Für Sozialpädagogen, die mit Borderlinern arbeiten, ist es sehr sinnvoll, über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten Bescheid zu wissen. Einerseits können sie einzelne Elemente für die Beratung oder Betreuung von Borderline-Klienten übernehmen, andererseits ermöglicht es, betroffene Klienten über eine Therapie zu informieren und ihre Fragen dazu zu beantworten. Die hier aufgeführten nicht-medikamentösen Therapieansätze beziehen sich hauptsächlich auf ein stationäres Setting, da ambulante Therapien weitaus mehr differieren als stationäre Behandlungskonzepte. Außerdem stellt die stationäre Therapie einen tiefgreifenden Einschnitt in das Leben eines Klienten dar und deshalb ist die Information darüber besonders wichtig.
Die Pharmakotherapie der Borderline-Störungen muss unbedingt kritisch gesehen werden, denn bisher stehen ihr einige Gründe entgegen: Ein Phänomen bei der medikamentösen Behandlung stellt die hohe Rate von Borderline- Patienten dar, die auf Placebos ansprechen. Placebos sehen aus wie Medikamente, enthalten jedoch keine Wirkstoffe. Der Glaube des Patienten an die Heilkraft des Mittels und die damit verbundene Zuwendung vermindern die Symptome. Zudem kann das Syndrom an sich bisher nicht medikamentös bekämpft werden. Sowohl bei Antidepressiva als auch bei Antipsychotika, die vorwiegend eingesetzten Mittel zur Behandlung psychischer Krankheiten, kommt es für den Patienten oft zu unangenehmen Nebenwirkungen.
Die systemische Familientherapie wird leider von den Krankenkassen nicht anerkannt und bezahlt, deshalb wird sie in vielen Kliniken und ambulanten Therapien nur begleitend zu den herkömmlichen Methoden wie Verhaltenstherapie und Psychoanalyse eingesetzt. Das typische Therapiesetting sieht so aus, dass eine Therapeutin und ein Therapeut zusammen die Familie beraten, wobei sie hinter einer Einweg-Scheibe von Kollegen beobachtet werden und Anregungen bekommen. Es sind jedoch auch Einzelgespräche möglich, die nur von einem Therapeuten geführt werden und die häufig per Video aufgezeichnet werden, um eine angemessene Reflexion zu ermöglichen.
Inhalt
1 Einführung in das Thema "Borderline und Soziale Arbeit"
1.1 Erklärung der Begriffe
1.2 Historischer Überblick
1.3 Kontakt zu Borderlinern in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit
2 Therapeutische Möglichkeiten
2.1 Die medikamentöse Therapie der Borderline-Störung
2.1.1 Antipsychotika
2.1.2 Antidepressiva
2.2 Die psychoanalytische Therapie der Borderline-Störungen
2.3 Dialektisch-behaviorale Therapie
2.4 Systemische Therapie
2.5 Zusammenfassende Bewertung der verschiedenen Ansätze
2.5.1 Vergleich und persönliche Einschätzung
2.5.2 Interessante Aspekte für die Soziale Arbeit
2.6 Anlaufstellen
2.6.1 Kliniken
2.6.2 5.6.2 Hilfe aus dem Internet
3 Beispiele aus der Praxis
3.1 6.1 Gespräche mit Frau W.
3.2 Gespräche mit Frau S.
4 Mein Erleben der Kontakte
5 Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
1 Einführung in das Thema "Borderline und Soziale Arbeit"
1.1 Erklärung der Begriffe
Um Missverständnisse von Anfang an auszuräumen, möchte ich die Begriffe erklären, die ich im Zusammenhang mit Borderline verwende.
