Individualisierung, Pluralisierung oder Flexibilisierung werden als Schlagwörter in der Arbeitssoziologie immer präsenter. Die hiermit gemeinten gesellschaftlichen Tendenzen zeigen sich unter anderem in den Veränderungen der Erwerbsbiographien – auch durch vielfältige und atypische Beschäftigungsformen –, in Form diskontinuierliche Erwerbsverläufe sowie der Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit.
Thematischer Grundgedanke dieser Hausarbeit ist die Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere hinsichtlich der Diskontinuität der Erwerbsbiographien. Mithilfe der Überlegungen des amerikanischen Soziologen Richard Sennett und des schweizer Soziologen Marin Kohli soll eine schwerpunktsetzende Einführung in das Thema gewährleistet werden. Dazu werden bezüglich zu Richard Sennett, Aspekte aus seinem Buch „Der flexible Mensch“ vorgestellt; innerhalb des Kapitels zu Martin Kohli wird sich hauptsächlich auf seine Gedanken zur De-Institutionalisierung des Lebenslaufs bezogen. Der Vorstellung dieser These geht eine vorangestellte Einführung zur Institutionalisierung des Lebenslaufs voraus, um eine ganzheitliche Verständlichkeit seiner Überlegungen zu ermöglichen. Diese Darstellung wichtiger Argumente innerhalb des Theoriehintergrunds dient der Untermauerung der fortführenden Argumentation in Kapitel drei zur Frage: „Wieso ist die Kompetenz zur Selbstgestaltung in zeitgenössischen Arbeitsformationen unabdingbar?“ Zur Aufklärung der Fragestellung werden die theoretischen Annahmen der beiden Soziologen in Bezug zu Diskontinuität der Erwerbsbiographien gestellt. Ziel dieser Arbeit ist es daher mithilfe der theoretischen Einführung, die Konsequenzen von Individualisierung und diskontinuierlichen Erwerbsbiographien darzustellen und anhand dessen, Selbstgestaltung als notwendige Kompetenz zu fundieren. Schlussendlich wird in Kapitel vier das Konstrukt der Selbstgestaltung in Zusammenhang mit den gewonnenen Kenntnissen konkreter ausdifferenziert. Ein zusammenfassendes Fazit bildet den Abschluss dieser Ausarbeitung.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. THEORIEHINTERGRUND
2.1. Richard Sennett: „Der flexible Mensch“
2.2. Martin Kohli: Individualisierung und De-Institutionalisierung des Lebenslaufs
2.2.1. De-Institutionalisierung des Lebenslaufs
3. DIE ERFORDERNIS VON SELBSTGESTALTUNG ALS KERNKOMPETENZ IN DER ZEITGENÖSSISCHEN ARBEITSWELT
3.1. Konsequenzen der Individualisierung und Diskontinuität der Erwerbsverläufe
4. DIMENSIONEN DER SELBSTGESTALTUNG
4.1. Organisatorische Dimension der Kompetenz zur Selbstgestaltung
4.2. Biographische Dimension der Kompetenz zur Selbstgestaltung
5. FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Argumentationsverlauf (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Ausdifferenzierung der Selbstgestaltungskompetenz (eigene Darstellung)
1. Einleitung
Individualisierung, Pluralisierung oder Flexibilisierung werden als Schlagwörter in der Arbeitssoziologie immer präsenter. Die hiermit gemeinten gesellschaftlichen Tendenzen zeigen sich unter anderem in den Veränderungen der Erwerbsbiographien - auch durch vielfältige und atypische Beschäftigungsformen -, in Form diskontinuierliche Erwerbsverläufe sowie der Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit.
Thematischer Grundgedanke dieser Hausarbeit ist die Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere hinsichtlich der Diskontinuität der Erwerbsbiographien. Mithilfe der Überlegungen des amerikanischen Soziologen Richard Sennett und des schweizer Soziologen Marin Kohli soll eine schwerpunktsetzende Einführung in das Thema gewährleistet werden. Dazu werden bezüglich zu Richard Sennett, Aspekte aus seinem Buch „Der flexible Mensch“ vorgestellt; innerhalb des Kapitels zu Martin Kohli wird sich hauptsächlich auf seine Gedanken zur De-Institutionalisierung des Lebenslaufs bezogen. Der Vorstellung dieser These geht eine vorangestellte Einführung zur Institutionalisierung des Lebenslaufs voraus, um eine ganzheitliche Verständlichkeit seiner Überlegungen zu ermöglichen. Diese Darstellung wichtiger Argumente innerhalb des Theoriehintergrunds dient der Untermauerung der fortführenden Argumentation in Kapitel drei zur Frage: „Wieso ist die Kompetenz zur Selbstgestaltung in zeitgenössischen Arbeitsformationen unabdingbar?“ Zur Aufklärung der Fragestellung werden die theoretischen Annahmen der beiden Soziologen in Bezug zu Diskontinuität der Erwerbsbiographien gestellt. Ziel dieser Arbeit ist es daher mithilfe der theoretischen Einführung, die Konsequenzen von Individualisierung und diskontinuierlichen Erwerbsbiographien darzustellen und anhand dessen, Selbstgestaltung als notwendige Kompetenz zu fundieren. Schlussendlich wird in Kapitel vier das Konstrukt der Selbstgestaltung in Zusammenhang mit den gewonnenen Kenntnissen konkreter ausdifferenziert. Ein zusammenfassendes Fazit bildet den Abschluss dieser Ausarbeitung.
