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Essay, 2010
10 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Foucaults Machtbegriff und die Machtanalyse
3. Die Machtbeziehung zwischen Pflegenden und Ärzten
4. Fazit
5. Quellenverzeichnis
Vorbemerkung zum Sprachgebrauch:
Auf die Verwendung von Doppelformen oder anderen Kennzeichen für weibliche und männliche Personen wird verzichtet, um die Lesbarkeit und Übersichtlichkeit zu wahren. Mit allen im Text verwendeten Personenbezeichnungen sind stets beide Geschlechter gemeint.
In dieser Arbeit geht es um die Machttheorie des französischen Philosophen Michel Foucault. Anhand des im Semester bearbeiteten Textes wird im ersten Teil der Arbeit der Foucaultsche Machtbegriff erklärt und in die Machtanalyse eingeführt. Im zweiten Teil beschreibe ich anhand der Machtanalyse die Machtasymmetrie in der Beziehung zwischen Pflegenden und Ärzten im Gesundheitswesen und wie sie historisch gewachsen ist.
Michel Foucaults‘ Werke aus den 1970er Jahren sind größtenteils von der Frage nach dem Wesen, der Herkunft, der Ausprägungen und des Wirkens von Macht geprägt. In dem im Rahmen des Semesters behandelten Text „Subjekt und Macht“ aus „Analytik der Macht“ (Foucault 1982) beschreibt der französische Philosoph u.a. das Wesen der Macht, die Subjektivierung von Menschen und stellt seine Machtanalysemethode dar.
Zunächst soll hier eine Annäherung an den Begriff Macht im Foucaultschen Sinne gegeben werden, denn der französische Philosoph vermeidet es weitgehend eine genaue Definition von Macht zu geben und hält die Begriffs-Umschreibung dadurch flexibel, aber auch diffus (Friesacher 2008, S. 99). Foucault selbst sagt:
„Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden (sic!), indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkungen gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern.“ (Foucault 1995: 113 -114)“ (in Friesacher 2008, S. 99).
Er beschreibt Macht also als eine Art Kraft die auf verschiedenen Ebenen und „Gebieten“ menschlichen Handelns wirkt. Damit meint Foucault, dass Macht in den Breiten und Tiefen unserer Gesellschaft vorzufinden und keineswegs nur auf z.B. einen lenkenden Staatsapparat zu beschränken ist. Sie existiert in Familien, in Fabrikhallen oder in Krankenhäusern, kurzum: überall dort wo Menschen miteinander interagieren lässt sich die Mikrophysik der Macht entdecken. Macht steckt also tief in unseren sozialen Beziehungen. Sie existiert dabei nur als Handlung und wirkt auf das Handeln anderer ein (Foucault 1982, S. 255). Grundsätzlich weist Foucault der Macht aber nicht nur destruktive und repressive Attribute zu, sondern er erkennt, dass Macht produktive Seiten inne hat, die Wirklichkeit schafft (Friesacher 2008, S. 101). Sie ist demnach eine Kraft die das Miteinander zwischen Menschen in der Kommunikation und in den Handlungen regelt, lenkt, konstituiert, schafft aber auch einschränkt. Foucault geht sogar weiter, wenn er sagt, dass Macht die Identitäten von Subjekten entscheidend prägt. Er geht der Frage nach wie der Mensch zum Subjekt wird. Unter Subjekt ist nach Foucault ein Individuum „…, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; ….“ (Foucault 1982, S. 245) zu verstehen. Desweiteren zeichnet ein Subjekt aus, dass es durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist. Es geht also um die Formung des Bewusstseins und die Herausbildung einer eigenen Identität. Diese ist nach Foucaultscher Denkart durch Machteinwirkung geprägt, die „…die Individuen in Kategorien einteilt, ihnen ihre Individualität zuweist, sie an ihre Identität bindet und ihnen das Gesetz der Wahrheit auferlegt, die sie in sich selbst und andere in ihnen zu erkennen haben.“ (Foucault 1982, S. 245). Zum Beispiel werden unser Geschlecht und unsere Staatszugehörigkeit schon mit der Geburt durch staatliche Vorschriften festgelegt.