Borderline-Syndrom ist der Oberbegriff für alle Arten von Borderline-Störungen. Dieser Begriff macht keine Angabe darüber, wie tiefgreifend eine solche Störung ist. Er bezeichnet jedoch das Zusammentreffen der Symptome, die bei dem Betroffenen auftreten.[1]
Borderline-Zustände können als kurzfristige Dekompensationen von Klienten betrachtet werden, die prinzipiell gut strukturiert sind, aber in bestimmten Situationen einen "Trigger" (=Auslöser) erleben, durch den eine besondere Nähe zu einem innerpsychischen traumatischen Bereich hergestellt wird.[2]
Borderline-typisches Verhalten bezeichnet ein Verhalten, das Symptome der Borderline- Störung aufweist. Durch das Wort Verhalten wird die Annahme nahegelegt, dass es sich nicht um eine Störung handelt, sondern um vom Individuum beeinflussbares Agieren.
Eine Borderline- Persönlichkeitsstörung, abgekürzt BPS, wird durch die Erfüllung von mindestens 5 der 9 speziellen Kriterien des "Diagnostischen und Statistischen Manuals IV" festgestellt. Es muss sich dabei um ein immer wiederkehrendes, zeitlich nicht begrenztes Muster im Verhalten der Persönlichkeit handeln.
Auch der Ausdruck Borderline-Persönlichkeitsorganisation, wie er von Kernberg verwendet wird, zielt auf diese bleibenden Strukturmerkmale der Ich- Organisation ab.[3] Allerdings ist das Konzept der Borderline-Persönlichkeitsorganisation weitreichender gefasst als das Konzept der Borderline-Persönlichkeitsstörung und so kommt es, dass nur 10-25% der Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsorganisationen die Diagnose einer Borderline- Persönlichkeitsstörung bekommen.[4]
In meiner Arbeit werde ich vor allem die Begriffe Borderline-Syndrom und synonym dazu Borderline-Störung verwenden, weil ich damit alle Facetten der oben genannten Begriffe einschließe. Gehe ich auf einen speziellen Aspekt der unterschiedlichen Begriffe ein, werde ich dies explizit erwähnen.
Den Begriff Borderliner, mit dem viele der Betroffenen sich selbst bezeichnen, benutze ich der Einfachheit halber, um Personen mit einem Borderline-Syndrom zu benennen. Ebenso verwende ich die Begriffe Borderline-Klient oder Borderline-Patient allgemein für Menschen mit einer Borderline-Störung.
1.2 Historischer Überblick
1884 wurde der Begriff "borderland" erstmals[5] von Hughes im Zusammenhang mit psychischen Störungen verwendet. Erst 9 Jahre danach führte Kraeplin die Bezeichnungen "Dementia praecox", "Katatonie" und "Dementia paranoides"(heute: Schizophrenie) ein; man sieht also, dass Borderline kein Modebegriff ist, sondern schon vor über 100 Jahren erstmals benutzt wurde. Die "Studien über Hysterie", die 1893 von Breuer und Freud veröffentlicht wurden, enthalten einige Fälle, die man heute als Borderline-Störung einstufen würde. Anna O., die erste von Breuer psychoanalytisch behandelte Patientin, würde beispielsweise unter diese Gruppe fallen.
1906 meinte Wenicke, dass "Grenzfälle" zwischen Angstneurosen und Angstpsychosen existieren. Moore stellte 1921 ebenfalls "borderline cases" (deutsch: Grenzfälle) fest, für die keine hinreichende diagnostische Bezeichnung bestünde. Die Borderline- Störung erhielt ihren Namen also nicht deshalb, weil es sich bei den Klienten um Menschen handelt, die extrem bis an ihre Grenzen gehen, sondern weil es lange Zeit keinen einheitlichen Begriff für diese Art der psychischen Störung gab und eine Benennung des Syndroms nur dadurch erfolgen konnte, dass man es genau in den "Grenz"- Bereich zwischen Neurosen und Psychosen einsortierte.
Schmideberg stufte 1947 die Mehrzahl ihrer Patienten als weder neurotisch noch psychotisch ein, sondern ging davon aus, dass diese als Psychopathen (so lautete die damalige Bezeichnung für Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung) oder auch als Borderline- Fälle zu beurteilen seien.
