Der Kinderschutz in der Schule und der Beitrag der Lehrkräfte sind für die Prävention, Früherkennung und Intervention in Fällen der Gefährdung des Kindeswohls besonders wichtig. Nicht zuletzt deshalb, weil sich Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit in der Schule aufhalten und LehrerInnen mit am häufigsten Fälle, in denen Kinder misshandelt oder vernachlässigt werden, entdecken können. Hierbei ist vor allem eine gute Kooperation mit den KollegInnen, JugendsozialarbeiterInnen, SchulpsychologInnen und der Schulleitung notwendig. Ebenso wichtig ist die Zusammenarbeit mit der zuständigen Fachbehörde, dem Jugendamt. Nur in gemeinsamer Verantwortung, können beide Stellen effektiv zum Kinderschutz beitragen. Mit einem geeigneten Instrument könnten LehrerInnen durch verbindliche Verfahren und Reaktionsketten mehr Handlungssicherheit erhalten und das Gefühl des „Alleinseins“ in Fällen von Kindeswohlgefährdung kann damit vermindert werden. Dieses Instrument kann zudem helfen, einen adäquaten Umgang mit den betroffenen Kindern, Jugendlichen und deren Eltern zu finden und es erleichtern, zusammen mit ihnen an Hilfemöglichkeiten zu arbeiten.
Durch zahlreiche Befragungen von SchulleiterInnen aller Schulformen und MitarbeiterInnen eines Jugendamtes wurde der Inhalt eines solchen Instruments, eines Handlungsleitfadens, ermittelt und dessen Notwendigkeit überprüft. Die Befragungen sollten vor allem die praktische Anwendbarkeit dieser Hilfestellung garantieren, da nur „Betroffene“ aus der Praxis die erforderlichen und nützlichen Inhalte benennen können.
Die Standardisierung fachlichen Handelns an Schulen und die verbindliche Form interinstitutioneller Zusammenarbeit zwischen Schulen und dem Jugendamt hilft, Barrieren abzubauen und die für den Kinderschutz notwendige Kooperation in eine richtige Richtung zu lenken. Es kann nur frühzeitig interveniert werden, wenn alle beteiligten Stellen, demzufolge auch Schulen und LehrerInnen, verantwortungsbewusst mit dem Thema Kinderschutz umgehen. Denn das Gesamtziel aller ist es, den Kindern und Jugendlichen einen guten Start in ihr weiteres Leben zu ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Problementwicklung und zentrale These
1.1. Themenstellung und Gegenstandsbereich
1.2. Erkenntnisinteresse und Ziel
1.3. Lösungsmöglichkeiten
1.4. Zentrale These
1.5. Methodisches Vorgehen
2. Begriffliche Grundlagen
2.1. Kindeswohlgefährdung
2.2. Schnittstellenproblematik zwischen Jugendamt und Schule
2.3. Allgemeiner Sozialer Dienst
2.3.1. Entwicklung des Allgemeinen Sozialen Dienstes
2.3.2. Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes
2.3.3. Der Allgemeine Soziale Dienst im Jugendamt XY
3. Rechtliche Grundlagen
3.1. Grundgesetz
3.2. Bundeskinderschutzgesetz
3.3. Kinderschutz in der Schule
3.3.1. Bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz
3.3.2. Vorgehen gemäß §4 KKG
3.3.3. Insoweit erfahrene Fachkraft
3.4. Kinderschutz im Jugendamt
3.4.1. Vorgehen nach §8a SGB VIII
3.4.2. Gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls
3.4.3. Zusammenwirken von Jugendamt und Schule bei „§8a- Fällen“
4. Vorgaben zum Umgang mit Kindeswohlgefährdung für Schulen
4.1. Vorgaben des Bundeslandes Bayern
4.2. Vorgaben des Bundeslandes Berlin
4.3. Vorgaben des Bundeslandes Sachsen- Anhalt
5. Gesprächsergebnisse
5.1. Expertenbefragungen
5.2. Auswertung
5.3. Lösungsmöglichkeiten
6. Fazit
7. Mitteilungsbogen
Literaturverzeichnis
Gesetze und Verordnungen
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhang
Interviewleitfaden
Abstract
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit von Jugendamt und Schulen im Landkreis XY im Hinblick auf den Kinderschutz und auf den adäquaten Umgang mit Fällen der Gefährdung des Kindeswohls durch Schulen und LehrerInnen. Die durch zahlreiche Gesetze verankerte Kooperation beider Stellen ist in dieser Hinsicht in diesem kommunalen Raum noch nicht zufriedenstellend. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass die Vorgehensweise in Gefährdungsfällen und der Umgang damit durch LehrerInnen an den unterschiedlichen Schulformen im Landkreis noch nicht hinreichend ist. Auch das Melden von akuter Kindeswohlgefährdung an den Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes durch LehrerInnen und Schulen ist noch nicht ausreichend. Dies sind unter anderem Probleme, die zur Schnittstellenproblematik zwischen der öffentlichen Jugendhilfe und Schulen in diesem Bereich führen. Dazu zählen auch die unterschiedlichen Professionen, Wissens- und Kenntnisstände sowie Arbeits- und Vorgehensweisen von LehrerInnen und SozialarbeiterInnen. Die Kooperation der beiden Institutionen ist jedoch für einen effektiven Kinderschutz unabdingbar. So stellt sich in dieser Arbeit die Frage: „Wie kann die Schnittstelle Jugendamt und Schule in Gefährdungsfällen besser funktionieren und so zum Kinderschutz beitragen?“.
Wenn die Schulen in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt durch ein Instrument befähigt werden könnten einen Gefährdungsfall adäquat zu behandeln, dann würde die Kooperation beider Stellen im Hinblick auf den Kinderschutz im besten Fall verbessert werden. Ziel ist es demnach, ein Instrument in Form eines Handlungsleitfadens zu entwickeln, das Schulen unterstützt, in einem Fall von Kindeswohlgefährdung „richtig“ zu reagieren und so, ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend, eine Gefährdungssituation abzuwenden. Auch die MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes sollen durch dieses Instrument in der Kooperation unterstützt werden. Um diesen Handlungsleitfaden erstellen zu können, werden in einem Leitfadeninterview die SchulleiterInnen der verschiedenen Schulformen im Landkreis XY zum möglichen Inhalt des Handlungsleitfadens und zur Kooperation mit dem Jugendamt befragt. Auf der anderen Seite werden der Leiter des Jugendamtes und der Teamleiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes ebenfalls zum möglichen Inhalt und zur Kooperation mit den verschiedenen Schulen befragt. Das Leitfadeninterview wird auf Grundlage eines vorher ausgearbeiteten Gesprächsleitfadens geführt.
Die Ergebnisse dieser Interviews zeigen, dass Unwissen, Unsicherheit und Ratlosigkeit über den angemessenen Umgang mit Fällen von Kindeswohlgefährdung an Schulen bestehen. Die befragten MitarbeiterInnen des Jugendamtes bestätigten dies aus ihrer Erfahrung mit früheren Gefährdungsfällen, bei deren Bearbeitung die Schulen beteiligt waren. Die Erstellung eines entsprechenden Handlungsleitfadens, der eine Hilfestellung im Umgang mit latenten und akuten Fällen von Kindeswohlgefährdung darstellen soll, erscheint deshalb notwendig und sinnvoll.
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich zu dieser Arbeit inspiriert, mich motiviert und unterstützt haben. Ganz gleich in welcher Form. Vor allem bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des beteiligten Jugendamtes. Ganz besonders bei Anja Wunder und meiner Mutter Edith Wunder.
Vorwort
Kindeswohlgefährdung. Der Umgang mit diesem Bereich der Sozialen Arbeit beschäftigt mich schon seit einiger Zeit. Wie kann den betroffenen Kindern, Jugendlichen und auch deren Familien geholfen werden? Ein schwieriges Thema, dass vor allem durch die mediale Auseinandersetzung ständig im kollektiven Gedächtnis ist. Sei es durch die aktuellen Vorfälle mit der Sekte „die zwölf Stämme“, als 40 Kinder und Jugendliche in einer groß angelegten Polizeiaktion unter staatliche Obhut genommen wurden, oder auch durch zahlreiche andere Fälle in denen Kinder in ganz Deutschland misshandelt und vernachlässigt wurden und immer noch werden. Zusammen mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes XY machte ich mir Gedanken, wie dieser Bereich durch eine wissenschaftliche Arbeit bearbeitet und verbessert werden könnte. Vor allem der praktische Nutzen stand dabei im Vordergrund. Nach einigen Überlegungen wurde klar, dass vor allem die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Schulen im Landkreis in Fällen von latenter wie akuter Kindeswohlgefährdung noch nicht zufriedenstellend ist. Diese Kooperation, die zwar in Gesetzen verankert ist, zeichnet sich auf beiden Seiten aber durch Unverständnis, mangelnde Transparenz und Unwissen über die Arbeits- und Vorgehensweisen des jeweils anderen aus. Aber gerade die Zusammenarbeit dieser beiden Stellen ist im Kinderschutz besonders wichtig. LehrerInnen erleben die Kinder und Jugendlichen während der Schulzeit in zahlreichen sozialen, schulischen sowie auch persönlichen Situationen und sind damit häufig die Ersten, die eine Kindeswohlgefährdung entdecken können. Das Jugendamt als Fachstelle für den Kinderschutz ist dabei oftmals auf die kompetente Mitarbeit von LehrerInnen, SchulleiterInnen und pädagogischen MitarbeiterInnen an Schulen angewiesen. Nicht umsonst, ist deren Kooperation im Hinblick auf den Kinderschutz gesetzlich festgeschrieben. Beide Stellen könnten in gemeinsamer Verantwortung viel effizienter dazu beitragen, eine Gefährdungssituation frühzeitig zu beenden und damit die betroffenen Kinder und Jugendlichen schützen. Die Bedeutsamkeit der Zusammenarbeit von Jugendamt und Schule im Kinderschutz und die Tatsache, dass diese aber noch nicht hinreichend ist, führten zur Entscheidung, dieses Thema in meiner Arbeit zu behandeln. Die Aussicht, dass diese Untersuchung einen Nutzen für den aktiven Kinderschutz haben könnte, hat mein Interesse geweckt. Auch das Jugendamt XY zeigte Interesse an diesem Thema. So wurde mir zugesichert, meine Arbeit praxisorientiert in einem Allgemeinen Sozialen Dienst schreiben zu können.
