Nach einer kurzen Einführung in das Thema "postpartale Depression" wendet sich dieser Text den biologischen und psychosozialen Veränderungsprozessen zu, die mit der Geburt eines Kindes einhergehen. In diesem Zusammenhang wird ersichtlich, dass der Übergang zur Mutterschaft nicht nur als glückliches Ereignis zu verstehen ist, sondern dass zudem zahlreiche Konflikte und Verlusterfahrungen zu Tage treten.
Viele Frauen leiden im Wochenbett unter depressiven Verstimmungen, die durch biologische und psychosoziale Umstellungsprozesse während der Schwangerschaft und der Geburt begünstigt werden. In zahlreichen Studien zu diesem Thema erkannte man, dass das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, zu keinem anderen Zeitpunkt so ausgeprägt ist, wie nach einer Entbindung. Die Erkrankungsrate steigt in dieser Zeit signifikant an, wohingegen das Risiko während der Schwangerschaft an Depressionen zu erkranken, verhältnismäßig gering ist. Die postpartalen psychischen Erkrankungen verfügen über unterschiedliche Ausprägungsgrade, die von einem leichten Stimmungstief bis zu einer gravierenden Depression reichen können.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Allgemeine Begriffsbestimmung
1.1 Depressionen
1.2 Pränatal und postpartal/postnatal
1.3 Depressionen in der Postpartalzeit
2. Biologische und psychosoziale Veränderungsprozesse durch den Übergang zur Mutterschaft
2.1 Biologische Faktoren
2.1.1 Körperliche Veränderungen
2.1.2 Hormonelle Umstellungen
2.2 Psychische und soziale Faktoren
2.2.1 Neufindung in die Rolle als Mutter
2.2.2 Partnerschaft und soziale Unterstützung
2.2.3 Beziehung zur eigenen Mutter
2.2.4 Verlusterfahrungen
Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)
Einleitung
Mit einer Auftrittswahrscheinlichkeit von bis zu 70 Prozent sind depressive Störungen im Wochenbett keine Seltenheit, sondern sie zählen zu den häufigsten postpartalen Komplikationen, die ersichtlich werden.
Nach einer kurzen Einführung in die allgemeinen Begrifflichkeiten möchte ich mich den biologischen und psychosozialen Veränderungsprozessen zuwenden, die mit der Geburt eines Kindes einhergehen. In diesem Zusammenhang wird ersichtlich, dass der Übergang zur Mutterschaft nicht nur als glückliches Ereignis zu verstehen ist, sondern dass zudem zahlreiche Konflikte und Verlusterfahrungen zu Tage treten.
1. Allgemeine Begriffsbestimmung
1.1 Depressionen
Eine Depression (lateinisch: deprimere „niederdrücken“) ist eine psychische Erkrankung, deren Symptomatik sich durch eine bedrückte, niedergeschlagene und pessimistische Stimmung auszeichnet, die häufig mit einem Interessensverlust einhergeht. Internationale Studien belegen, dass Depressionen mittlerweile zu den häufigsten psychischen Erkrankungsbildern zählen, die zu verzeichnen sind. Bereits in Deutschland leiden ca. 10 bis 15 Prozent aller Menschen an depressiven Verstimmungen, wovon jede vierte Person eine schwere psychische Störung entwickelt (vgl. Der Brockhaus Gesundheit 2004, S. 269). Frauen sind deutlich häufiger von Depressionen betroffen als Männern. Die Ursachen werden sowohl biologischen als auch psychosozialen Faktoren zugeschrieben (vgl. Angst/Sellaro 2001, S. 63).
1.2 Pränatal und postpartal/postnatal
Die Bezeichnung „pränatal“ stammt aus dem lateinischen Wortschatz und bedeutet ins deutsche übersetzt „vor der Geburt“. Vorzugweise wird dieser Begriff in der Pränataldiagnostik eingesetzt. Hierbei geht es um vorgeburtliche Untersuchungen, die zur Erfassung von genetischen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen beim Fötus dienen sowie zur Früherkennung von Schwangerschaftskomplikationen eingesetzt werden (vgl. Der Brockhaus Gesundheit 2004, S. 974).