Die Erschließung der menschlichen Seele wurde in diesem Jahrhundert stetig vorangetrieben, und so begann Otto Kernberg 1967 mit Veröffentlichungen über Borderline- Störungen. 1975 gab er schließlich das Standardwerk "Borderline- Störungen und pathologischer Narzissmus" in den USA heraus, das ein noch heute genutztes Konzept der Borderline- Störungen beinhaltet. Otto Kernberg gilt seitdem als der Vater des Borderline- Konzeptes, der in so gut wie aller Literatur über Borderline- Störungen erwähnt wird. Sein Werk wurde in viele Sprachen übersetzt und einige Male von ihm überarbeitet. Auch heute noch setzt sich Otto Kernberg mit dem Thema auseinander, sowohl in der Zeitschrift "Persönlichkeitsstörungen- Theorie und Therapie", die er mit anderen Fachleuten zusammen herausgibt, als auch im "Handbuch der Borderline-Störungen", das im Jahr 2000 im Schattauer Verlag erschien.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und die Nachwirkungen der Veröffentlichung von "Borderline- Störungen und pathologischer Narzissmus" für die Praxis betrachten. Man hatte damit zwar eine genaue Beschreibung und umfassende Erklärung gewonnen, benötigte jedoch ein "Messinstrument", um eine handfeste Diagnose erstellen zu können. Im Jahr 1978 wurde deshalb von Gunderson und Kolb ein halbstrukturiertes "Diagnostisches Interview für das Borderline- Syndrom" veröffentlicht, welches von der Wissenschaft als Standardverfahren zur Erkennung und Einstufung des Borderline- Syndroms anerkannt wird.
1.3 Kontakt zu Borderlinern in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit
Rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung muss mindestens einmal im Leben wegen einer psychischen Erkrankung stationär behandelt werden. Solche Leiden sind inzwischen der häufigste Grund für Frühpensionierungen bei Frauen und stehen insgesamt an sechster Stelle der Ursachen für Arbeitsunfähigkeit, wie die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) auf einem Kongress in Augsburg berichtete. 13,5% der Krankenhaustage und 10 % der Kosten für stationäre Behandlungen seien auf psychische Leiden zurückzuführen.[6] Man kann also nicht davon ausgehen, dass psychische Krankheiten Einzelfälle sind.
Experten schätzen den Anteil von Menschen, die einmal in ihrem Leben eine Borderline-Störung entwickeln, auf 0,8 bis 1,8 % der Gesamtbevölkerung. In stationärer Behandlung finden sich mehr Borderliner als Schizophrene. Widinger und Weissman gehen diesbezüglich davon aus, dass 15% aller psychiatrisch stationär behandelten Patienten an einer Borderline- Störung leiden. Demnach stellt das Borderline- Syndrom eine der häufigsten stationär behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen dar.[7]
Zu den Kosten gibt es keine bundeseinheitliche Statistik. Erhebungen einiger Kliniken existieren jedoch: So gehen beispielsweise Jerschke et al. davon aus, dass die Borderline-Patienten der Freiburger Universitätsklinik in den letzten zwei Jahren vor der Aufnahme etwa 24 000 DM, also heute etwa 12 000 Euro Kosten pro Patient und Jahr verursachten.[8]
Der hohe Anteil der Borderline- Störungen unter der Bevölkerung und die immensen Behandlungskosten für psychische Krankheiten verdeutlichen den Interventionsbedarf. Wenn man davon ausgeht, dass Sozialpädagogen immer da eingesetzt werden, wo es gerade brennt, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Arbeitsbereiche mit Borderlinern für Sozialpädagogen sehr umfangreich sind.
Ein Wandel des therapeutischen Denkens trägt ebenfalls seinen Teil dazu bei, dass diese Arbeitsbereiche noch weiter ausgedehnt werden: Der Fokus der Erklärungsansätze für das Borderline- Syndrom lag lange Zeit auf dem betroffenen Individuum. Erst nach und nach wurde auch das System, in dem das Individuum sich bewegt, in die Überlegungen mit einbezogen. Dadurch gewann die Soziale Arbeit in diesem Themenfeld an Bedeutung.