2. Theoriehintergrund
2.1. Richard Sennett: „Der flexible Mensch“
Richard Sennet zeigt in seinem, in acht Kapitel untergliedertem Buch „Der flexible Mensch“ auf, wie der neue Kapitalismus „den Charakter des Menschen verdirbt“. „The Corrosion of Character“ heißt deshalb auch sein Buch in der amerikanischen Originalausgabe. Anhand der Themenschwerpunkte innerhalb der einzelnen Kapitel werden im Folgenden, die für den weiteren Verlauf prägnanten Aussagen zusammenfassend dargestellt.
Sennett spricht vom neuen Kapitalismus als der „flexible Kapitalismus“ (vgl. Sennett, 2006, S.10).
„Von den Arbeitnehmern wird verlangt, sich flexibler zu verhalten, offen für kurzfristige Veränderungen zu sein, ständig Risiken einzugehen und weniger abhängig von Regeln und förmlichen Prozeduren zu werden.“ (Sennett 2006, S.10)
Aus dieser, für das Kurzfristige ausgelegten Ökonomie folgt, dass langfristige Ziele nicht verfolgt werden können (vgl. Sennett, 2006, S.12); die Akteure müssen zum Beispiel auf kurzfristige Arbeitsverhältnisse eingehen (vgl. ebd., S.11). Der neue Kapitalismus ist nicht nur gekennzeichnet durch einen globalen Markt und den Gebrauch neuer Technologien, sondern auch durch die neuen Formen der Zeit, besonders der Arbeitszeitorganisation (vgl. ebd., S.25).
„Das sichtbarste Zeichen dieses Wandels könnte das Motto „nichts Langfristiges“ sein. In der Arbeitswelt ist die traditionelle Laufbahn, die Schritt für Schritt die Korridore von ein oder zwei Institutionen durchläuft, im Niedergang begriffen.“ (Sennett 2006, S.25)
Das neue Regime der kurzfristigen Zeit wird von einem Wandel der Unternehmensstruktur begleitet, dies beinhaltet zum Beispiel den Abbau von Bürokratien sowie flachere und flexiblere Organisationen (vgl. Sennett, 2006, S.26), denn flexible Organisationen können schneller verändert oder abgeschafft werden (vgl. ebd., S.27). All die benannten Punkte des flexiblen Kapitalismus bringen den arbeitstätigen Menschen zum sogenannten „Driften“. Eine Art zielloses Treiben, welches auch durch Veränderung gekennzeichnet ist (vgl. ebd., S.37). Die Akteure müssen sich somit immer neuen Aufgaben stellen, innerhalb derer das Scheitern als das große moderne Tabu gesehen wird (vgl. ebd., S.159). Sich neuen Aufgaben stellen bedeutet auch, die Routine zu verlassen. Dieses diskutiert er anhand der Debatte zur Routine von Adam Smith und Diderot. Er ist der Überzeugung, dass Routine der Vergangenheit angehört und sowohl positive als auch negative Aspekte beinhalten kann (vgl. ebd., S.54). Das Abwenden von Routine hin zur Flexibilität führt ihn zu der kritischen Frage, ob Flexibilität wirklich die menschliche Misere beseitigen kann, gegen welche sie sich anscheinend richtet (vgl. ebd., S.56). Weiter führt er aus, dass selbst wenn Routine den Charakter abstumpft, es keine Antwort darauf gäbe, wie Flexibilität dem entgegenwirken kann (vgl. ebd., S.56).
Im dritten Kapitel geht Sennett dann auf die benannte Flexibilität genauer ein. Er definiert diese anhand der Metapher eines Baumes.