Demgegenüber stehen die Begrifflichkeiten postpartal und postnatal, die in der psychiatrischen Terminologie (Fachsprache) gleichbedeutend eingesetzt werden. Aus dem lateinischen abgeleitet, bedeutet „post“ „nach“ und „partus“ steht für die „Entbindung“. Der Ausdruck postpartal bedeutet somit „nach der Entbindung“, wohingegen „natus“, aus dem lateinischen übersetzt, für die „Geburt“ steht. Somit bedeutet postnatal „nach der Geburt“. In der deutschen Fachsprache ist man dazu übergegangen, vorzugsweise den Begriff postpartal zu verwenden, wohingegen sich im englischen Sprachraum der Begriff postnatal durchgesetzt hat (vgl. Rohde 2004, S. 21). Treten innerhalb des ersten halben Jahres nach der Entbindung Symptome einer psychischen Störung auf, dann wird dieser Zeitraum als postpartal bezeichnet.
Es gibt auch vereinzelte wissenschaftliche Meinungen, die diese Zeitspanne bis auf ein Jahr nach der Geburt erweitern (vgl. ebd., S. 27).
Im Hinblick auf die oben ausgeführte gängige Klassifizierung beziehe ich mich in meiner Diplomarbeit ebenfalls auf den Ausdruck postpartal, der an dieser Stelle gleichbedeutend mit dem Begriff postnatal eingesetzt wird.
1.3 Depressionen in der Postpartalzeit
Viele Frauen leiden im Wochenbett unter depressiven Verstimmungen, die durch biologische und psychosoziale Umstellungsprozesse während der Schwangerschaft und der Geburt begünstigt werden (vgl. Der Brockhaus Gesundheit 2004, S. 270). In zahlreichen Studien zu diesem Thema erkannte man, dass das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, zu keinem anderen Zeitpunkt so ausgeprägt ist, wie nach einer Entbindung. Die Erkrankungsrate steigt in dieser Zeit signifikant an, wohingegen das Risiko während der Schwangerschaft an Depressionen zu erkranken, verhältnismäßig gering ist (vgl. Unger/Rammsayer 2001, S. 153).
Die postpartalen psychischen Erkrankungen verfügen über unterschiedliche Ausprägungsgrade, die von einem leichten Stimmungstief bis zu einer gravierenden Depression reichen können (vgl. Dalton 2003, S. 12). In der Regel handelt es sich um eine kurzlebige Erscheinung, die als postpartale Dysphorie (Baby-Blues) klassifiziert wird. Erst wenn sich die Symptomatik verfestigt und über einen längeren Zeitraum andauert, kann sich hieraus eine postpartale Depression entwickeln. Im schlimmsten Fall entsteht eine postpartale Psychose, die mit schwerwiegenden Verhaltensstörungen einhergehen kann. Die hier skizzierten Ausprägungsformen gehören zu den klassischen Störungen der Postpartalzeit. Eine eindeutige Abgrenzung untereinander ist oft schwer zu vollziehen, weil es innerhalb der einzelnen Krankheitsbilder zu zahlreichen Überschneidungen kommt (vgl. Gröhe 2003, S. 41).
Im nachfolgenden Kapitel möchte ich mich mit den zahlreichen biologischen und psychosozialen Veränderungsprozessen auseinandersetzen, die mit der Geburt eines Kindes einhergehen. Alle Eltern eines neugeborenen Kindes haben mit den Folgen dieses Umbruches zu kämpfen. Die Auswirkungen dieser Belastung werden jedoch unterschiedlich wahrgenommen. Eine Ernüchterung in der Beziehung, Unzufriedenheit, ein eingeschränktes Wohlbefinden, psychosomatische Symptome sowie Depressionen können die Folge sein (vgl. Eckert 1999, S. 71).