In den folgenden sechs Bereichen ist meiner Meinung nach die Wahrscheinlichkeit hoch, mit Borderlinern zu arbeiten.
1. Krankenhaussozialarbeit
Die Krankenhaussozialarbeit befindet sich in einer Wachstumsphase, und es wurde schon seit Längerem erkannt, dass vor allem im Bereich der Psychiatrie immer mehr sozialpädagogische Fachkräfte gebraucht werden. Sie sollen vor allem eine Unterstützung bei der Neuorientierung im Alltag nach dem Klinikaufenthalt bieten, um den Drehtür-Effekt (d.h. die Klienten werden entlassen und kurz danach wieder eingewiesen) zu reduzieren. Zwar liegen viele verwaltungsorientierte Aufgaben, wie z.B. die Klärung der Krankenversicherungsfragen und die Vermittlung in Nachsorgemaßnahmen, in den Händen von Sozialpädagogen, doch genauso wichtig ist der direkte Kontakt zu ihren Klienten.
2. Sozialpsychiatrische Dienste
Sozialpsychiatrische Dienste arbeiten Hand in Hand mit den Krankenhaussozialarbeitern der Psychiatrien und Fachkliniken, denn ihre Aufgabe ist es, chronisch psychisch Kranken eine weitgehend selbstständige Lebensführung zu ermöglichen. Dazu gehört auch, Krankheitrückfällen und weiteren Krankenhausaufenthalten vorzubeugen. Neben Menschen mit Psychosen und affektiven Störungen gehören auch Menschen mit Persönlichkeitsstörungen wie der Borderline-Störung zum typischen Klientel.
3. Suchtkrankenhilfe
Suchterkrankungen sind unter Borderlinern weit verbreitet. Deshalb liegt es nahe, dass das Klientel der Suchtkrankenhilfe oft Borderline- Züge aufweist und eine entsprechende Therapie benötigt. Besonders bei Menschen, denen es leicht fällt, eine Sucht aufzugeben und sie dann schnellstmöglich durch eine andere Sucht ersetzen, ist diese Diagnose in Erwägung zu ziehen. Es ist dann wichtig, sich nicht nur auf die Abhängigkeit zu konzentrieren, da sie nur eines von vielen Symptomen ist. Vielmehr muss auch dem Klienten entsprechend auf die anderen psychischen Probleme eingegangen werden, wie einige Fachkliniken bereits erkannt und in ihren Konzepten umgesetzt haben.
4. Straffälligenhilfe
Die mangelnde Impulskontrolle bei Aggressionen, die ein Symptom des Borderline-Syndroms ist, begünstigt Kriminalität. Deshalb ist die Straffälligenhilfe ein Sozialpädagogisches Arbeitsfeld, in dem man immer wieder mit Borderlinern konfrontiert wird. Bei den Straftaten handelt es sich meist um leichtere Delikte wie Diebstahl und jugendtypische Taten wie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, deshalb werden vor allem die Bewährungshilfe und die Jugendgerichtshilfe betroffen sein.