Einleitung
Wirksamer Kinderschutz setzt die interdisziplinäre Zusammenarbeit derjenigen Stellen voraus, welche täglich in ihrer professionellen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, sowie deren Familien zu tun haben.
In dieser Arbeit werden konkret die beiden Stellen Jugendamt und Schule im Landkreis XY dahingehend genauer betrachtet und untersucht. Obwohl Kooperation in diesem Bereich so wichtig und unabdingbar ist, bestehen zwischen diesen Institutionen dennoch zahlreiche Problematiken, die einer angemessenen Zusammenarbeit Grenzen setzen. Zudem ist der Umgang der Schulen mit Fällen von Kindeswohlgefährdung noch nicht hinreichend. Viele Schulen handeln sehr informell, unterschiedlich und ohne standardisiertes Vorgehen, was die Kooperation mit der öffentlichen Jugendhilfe zusätzlich erschwert (vgl. 5.1.). Diese Arbeit hat deshalb das Ziel, die Schulen im Landkreis XY zum adäquaten Vorgehen und korrekten Melden eines „8a- Falls“, also eines Falls von Kindeswohlgefährdung, in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Jugendamt zu befähigen. Der Fokus dieser Arbeit richtet sich also einerseits auf eine gut gelingende Kooperation in Fragen des Kinderschutzes, andererseits auf die Befähigung der Schulen zu einem angemessenen Umgang mit Gefährdungssituationen.
Auch zahlreiche empirische Forschungsarbeiten belegen, dass einerseits auf Seiten der LehrerInnen als auch andererseits auf Seiten von SozialarbeiterInnen in Jugendämtern deutliche Informationsdefizite über die Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des jeweils anderen vorhanden sind (vgl. BEGEMANN 2013, S. 442). Dieser unterschiedliche Informationsstand beider Professionen wirkt sich äußerst kontraproduktiv in der gemeinsam zu leistenden Aufgabe aus. Der Kinderschutz als gemeinsame Aufgabe und Verantwortung sollte aber auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit beider Stellen beruhen (vgl. LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND 2010). Hier stellt sich also die Frage: „Wie kann die Schnittstelle Jugendamt und Schule in Gefährdungsfällen besser funktionieren und so zum Kinderschutz beitragen?“.
Um dies zu erreichen, gibt es in Deutschland von unterschiedlichen Kommunen und Landesregierungen ausgearbeitete Handlungsleitlinien zum Umgang mit Kindeswohlgefährdung durch die Schule. Vor allem auch deshalb, weil klar geregelte Vorgaben in den Schulgesetzen der jeweiligen Bundesländer fehlen. Einige wenige Länder haben versucht, den Umgang mit gewichtigen Anhaltspunkten in die Schulgesetze mit aufzunehmen. Allerdings waren diese Versuche eher rudimentär (vgl. MEYSEN 2008, S. 43). Die zahlreichen Leitlinienkataloge zeigen, wie wichtig auch hohen Regierungsstellen eine gelingende Kooperation zwischen Jugendämtern und Schulen ist. Im kommunalen Raum des Landkreises XY fehlen etwaige Leitlinien jedoch. In dieser Arbeit soll deshalb ein Handlungsleitfaden entstehen, der wie oben schon genannt, die Kooperation von Jugendamt und Schulen unterstützt, sowie auch den adäquaten Umgang der Schulen mit Fällen von Kindeswohlgefährdung. Der zu erstellende Handlungsleitfaden kann an den schon bestehenden Leitlinienkatalogen anknüpfen. Jedoch soll er, um weiteren Problematiken zwischen Jugendamt und Schulen vorzubeugen, in Zusammenarbeit mit beiden Stellen entstehen. So werden die AdressatInnen des Handlungsleitfadens, also SchulleiterInnen und MitarbeiterInnen des Jugendamtes im Landkreis XY zum konkreten Inhalt in einem Leitfadeninterview befragt. Auch die Notwendigkeit des zu erstellenden Handlungsleitfadens soll im Interview überprüft werden (vgl. 5.1.). Dies soll ein „realitätsnahes“ Ergebnis fördern, das hilfreich und sinnvoll ist, sowie die Akzeptanz dieser Hilfestellung an Schulen erhöhen. Weitere Stellen, wie etwa freie Träger und die ihnen angehörende Jugendsozialarbeit an Schulen im Landkreis, werden nur am Rande mit in das Thema aufgenommen. Aus Datenschutzgründen wird das beteiligte Jugendamt nicht namentlich erwähnt und daher mit „XY“ ersetzt. Ebenso wie der Allgemeine Soziale Dienst des Jugendamtes und der Landkreis, in welchem ebendiese Stelle angesiedelt ist.
1. Problementwicklung und zentrale These
Im nachfolgenden Kapitel soll die Problementwicklung und die zentrale These der Arbeit erläutert werden. Dabei wird zu Beginn die Themenstellung dargestellt und der Gegenstandsbereich eingegrenzt. Weiterhin werden das Erkenntnisinteresse und das Ziel der Arbeit, sowie die dafür notwendigen Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Zum Schluss wird die zentrale These beschrieben und das methodische Vorgehen zum Erreichen des Ziels und der Lösungsmöglichkeit erklärt. Diese Erläuterung zu Beginn der Arbeit soll ein grundlegendes Verständnis für die vorliegende Problematik schaffen, die in diesem Zusammenhang behandelt wird. Da dieses erste Kapitel die ganze Arbeit kurz darstellt, dient sie zudem der Orientierung der Leser.
1.1. Themenstellung und Gegenstandsbereich
Das Thema dieser Arbeit: „Im Fokus der Kindeswohlgefährdungen – Die Schnittstellenproblematik des §8a SGB VIII zwischen Jugendamt und Schulen“, betrachtet die beiden Schnittstellen „öffentliche Jugendhilfe“ und „Schulen“ im Hinblick auf die Problematiken der Zusammenarbeit im Bereich Kindeswohlgefährdung. In der Praxis haben sich hierzu verschiedene Probleme zwischen Jugendamt als öffentliche Jugendhilfe und Schulen im Landkreis XY gezeigt. Die unterschiedlichen Professionen, eine mangelnde Transparenz der Arbeit und eine unzureichende Kenntnis von LehrerInnen über diesen Bereich sind unter anderem Probleme in der Kooperation der beiden Institutionen. Zahlreiche Überlegungen zusammen mit dem Amt für Jugend und Familie des Landkreises XY führten zur Auswahl des Themas. Vor allem der praktische Nutzen der Arbeit für das zukünftige Zusammenwirken der Schnittstellen stand dabei im Vordergrund.
Im Amt für Jugend und Familie des Landkreises XY sind die MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes, kurz ASD genannt, für den Bereich der Kindeswohlgefährdungen nach §8a SGB VIII zuständig. Besteht ein Gefährdungsfall nach §8a SGB VIII für ein Pflegekind, ist der Bereich Pflegekinderwesen im Jugendamt zuständig. Die Aufgaben des ASD sind, ganz kurz vorweg, Vermittlung bei Trennung und Scheidung, wenn Kinder mit betroffen sind, Vermittlung von Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch, kurz SGB VIII. Weiterhin sind die Aufgaben des ASD die Mitwirkung bei Familiengerichtlichen Verfahren und der Kinderschutz nach §8a SGB VIII. Der Kinderschutz ist in diesem Kontext von besonderer Bedeutung (vgl. LANDKREIS XY 2009).
Die LehrerInnen bzw. Schulen im Landkreis XY haben einen staatlichen Erziehungs- und Schutzauftrag gegenüber den Kindern und Jugendlichen die sie unterrichten. Das heißt, dass sie ebenfalls dem Kinderschutz verpflichtet sind und mit dem ASD in Gefährdungsfällen kooperieren sollen (vgl. Art. 31 BayEUG). Sie haben aber, wie bereits genannt, andere Arbeits- und Vorgehensweisen als die MitarbeiterInnen des ASD, unterschiedliche Wissens- und Kenntnisstände, eine andere Profession und es mangelt oftmals an der Transparenz der Arbeit gegenüber anderen Professionen. Dies kann während einer Zusammenarbeit zu Missverständnissen führen und ist unter anderem ein Grund für die Schnittstellenproblematik zwischen Jugendamt und Schulen in diesem Bereich. Alle Schulformen im Landkreis XY sind nahezu flächendeckend mit JugendsozialarbeiterInnen an Schulen ausgestattet. Dies betrifft 20 verschiedene Schulen von insgesamt 23 Schulen im Landkreis. Konkret heißt das, dass das staatlich anerkannte Private Sonderpädagogische Förderzentrum, die Grundschulen, Mittelschulen, Realschulen, Gymnasien und die Berufschulen im betreffenden Landkreis JugendsozialarbeiterInnen an Schulen beschäftigt haben. Die Schnittstellenproblematik wird hier mit den verschiedenen Schulformen und den pädagogischen MitarbeiterInnen an Schulen ebenfalls deutlich. Die JugendsozialarbeiterInnen an Schulen sind im Landkreis XY ausschließlich bei einem freien Träger und nicht beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe angestellt. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass auch sie unterschiedliche Wissens- und Kenntnisstände über die Problematik der Kindeswohlgefährdung und den korrekten Umgang damit haben, als die MitarbeiterInnen des Jugendamtes bzw. des ASD und die LehrerInnen an Schulen. Aus diesem Grund sind auch die JugendsozialarbeiterInnen an Schulen ein Faktor der Schnittstellenproblematik.
