Eine wichtige Grundlage des menschlichen Zusammenlebens besteht darin, dass wir auf Auskünfte unserer Mitmenschen vertrauen. Eine Welt, in der jede einzelne Information zunächst kritisch geprüft wird, bis man absolute Gewissheit über deren Wahrheitsgehalt annimmt, wäre angesichts der zu bewältigenden praktischen Herausforderungen des Alltags nicht denkbar. Schließlich sind unsere Überzeugungen und unser Handeln wesentlich von dem bestimmt, was wir durch andere Menschen erfahren.
Vor dem Hintergrund dieser Tatsache entwickelte sich die erkenntnistheoretische Position des „Antireduktionismus“, die das Zeugnis Anderer in Hinsicht auf Relevanz und Zuverlässigkeit in die Reihe der „traditionellen“ Wissensquellen einreiht. Sie richtet sich gegen die als „Reduktionisten“ bezeichneten Vertreter der These, dass das Zeugnis Anderer als Quelle unseres Wissenserwerbs weniger zuverlässig sei als die Erkenntnisse, die durch internalistische Zugänge erworben werden. Die auf Quellen wie Wahrnehmung, Erinnerung und Schlussfolgerung bauenden Reduktionisten waren daher oft dem Vorwurf des „Individualismus“ ausgesetzt. Um einen vonseiten der Antireduktionisten angegriffenen Philosophen handelt es sich bei David Hume, der sich im Kapitel „About Miracles“ seines Werks „An Enquiry concerning Human Understanding“ unter Anderem über den Status des Zeugnisses Anderer äußert. Hierin argumentiert er, warum Berichte, die von Wundern erzählen, als unwahrscheinlich angesehen werden müssten und entwickelt gleichzeitig Bedingungen, die das Zeugnis Anderer glaubhaft machten. Hierbei hält er jedoch daran fest, dass das Zeugnis Anderer in jedem Falle als eine zweitrangige Wissensquelle zu erachten sei. Das Kapitel „About Miracles“ gilt als die Schrift Humes, die nicht nur vonseiten des Antireduktionismus, sondern auch der Theologie vielfach Reaktionen provozierte, da der schottische Philosoph hier entwaffnende Kritik an den auf Wundern basierenden Offenbarungsreligionen übt. In der vorliegenden Arbeit wird Humes Argumentation jedoch weniger vom theologischen, sondern vielmehr vom erkenntnistheoretischen Standpunkt her beleuchtet. Hierbei werden seine Ausführungen über den Status des Zeugnisses Anderer zunächst herausgefiltert und anschließend den Vorwürfen der „Antireduktionisten“ gegenübergestellt. Im Zuge dessen wird der Frage nachgegangen, ob David Humes Auffassung über den epistemischen Status des Zeugnisses Anderer wiederlegt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hume über die Zweitrangigkeit des Zeugnisses Anderer
2.1 Apriorische Argumente.
2.2 Aposteriorische Argumente
3. Die Kritik der Antireduktionisten an David Hume.
3.1 Zum Begriff der Erfahrung
3.2 Zu den „ rten“ von Zeugnissen
3.3 Zum Misstrauen gegenüber dem Zeugnis Anderer
4. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Eine wichtige Grundlage des menschlichen Zusammenlebens besteht darin, dass wir auf Auskünfte unserer Mitmenschen vertrauen. Eine Welt, in der jede einzelne Information zunächst kritisch geprüft wird, bis man absolute Gewissheit über deren Wahrheitsgehalt annimmt, wäre angesichts der zu bewältigenden praktischen Herausforderungen des Alltags nicht denkbar. Schließlich sind unsere Überzeugungen und unser Handeln wesentlich von dem bestimmt, was wir durch andere Menschen erfahren.