5. Ehe-, Familien- und Lebensberatung
In der Einleitung erwähnte ich bereits, dass die mir bekannten Angehörigen von Borderlinern in Beratungsstellen der Familien- und Lebensberatung Hilfe suchten. Ein Grund dafür sind die Streitereien und Auseinandersetzungen, die in diesen Partnerschaften entstehen, wenn keine Nähe-Distanz-Regelung gefunden werden kann, die für beide Parteien akzeptabel ist. Oft ist die Situation für beide Partner sehr belastend. Die Zahlen sprechen für sich: "Stürmische" Ehebeziehungen sind bei Borderlinern mit 50% gegenüber der Gesamtpopulation mit 29,9% signifikant häufiger.[9]
6. Wohngruppen und betreutes Jugendwohnen
Bei einer Fortbildung über "Selbstverletzendes Verhalten junger Frauen", die am 26. und 27. September 2002 im Mädchengesundheitsladen in Stuttgart stattfand, lernte ich einige Sozialpädagoginnen kennen, die Wohngruppen für junge Erwachsene betreuten. Auffällig oft kam es dort bei den jungen Frauen zu autoaggressiven Handlungen wie Schneiden oder Verbrennen der Haut. Da die Diagnose Borderline auffällig oft im Zusammenhang mit Selbstverletzungen steht, stellt auch dieser Arbeitsbereich sehr wahrscheinlich Kontakte zu Borderlinern her. Marsha Linehan weist auf die Untersuchung von Cowdry, Pickar & Davis im Jahr 1985 hin, in der 70-75% der Borderline Patientin in der Vorgeschichte mindestens eine selbstverletzende Handlung begangen haben.[10]
Die Sozialpädagoginnen kannten die Diagnose der jungen Frauen oft, sahen darin aber die Bestätigung, dass den Klientinnen nicht zu helfen sei, was eine sehr fatale Arbeitshaltung sowohl für die Frauen als auch für die Fachkräfte ist. Beide werden letztendlich darunter leiden, wenn sich keine Verbesserungen des Wohlergehens der Klientinnen zeigen.
In dieser Fortbildung wurde mir sehr deutlich bewusst, dass Fachkräfte selbst dann noch überfordert sein können, wenn sie die Diagnose kennen und sich selbst informieren könnten, es aber in der Annahme nicht tun, dass dies allein die Aufgabe von Psychotherapeuten sei.
Deshalb bin ich der Meinung, dass spezielle Schulungen für Sozialpädagogen in den genannten Bereichen angebracht wären. Darin sollte der Umgang mit den Symptomen zum Thema gemacht werden. Außerdem wären Ratschläge für die Zusammenarbeit des Teams der Sozialpädagogen untereinander sinnvoll, damit im Arbeitsalltag eine Unterstützung für alle Mitarbeiter geboten werden kann.
2 Therapeutische Möglichkeiten
Für Sozialpädagogen, die mit Borderlinern arbeiten, ist es sehr sinnvoll, über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten Bescheid zu wissen. Einerseits können sie einzelne Elemente für die Beratung oder Betreuung von Borderline-Klienten übernehmen, andererseits ermöglicht es, betroffene Klienten über eine Therapie zu informieren und ihre Fragen dazu zu beantworten.
Unter Punkt 2.6 werde ich zu diesem Zweck einige Adressen von Kliniken angeben, die auf die Behandlung von Borderline spezialisiert sind sowie Internet-Adressen aufführen, die für Fachleute, Betroffene und Angehörige von Interesse sein können.
Die hier aufgeführten nicht-medikamentösen Therapieansätze beziehen sich hauptsächlich auf ein stationäres Setting, da ambulante Therapien weitaus mehr differieren als stationäre Behandlungskonzepte. Außerdem stellt die stationäre Therapie einen tiefgreifenden Einschnitt in das Leben eines Klienten dar und deshalb ist die Information darüber besonders wichtig.
2.1 Die medikamentöse Therapie der Borderline-Störung
Die Pharmakotherapie der Borderline-Störungen muss unbedingt kritisch gesehen werden, denn bisher stehen ihr einige Gründe entgegen: Ein Phänomen bei der medikamentösen Behandlung stellt die hohe Rate von Borderline- Patienten dar, die auf Placebos ansprechen. Placebos sehen aus wie Medikamente, enthalten jedoch keine Wirkstoffe. Der Glaube des Patienten an die Heilkraft des Mittels und die damit verbundene Zuwendung vermindern die Symptome. Zudem kann das Syndrom an sich bisher nicht medikamentös bekämpft werden. Sowohl bei Antidepressiva als auch bei Antipsychotika, die vorwiegend eingesetzten Mittel zur Behandlung psychischer Krankheiten, kommt es für den Patienten oft zu unangenehmen Nebenwirkungen.