Macht wird durch verschiedene Formen und Techniken konserviert und vermittelt. Das sind Techniken der Führung von Individuen und Gruppen und somit Techniken des Regierens. Unter Regieren versteht der französische Philosoph „… das mögliche Handlungsfeld anderer zu strukturieren.“ (Foucault 1982, S. 256). Der Staat beispielsweise hat die Regierungstechnik der „Pastoralmacht“ aufgegriffen, die aus den christlichen Institutionen hervorgegangen ist und die auf den Staat mit seinem Aufkommen und dem Untergang der kirchlichen Herrschaft im Zeitalter der Aufklärung übergegangen ist. Diese Machttechnik sollte ursprünglich das Seelenheil eines Einzelnen im Jenseits sichern, was voraussetzte, dass man das Bewusstsein der Einzelnen kannte und zu lenken vermochte. Diese Machttechnik wurde im Zuge des Bedeutungsverlusts der Kirche vom Staat vereinnahmt und erweitert. Ziel ist es seitdem das Heil des Einzelnen durch Wohlfahrt und Ressourcenzuweisung, aber auch durch Schutz vor Unfällen aller Art, im Diesseits sichern. Durch Verwaltung der Machtstrategie und Ausbreitung auf sämtliche gesellschaftliche Institutionen hat sich diese Machttechnik in der Gesellschaft verankert und ist nun nicht mehr allein dem Staat als Lenkungsprinzip zuzuschreiben (Foucault 1982, S. 247 ff.). Dieses Machtprinzip hat sich quasi verselbstständigt, auf sämtliche gesellschaftliche Teilbereiche ausgeweitet (Bsp. Schule, Medizin, Militär, Wissenschaft) und die Individuen haben dieses Machtprinzip verinnerlicht. Sie normalisieren und disziplinieren sich selbst, dadurch dass sie sich an vorgegebene Normen und Normalitäten richten. Deshalb wird dieser Machteinfluss nicht mehr bewusst vom Einzelnen als solches wahrgenommen. Das Subjekt fühlt sich „frei“, wobei diese Freiheit durch Machtstrukturen determiniert und dadurch eingeschränkt ist.
Foucault zufolge müsse man heute diese Freiheit und Individualitäts- und damit Identitätszuweisungen reflektieren, bewusst machen und sogar ablehnen. Man müsse dafür verfestigte Machtstrukturen analysieren und aufdecken. Dafür entwickelte er ein Instrument zur Analyse von Machtbeziehungen. Seine Methode der Machtanalytik sieht vor, dass Machtbeziehungen über das Wechselspiel gegensätzlicher Strategien untersucht werden (Foucault 1982, S. 243), das heißt, es wird versucht über die Gegensätze eines zu analysierenden Machtbereiches zum eigentlichen Kern der Macht zu gelangen und die ihn prägenden Machtstrukturen offen zu legen. Also werden mit dieser Methode Machtbeziehungen über die Widerstände und die Bekämpfungsbemühungen untersucht. Was macht diese Widerstände aus? Sie sind transversal, also in verschiedenen Ländern und politischen Systemen gleichzeitig zu beobachten und sie bekämpfen die Auswirkungen der alltäglich erfahrenen Macht. Es handelt sich zudem um alltägliche, unmittelbare, fast anarchische Kämpfe mit konkreten machtausübenden Instanzen die nicht zentral gesteuert sind. Er benennt beispielsweise die Widerstände der feministischen Bewegung gegen die maskuline Vorherrschaft in sämtlichen Lebensbereichen, die Auflehnung der Kinder gegen die Macht der Eltern oder die Ablehnung einer Krankheitszuweisung der zu psychisch Kranken erklärten Menschen (Foucault 1982, S.244). Diese Kämpfe entstehen also dort wo Individuen das Recht auf Anderssein genommen wird oder sie aufgrund von Andersartigkeit isoliert leben müssen (Foucault 1982, S. 244). Foucault verweist des Weiteren darauf, dass Macht in sozialen Beziehungen nicht nur in Institutionen zu suchen sei, sondern gerade außerhalb dieser (Foucault 1982, S. 58). So sei sie beispielsweise in sämtlichen gesellschaftlichen Diskursen existent und über diese analysierbar. An diesen „Endpunkten“ soll die Machtanalyse ansetzen und Machtunterschiede offenlegen.