1.2. Erkenntnisinteresse und Ziel
Da gemäß §79a SGB VIII die Träger der öffentlichen Jugendhilfe geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung für den Prozess der Gefährdungseinschätzung nach §8a SGB VIII weiterzuentwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen haben, besteht schon allein rechtlich die Veranlassung zur Schaffung einer geeigneten Maßnahme für Schulen. Da zudem die Zusammenarbeit von öffentlicher Jugendhilfe und den verschiedenen Schulen im Landkreis XY im Hinblick auf das adäquate Vorgehen im Fall eines Verdachts oder einer konkreten Kindeswohlgefährdung noch nicht optimal ausgearbeitet ist, war besonderes Interesse für die Auswahl dieses Themas gegeben. Die Ausarbeitung eines Instruments, das ein dem Kinderschutz dienendes Zusammenwirken in Gefährdungsfällen ermöglicht, würde den beiden Schnittstellen Jugendamt und Schule zu Gute kommen.
Ziel der Arbeit ist es, eine bessere Zusammenarbeit von Schule und Jugendamt bzw. Allgemeinem Sozialen Dienst in Fällen des Verdachts oder des konkreten Falls einer Kindeswohlgefährdung zu ermöglichen. Die Frage, die sich hier stellt ist also: „Wie kann die Schnittstelle Jugendamt und Schule in Gefährdungsfällen besser funktionieren und so zum Kinderschutz beitragen?“. Dabei sollen insbesondere die Schulen in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Jugendamt befähigt werden, sich in einem Fall von Kindeswohlgefährdung korrekt zu verhalten. Dazu gehört, die „gewichtigen Anhaltspunkte“, wie im §8a SGB VIII genannt, zu kennen und richtig zu deuten. Auch die Kenntnis über grundlegende Gesetze im Bereich Kinderschutz und das eigene Handlungsfeld der Schulen in „8a- Fällen“ gehört dazu. Zu den Schulen gehören in diesem Zusammenhang auch die JugendsozialarbeiterInnen an Schulen.
1.3. Lösungsmöglichkeiten
Eine Lösungsmöglichkeit in diesem speziellen Bereich wäre, einen Handlungsleitfaden für alle Schulformen des Landkreises zu entwickeln. Damit soll die Kooperation von Jugendamt und Schule im Bereich des Kinderschutzes verbessert werden, sowie der selbständige Umgang der Schulen mit Fällen von Kindeswohlgefährdung.
Der zu erstellende Handlungsleitfaden enthält grundlegende Begriffe und rechtliche Grundlagen für den Bereich der Gefährdung des Kindeswohls. Diese sollen für LehrerInnen und JugendsozialarbeiterInnen an Schulen erläutert werden. Damit kann eine „gemeinsame Sprache“ entwickelt bzw. ein Unwissen über rechtliche und begriffliche Grundlagen, sowie über Arbeits- und Vorgehensweisen beseitigt werden. Konkret geht es dabei um Begriffe wie „insoweit erfahrene Fachkraft“ und „Kindeswohlgefährdung“. Die „Schnittstellenproblematik zwischen Jugendamt und Schule“ wird zu Beginn als Problemstellung dargestellt. Weiterhin werden die Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes erläutert. Die „gewichtigen Anhaltspunkte“ für eine Gefährdung des Kindeswohls und die Formen von Kindeswohlgefährdung werden außerdem dargestellt. Rechtliche Grundlagen sind hier vor allem der Art. 6 des Grundgesetzes, der §8a SGB VIII, der §4 KKG und der Art. 31 des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes, kurz BayEUG genannt. Der Umgang mit Verdachtsfällen oder konkreten Fällen von Kindeswohlgefährdung wird anhand des Ablaufs nach dem §4 KKG genau beschrieben.
Zudem sollte das Zusammenwirken von Jugendamt und Schule bei eindeutigen Fällen der Kindeswohlgefährdung und bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung in Form von Flussdiagrammen dargestellt werden. Die „gewichtigen Anhaltspunkte“ für eine Gefährdung des Kindeswohls speziell im Bereich der Umwelt des Kindes oder Jugendlichen, in diesem Fall besonders der Schule und auch in anderen Lebensbereichen, werden, wie oben schon genannt, im Handlungsleitfaden beschrieben und erläutert. Den LehrerInnen und JugendsozialarbeiterInnen an Schulen wird außerdem erklärt, wie sie gewichtige Anhaltspunkte, wenn sie welche erkennen, deuten sollen und was im Anschluss daran zu tun ist. Hierbei ist weiterhin die Frage nach einer adäquaten Meldung an den Allgemeinen Sozialen Dienst zu beantworten: „Wie und wann wird ein Fall nach §8a SGB VIII dem Jugendamt gemeldet und welche gesetzlichen Vorgaben müssend dabei beachtet werden?“. Um die Meldung an den ASD des Jugendamtes einheitlich für alle Schulformen zu gestalten und um Unsicherheiten bei der Meldung einer Kindeswohlgefährdung vorbeugen zu können, wird dem Handlungsleitfaden ein Mitteilungsbogen angefügt, der von LehrerInnen ausgefüllt an das Jugendamt übermittelt werden kann. Zusätzlich werden zahlreiche praktische Hinweise aufgeführt, die den Handlungsleitfaden ergänzen.
Um den Handlungsleitfaden praktisch orientiert gestalten zu können, werden professionelle MitarbeiterInnen aus der Praxis, die in den Schnittstellen öffentliche Jugendhilfe und Schulen arbeiten, als ExpertInnen interviewt. Zu den ExpertInnen zählen auf der einen Seite MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes und des Jugendamtes des Landratsamtes XY, auf der anderen Seite SchulrektorInnen der verschiedenen Schulformen in eben diesem Landkreis. Die Interviews werden als Leitfadeninterviews durchgeführt und sollen einen möglichst praxisbezogenen Inhalt des Handlungsleitfadens garantieren. Dies ist nötig, damit der Leitfaden später in der praktischen Arbeit sinnvoll angewendet werden kann und von den Betroffenen in der Praxis als Hilfestellung besser akzeptiert wird. Wichtig ist dabei, dass alle Schulformen im Landkreis XY berücksichtigt werden. Der Handlungsleitfaden soll nicht nur für bestimmte Schulformen gelten, sondern für alle eine hilfreiche Stütze beim korrekten Umgang mit der Problematik der Kindeswohlgefährdung sein.
1.4. Zentrale These
Im Folgenden wird der Vermutung nachgegangen, ob Schulen und Jugendämter als Schnittstellen im Bereich des Kinderschutzes nach §8a SGB VIII angemessen zusammenarbeiten und damit zur Abwendung einer Gefährdungssituation eines Kindes oder Jugendlichen beitragen können, sowie ob Schulen in der Lage sind selbst korrekt zu handeln.
Ein erstes Überdenken der vorfindbaren Probleme, Voraussetzungen und Bedingungen dieser Schnittstellen führt zur zentralen These dieser Arbeit, die sich wie folgt zusammensetzt:
1. Gemäß dem §79a SGB VIII haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für den Prozess der Gefährdungseinschätzung nach §8a SGB VIII [...] geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung weiterzuentwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu prüfen.
2. Die Vorgehensweiße und das Melden im Fall einer Gefährdung des Kindeswohls durch die Schulen ist noch nicht hinreichend.
3. Betroffene, d.h. LehrerInnen und JugendsozialarbeiterInnen an Schulen müssen in diesem Bereich qualifiziert werden.
4. Es gibt ein Unwissen und eine mangelnde Transparenz zwischen den Professionen und den Arbeits- und Vorgehensweisen sowie den gesetzlichen Grundlagen im Fall einer Gefährdung des Kindeswohls zwischen der öffentlichen Jugendhilfe und den Schulen.
5. Gemäß dem § 4 Abs. 3 KKG sind Schulen verpflichtet, beim Bekanntwerden von „gewichtigen Anhaltspunkten“ das Jugendamt zu informieren, soweit andere Maßnahmen zur Abwendung der Gefährdung erfolglos geblieben sind und der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen gefährdet ist.
6. Der Art. 31 des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes und der §81 SGB VIII regeln eine Zusammenarbeit von öffentlicher Jugendhilfe und Schulen.
Ausgehend von dieser zentralen These wird die Problematik zwischen den Schnittstellen öffentliche Jugendhilfe und Schule als strukturelles, instrumentelles und personelles Problem verstanden.
In diesem Kontext wird angestrebt, einen Handlungsleitfaden als Instrument zu entwickeln, der es Schulen erleichtert, einen Fall von Kindeswohlgefährdung nach §8a SGB VIII „richtig“ zu deuten und darauf adäquat zu reagieren, sowie die Kooperation beider Stellen unterstützt.
1.5. Methodisches Vorgehen
In der nachfolgenden Arbeit werden zunächst im zweiten und dritten Kapitel begriffliche und rechtliche Grundlagen erläutert, um in die Thematik der Arbeit einzuführen. Im zweiten Kapitel handelt es sich um begriffliche Grundlagen, im speziellen um die Begriffe Kindeswohlgefährdung, Schnittstellenproblematik und Allgemeiner Sozialer Dienst. Der Allgemeine Soziale Dienst wird in einigen Unterpunkten noch etwas genauer erklärt, da er ein Hauptbestandteil dieser Arbeit ist. Diese Begriffe und Bezeichnungen die oft im Fachjargon von SozialarbeiterInnen verwendet werden, müssen für alle Professionen und Bereiche, die von dieser Arbeit betroffen sind, definiert werden.