Daher ist die Frage berechtigt, ob eine Pharmakotherapie bei Borderline-Störungen überhaupt dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entspricht, das heißt, ob der daraus gewonnene Nutzen die Nachteile übertrifft.
Christa Rohde-Dachser meint dazu: "Eine begleitende medikamentöse Behandlung in akuten Krisensituationen kann die Angst oder das Getriebensein des Patienten reduzieren und es ihm erleichtern, wieder die notwendige Distanz zu seinem Erleben zu gewinnen."[11] Das würde bedeuten, dass Medikamente zur Gewährleistung der Durchführung einer psychologischen Therapie durchaus sinnvoll eingesetzt werden können. Dennoch ist eine gründliche Abwägung nicht zu umgehen, denn es kann passieren, dass der Patient eine fehlgeschlagene Medikation als Vertrauensbruch durch den Psychiater ansieht, was häufig eine Verschlimmerung der Symptome bewirkt.
Die unterschiedlichen Psychopharmaka beeinflussen bestimmte Symptome in besonderem Maße, deshalb muss vorher abgeklärt werden, ob der Patient eher zu Aggressionen, Depressionen oder Mini-Psychosen neigt.
2.1.1 Antipsychotika
Antipsychotika waren früher unter dem Namen Neuroleptika bekannt. Sie haben einen beruhigenden Effekt und wirken gegen Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Erfolglos wurden damit Borderline-Patienten therapiert, die weder depressive noch schizophrene Symptome aufwiesen. Umgekehrt verbesserte sich der Zustand von denjenigen, die unter beidem leiden, durch die Behandlung mit Antipsychotika deutlich, und zwar schon bei einer sehr niedrigen Dosierung.
Ich möchte nun die unterschiedlichen Untergruppen von Antipsychotika aufzählen, die für eine Pharmakotherapie von Borderline-Patienten relevant sind. Sie werden nur bei schweren Formen und in Krisensituationen eingesetzt.
- Loxapine (In Deutschland nicht im Handel)
Loxapine wirkt besonders gut auf die Fähigkeit zur Kontrolle von Angst, Feindseligkeit, Misstrauen und depressiver Verstimmung ein.
- Flupentixol (Handelsname: Fluanxol)
Flupentixol dient vor allem zur Reduktion von suizidalen Handlungen.
- Tiotixen (Handelsname: Orbinamon)
Eine Verbesserung der Bereiche kognitive Beeinträchtigung, Derealisation, Beziehungsideen, Angst und Depression stellte sich bei 84% der Patienten ein. Zudem kam es "zu einer signifikanten Hebung des Selbstbildes und Steigerung der sozialen Funktionsfähigkeit".[12]
2.1.2 Antidepressiva
Die klassischen trizyklischen Antidepressiva, die einen Abbau von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin hemmen, haben sich als unwirksam für die Therapie der Borderline-Störungen herausgestellt. Hoffnung geben jedoch die sogenannten MAO-Hemmer (Monoaminooxidase-Hemmer), die den Neurotransmitter Adrenalin unwirksam machen.
Phenelzine (in Deutschland nicht im Handel)
Phenelzine beeinflusst den Rückgang von Depression, Angst und Wut positiv. Parsons, Quitkin et al (1989) wiesen in einer Untersuchung die Wirksamkeit an 89% der Patienten nach. Allerdings verbessert sich der Zustand schwer depressiver Patienten dadurch nicht. Sie bekommen Phenelzine in der Regel auch deshalb nicht verordnet, weil damit ein Suizid leicht durchführbar ist.
2.2 Die psychoanalytische Therapie der Borderline-Störungen
In der psychoanalytischen Therapie wurde erkannt, dass eine Modifizierung der üblichen Methode notwendig ist, um Borderline-Patienten angemessen zu behandeln. Dazu gehört z.B. eine Integration therapeutischer Elemente aus anderen therapeutischen Schulen. Natürlich bleibt die Grundlage der psychoanalytischen Therapie auch in diesem integrativen Konzept die Analyse der Affekte und Abwehrformen.