Vor dem Hintergrund dieser Tatsache entwickelte sich die erkenntnistheoretische Position des „Antireduktionismus“, die das Zeugnis Anderer in Hinsicht auf Relevanz und Zuverlässigkeit in die Reihe der „traditionellen“ Wissensquellen einreiht. Sie richtet sich gegen die als „Reduktionisten“ bezeichneten Vertreter der These, dass das Zeugnis Anderer als Quelle unseres Wissenserwerbs weniger zuverlässig sei als die Erkenntnisse, die durch internalistische Zugänge erworben werden. Die auf Quellen wie Wahrnehmung, Erinnerung und Schlussfolgerung bauenden Reduktionisten waren daher oft dem Vorwurf des „Individualismus“ ausgesetzt.1 Um einen vonseiten der Antireduktionisten angegriffenen Philosophen handelt es sich bei David Hume, der sich im Kapitel „About Miracles“ seines Werks „An Enquiry concerning Human Understanding“ unter Anderem über den Status des Zeugnisses Anderer äußert. Hierin argumentiert er, warum Berichte, die von Wundern erzählen, als unwahrscheinlich angesehen werden müssten und entwickelt gleichzeitig Bedingungen, die das Zeugnis Anderer glaubhaft machten. Hierbei hält er jedoch daran fest, dass das Zeugnis Anderer in jedem Falle als eine zweitrangige Wissensquelle zu erachten sei.2 Das Kapitel „About Miracles“ gilt als die Schrift Humes, die nicht nur vonseiten des Antireduktionismus, sondern auch der Theologie vielfach Reaktionen provozierte, da der schottische Philosoph hier entwaffnende Kritik an den auf Wundern basierenden Offenbarungsreligionen übt.3 In der vorliegenden Arbeit soll Humes Argumentation jedoch weniger vom theologischen, sondern vielmehr vom erkenntnistheoretischen Standpunkt her beleuchtet werden. Hierbei sollen seine Ausführungen über den Status des Zeugnisses Anderer zunächst herausgefiltert und anschließend den Vorwürfen der „Antireduktionisten“ gegenübergestellt werden. Im Zuge dessen soll der Frage nachgegangen werden, ob David Humes Auffassung über den epistemischen Status des Zeugnisses Anderer wiederlegt werden kann.
2. Hume über die Zweitrangigkeit des Zeugnisses Anderer
Hume beginnt sein Kapitel, indem er den anglikanischen Erzbischof Dr. Tillotson zitiert, der dem Zeugnis Anderer eine schwächere Beweiskraft als den übrigen Wissensquellen zubilligt und gleichzeitig feststellt, dass schwächere Beweise niemals stärkere aufheben können. Da die Wundererzählungen der Bibel unserer eigenen Erfahrung widersprechen, könne ihnen demnach auf dem Wege der Beweisführung nicht zugestimmt werden. Hume bestätigt seine Zustimmung zu dieser Feststellung und beginnt daraufhin eigene Argumente ins Feld zu führen, die gegen ein blindes Zutrauen in Wundererzählungen sprechen. Gleichzeitig nennt er Bedingungen, die erfüllt sein müssten, um auf das Zeugnis Anderer überhaupt vertrauen zu können.4 Hume begründet hierbei eine Zweitrangigkeit jener Wissensquelle sowohl mit apriorischen als auch mit aposteriorischen Argumenten.5
2.1 Apriorische Argumente
Wenngleich David Hume im Kapitel „About Miracles“ das Zeugnis Anderer zur zweitrangigen Wissensquelle erklärt, misst er ihm folgende Bedeutung bei:
„[…] we may observe, that there is no species of reasoning more common, more useful, and even necessary to human life, than that which is derived from the testimony of men, and the reports of eye-witnesses and spectators.”6
Er würdigt somit die Alltagstauglichkeit des Zeugnisses Anderer, aber gesteht ihm im Verlauf seiner weiteren Ausführungen nicht zu, eine basale Wissensressource zu sein. Laut dem Empiristen David Hume vermag es einzig die Erfahrung Wissen bzw. den Grad der Wahrscheinlichkeit von Tatsachen zu bestimmen. So soll nach Hume der Maßstab der Erfahrung auch an das Zeugnis Anderer angelegt werden, indem der Rezipient abwägen muss, ob Berichte bestimmter Art meistens mit bestimmten Arten von Tatsachen übereinstimmen. Am Beispiel der Wunder wird besonders anschaulich, was Hume damit meint, wenn die Erfahrung als basalere Form des Wissenserwerbs den Wahrheitsgehalt des Zeugnisses Anderer abwägen muss. Wundererzählungen unterscheiden sich von den anderen Erzählungen laut Hume dadurch, dass sie von einem Ereignis berichten, das gegen die Naturgesetze, also gegen die allgemeine Erfahrung verstößt. Die Tatsache, dass ein Wunder geschieht, wird durch die Erfahrung also als extrem unwahrscheinlich eingestuft. Die Wahrscheinlichkeit des Berichteten spielt für Hume also eine nicht unerhebliche Rolle. Damit ein Zeugnis dieser Art dennoch Glaubwürdigkeit erhält, müsste ein Beweis gefunden werden, dessen