„[...] daß ein Baum sich zwar im Wind biegen kann, dann aber zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückkehrt. Flexibilität bezeichnet zugleich die Fähigkeit des Baumes zum Nachgeben wie die, sich zu erholen, sowohl die Prüfung als auch die Wiederherstellung seiner Form.“ (Sennett 2006, S.57)
Die Wirkungen der Flexibilität zeigen ihr größtes Ausmaß allerdings im verbiegen der Menschen (vgl. Sennett, 2006, S.57). Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Machtsystem, welches aus drei Elementen besteht; dem diskontinuierlichen Umbau von Institutionen, der flexiblen Spezialisierung der Produktion und der Konzentration der Macht ohne Zentralisierung (vgl. ebd., S.59). Insbesondere Punkt drei - die Arbeit ist physisch dezentralisiert, die Macht über den Arbeitnehmer stärker zentralisiert worden (vgl. ebd., S.75) - schafft eine vorgetäuschte Freiheit (vgl. Sennett, 2006, S.71). Ein Beispiel dafür sind flexible Arbeitszeitregelungen (vgl. ebd., S.72). Dergestalt müssen die Beschäftigten selbstorganisiert handeln, werden gleichzeitig aber durch vorangeschrittene Technik häufiger kontrolliert.
Zuvor wurde benannt, dass der Routine im neuen Kapitalismus entgegengewirkt wird und Flexibilität an ihre Stelle rückt. Dies bringt Sennet in Kapitel fünf mit Risiko in Verbindung. Dazu beschreibt er, dass das Risiko zu einer täglichen Notwendigkeit wird, welche die Akteure auf sich nehmen müssen und bezieht sich dabei auf den Soziologen Ulrich Beck (vgl. Sennett, 2006, S.105). Durch die Instabilität flexibler Organisationen, innerhalb derer Routine abgelehnt und dergestalt kurzfristige Aktivitäten betont werden, müssen die Arbeitskräfte immer wieder neue Risiken eingehen (vgl. ebd., S.105). Diesen „wohnt die Drift inne“ (Sennett 2006, S.109), denn die Institutionen prägen die Anstrengungen der Akteure, ihr Leben zu verändern (vgl. Sennett, 2006, S.110). Ein Problem, welches Sennett darüber hinaus beschreibt, ist die Sichtweise von Stabilität als Lähmung (vgl. ebd., S.115). Dies impliziert, dass das Ziel weniger wichtig ist, als der Akt des Aufbruchs; denn „wer sich nicht bewegt, ist draußen“ (Sennett 2006, S.115). Es besteht infolgedessen eine Art Zwang zum Aufbruch und folglich zum Risiko. Auch die Annahme, dass schneller Wechsel von beruflichen Fähigkeiten zum Unternehmensalltag gehört, führt zu einer Sorge, welche durch die ständigen Risiken betont wird (vgl. Sennett, 2006, S.129).
In Folge dieser Erkenntnis kommt er erneut auf das Tabu des Scheiterns zurück. In dieser Weise benennt er den flexiblen Kapitalismus als Auslöser für eine große Zahl von scheiternden Akteuren (vgl. ebd., S.159), bei welchem die Kurzfristigkeit und die Flexibilität, ein Arbeitsleben im Sinne einer Karriere auszuschließen scheinen (vgl. ebd., S.165). Gleichfalls beinhaltet das Wesen einer modernen Karriere, die Selbstverantwortung der Individuen (vgl. ebd., S.177). Verdeutlicht wird dies mit Aussagen aus den von Sennet geführten Interviews (vgl. ebd., S.180). Schlussfolgernd wird ein „nachgiebiges Ich, eine Collage aus Fragmenten, die sich ständig wandelt, sich immer neuen Erfahrungen öffnet“ (Sennett, 2006, S.182) gefordert. Es mag nach Sennett zwar möglich sein, zusammenhängende Erzählungen über die Vergangenheit zu formulieren, allerdings keine vorausschauenden Entwürfe der Zukunft mehr zu konstruieren (vgl. ebd., S.184). Damit wird die Planbarkeit der Zukunft ausgeschlossen.
Letzen Endes, um auch auf den Titel des Buches zurückzukommen, wird zusammengefasst, dass das Misslingen der Identitätserlangung durch Arbeit, anhand der Ungewissheit der Flexibilität, das Fehlen von Vertrauen und Verpflichtung,[1] der Oberflächlichkeit des Teamworks und dem Risiko des Scheiterns festgelegt wird (vgl. ebd., S.190). So äußert er abschließend:
„Die Flexibilität, die sie feiern, liefert keine Anleitung, wie ein Leben zu führen sei, kann sie nicht liefern. [...] es gibt keine Pfade mehr, denen Menschen in ihrem Berufsleben folgen können.“ (Sennett 2006, S.203)
Im folgenden Kapitel werden zur Erweiterung des Themenkomplexes die Überlegungen Martin Kohlis zur Institutionalisierung und De-Institutionalisierung des Lebenslaufs vorgestellt.