Man kann drei Phasen der psychoanalytischen stationären Therapie unterscheiden[13]:
1. Die Phase der haltenden Funktion: Diese Phase steht am Beginn der Therapie und kann mehrere Wochen dauern. Man versteht darunter sowohl die physische Versorgung des Patienten, die z.B. eine medikamentöse Behandlung beinhalten kann, als auch die emotionale Zuwendung des betreuenden Teams. Der wichtigste Bestandteil der emotionalen Zuwendung ist das Beziehungsangebot und die Beziehungspflege durch das Fachpersonal. Die haltende Funktion schafft einen sicheren und stabilen Rahmen, der die Basis für die nächsten beiden Phasen darstellt.
2. Die Phase der äußeren Strukturierung: Die haltende Funktion wird aufrechterhalten. Hinzu kommen nun die Grenzsetzungen und Strukturvorgaben durch das Team von Krankenpflegepersonal, Ärzten und Therapeuten.
3. Die Phase der inneren Strukturierung: Der Fokus wendet sich der Weiterentwicklung der inneren Strukturierung der Patienten zu, z.B. der Integration "guter" und "böser" Anteile. Die Regelverstöße werden als Möglichkeit zur Deutung und Bearbeitung genutzt. Diese Phase zu meistern ist besonders wichtig, damit die Patienten nach der Klinikentlassung nicht von ihrer alten, unstrukturierten Umgebung überfordert werden. Meist schließt sich dem Klinikaufenthalt eine ambulante Therapie an, auf die sich die innere Strukturierung sehr förderlich auswirkt.
Die Therapie spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, die alle auf der Grundlage der haltenden Funktion stattfinden.[14]
- Körpertherapie soll zu positiven Erfahrungen mit dem eigenen Körper beitragen und die Wahrnehmung der Körpersignale schulen.
- Kunsttherapie dient sowohl zur Anregung kreativer Ich-Aktivitäten als auch zur symbolischen Äußerung von Erlebnissen, Gefühlen und Gedanken.
- Analytische Einzeltherapie findet ein- bis zweimal pro Woche statt, wobei eine Sitzung etwa 50 Minuten dauert. Sie bildet den Schwerpunkt der Therapie neben der analytischen Gruppentherapie.
- Analytische Gruppentherapie: In Gruppen von 8-9 Patienten können viermal pro Woche jeweils eine Stunde lang die Abwehrprozesse verdeutlicht und interpretiert werden. "Das stationäre regressionsfördernde Klima in der Langzeittherapie"[15] aktiviert bzw. verstärkt in der Regel die Abwehrmechanismen der Patienten wie z.B. Spaltung, Projektion, Idealisierung und Entwertung. Dies ist insofern nützlich, dass die Mechanismen aktuell bearbeitet werden können.
Ich möchte ein Beispiel anbringen:
Die Übertragungsprozesse, die der Patient in Gang setzt, indem er das Team in "gute" und "böse" Menschen einteilt, können zu heftigen emotionsgeladenen Spannungen im Team führen. Kann das Fachpersonal dennoch die haltende Funktion aufrecht erhalten und erträgt es die positiven und negativen Beziehungsmuster, die bisher für unvereinbar gehalten wurden, ermöglicht es dem Patienten eine neue Erfahrung. Diese Erfahrung entspricht der haltenden, beruhigenden und integrierenden Kompetenz, die der Patient von seiten seiner Eltern nicht oder in nicht genügendem Maße erhielt.