2. Biologische und psychosoziale Veränderungsprozesse durch den Übergang zur Mutterschaft
Im Rahmen der psychiatrischen Forschung hat man herausgefunden, dass psychischen Störungen oftmals ein bedeutendes Lebensereignis („life event“) vorausgeht. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass sowohl positive als auch negative Erfahrungen als auslösende Faktoren betrachtet werden (vgl. Rohde 2004, S. 35).
Die Geburt eines Kindes stellt solch ein signifikantes Ereignis dar, dass mit zahlreichen Veränderungsprozessen auf biologischer und psychosozialer Ebene einhergeht. Vor allem der Übergang vom kinderlosen Paar zur Elternschaft birgt ein erhöhtes Konfliktpotenzial in sich und wird somit als „normative Krisensituation“ verstanden (vgl. Gloger-Tippelt 1999a, S. 209).
Nach Stern tritt eine Frau – insbesondere eine Erstgebärende – mit der Geburt ihres Kindes in eine neue psychische Organisation ein, die er als „Mutterschaftskonstellation“ bezeichnet. Diese Phase ist vorübergehend, aber in ihrer Dauer durchaus variabel. So kann sie sich über Monate, aber auch über Jahre hin erstrecken. Themen, die während dieser Zeit relevant sind, betreffen die Fähigkeit der Frau für das Leben des Kindes zu sorgen, es hinreichend zu lieben, eine unterstützende Umgebung zu errichten und schließlich die Frage, ob sie sich eine neue Identität als Mutter aufbauen kann. Keine andere Beziehung, die im Vorfeld durchlaufen wurde, wird die Mutter in ihrer gesamten Persönlichkeit so fordern, wie die Verbindung zu ihrem Kind (vgl. Stern 1998, S. 209-211). Diesbezüglich schreibt Stern: „Wenn Sie ein Baby haben, wird es eine Zeitlang bestimmen, woran Sie denken, was Sie befürchten oder erhoffen und wovon Sie träumen. Es wird Ihre Gefühle und Ihr Verhalten beeinflussen und sogar Ihre sinnliche Wahrnehmung und die Art Ihrer Informationsverarbeitung intensivieren. Mit einem Kind werden sich Ihre Vorlieben und Vergnügen und wahrscheinlich auch einige Ihrer Wertvorstellungen ändern. In einer ganz verblüffenden Weise wird es alle Ihre früheren Beziehungen beeinflussen und Sie veranlassen, Ihre engsten Freundschaften zu überdenken und Ihre Rolle in der Geschichte Ihrer eigenen Familie neu zu bestimmen“ (zit. n. Stern/Bruschweiler-Stern/Freeland 2003, S. 10).
Ist eine Frau nicht dazu in der Lage, die an sie gestellten Anforderungen zu bewältigen, so sind Konflikte in der Partnerschaft und in der Mutter-Kind-Beziehung vorprogrammiert (vgl. Jacubeit 2001, S. 94).
2.1 Biologische Faktoren
2.1.1 Körperliche Veränderungen
Mit Beginn der Schwangerschaft setzten im Körper zahlreiche Veränderungsprozesse ein, die durch den rapiden Anstieg der Hormone Östrogen und Progesteron ausgelöst werden. Die Gebärmutter vergrößert sich in der darauf folgenden Zeit um das Vierzigfache ihres regulären Umfangs, damit der wachsende Fötus genügend Platz erhält. Zudem muss sich der Brustraum erweitern, damit die Lungen ihre Kapazität erhöhen können, um genügend Sauerstoff zu produzieren. Während dieser Zeit arbeiten das Herz, die Leber und die Nieren auf Hochtouren, um eine hinreichende Versorgung für Mutter und Kind zu gewährleisten.