Bei der Beschreibung der rechtlichen Grundlagen, im dritten Kapitel, wird der Artikel 6 des Grundgesetzes, das Bundeskinderschutzgesetz, der Kinderschutz in der Schule und der Kinderschutz im Jugendamt erläutert. Einschlägige Paragraphen und die darin enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe werden in diesem Zusammenhang erklärt. Konkret sind das beim Kinderschutz in der Schule das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, das Vorgehen der Schule gemäß §4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz, kurz KKG, und die Begriffsbestimmung der „insoweit erfahrenen Fachkraft“, die im KKG genannt wird. Die Erläuterung des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes wird durch ein Flussdiagramm ergänzt. Hierbei wird visuell die Zusammenarbeit von öffentlicher Jugendhilfe und Schule in Gefährdungssituationen dargestellt. Bei Kinderschutz im Jugendamt wird das Vorgehen gemäß §8a SGB VIII, sowie die darin beschriebenen „gewichtigen Anhaltspunkte“ für eine Gefährdung des Kindeswohls dargestellt. Im letzten Unterpunkt dieses Kapitels, wird das Zusammenwirken von Jugendamt und Schule bei Verdacht und bei konkreten Fällen von Kindeswohlgefährdung beschrieben. Diese Kooperation wird auch anhand von Flussdiagrammen bildlich dargestellt. Weitergehend werden nun im vierten Kapitel bereits bestehende Regelungen und Vorgaben für Schulen im Umgang mit Kindeswohlgefährdung nach §8a SGB VIII von verschiedenen deutschen Landesregierungen vorgestellt. Dieses Kapitel soll aufzeigen, dass es für diesen Bereich schon Vorgaben gibt, an denen man nun in dieser Arbeit anknüpfen kann. Diese ersten Kapitel, die eine Grundlage bilden und den Leser am Anfang mit der Thematik vertraut machen sollen, führen über in den praktischen Teil dieser Arbeit.
Im praktischen Teil soll der Handlungsleitfaden erstellt werden, der die LehrerInnen unterstützt, einen Gefährdungsfall „richtig“ Hand zu haben und die Kooperation von Jugendamt und Schule fördert. Der richtige Umgang soll in Form des Ablaufs gemäß dem §4 KKG dargestellt werden. Die Betroffenen, also LehrerInnen und JugendsozialarbeiterInnen an Schulen, sollen so wissen wie sie Schritt für Schritt bei einem Verdacht oder einem konkreten Fall einer Gefährdung des Kindeswohls handeln müssen, können und dürfen. Um den Handlungsleitfaden praktisch orientiert gestalten zu können, werden wie oben schon erwähnt, verschiedene ExpertInnen zur Schnittstellenproblematik zwischen Jugendamt und Schulen im Hinblick auf den adäquaten Umgang im Fall eines Verdachts oder eines konkreten Falls einer Kindeswohlgefährdung befragt. Die verschiedenen Experteninterviews werden in der Arbeit dargestellt, analysiert und ausgewertet. Anschließend wird aufgezeigt, was im Umgang mit Kindeswohlgefährdung und in der Kooperation der beiden Stellen verbesserungswürdig ist. Daraufhin wird der Handlungsleitfaden für Schulen ausgearbeitet, der u.a. aus den vorher geführten Experteninterviews resultiert und in der Arbeit als Fazit dargestellt wird.
2. Begriffliche Grundlagen
In diesem Kapitel sollen alle wesentlichen Begriffe, die für die Arbeit notwendig sind und hier verwendet werden, definiert werden. Im Einzelnen geht es um die Begriffe „Kindeswohlgefährdung“ (Kap. 2.1.), „Schnittstellenproblematik zwischen Jugendamt und Schule“ (Kap. 2.2.) und „Allgemeiner Sozialer Dienst“ (Kap. 2.3.). Der Begriff „Allgemeiner Sozialer Dienst“ wird zusätzlich in drei weitere Unterpunkte unterteilt, die den Allgemeinen Sozialen Dienst genauer beschreiben sollen. Diese sind konkret „Entwicklung des Allgemeinen Sozialen Dienstes“ (Kap. 2.3.1.), „Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes“ (Kap. 2.3.2.) und „Der Allgemeine Soziale Dienst im Jugendamt XY“ (Kap. 2.3.3.). Im weiteren Verlauf der Arbeit wird immer wieder auf diese Begriffe zurückgegriffen, weshalb hier eine Erklärung im ersten Kapitel notwendig erscheint.
2.1. Kindeswohlgefährdung
Den Begriff der „Kindeswohlgefährdung“ hat der Bundesgerichtshof, kurz „BGH“, schon 1956 definiert. Darin heißt es: „Eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“. Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs wird eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Auswirkungen bestimmter Tatbestände auf das psychische und oder physische Wohl des Kindes definiert. Diese Tatbestände sind Formen von Kindeswohlgefährdung. Sie werden im weiteren Verlauf der Arbeit genauer in Zusammenhang mit „gewichtigen Anhaltspunkten“ geklärt. Kurz vorab sind dies körperliche Misshandlung, Vernachlässigung, seelische Misshandlung, sexuelle Misshandlung, Gefährdung durch häusliche Gewalt, Gefährdung bei psychisch kranken Eltern und Gefährdung bei Eltern mit Suchtproblemen (vgl. BLJA 2013, S. 3 ff.). Anhand der Definition des Bundesgerichtshofs ergeben sich bestimmte Kriterien für eine Kindeswohlgefährdung. Diese sind eine erhebliche Gefährdungssituation, eine mögliche zukünftige Schädigung und die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts (vgl. ebd., S. 7). Somit werden heute sämtliche Formen von Gefährdungen und Schädigungen an Kindern und Jugendlichen mit dem Begriff „Kindeswohlgefährdung“ zusammengefasst. Der Begriff hat vor allem auch einen präventiven Charakter, was die vorherige Abwendung einer Schädigung des Kindeswohls verdeutlichen soll (vgl. KINDERSCHUTZ-ZENTRUM BERLIN E.V. 2009, S. 28 f.). Die Gefährdung des Kindeswohls ist von Fachkräften des Jugendamtes außerdem zeitlich und sachlich einzuschätzen. Die zeitliche Einschätzung bezieht sich auf eine akute Gefährdung des Kindeswohls, was ein unverzügliches Handeln notwendig macht. Die sachliche Einschätzung der MitarbeiterInnen des Jugendamtes bezieht sich auf Hinweise und Fakten des vorliegenden Falls. Auch wenn die genannten Kriterien vorliegen, muss das zuständige Familiengericht nicht zwingend eingreifen. Ein Eingriff ist nur dann notwendig, wenn die Sorgeberechtigten keine Bereitschaft oder keine Fähigkeit zur Abwehr der Gefährdungssituation einbringen können (vgl. BLJA 2013, S. 7).
Eine weitere, etwas ausführlichere Definition für den Begriff „Kindeswohlgefährdung“ wurde vom Oberlandesgericht in Köln herausgegeben. Darin wird Folgendes beschrieben: „Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt dann vor, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen das Wohl des Kindes beeinträchtigt wird oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei der weiteren Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Dabei entsteht die begründete Besorgnis in aller Regel aus Vorfällen in der Vergangenheit. Aufgrund des gesamten Verhaltens des Sorgeberechtigten muss Anlass zur Besorgnis bestehen. Die zu besorgende erhebliche Schädigung, die mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen sein muss, macht es erforderlich, in dem konkreten Fall das Kindeswohl zu definieren.“ (OLG KÖLN SENAT FÜR FAMILIENSACHEN 2003).
Eine Kindeswohlgefährdung kann demnach dann vorliegen, wenn das Kind in seiner körperlichen, seelischen oder geistigen Entwicklung aktuell gefährdet ist. Zudem wenn Verletzungen und Schädigungen des Kindeswohls in der Gegenwart bereits eingetreten sind und die zu Schäden führenden Einflüsse fortlaufend andauern. Konkret heißt das, dass Grundbedürfnisse des Kindes erheblich vernachlässigt werden. Zu den Grundbedürfnissen von Kindern zählen physiologische Bedürfnisse, Schutzbedürfnisse, das Bedürfnis nach sozialer Bindung, sowie nach seelischer und körperlicher Wertschätzung (vgl. BERLIN SENATSVERWALTUNG FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG 2009, S. 7).
Die Definition des Oberlandesgerichts in Köln gibt zudem vor, dass eine Kindeswohlgefährdung nur im Hinblick auf die gesamte Situation der Familie festgestellt werden kann. So lässt sich eine Gefährdung des Kindeswohls nicht auf einzelne aktive Handlungen oder passive Unterlassungen reduzieren. Die gesamte familiäre Atmosphäre spielt eine Rolle bei der Bewertung einer möglichen Kindeswohlgefährdung. Wichtig ist dabei auch der Blick auf etwaige Schutzfaktoren und Ressourcen der Kinder und deren Familien (vgl. KINDERSCHUTZ-ZENTRUM BERLIN E.V. 2009, S. 30).