2.3 Dialektisch-behaviorale Therapie
Bei der dialektisch-behavioralen Therapie, abgekürzt DBT, handelt es sich um eine Spezialisierung der kognitiven Verhaltenstherapie für Borderline-Patienten. Humanistische Therapieverfahren, Hypnotherapie und Grundgedanken aus der Zen-Philosophie fließen ebenfalls ein. Im Original entwickelte Marsha Linehan die DBT für ein ambulantes Setting. Es ist aber möglich, die Therapiebausteine so zu erweitern, dass sie sich auch für ein stationäres Setting eignen. In Deutschland wird die DBT vor allem in der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik in Freiburg angewendet.[16]
Die biosoziale Theorie wird von Marsha Linehan als Erklärungsansatz und Basis der DBT beschrieben.[17] Die Grundannahmen der DBT bestehen darin, dass die Patienten die Therapie nicht böswillig boykottieren, sondern sich ändern wollen, weil ihr Leben in dieser Form unerträglich ist. Um eine Veränderung zu erreichen, müssen sie sich allerdings noch mehr als bisher anstrengen und bemühen.[18]
Therapieablauf
Vor Beginn der Therapie wird mit dem Patienten zusammen die Rangfolge der Dringlichkeit zur Problembearbeitung festgelegt. Am wichtigsten ist es, lebensgefährdendes Verhalten wie Suizidalität und Parasuizidalität zu vermindern. Daran schließt sich die Reduzierung von therapiegefährdendem Verhalten wie z.B. absichtliches Verpassen von Therapiegesprächen an, gefolgt von der Verbesserung der Lebensqualität. Das Erlernen und Stabilisieren von notwendigen Verhaltensfertigkeiten ist eine weitere Säule der Therapie. Macht der Patient in diesen Bereichen Fortschritte, werden posttraumatische Stressreaktionen bearbeitet. Auf dieser Basis kann der Therapeut Hilfestellung beim Erlernen von Selbstrespekt geben.
Zu all diesen Punkten werden Vereinbarungen mit den Patienten geschlossen, die einerseits die Verpflichtungen des Patienten, andererseits auch die Verpflichtungen des Therapeuten betreffen. Das verlängerbare Ein-Jahres-Abkommen wird allen anderen Vereinbarungen zu Grunde gelegt. Hierin verpflichten sich Patient und Therapeut, ein Jahr lang in der Therapie zusammenzuarbeiten.
Weitere Vereinbarungen mit dem Patienten regeln die Anwesenheitspflicht und die Teilnahme am Fertigkeitentraining. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Vereinbarungen über selbstschädigendes und suizidales Verhalten, die in einem Vertrag festgehalten werden können. Die Reduzierung dieser Verhaltensweisen ist das wichtigste Therapieziel, und deshalb müssen sich die Patienten dazu bereit erklären, "für ihre Probleme andere Lösungen zu finden als sich selbst absichtlich zu verletzen oder zu suizidieren."[19]
[...]
[1] Rohde-Dachser, Christa: Das Borderline-Syndrom (1995), S.36
[2] Pfeifer, Samuel und Bräumer, Hansjörg (1999), S.25
[3] Vergleiche Kernberg, Otto (1988)
[4] Kreisman, Jerold J., Straus, Hal (2002), S.247
[5] Dulz, Birger/Schneider, Angela (2001), S. 6f
[6] Im Internet: (http://www.psychotherapiepraxis.at/pt-aktuell.phtml) am 17. Januar 2003
[7] Geuter, Ulfried (2001), S.36
[8] Gunia, Hans/ Hupperitz, Michael/Friedrich, Jürgen/Ehrental, Jil (2000), S. 4
[9] Dulz, Birger/Schneider, Angela (2001) , S.8
[10] Linehan, Marsha (1996), S.2
[11] Christa Rohde-Dachser , Das Borderline-Syndrom (1995), S. 183
[12] Moleman, Peter/ Dam, Karin van/Dings, Veron in: Kernberg, Otto/ Dulz, Birger/ Sachsse, Ulrich (2000), S. 657
[13] Dulz, Birger/ Schneider, Angela (2001), S.100
[14] Janssen, Paul L/Martin, Katharina (2001), in: Dammann, Gerhard/Janssen, Paul L., S. 34f
[15] ebd., S. 35
[16] Gunia, Hans/ Hupperitz, Michael/ Friedrich, Jürgen/ Ehrental, Jil (2000), S.5
[17] Linehan, Marsha (1996), S.32
[18] ebd., S.78f
[19] Linehan, Marsha (1996), S.84