Falschheit noch unglaublicher wäre, als das der allgemeinen Erfahrung widersprechende beschriebene Wunder.7 Bislang sei das Urteil zwar nie zugunsten naturgesetzwidriger Berichte ausgeschlagen, ein solches Szenario wäre aber dennoch denkbar, wenn die Erfahrung auf anderem Wege bestätigt, dass diese Art Zeugnis Anlass zur vollen Glaubwürdigkeit gibt. Indem Hume darlegt, warum noch nie eine Wundererzählung auf einen vollen Beweis gestützt werden konnte, macht er deutlich, welche Kriterien ein Zeugnis für ihn erfüllen müsste, damit es volle Beweiskraft besitzt. Zusammengefasst müsse es auf eine ausreichende Anzahl der Situation angemessen gebildeter Zeugen gestützt sein, die überdies rechtschaffen sind und keinen Anlass zur Lüge haben. Weiterhin müsste das berichtete Ereignis an einem Ort stattgefunden haben, an dem ein Betrug sofort aufgefallen wäre.8 Die Erfahrung wägt außerdem meist zuungunsten eines Zeugnisses ab, wenn ihm zahlreiche andere Zeugnisse, wie es bei religiösen Wundererzählungen meistens der Fall ist, entgegenstehen.9 Hume konstruiert ein einleuchtendes Beispiel für ein Zeugnis, dessen berichtete Tatsache zwar der allgemeinen Erfahrung widerspricht, dessen Unwahrheit der Erfahrung aber in noch stärkerem Maße entgegenstünde:
“Thus, suppose, all authors, in all languages, agree, that, from the first of January 1600, there was a total darkness over the whole earth for eight days. […] That all travellers, who return from foreign countries, bring us accounts from the same tradition, without the least variation and contradiction […]”10
In diesem Falle läge eine Art von Bericht vor, dem kein widersprechender Bericht entgegensteht, der zudem auf eine große Zahl von vertrauenswürdigen Menschen zurückgeht und an einem Ort stattfand, an dem ein Betrug sofort aufgefallen wäre. Die Erfahrung müsste folglich zugunsten des Berichtes entscheiden, wenngleich die berichtete Tatsache gegen die allgemeine Erfahrung steht. Es wird deutlich, dass David Hume das Zeugnis Anderer aufgrund seiner Fallibilität zwar als zweitrangige Wissensquelle erachtet, aber er zugesteht, dass es durch Abwägung mithilfe der Erfahrung zu einer nutzbaren Wissensquelle gemacht werden kann.
2.2 Aposteriorische Argumente
David Hume argumentiert weiterhin gegen die Glaubwürdigkeit von Wundern, indem er deren Entstehungsgeschichten nachvollzieht. Für die Frage nach Humes Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses Anderer im Allgemeinen erscheint dieser Teil insofern interessant, dass hier nochmals eingehend skizziert wird, warum er diese Wissensquelle als besonders anfällig für Fehler erachtet. Hume führt eine menschliche Eigenschaft auf, die die Übernahme und Weitergabe von solchen Arten von Berichten begünstigt, die erfahrungsgemäß unwahre Tatsachen zum Gegenstand haben. Hierbei handele es sich um „the passion of surprise and wonder“11, also die Leidenschaft zu Überraschungen und Wundern. Der gesunde Verstand sei laut Hume dann vollends abgeschaltet, wenn sich zu der Wunderleidenschaft religiöse Gesinnung gesellt. Die Begeisterung und der starke Glaube drängen gewissermaßen die rationale Herangehensweise zur Beurteilung solcher Zeugnisse beiseite. Ein religiöser Eiferer kann daher zu Wundererzählungen greifen, um seine Mitmenschen zu überzeugen, da diese solche Geschichten aufgrund ihrer Leidenschaft, Wunder und Überraschungen zu hören, gerne aufnehmen.12 Ein menschliches Zeugnis verliert laut Hume also immer dann bereits seine Glaubwürdigkeit, wenn es von der allgemeinen Erfahrung entgegenstehenden Tatsachen berichtet, die zur Überzeugung von einer religiösen Gesinnung beitragen sollen. Ganz allgemein gesprochen muss vor der Annahme des Zeugnisses Anderer also nicht zuletzt deshalb immer eine rationale Prüfung erfolgen, da die Menschen zu Leichtgläubigkeit bei der Aufnahme von Zeugnissen neigen können.
In eine ähnliche Richtung weist Humes Argument, dass die Erzählungen von Wundern meistens unter „ignorant and barbarous nations“13, also unwissenden und barbarischen Völkern grassieren. Die Abwesenheit oder die Ignoranz gebildeter Menschen führe schließlich dazu, dass die Geschichten weiter tradiert werden, bis die Urkunden zu ihrer Widerlegung verloren sind. Die Wundererzählungen fallen so anfangs dort auf fruchtbaren Boden, wo es an kritischen Geistern mangelt.14 Hume hält also auch deshalb zu kritischer Prüfung von Zeugnissen Anderer an, da den Menschen, die diese tradieren, meistens Unwissenheit oder Kritiklosigkeit zu eigen sei.