Eine sehr anschaulich formulierte Definition hat das Kinderschutz- Zentrum Berlin herausgegeben. Darin heißt es: „Kindeswohlgefährdung ist ein das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigendes Verhalten oder Handeln bzw. ein Unterlassen einer angemessenen Sorge durch Eltern oder andere Personen in Familien oder Institutionen das zu nicht- zufälligen Verletzungen, zu körperlichen und seelischen Schädigungen und/oder Entwicklungsbeeinträchtigungen eines Kindes führen kann, was die Hilfe und eventuell das Eingreifen von Jugendhilfe- Einrichtungen und Familiengerichten in die Rechte der Inhaber der elterlichen Sorge im Interesse der Sicherung der Bedürfnisse und des Wohls eines Kindes notwendig machen kann.“ (KINDERSCHUTZ- ZENTRUM BERLIN E.V. 2009, S. 32). Diese Definition verdeutlicht nicht nur den Begriff der Kindeswohlgefährdung, sondern zudem die Folgen einer Gefährdung des Kindeswohls für die Inhaber der elterlichen Sorge und die Gründe dafür, nämlich den Schutz der Kinder und Jugendlichen zur Sicherung ihrer Bedürfnisse und ihres Wohls.
Die so genannte „Trias der Kindeswohlgefährdung“, die sich in Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch unterscheidet, wird häufig im sozialwissenschaftlichen Kontext bei Fällen von Gefährdung des Kindeswohls verwendet. Dabei wird eine Gefährdung in eine der drei Kategorien eingeteilt. Unter Vernachlässigung wird eine Gefährdung verstanden, bei der die Erziehungsberechtigten ständig oder wiederholt ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkommen und dies zu einer physischen oder psychischen Beeinträchtigung in der Entwicklung des Kindes führt. Die Vernachlässigung wird zudem in körperliche, emotionale und erzieherische Vernachlässigung unterschieden, denn die Form der Fürsorge durch die Eltern ist immer abhängig von Alter und Entwicklungsstand des Kindes. Unter Misshandlung werden nochmals psychische und physische Misshandlungen unterschieden. Psychische Misshandlungen liegen vor, wenn Eltern dem Kind oder Jugendlichen durch ihr Verhalten vermitteln, dass es wertlos, fehlerhaft, ungeliebt, ungewollt, sehr in Gefahr oder nur dazu nütze ist, die Bedürfnisse von anderen zu erfüllen. Unter physischen Misshandlungen wird hier der körperliche Zwang oder die körperliche Gewalt durch Erziehungsberechtigte verstanden, wenn dadurch die Entwicklung des Kindes beeinträchtigt wird. Mit sexuellem Missbrauch sind in diesem Kontext unangemessene Handlungen mit sexuellem Bezug durch Eltern an ihren Kindern und Jugendlichen gemeint. Das vorrangige Ziel der Jugendhilfe ist in diesem Fall die Gewährleistung einer ungestörten und selbstbestimmten Sexualentwicklung (vgl. RECHTSFRAGEN-JUGENDARBEIT.DE o.J., S. 1f.).
2.2. Schnittstellenproblematik zwischen Jugendamt und Schule
Die Kooperation in Fällen einer Kindeswohlgefährdung zwischen Jugendämtern und Schulen kann aus zahlreichen Gründen zu einer Problematik führen. Das Jugendamt ist einerseits durch den §8a SGB VIII als Behörde dazu aufgerufen das Risiko einer Kindeswohlgefährdung einzuschätzen und in Fällen von konkreter Kindeswohlgefährdung fallverantwortlich zu handeln. So haben die kommunalen Jugendämter eine Garantenstellung inne. Zu den Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes bzw. des Jugendamtes gehört zudem die Initiierung, Koordination, Verbesserung und Entwicklung der sozialen Beziehungen nach außen, wie beispielsweise der Schnittstellen zu freien Trägern oder Schulen (vgl. BASSARAK o.J.c, S. 2). Die Schulen sind andererseits dazu befugt, bei einem Erkennen einer möglichen Kindeswohlgefährdung in Eigeninitiative zu handeln und sich, wenn notwendig, mit dem zuständigen Jugendamt in Verbindung zu setzen (vgl. §4 Abs. 1 Nr. 7 u. Abs. 3 KKG). Das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz regelt außerdem die Zusammenarbeit mit Jugendämtern. Darin wird Folgendes beschrieben: „Die Schulen arbeiten in Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Jugendämtern und den Trägern der freien Jugendhilfe sowie anderen Trägern und Einrichtungen der außerschulischen Erziehung und Bildung zusammen. Sie sollen das zuständige Jugendamt unterrichten, wenn Tatsachen bekannt werden, die darauf schließen lassen, dass das Wohl einer Schülerin oder eines Schülers ernsthaft gefährdet oder beeinträchtigt ist und deshalb Maßnahmen der Jugendhilfe notwendig sind.“ (Art. 31 BayEUG). Zudem regelt das Achte Buch Sozialgesetzbuch die strukturelle Zusammenarbeit von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe und Schulen (vgl. §81 Nr. 3 SGB VIII). Beide Stellen haben somit die Aufgabe in entsprechenden Fällen zusammenzuarbeiten. Nun haben aber SozialarbeiterInnen in Jugendämtern und LehrerInnen an Schulen unterschiedliche Ausbildungen, Kenntnisstände und Sichtweisen. Dies kann ein mangelndes Wissen gegenüber der Arbeit des jeweils anderen und in Teilen auch fehlendes gegenseitiges Verständnis über das professionelles Handeln nach sich ziehen. Auch die unzureichende Transparenz und unterschiedliche Vorgehensweisen der Arbeit des jeweils anderen gehören zur Problematik dieser Schnittstelle. Beide Einrichtungen wissen nur sehr wenig voneinander. So stellen sich oftmals Fragen wie: „Was macht die Schule oder das Jugendamt in ihrem professionellen Alltag eigentlich? Für was sind die Einrichtungen jeweils zuständig und für was nicht?“ oder „Wie handelt die Stelle im Fall einer Kindeswohlgefährdung, was darf sie und was sind dabei konkret ihre Aufgaben?“. Dies sind Fragen, die oftmals nicht geklärt sind. Dazu gehört von Seiten der Schule auch das fehlende Wissen über entsprechende gesetzliche Grundlagen was den Umgang mit Kindeswohlgefährdung regelt und deren unzureichendes Wissen über Anhaltspunkte, die auf eine Gefährdung des Kindeswohls hinweisen. Zudem bestehen auch Unklarheiten über die konkrete Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern und Schulen. Dies könnte auf die ganz allgemeine Aufforderung des bayerischen Schulrechts zur Zusammenarbeit zwischen den Schulen und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe zurückzuführen sein. Das bayerische Schulrecht gibt keine konkrete Regelung für die Zusammenarbeit heraus, sondern regelt in Art. 31 Abs. 1 BayEUG lediglich, dass die Schulen in Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Jugendämtern zusammenarbeiten sollen (vgl. MEYSEN et.al. 2008, S. 43). Auch die unterschiedliche Berufskultur beider Professionen ist ein Faktor der Schnittstellenproblematik. Einerseits SozialarbeiterInnen die grundsätzlich kooperativ arbeiten, andererseits LehrerInnen, die meist autonom und nicht miteinander arbeiten. Oftmals ist die jeweilige andere Arbeitsweise nicht verständlich (vgl. BEGEMANN 2013, S. 443).
Außerdem haben Jugendämter, sowie auch Schulen eigene Systeme, Regeln und Handlungsaufträge. Jede Schnittstelle ist in einem Fall von Kindeswohlgefährdung wichtig und notwendig und versucht sich vor einer Einmischung anderer Stellen zu schützen. Trotzdem aber müssen sie kooperieren weil sie nur gemeinsam effektiv zum Kinderschutz beitragen können (vgl. ARMBRUSTER/BARTELS et.al. 2005, S. 409). Die verschiedenen genannten Problematiken ergeben zusammen die Schnittstellenproblematik zwischen Jugendämtern und Schulen, bzw. SozialarbeiterInnen und LehrerInnen.
2.3. Allgemeiner Sozialer Dienst
Der Allgemeine Soziale Dienst, kurz ASD genannt, ist ein Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit in kommunaler Trägerschaft. Meist ist der ASD als ein Teilbereich an das kommunale Jugendamt eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt gebunden und für die psycho- soziale Grundversorgung im jeweiligen kommunalen Raum verantwortlich. Die SozialarbeiterInnen des ASD helfen Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen, für deren Bewältigung sie keine ausreichenden Handlungskompetenzen oder Ressourcen zur Verfügung haben, sich der Problemlage aber meist dennoch durchaus bewusst sind (vgl. BASSARAK o.J.b). In den nachfolgenden Unterpunkten wird die geschichtliche Entwicklung des Allgemeinen Sozialen Dienstes vorgestellt, sowie dessen Aufgaben. Weiterhin wird der ASD des Jugendamtes XY im speziellen beschrieben, da dieser als praktisches Fallbeispiel dienen soll und ein Hauptbestandteil der vorliegenden Arbeit ist. Dies wird im praktischen Teil noch deutlicher. Der Arbeitsbereich des Allgemeinen Sozialen Dienstes wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit immer wieder aufgegriffen, weshalb hier eine relativ ausführliche Schilderung notwendig erscheint.
2.3.1. Entwicklung des Allgemeinen Sozialen Dienstes
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Soziale Arbeit vermehrt professionalisiert und verwissenschaftlicht. Zudem wurden deren Arbeitsfelder ausgeweitet. Die Familienfürsorge, die schon zu Zeiten der Weimarer Republik bestanden hatte, wurde wieder eingeführt. Vor allem weil man sie als wichtiges Instrument zur Lösung von Kriegsfolgen sah. So entstanden in der ersten Nachkriegszeit auf kommunaler Ebene Abteilungen für die Familienfürsorge bei den Jugend- und Gesundheitsämtern. Ab den 1960er Jahren entwickelte sich dann eine kritische Sozialarbeit mit neuen Konzepten und Handlungsmethoden. Das Verständnis von sozialer Arbeit wurde grundlegend verändert, indem man sich von der reinen Nothilfe für die Betroffenen abwandte. Soziale Arbeit wurde zu einem eigenständigen Bereich für Beratung, Bildung und Sozialisation, sowie der Zielsetzung einer Herstellung gleicher Lebenschancen. Die soziale Einzelfallhilfe als damals hautsächliche Handlungsmethode geriet in Kritik, weil ihr die Verschleierung von strukturbedingten Faktoren, genauso wie die Individualisierung von sozialen Problemen vorgeworfen wurde (vgl. GISSEL- PALKOVICH 2011, S. 33).
