während sich der 1. Mai in der westdeutschen Nachkriegszeit als Reaktion auf den Symbolmissbrauch im Nationalsozialismus eher asketisch gab[10], avancierte er in der DDR zu einem aufwendig arrangierten Staatsfeiertag, der als Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus im Gedächtnis der Menschen verankert war.[11]
II. Symbole
Ein Blick auf die Symbolgeschichte zeigt, dass die Begründer der proletarischen Maifeier nicht mit allen Traditionsbindungen des bürgerlichen Kalendariums brachen. Zwar hatte der Amerikanische Arbeiterbund seine Demonstrationen aus rein praktischen Gründen auf den 1. Mai gelegt, da dieser Tag ein moving day war, der als Stichtag für den Abschluss von Arbeitsverhältnissen galt, doch stellte die Wahl des Datums auch den Anfangstermin für die bäuerliche Sommerarbeit dar, womit der politische Aktionsrahmen in gewisser Weise zusätzlich mit volkstümlichen und bäuerlichen Vorstellungen angereichert wurde.
Hieraus entstand die Polarität von Kampf- und Festtag, welche die Entwicklung der Kultur- und Symbolgeschichte, der Dichtung und bildlichen Darstellung des 1. Mai über viele Jahrzehnte hinweg bis in die Gegenwart hinein prägte.
III. Die Bedeutung der roten Fahne
Gestik und Pathos, symbolische Handlung und politische Liturgie prägten eine bildliche Ikonographie, deren Herleitung und Umdeutung am Beispiel der roten Fahne besonders gut aufgezeigt werden kann.
Erstmalig nachweisbar wurden roten Fahnen als Feldzeichen im Iran verwandt.[12] Sie wurden als Flammen- und Feuerfahne an die Reiterlanze gebunden und galten als Sendboten des Sieges. Fahnen, die auf rotem Grund ein weißes Kreuz tragen, haben ihren Ursprung in den Kreuzzügen[13], gleichwohl wir dieses Motiv bis in die heutige Zeit in der Flagge der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Dannebrog des Königreiches Dänemark tradiert finden. Nun bleibt zu fragen, zu welchem Zeitpunkt sich die rote Farbe im revolutionären, politischen Diskurs durchsetzen konnte.
Im Altertum war Rot die Farbe des Friedensangebotes und des Ausnahmezustandes zugleich: Als Farbe des Blutes und des Feuers erschien sie den Menschen besonders heilig und zauberkräftig.[14] Im Mittelalter verkörperte sie weltliche und geistliche Obrigkeit, denn rot war der Richterstab und das Gewand des Hohenpriesters. Rot waren auch die Amulette, die anlässlich der großen Wendepunkte des menschlichen Lebens (Geburt, Hochzeit, Tod) getragen wurden, und rot war mitunter sogar der Sternenhimmel auf Gemälden.[15]
Im ausgehenden Mittelalter fand die rote Fahne Aufnahme im Brauch der lokalen Rechtspflege, der Gesellenverbände und Zünfte, nicht selten als Zeichen von Wehrhaftigkeit und Eigengerichtsbarkeit.[16]
Die frührevolutionären Bewegungen, sofern es sich um die Bezeugung revolutionärer Gesinnung handelte, kämpften jedoch zunächst unter schwarzen und weißen Fahnen. Nicht die rote Fahne war das Revolutionsbanner von 1789, sondern die Trikolore, die Kombination des Blau-Rot der Pariser Munizipalität mit dem Weiß des Königtums.[17] Auch die Lyoner Seidenweber brachten im Verlaufe des blutigen Novemberaufruhrs im Jahre 1831 ihre Empörung und Trauer durch Vorantragen eines schwarzen Banners zum Ausdruck.[18]
Ein Nebeneinander von roten und schwarzen Fahnen war zuerst in Frankreich und der Schweiz festzustellen. Frühe Quellen, die den Einsatz eines roten Tuches belegen, zeigen, dass dieses Attribut in seiner Verwendung noch offen war und sich erst allmählich im politischen Diskurs durchsetzen konnte.
Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg wurde die rote Fahne zum Zeichen des politischen Freiheitskampfes im Jahre 1770. Revolutionäre Anhänger der so genannten Sons of Liberty hissten beim Harvard Campus ein rotes Tuch an einem hohen Nadelbaum.[19] Die Freiheitsfahne wurde mit der Aufschrift An Appeal to Heaven versehen, wodurch Gott zum Richter im Kampf um die Menschenrechte angerufen wurde und die rote Fahne noch an den Freiheitsbegriff libertas christiana gebunden war.[20]
In Frankreich erschien die rote Fahne anlässlich der Unruhen auf dem Champ de Mars am 17. Mai 1791 auf der politischen Bühne.[21] Die Pariser Munizipalbehörde hisste sie gemäß alter Sitten auf dem Hotel de Ville als Zeichen der Verhängung des Standrechtes. Vom demonstrierenden Volk wurde sie daraufhin mit wilden Schmährufen empfangen: Nieder mit der roten Fahne.[22]
[...]
[1] Siehe Nicola Hille, Streiflichter auf Ursprung und Symbolgeschichte des 1. Mai, in: Plakatjournal, Hannover, Heft 2/ 1997, S. 3-8.
[2] Siehe Udo Achten, Matthias Reichelt, Reinhard Schultz (Hg.), Mein Vaterland ist international. Internationale illustrierte Geschichte des 1. Mai 1886 bis heute, Oberhausen 1986, S. 20-21: Der Internationale Arbeiterkongress Paris 1889.
[3] Siehe Achten, Reichelt, Schultz (Hg.): Mein Vaterland ist international, 1986, S. 11-13: Zur Vorgeschichte des 1. Mai. Der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung.
[4] Ebd.
[5] Siehe Achten, Reichelt, Schultz (Hg.): Mein Vaterland ist international, 1986, S. 14-19: May Day and Haymarket Chicago 1886.
[6] Bericht der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zum Internationalen Arbeiterkongress in Brüssel über den Stand der Sozialdemokratischen Bewegung in Deutschland, Berlin 1891, Elektronische Ressource: Leipzig / Frankfurt am Main (Deutsche Nationalbibliothek) 2013.
[7] Friedrich Giovanoli, Die Maifeierbewebung. Ihre wirtschaftlichen und soziologischen Ursprünge und Wirkungen, Karlsruhe 1925.
[8] Justus H. Ulbricht, Weimar 1919 - Chancen einer Republik, Köln 2009.
[9] Wolfgang Kratzer, Feiern und Feste der Nationalsozialisten: Aneignung und Umgestaltung christlicher Kalender, Riten und Symbole, München 1998 sowie Christoph Wulf (Hg.), Die Kultur des Rituals: Inszenierungen, Praktiken, Symbole, Paderborn 2004 und Jürgen Dzudzek, Die "Gleichschaltung" der Gewerkschaften, Duisburg 1983.
[10] Siehe Dirk Schindelbeck, Kampf um die 40-Stunden-Woche: „Samstags gehört Vati mir“, in: Zeitschrift Damals, 3/1999, S. 8-12. Die 40-Stunden-Woche war eine der Hauptforderungen der Gewerkschaften in den 1950er Jahren.
[11] Siehe Ulrich Mählert, Gerd-Rüdiger Stephan, Blaue Hemden – Rote Fahnen. Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend, Opladen 1996.
[12] Siehe Whitney Smith, Ottfried Neubecker, Flags and arms across the world, München 1981 sowie Whitney Smith, Flags through the ages and across the world, Luzern 1975.
[13] Gottfried Korff, „Heraus zum 1. Mai“. Maibrauch zwischen Volkskultur, bürgerlicher Folklore und Arbeiterbewegung, in: Richard van Dülmen, Norbert Schindler (Hg.), Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags, Frankfurt am Main 1984, S. 246-281.
[14] Alexander Theroux, Rot. Anleitungen eine Farbe zu lesen, Hamburg 1998.
[15] Ebd.
[16] Herbert Meyer, Die rote Fahne. Begrüßungsansprache beim Göttinger Rechtshistorikertag zu Pfingsten 1929, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 50. Bd, Weimar 1930, S. 310-352.
[17] Dieter Fricke, Kleine Geschichte des ersten Mai. Die Maifeier in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main 1980.
[18] Ebd.
[19] Herbert Meyer, Die rote Fahne. in: Rechtsgeschichte, 1930, S. 310-352.
[20] Ebd.
[21] Peter Cardoff, Was gibt’s denn da zu feiern? Linke Festlichkeit von den Anfängen der Arbeiterbewegung bis heute, Wien 1983.
[22] Ludwig Hoffmann, Der 1. Mai ist rot. Anthologie für den internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, Leipzig 1961.