In Hinblick auf die Offenbarungsreligionen zieht Hume letztlich den Schluss, dass keines ihrer Wunder durch menschliches Zeugnis so bewiesen werden kann, dass die Erfahrung dem Inhalt des Wunderberichts Wahrscheinlichkeit zubilligen würde.15 Nach Abwägen der für das Zutrauen in menschliches Zeugnis notwendigen Kriterien und in Anbetracht bestimmter menschlicher Eigenschaften schätzt die Erfahrung es also immer als wahrscheinlicher ein, dass ein von religiösen Wundern Berichtender die Unwahrheit sagt bzw. sagte.
3. Die Kritik der Antireduktionisten an David Hume
Um die Position der Antreduktionisten den Ausführungen David Humes kritisch gegenüberzustellen, erscheint es sinnvoll, mit dem Text „Testimony and observation“ von C. A. J. Coady zu arbeiten, da hier vonseiten eines der bekanntesten Vertreter des Antireduktionismus direkt Bezug auf den schottischen Philosophen genommen wird.16 Ergänzend hierzu soll der Aufsatz „Das Zeugnis Anderer“ von Oliver Scholz herangezogen werden. In seinem Argumentationsgang greift Scholz viele der bisherigen antireduktionistischen Positionen auf und zieht sie zur Begründung seiner These heran, dass das Zeugnis Anderer keine zweitrangige Wissensquelle sei.17 Um ein vollständiges Bild über die Kritik der Antireduktionisten an Hume zu erhalten, sollen also aus Scholz´ Text die Argumente hinzugefügt werden, die Coady weniger ausführlich darlegte.
3.1 Zum Begriff der Erfahrung
Hume sieht, wie bereits herausgearbeitet wurde, die Zweitrangigkeit des Zeugnisses Anderer darin begründet, dass dieses immer zunächst mithilfe der Erfahrung auf Wahrscheinlichkeit geprüft werden müsse. Der bei Hume so zentrale Begriff der Erfahrung wird bei C.A.J. Coady schließlich einer genaueren Prüfung unterzogen. Zunächst kritisiert Coady, dass schwer definierbar sei, was Erfahrung in humeschen Sinne bedeutet, da mal von „our experience“, mal von „common experience“ die Rede ist. Spielt man beide Wortbedeutungen durch, zeigt sich laut Coady, dass Humes Reduktionsthese in jedem Fall unbrauchbar sei.
[...]
1 Vgl. Grundmann, Thomas: Analytische Einführung in die Erkenntnistheorie. Berlin [u.a.] 2008, S. 530-532. [Im Folgenden zitiert mit „Grundmann, S. ͙“
2 Vgl. Hume, David: An Enquriy concerning Human Understanding. A critical Edition. Hrsg. v. Tom L. Beauchamp. Oxford [u.a.] 2000, S. 83-99. [Im Folgenden zitiert mit „Hume, S. ͙“
3 Vgl. Streminger, Gerhard: David Humes Wunderanalyse. In: Aufklärung und Kritik 2 (2003), S.205-206. [Im Folgenden zitiert mit „Streminger, S. ͙“
4 Vgl. Hume, S.84.
5 Die Zweiteilung von Humes Ausführungen in apriori- und aposteriori-Argumente geht auf den Aufsatz von Streminger zurück: Vgl. Streminger, S.205-206.
6 Hume, S. 84.
7 Vgl. Hume, S. 84-87.
8 Vgl. Hume, S. 88.
9 Vgl. Hume, S.91-92.
10 Hume, S. 97.
11 Hume, S. 88.
12 Vgl. Hume, S.88-90.
13 Hume, S. 90.
14 Vgl. Hume, S.90-91. Vgl. ebenda, S. 96.
15 Vgl. Hume, S.96-97.
16 Vgl. Coady, C. A. J.: Testimony and observation. In: Knowledge. Readings in Contemporary Epistemology. Hrsg. v. Sven Bernecker [u.a.]. Oxford [u.a.] 2000, S. 537-546. [Im Folgenden zitiert mit “Coady, S. ͙“͖
17 Vgl. Scholz, Oliver: Das Zeugnis Anderer. Prolegomena zu einer sozialen Erkenntnistheorie. In: Erkenntnistheorie. Positionen zwischen Tradition und Gegenwart. Hrsg. v. Thomas Grundmann. Paderborn 22003, S. 354-375.