2.3.2. Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes
Der Allgemeine Soziale Dienst hat vielfältige Aufgaben. Dies bezeugt schon der Titel „allgemein“. So ist der ASD Anlaufstelle für zahlreiche soziale Anliegen der BürgerInnen. Der breite Rahmen an Zuständigkeiten beinhaltet viele soziale Problemlagen mit denen der ASD konfrontiert wird und deshalb zielgruppen- und problemübergreifend, sowie ressort- und ämterübergreifend arbeitet und agiert. Die Betroffenen erhalten eine ganzheitlich konzipierte, einzelfallbezogene Unterstützung und Förderung (vgl. GISSEL- PALKOVICH 2011, S. 13 f.).
Im Regelfall übernimmt der ASD als Teil einer kommunalen Behörde die Leistungserbringung nicht selbst, sondern leitet diese an freie Wohlfahrtsträger weiter und sichert deren Qualität, Effektivität und Effizienz ab. Der ASD hat somit im Wesentlichen also Informations-, Steuerungs- und Verteilungsaufgaben (vgl. ebd., S. 13).
Außerdem hat der ASD eine mediatorische Funktion. Genauer gesagt: „Er vermittelt zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen auf der einen Seite und den Bedürfnissen, Zielvorstellungen und Potentialen der Adressaten auf der anderen Seite.“ (BASSARAK o.J.a, S. 1).
Im kommunalen Bereich eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt, ist der ASD die Basis für vielfältige soziale Leistungen und Hilfen in unterschiedlichsten Lebens- und Problemsituationen der BürgerInnen. Die Aufgabengebiete des ASD sind je nach Organisation der Kommune unterschiedlich und ziehen sich durch verschiedene Zielgruppen und deren Lebenslagen. Die Aufgaben sind ganz konkret die Beratung in Fragen der Erziehung bei Konflikten, die Beratung bei Entwicklungs- und Schulproblemen von Kindern und Jugendlichen, sowie die Beratung bei Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung und des Umgangsrechts von minderjährigen Kindern und Jugendlichen. Weiterhin vermittelt der ASD geeignete Jugendhilfemaßnahmen, wie die Hilfen zur Erziehung nach §27 ff. SGB VIII und Eingliederungshilfen nach §35a SGB VIII. Die Hilfen zur Erziehung werden individuell der Problemlage der Betroffenen angepasst und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Die Abschätzung des Gefährdungsrisikos nach §8a SGB VIII könnte auch als Krisenintervention und Schutz für Kinder und Jugendliche bei körperlicher, geistiger, seelischer und sexueller Misshandlung und/oder Vernachlässigung bezeichnet werden. Dies ist einer der schwersten, aber auch wichtigsten Aufgabenbereiche der Allgemeinen Sozialen Dienste. Die MitarbeiterInnen des ASD wirken zudem bei Entscheidungen der Familiengerichte mit. Bei gerichtlichen Entscheidungen geht es unter anderem um Kindeswohlgefährdung und Regelungen der elterlichen Sorge bzw. des Umgangs bei Getrenntleben und Scheidung. Bei Fällen wie diesen geben die SozialarbeiterInnen Empfehlungen zum Schutz und zum Wohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen. In einigen Allgemeinen Sozialen Diensten wird zusätzlich Hilfe in Form von Schuldnerberatung, Gesundheits- und Krankenhilfe, Altenhilfe und Integrationshilfe für Menschen mit Behinderung und MigrantInnen angeboten. Der ASD bzw. das Jugendamt übernimmt auch Aufgaben, die der Entwicklung der regionalen sozialen Infrastruktur dienen. Hierzu zählt die Evaluation von eigenen Angeboten für betroffene Kinder, Jugendliche und deren Familien, sowie die Evaluation der Angebote, die gemeinsam mit freien Trägern im kommunalen Raum angeboten werden. Auch die örtliche Sozialplanung gehört zu den Aufgaben des ASD, die der regionalen sozialen Infrastruktur dienen (vgl. ebd., S.2).
2.3.3. Der Allgemeine Soziale Dienst im Jugendamt XY
Im Amt für Jugend und Familie, als ein Teilbereich eines Landratsamtes, ist der Allgemeine Soziale Dienst angesiedelt. Dieser hat in diesem Fallbeispiel insgesamt 8 MitarbeiterInnen in Voll- und Teilzeit beschäftigt. Sie wirken auch bei gerichtlichen Verfahren mit, bei denen es um die elterliche Sorge bei getrenntlebenden Elternpaaren, Scheidung der Eltern, Umgang mit dem Kind, Unterstützung der Eltern bei Ausübung der Personensorge und um die Gefährdung des Kindeswohls geht. Der ASD unterstützt die zuständigen Gerichte bei allen Maßnahmen, die die Sorge für Kinder und Jugendliche betreffen (vgl. §50 Abs. 1 S. 1 SGB VIII). In den gerichtlichen Verfahren hat der ASD die Aufgabe erzieherische und soziale Gegebenheiten des Falls einzubringen und über angebotene und bereits erbrachte Hilfen zur Erziehung zu berichten. Zusätzlich weist der Allgemeine Soziale Dienst auf weitere Hilfeangebote für die Betroffenen hin (vgl. LANDKREIS XY 2009). Die MitarbeiterInnen des ASD sind weiterhin zuständig für die Hilfen zur Erziehung. Dazu gehört die Erziehungsberatung, Erziehungsbeistandschaft, sozialpädagogische Familien- und Einzelbetreuung, Unterbringung des Kindes oder des Jugendlichen in teilstationärer Form sowie in einem Kinder- und Jugendheim oder in einer anderen betreuten Wohnform und die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie (vgl. § 27 ff. SGB VIII). Im zweiten Unterabschnitt des Gesetzestextes ist die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche geregelt (vgl. §35a SGB VIII). Auch hierfür sind die MitarbeiterInnen des ASD zuständig. Die Hilfe für junge Volljährige und die vorläufigen Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen fallen ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich des Allgemeinen Sozialen Dienstes (vgl. §41 f. SGB VIII). Die vorläufigen Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen sind z.B. die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen, wie im §42 SGB VIII geregelt. Hierbei arbeitet der ASD bei Bedarf eng mit dem zuständigen Familiengericht zusammen. Nämlich dann, wenn die Erziehungsberechtigten einer Inobhutnahme nicht zustimmen und diese aber aus Gründen des Kinderschutzes notwendig erscheint, muss das Familiengericht an Stelle der Eltern die Zustimmung erteilen (vgl. LANDKREIS XY 2009).
3. Rechtliche Grundlagen
Im nachfolgenden Kapitel sollen die wesentlichen rechtlichen Grundlagen, welche für diese Arbeit von Bedeutung sind genauer beschrieben werden. Die gesetzlichen Gegebenheiten im Bereich Kindeswohlgefährdung und den Umgang damit von Seiten der Schnittstellen Jugendamt und Schule sind für das Verständnis dieses Themas grundlegend, weshalb eine genaue Erläuterung an dieser Stelle angezeigt ist. Die Rechtsbegriffe „insoweit erfahrene Fachkraft“ und „gewichtige Anhaltspunkte“ werden genauer definiert sowie, das Zusammenwirken der Schnittstellen Jugendamt und Schule im Fall einer Gefährdung des Kindeswohls beschrieben. Die Unterkapitel teilen sich auf in „Grundgesetz“ (3.1.), „Bundeskinderschutzgesetz“ (3.2.), „Kinderschutz in der Schule“ (3.3.) und „Kinderschutz im Jugendamt“ (3.4.). Die beiden letzten Unterkapitel teilen sich wiederum in Unterpunkte auf, in denen die Gesetze, Rechtsbegriffe und Regelungen zum Vorgehen im Fall einer Gefährdung des Kindeswohls erläutert werden.
3.1. Grundgesetz
„Das Grundgesetz ist das Gesetz mit dem höchsten Rang in unserer Rechtssprechung“ (BLJA 2002, S. 1). So steht das Grundgesetz vor jedem anderen rechtskräftigen Gesetz in Deutschland, auch auf kommunaler Ebene. Dies gilt auch für die Gesetze im Bereich der Kinder und Jugendhilfe und ist deshalb in diesem Kontext von Bedeutung (vgl. ebd., S.1).
Der hierfür wesentliche Artikel im deutschen Grundgesetz ist der Artikel 6. Darin ist Folgendes geregelt: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ (Art. 6 Abs. 2 GG). Unter staatliche Gemeinschaft ist hier unter anderem das Jugendamt oder auch die Schule gemeint. Diese haben ein so genanntes „staatliches Wächteramt“ inne und schreiten ein, wenn Eltern ihre Elternverantwortung vernachlässigen. Der Artikel 6 bildet den grundlegenden Arbeitsauftrag für die Erfüllung des staatlichen Schutzauftrages, an den unter anderem auch Schulen und Jugendämter gebunden sind. In Artikel 7 des Grundgesetzes wird zudem der eigenständige, aber trotzdem staatliche Erziehungsauftrag der Schulen genannt, welcher im Zusammenhang mit dem Umgang von Kindeswohlgefährdung durch die Schule ebenfalls eine Rolle spielt (vgl. Art. 7 GG).