Foucault erarbeitet zusammenfassend gesagt einen weiten Begriff der Macht, der sich nicht auf staatliche Institutionen oder auf den Antagonismus „Herrscher/Beherrschte“ beschränkt. Macht ist etwas Allgegenwärtiges und steckt in allen sozialen Beziehungen. Macht prägt ferner unsere Identität und „Macht macht“ uns zu Subjekten. Foucault bietet mit der Machtanalytik eine Methode zur Aufdeckung heutiger Machtverhältnisse an, indem Kämpfe in den verschiedenen alltäglichen Machtarenen untersucht werden und nachgezeichnet wird, welche Faktoren zu den bestehenden Machtordnungen geführt hat. Er liefert damit einen politischen Ansatzpunkt, wie verkrustete Machtstrukturen aufgebrochen und neu gestaltet werden können. Nicht über große, das ganze System umfassende Umstürze, sondern über Veränderungen in der Mikrophysik der Machtverhältnisse in verschiedensten „Gebieten“ können Machtbeziehungen und –Verhältnisse transformiert werden. Dieses politische Element bezieht sich auf viele Ebenen und geht über die Staatliche hinaus.
Im folgenden Abschnitt werde ich darstellen, wie sich Foucaults Annahmen über Machtbeziehungen im Alltag für den Bereich Pflege und Medizin übertragen lassen. Speziell die Machtunterschiede zwischen Pflegenden und Ärzten werden aufgedeckt und mittels der Foucaultschen Machtanalyse hergeleitet.
Im Gesundheitssystem der BRD arbeiten mehrere Akteursgruppen zusammen mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Interessen um Gesundheit wiederherzustellen und zu erhalten oder Leiden zu lindern. Es zeigt sich, dass jede „sozial arbeitende“ Berufsgruppe im Gesundheitssystem Macht inne hat, da diese nach Foucault in jeder sozialen Interaktion steckt. In dieser Arbeit fokussiere ich mich aber ausschließlich auf die Machtasymmetrie in der Kollaboration zwischen Ärzten und Pflegenden. Gerade in Institutionen wie Kliniken ist die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Berufsgruppen eng verzahnt. Dabei ist festzustellen, dass es bedeutsame Machtunterschiede zwischen beiden Akteursgruppen gibt. Ärzte sind in der Krankenhausorganisation den Pflegepersonen hierarchisch übergeordnet. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass sie Aufgaben an das Pflegepersonal delegieren können, wie die Krankenbeobachtung, das Durchführen bestimmter medizinischer Tätigkeiten oder das Überwachen der medikamentösen Therapie. Des Weiteren haben Ärzte dabei nicht nur die Delegationsmacht, sondern auch die Gesamtverantwortung über die Therapie. Pflegende hingegen sind an diese ärztlichen Weisungen in der Regel[1] durch arbeitsvertragliche Bestimmungen gebunden und arbeiten dadurch den Ärzten zu. Pflege ist jedoch mehr als nur die ärztliche „Zu-Arbeit“. Die Pflege hat eigene Theorien und Konzepte entwickelt und mit dem Advent der Pflegewissenschaft, im anglo-amerikanischen Raum bereits seit dem Anfang, im deutschsprachigen erst seit dem Ende des letzten Jahrhunderts, werden diese wissenschaftlich begründet und eine Eigenständigkeit des Tätigkeitsbereichs durch Professionalisierungsbestrebungen unterstrichen. Dieser Anspruch kollidiert oftmals mit dem ärztlichen Verständnis vom Pflegeberuf. Unantastbar geglaubte Privilegien und der „institutionelle Vorsprung des Arztberufs“ (Schweikhardt 