2.2. Martin Kohli: Individualisierung und De-Institutionalisierung des Lebenslaufs
Martin Kohli ist wie Richard Sennet der Überzeugung, dass die Individualisierung in der heutigen Gesellschaft zunimmt. Untermauert wird dies zum Beispiel durch das exponentielle Ansteigen an Vielfalt von Lebensformen (vgl. Kohli, 1988, S.34). Er definiert Individualisierung als:
„Einzigartigkeit im Sinn der Unterscheidbarkeit von anderen. [...] In soziologischer Sicht ist entscheidend, daß Individualisierung nicht einfach - wie im idealistischen Denken - als Rückgang gesellschaftlicher Steuerung aufgefaßt wird, sondern als Substitution eines Vergesellschaftungsmodus durch einen neuen, der am Individuum ansetzt.“ (Kohli 1988, S.35)
Dergestalt wird das Individuum zum grundlegenden Träger des sozialen Lebens, zum Handlungszentrum, welchem eine eigenständige Lebensorientierung abverlangt wird (vgl. Kohli, 1988, S.36). Individualität konstituiert nach Kohli immer auch Emergenz (vgl. ebd., S.40).
Um die De-Institutionalisierung in ihrem Ausmaß zu verstehen, wird der historische Prozess der Institutionalisierung des Lebenslaufs vorgestellt. Dieser entspricht der Normalbiographie[2], weil die Institutionalisierung des Lebenslaufs als strukturelle Voraussetzung der Normalbiographie erscheint und natürlicher Bestandteil dieser ist (vgl. Hardering, 2011, S.84). Unter Lebenslauf wird dabei die Abfolge von Ereignissen im Leben eines Menschen verstanden (vgl. Hurrelmann, 2003, S.115). Dabei erfordern Übergänge, die Neuorganisation von Einstellungen und Handlungen und können mit tiefgreifenden Störungen und Krisen einhergehen (vgl. ebd., S.115). Die Normalbiographie im Sinne von Kohli ist über das Zusammenspiel von Sequenzialität, Kontinuität und Biographizität zu verstehen. Dies meint chronologische Ablaufmuster, eine kontinuierliche im Sinne einer vorhersehbaren und materiell abgesicherten Lebensspanne und kulturelle Deutungsmuster, innerhalb derer ein Verständnis eines biographischen Ablaufes („biographischer Perspektiven“) sedimentiert ist (vgl. Kohli, 1988, S.37). Kontinuität und Sequenzialität folgen dabei einer Ablauflogik, wohingegen dem Code der Biographizität, eine Entwicklungslogik eingeschrieben ist. Dem Code der Biographizität - anderenorts auch als „Code der allgemeinen Individualität“ bezeichnet (vgl. ebd., S. 39) - beinhaltet für die Akteure die Verpflichtung ihre Leben teleologisch zu ordnen (vgl. Kohli, 1994, S.221). Im Zuge der Individualisierung nehmen zwar die individuellen Alternativen zu, dennoch wird eine allgemeine Struktur der Lebenszeit vorgegeben, eine Art „Allgemeinheitsindividualität“ (vgl. Kohli, 1988, S.37). Für die Akteure besteht mit dem Code der Biographizität nun die Möglichkeit, sich vom Normalprogramm abzustoßen, da es wie zuvor benannt, einer Entwicklungslogik folgt (vgl. Kohli, 1988, S.39). Dergestalt wird die widersprüchliche Einheit der drei Dimensionen erkennbar; auf der einen Seite steht Lebenszeit als Ordnungs- und Integrationsdimension und auf der anderen Seite als Entwicklungs- und Entfaltungsdimension.
[...]
[1] Durch Gleitzeit (vgl. Sennett, 2006, S.195) oder kurzen Zusammenhalt z. B. bei befristeten Arbeitsverträgen oder Projektarbeit entsteht eine schlechtere Entwicklung von Vertrauen, Loyalität und gegenseitige Verpflichtung (vgl. ebd., S.28).
[2] „Allgemein wird unter der „Normalbiographie“ einerseits ein statistisch dominanter Typ von (je männlichen und weiblichen) Lebensläufen wie auch die normgerechte Ausprägung dergleichen bezeichnet.“ (Hardering 2011, S.80). Im Falle, dass die Erwerbsarbeit als zentraler Strukturgeber der Normalbiographie fungiert, können die erwerbsbiographischen Orientierungsmuster, die für den Fordismus charakteristisch sind, zugleich als Kernstück der Normalbiographie verstanden werden (vgl. ebd., S.86). Sie ist ähnlich dem Normalarbeitsverhältnis (Mückeberger 1985).