Im Bereich Kindeswohl und Kindesschutz sind außerdem die Artikel 1 und 2 des deutschen Grundgesetzes von Bedeutung. Das höchste Recht in Deutschland, der Artikel 1 regelt die Würde des Menschen. Diese ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt (vgl. Art. 1 Abs. 1 GG). In diesem Kontext sind unter staatlicher Gewalt unter anderem auch wieder die Schulen und Jugendämter gemeint. Konkret sind hier Jugendämter und Schulen dazu verpflichtet, die menschliche Würde, welche auch das Kindeswohl einschließt, zu schützen. In Artikel 2 ist das Recht des einzelnen auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit verankert (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG). Zudem ist im zweiten Artikel das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit genannt (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG). Die Inhalte beider Abschnitte stellen einen wesentlichen Bereich des Kindeswohls dar, welches es zu schützen gilt. Zum eben jenem Schutz sind auch hier die Institutionen die ein staatliches Wächteramt innehaben, verpflichtet.
Bei der Ausübung des staatlichen Wächteramts ist es nicht vorrangig eine bessere Erziehung für das Kind zu gewährleisten, sondern das Kind oder den Jugendlichen vor Schaden zu bewahren (vgl. BLJA 2002, S. 2). Dabei ist es allerdings wichtig, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Wenn das staatliche Wächteramt aktiviert wird und in das Elterngrundrecht eingreift, so muss der Eingriff geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein um eine mögliche Kindeswohlgefährdung abwehren zu können. Grundsätzlich ist hier noch festzuhalten, dass die staatliche Gemeinschaft für das staatliche Wächteramt verantwortlich ist und dieses nicht vollständig auf Private übertragen werden kann. Mit Private sind in diesem Zusammenhang beispielsweise freie Träger der Jugendhilfe gemeint (vgl. ebd., S. 2 f.).
3.2. Bundeskinderschutzgesetz
Das Bundeskinderschutzgesetz, kurz BkiSchG, auch „Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen“ genannt, ist am 01. Januar 2012 in Kraft getreten. Der Verabschiedung dieses Gesetzes ging eine lange Diskussion von Fachwelt, Politik und Öffentlichkeit voraus. Zahlreiche „Runde Tische“ und Arbeitskreise zum Thema Kinderschutz wurden abgehalten und mehrere Anläufe für die Durchsetzung des Bundeskinderschutzgesetzes sind unternommen worden. Im Dezember 2011 ist das Gesetz letztlich im Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden und im Januar 2012 in Kraft getreten (vgl. MEYSEN / ESCHELBACH 2012, S. 27 ff.).
Das Bundeskinderschutzgesetz besteht aus sechs Artikeln. In Artikel 1 ist das „Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz“, kurz KKG, untergebracht. In Artikel 2 die Änderungen des Achten Buches Sozialgesetzbuch und in Artikel 3 die Änderungen anderer Gesetze. Weiterhin ist in Artikel 4 die Evaluation, in Artikel 5 die Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch und in Artikel 6 das Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes geregelt.
Die Ziele des Bundeskinderschutzgesetzes sind in dessen Vorblatt von der Bundesregierung genauer definiert worden. Dazu gehört die Befugnis der Gesundheitsberufe zur Informationsweitergabe von Fällen akuter Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt. Zudem wird die Weiterentwicklung von fachlicher Handlungsleitlinien und Qualitätskriterien für die Kinder- und Jugendhilfe, besonders für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, beschlossen. Zur Weiterentwicklung der Qualitätskriterien gehört auch der Einsatz von erweiterten Führungszeugnissen für Personen die professionell mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Außerdem muss das Instrument der Gefährdungseinschätzung bei einem Fall von Kindeswohlgefährdung auch für Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder geistiger Behinderung gelten (vgl. ebd., S. 37 f.).
Für diese Ziele hat die Bundesregierung Lösungen ausgearbeitet, die im neuen Bundeskinderschutzgesetz verankert sind. Lösungen sind die Einrichtung von Netzwerken im Kinderschutz auf örtlicher Ebene, den Ausbau von Hilfen zur Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren des Kindes, auch „Frühe Hilfen“ genannt, der durch eine zeitlich befristete Bundesinitiative zum Aus- und Aufbau des Einsatzes von Familienhebammen unterstützt wird und eine weitere Qualifizierung des Schutzauftrags des Jugendamtes bei Kindeswohlgefährdung. Der Schutzauftrag des Jugendamtes in §8a Abs. 1 bis 4 SGB VIII wurde im neuen BkiSchG erweitert. Zudem wird die Zusammenarbeit der Jugendämter zum Schutz von Kindern, deren Eltern sich durch Wohnungswechsel der Kontaktaufnahme durch Jugendämter entziehen wollen, verbessert. Im Fachjargon wird diese Art des Wohnungswechsels als so genanntes „Jugendamts- Hopping“ bezeichnet. Weiterhin wird eine bundeseinheitliche Regelung der Befugnis kinder- und jugendnaher Berufsgeheimnisträger zur Weitergabe von Informationen an das Jugendamt geregelt, die Verpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Qualitätssicherung sowie zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen mit der freien Jugendhilfe als Grundlage für die Finanzierung und die Verpflichtung zur Vorlage erweiterter Führungszeugnisse für alle in der Jugendhilfe beschäftigten Personen, sowie das Personal in den erlaubnispflichtigen Einrichtungen vereinbart. Zum Schluss beinhaltet das neue Bundeskinderschutzgesetz die Verpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, mit den Trägern der freien Jugendhilfe Vereinbarungen über die Tätigkeiten zu treffen, bei denen die Vorlage erweiterter Führungszeugnisse auch durch ehrenamtlich tätige Personen notwendig ist (vgl. ebd., S. 38).
Für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind insbesondere die weitere Qualifizierung des Schutzauftrags des Jugendamts bei Kindeswohlgefährdung und die bundeseinheitliche Regelung der Befugnis kinder- und jugendnaher Berufsgeheimnisträger zur Weitergabe von Informationen an das Jugendamt.
3.3. Kinderschutz in der Schule
Der Kinderschutz in der Schule ist grundlegend zuerst einmal im Grundgesetz verankert. Als ein Teilbereich der staatlichen Gemeinschaft müssen Schulen über die Betätigung der Pflege und Erziehung der Kinder durch die Eltern wachen (vgl. Art. 6 GG). Zudem gibt das Grundgesetz den Schulen einen selbständigen Erziehungsauftrag, der nicht in Zusammenhang mit den Erziehungsberechtigten steht (vgl. Art. 7 Abs.1 GG). Weiterhin regelt das im Januar 2012 neu in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz in Artikel 1, dem KKG, die Handlungspflichten der LehrerInnen, SchulleiterInnen und der Schulverwaltung in Fällen von Kindeswohlgefährdung. Hier wird der Kinderschutz in der Schule konkret aufgezeigt (vgl. HOFFMANN o.J., S. 8). Das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz regelt außerdem die Zusammenarbeit mit den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe im Fall einer Gefährdung des Kindeswohls (vgl. Art. 31 BayEUG). Im Umkehrschluss dazu sind die öffentlichen Träger der Jugendhilfe dazu angehalten mit Schulen und Stellen der Schulverwaltung zu kooperieren, wenn sich deren Tätigkeit auf die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen, sowie deren Familien auswirkt (vgl. §81 SGB VIII). In den nachfolgenden Unterpunkten werden deshalb die rechtlichen Grundlagen rund um den Kinderschutz in der Schule genauer erläutert. Dabei geht es um das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz. Im speziellen, um den §4 des KKG als einen Teilbereich des Bundeskinderschutzgesetzes und um den Rechtsbegriff der „insoweit erfahrenen Fachkraft“ der in §4 KKG genannt wird. Das Wissen über die rechtlichen Vorgaben und den Umgang mit Kinderschutz in der Schule ist für das korrekte Vorgehen, vor allem im Bereich der Kindeswohlgefährdungen, unerlässlich. Deshalb sollen an dieser Stelle die gesetzlichen Regelungen erläutert und der Begriff „insoweit erfahrene Fachkraft“ erklärt werden.
3.3.1. Bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz
Das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz ist eine der wichtigsten gesetzlichen Grundlagen für bayerische Schulen, wenn es um die Zusammenarbeit mit Stellen der Jugendhilfe oder mit Erziehungsberechtigten geht. Das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz besagt daher Folgendes: „Die Schulen arbeiten in Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Jugendämtern und den Trägern der freien Jugendhilfe sowie anderen Trägern und Einrichtungen der außerschulischen Erziehung und Bildung zusammen. Sie sollen das zuständige Jugendamt unterrichten, wenn Tatsachen bekannt werden, die darauf schließen lassen, dass das Wohl einer Schülerin oder eines Schülers ernsthaft gefährdet oder beeinträchtigt ist und deshalb Maßnahmen der Jugendhilfe notwendig sind.“ (Art. 31 Abs. 1 BayEUG). Diese relativ allgemeine Aufforderung des bayerischen Schulrechts kann, wie oben schon einmal genannt, eine Kooperation von Jugendämtern und Schulen erschweren, da nicht eindeutig geregelt ist, wie beide Stellen in Gefährdungsfällen zusammenarbeiten sollen.