2008, S. 11) stehen auf dem Spiel. Diese Kollisionen kann man in gesellschaftlichen Debatten erkennen[2]. Aber auch im alltäglichen Miteinander von beiden Berufsgruppen entstehen dadurch Reibungsflächen. Dort, im täglichen Handeln auf Krankenstationen, im OP-Saal oder sonstigen sogenannten Funktionsbereichen werden oftmals Machtkämpfe ausgetragen, die in vielfältigen Äußerungen und Handlungen zu beobachten sind. Auf Grund langjähriger Tätigkeit auf einer Station der Inneren Medizin als Gesundheits- und Krankenpfleger habe ich diese asymmetrischen Machtkämpfe in zahlreichen selbst Situationen erlebt und beobachtet. Sie waren sowohl durch ärztliche sowie durch pflegerische Mitarbeiter verschuldet und die Spannbreite reichte von perfiden Äußerungen bis hin zu offener Ablehnung. Es kam z.B. vor, dass Medizinstudenten auf Grund ihres Standes in der Krankenhaushierarchie von Pflegenden abfällig behandelt wurden. Ich selbst habe erlebt, wie ich während einer gemeinschaftlichen Visite vom Chefarzt vor einem Patienten erniedrigend behandelt wurde, weil ich zuvor einen Fehler in der Dokumentation gemacht hatte. Weitere Belege für diese Machtkämpfe lassen beispielsweise sich in diversen Internet-Foren finden[3].
[...]
[1] Es existieren Ausnahmen bei dieser Regelung. Pflegende sind verpflichtet ärztliche delegierte Aufgaben zurückzuweisen, wenn sie sich im Einzelfall oder generell mit der Aufgabe überfordert fühlen (Ulsenheimer 2006, S. 115).
[2] Als ein Beispiel sei hier die Äußerungen der Präsidentin des deutschen Pflegerates zu Forderungen des Marburger Bundes und zur Professionalisierung und Abgrenzung des Pflegeberufes angeführt. Artikel: „Dieser Streik ist doch provozierend“ erschienen in dem Onlinemagazin „Der Freitag“ http://www.freitag.de/2006/26/06260501.php (abgerufen am 15.07.)
[3] Z.B. schreibt der Nutzer „Dr-med“ im Forum „Doc-Check Campus - Das Forum für Medizinstudenten“: „Viele Tätigkeiten die schon immer zu den originären Aufgaben der Pflege gehört haben werden mit dem Verweis „Das ist nicht unsere Aufgabe“ oder „Das gehört nicht zur Pflege“ verweigert. Auffangen darf diese der Arzt. Unter dem Hinweis "die Pflege der Patienten geht vor" unterbleibt die Unterstützung des Arztes wozu die Pflege ursprünglich angedacht war. Der Krankenhausarzt darf morgens zu Beginn seiner Tätigkeit eine halbe Stunde lang Blutentnahmen nicht nur durchführen sondern mittlerweile in vielen Häusern diese auch vorbereiten, Infusionen aufziehen und Befunde einsortieren. Der Arzt wird zum Stationssekretär und zur akademisch gebildeten Arzthelferin. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Begriffsverwirrung die durch die Pflege gestiftet und mittlerweile von den Ärzten als selbstverständlich hingenommen wird. Da wird eine Krankenschwester als „Stationsleitung“ tituliert während die eigentlich für die Station verantwortliche Person nämlich der Stationsarzt der letztendlich auch die juristische Verantwortung für die Pflege trägt als „Assistent“ herabgesetzt wird. Die Medizin ist die führende Disziplin in einem Krankenhaus. Somit ist der Leiter einer Station der dazugehörige Stationsarzt und nicht die Pflege.“ Abrufbar unter http://forum.campus.doccheck.com/viewtopic.php?t=6776 (abgerufen am 15.7.2010)