Weitere wichtige Inhalte des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes sind im Zusammenhang mit dem Umgang von Kindeswohlgefährdung durch die Schule die Artikel 74 und 75 des BayEUG. In Art. 74 wird von einer Zusammenarbeit mit gegenseitigem Vertrauen von Schule und Erziehungsberechtigten gesprochen (vgl. Art. 74 Abs. 1 BayEUG). Dies ist insbesondere in Zusammenhang mit dem §4 des KKG von Bedeutung, auf welchen im nächsten Unterpunkt näher eingegangen wird. In Art. 75 werden die Pflichten der Schule dargestellt. Darin heißt es: „Die Schule ist verpflichtet, die Erziehungsberechtigten möglichst frühzeitig über ein auffallendes Absinken des Leitungsstands und sonstige wesentliche, die Schülerin oder den Schüler betreffende Vorgänge schriftlich, aber nicht in elektronischer Form zu unterrichten.“ (vgl. Art. 75 Abs.1 S.1 BayEUG). In diesem Artikel wird, wieder ganz allgemein, von „die SchülerInnen betreffende Vorgänge“ gesprochen. Auch dieser Artikel ist in Zusammenhang mit dem §4 des KKG wichtig. Darin wird nämlich von einem Zusammenwirken von Schule und Personensorgeberechtigten gesprochen, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden (vgl. §4 Abs. 1 Nr. 7 KKG). Mit „die SchülerInnen betreffende Vorgänge“ könnte ein Fall von Kindeswohlgefährdung interpretiert werden. Hierbei haben laut Bayerischem Erziehungs- und Unterrichtsgesetz die Schulen mit den Erziehungsberechtigten zu kooperieren.
In der nachfolgenden Abbildung wird das mögliche Vorgehen von Schulen im Fall eines Verdachts oder einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls gemäß Art. 31 des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes in Form eines Flussdiagramms dargestellt. Dabei ist auf der rechten Seite das korrekte Vorgehen von Schulen im Falle einer akuten Kindeswohlgefährdung dargestellt. Auf der linken Seite sind die aufeinanderfolgenden Verfahrensschritte und Maßnahmen aufgezeigt, die LehrerInnen einhalten sollten um eine Gefährdungssituation abwenden zu können.
Abbildung 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Verfahrensbeschreibung im Rahmen des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung gem. BayEUG Art. 31 (PJS Stadt Nürnberg 2013, S. 13)
3.3.2. Vorgehen gemäß §4 KKG
Am 01. Januar 2012 wurde das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz eingeführt. Dieses Gesetz, kurz KKG genannt, ist ein Teilbereich des Bundeskinderschutzgesetzes. Im neu verabschiedeten KKG werden nun nicht mehr nur Verpflichtungen von Seiten der Schulen, sondern auch von einzelnen LehrerInnen definiert. Das Gesetz macht zudem genaue Vorgaben für das Vorgehen bei einem Verdacht oder einem konkreten Fall einer Gefährdung des Kindeswohls (vgl. HOFFMANN o.J., S. 2). Hier soll eine Rechtsgrundlage für das Übermitteln von Daten von so genannten „Berufsgeheimnisträgern“ an das Jugendamt geschaffen werden (vgl. ebd., S. 5). Ein Ablaufdiagramm in dem das Vorgehen nach §4 KKG visuell dargestellt ist, wird im weiteren Verlauf der Arbeit gezeigt.
Der §4 des KKG lautet: „Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung“. Dieser spezielle Bereich des KKG regelt das Vorgehen im Falle eines Verdachts oder im Falle einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls für „Berufsgeheimnisträger“. Mit diesen sind neben ÄrztInnen, PsychologInnen und SozialarbeiterInnen auch LehrerInnen gemeint. In Absatz 1 wird zu Beginn des Paragrafen Folgendes geregelt: „Werden Lehrerinnen oder Lehrern an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.“ (vgl. §4 Abs.1 Nr. 7 KKG). Die gewichtigen Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls werden im weiteren Verlauf der Arbeit genauer erläutert. Kurz vorab zur Erklärung sind gewichtige Anhaltspunkte beispielsweise eine unzureichende Körperpflege, nicht näher definierbare äußere Verletzungen oder aggressives Verhalten in der Schule. Wichtig in diesem Absatz des Gesetzestextes sind insbesondere die Abklärung der Beobachtungen und das Hinwirken auf entsprechende Hilfen mit den Erziehungsberechtigten, nur soweit der Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht gefährdet wird. Dies betrifft alle LehrerInnen, die gewichtige Anhaltspunkte bei SchülerInnen wahrnehmen (vgl. HOFFMANN o.J., S. 4). Entsprechende Hilfen, sind alle Hilfemaßnahmen die eine Kindeswohlgefährdung vermeiden können. Dies sind z.B. Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch oder auch Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und deren Eltern (vgl. §27 ff.; §35a SGB VIII).
Da LehrerInnen im Feststellen von etwaigen gewichtigen Anhaltspunkten und deren Deutung nicht speziell ausgebildet sind, können Unsicherheiten darüber entstehen, ob es sich nun um eine Kindeswohlgefährdung handelt oder nicht. Wenn Unsicherheiten bezüglich der Deutung gewichtiger Anhaltspunkte entstehen, haben LehrerInnen Anspruch auf Beratung durch eine so genannte „insoweit erfahrene Fachkraft“. Der Absatz 2 des §4 KKG besagt dahingehend Folgendes: „Die Personen nach Absatz 1 haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdungen gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren.“ (§4 Abs. 2 KKG). Pseudonymisieren von Daten bedeutet, dass die Daten der betroffenen Personen verschleiert werden. Das Bundesdatenschutzgesetz erklärt weiter: „Pseudonymisieren ist das Ersetzen des Namens oder anderer Identifikationsmerkmale durch ein Kennzeichen zu dem Zweck die Bestimmung des Betroffenen auszuschließen oder wesentlich zu erschweren.“ (§3 Abs. 6 BDSG). Bevor die Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ in Anspruch genommen wird, werden in der Praxis oftmals die SchulleiterInnen, andere LehrerInnen und auch die JugendsozialarbeiterInnen an Schulen zu einem konkreten Fall befragt. Die gewichtigen Anhaltspunkte werden miteinander besprochen und ausgewertet. Wichtig ist dabei der Erforderlichkeitsgrundsatz, der auch für LehrerInnen gilt. Nach diesem Grundsatz dürfen Daten nur in dem Maß erhoben werden, der für das korrekte Behandeln der Aufgabe erforderlich ist. So dürfen LehrerInnen und JugendsozialarbeiterInnen an Schulen aus Datenschutzgründen keine Informationen von Ärzten, Bekannten, Verwandten und ähnlichen Personen einholen. Sie sollen die gewichtigen Anhaltspunkte nur erkennen und keine Diagnose über die Ursachen der möglichen Kindeswohlgefährdung erstellen (vgl. HOFFMANN o.J., S. 3).
Haben LehrerInnen und JugendsozialarbeiterInnen an Schulen den Eindruck, dass mit der Kooperation der Erziehungsberechtigten in Fällen der Gefährdung des Kindeswohls der Schutz für die betroffenen Kinder und Jugendlichen verloren geht, so sind sie befugt das zuständige Jugendamt einzuschalten. Das KKG schreibt dazu Folgendes: „Scheidet eine Abwendung der Gefährdung nach Absatz 1 aus oder ist ein Vorgehen nach Absatz 1 erfolglos und halten die in Absatz 1 genannten Personen ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Satz 1 befugt, dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen“ (vgl. §4 Abs. 3 KKG). Konkret gesagt sind LehrerInnen und JugendsozialarbeiterInnen an Schulen befugt das Jugendamt einzuschalten, wenn Erziehungsberechtigte keine Mitwirkungsbereitschaft zur Abwendung einer möglichen Gefährdung zeigen oder ein Einbeziehen der Erziehungsberechtigen den Schutz der Kinder und Jugendlichen gefährden würde. Sie müssen die Eltern vorab über ein Einbeziehen der öffentlichen Jugendhilfe nur unterrichten, wenn dabei der Schutz der Kinder oder Jugendlichen nicht gefährdet wird. Diese „Unterrichtung“ ist außerdem aus Gründen des Vertrauensschutzes zwischen Schulen und Eltern besonders wichtig. In einem solchen Fall, wenn es nicht mehr nur um den Rat einer „insoweit erfahrenen Fachkraft“ geht, dürfen die Daten ohne Veränderung oder Verschleierung weitergegeben werden (vgl. HOFFMANN o.J., S. 6).
Da LehrerInnen und PädagogInnen an Schulen lediglich „befugt“ sind, das Jugendamt einzuschalten, besteht keine grundsätzliche Pflicht zur Meldung. Dennoch können sich LehrerInnen strafbar machen, wenn sie die ihnen obliegende Fürsorge- und Erziehungspflicht missachten (vgl. §171 StGB). Die Fürsorge- und Erziehungspflicht von LehrerInnen kann durch Tun oder Unterlassen gröblich verletzt werden. Im Fall einer Kindeswohlgefährdung kann dies beispielsweise das Nichtbeachten von Hämatomen sein, sodass im weiteren Verlauf das Kind oder der Jugendliche in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt werden kann. Eine weitere Verpflichtung der LehrerInnen besteht in der Beobachtung von Kindern und Jugendlichen nach einem ersten Anfangsverdacht. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob die Erziehungsberechtigten eine Hilfemaßnahme bereits angenommen haben oder nicht. Falls der Verdacht einer Gefährdung des Kindeswohls nicht ausgeräumt werden kann und die Eltern aber schon eine Maßnahme zur Abwendung der Gefährdung in Anspruch genommen haben, ist die Schule wiederum verpflichtet auf eine neue Hilfemaßnahme hinzuwirken (vgl. HOFFMANN o.J., S. 6).
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- Arbeit zitieren
- Barbara Wunder (Autor:in), 2014, Im Fokus der Kindeswohlgefährdungen. Die Schnittstellenproblematik des §8a SGB VIII zwischen Jugendamt und Schulen, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/284657