Die körperlichen Umstellungen nach der Geburt sind ebenso gravierend wie die der Schwangerschaft. Nur mit dem Unterschied, dass sie sich wesentlich schneller ereignen. Im Augenblick der Entbindung vollzieht sich ein gewaltiger Veränderungsschritt: vom Zustand der Schwangerschaft zurück zum Normalzustand. Durch diese enorme körperliche Anstrengung während der Entbindung fühlen sich viele Frauen in der darauf folgenden Zeit erschöpft, leer und ausgebrannt. Diese Umstellungsphase birgt ein erhöhtes Krisenpotenzial in sich, weil vielen Frauen die nötige Zeit fehlt, um sich von den Strapazen der Geburt zu erholen. Stattdessen warten neue, völlig unbekannte Anforderungen auf sie, die es zu bewältigen gilt (vgl. Dunnewold/Sanford 1996, S. 69f.).
2.1.2 Hormonelle Umstellungen
Durch die Empfängnis vollziehen sich erhebliche hormonelle Veränderungen, die tief greifende Auswirkungen haben. Der Körper bildet in dieser Zeit größere Mengen der Hormone Östrogen und Progesteron aus, die für die Entwicklung des Fötus von entscheidender Bedeutung sind. Der Wert dieser beiden Hormone steigt auf das Dreißig- bis Fünfzigfache dessen an, was im Normalzustand gebildet wird. Zusätzlich wird das Hormon Prolaktin vermehrt im Körper ausgeschüttet, welches für die Milchproduktion zuständig ist. Viele Frauen fühlen sich durch die Veränderung des Hormonhaushaltes resistenter gegenüber psychischen und physischen Stress, was auf das Hormon Progesteron zurückzuführen ist, dessen Wirkung einem Antidepressivum gleicht.
Bereits wenige Stunden nach der Geburt vollzieht sich ein hormoneller Umschwung, der mit einem rapiden Abfall der Hormone Östrogen und Progesteron einhergeht. Dieser ernorme Rückgang der Hormone wird von einigen Fachleuten als biologisch herbeigeführter Entzug verstanden (vgl. Nispel 2001, S. 64f.). Es liegt somit nahe, dass diese drastische Umstellung ein ausschlaggebender Faktor für das Auftreten von postpartalen Erkrankungen ist. In wissenschaftlichen Untersuchungen hat man diesbezüglich herausgefunden, dass den hormonellen Einflüssen nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden sollte. Vor allem bei der postpartalen Depression und Psychose werden die Hormone als einer von vielen Risikofaktoren angesehen, deren Zusammenwirken eine psychische Erkrankung auslösen kann. Demgegenüber steht der Baby-Blues, dessen Entstehung fast vollständig auf die Veränderung des Hormonhaushaltes zurückgeführt wird (vgl. Rohde 2004, S. 36f.).
2.2 Psychische und soziale Faktoren
2.2.1 Neufindung in die Rolle als Mutter
In unserer heutigen Gesellschaft gibt es keine gefestigten Traditionen mehr, an denen sich junge Mütter orientieren können. Die klar definierten Erziehungsziele der damaligen Zeit verschwinden zunehmend und an ihre Stelle treten individuelle und familiäre Entscheidungsprozesse. Viele Frauen fühlen sich in dieser Situation überfordert und greifen zu Erziehungsratgebern oder bitten Freunde und Verwandte um Hilfe. Oftmals werden sie mit einer Flut gut gemeinter Ratschläge überschüttet, die nicht selten an den Bedürfnissen der Babys vorbeilaufen. Viele Mütter vertrauen in dieser Situation nicht mehr ihrem gesunden Menschenverstand, sondern sie lassen sich weitgehend von äußeren Einflüssen leiten, wodurch sie ihren eigenen Kompetenzen enthoben werden (vgl. http://www.liga-kind.de/pages/401riedesser.htm, S. 1).
In der Öffentlichkeit werden Frauen vornehmlich mit der romantischen Seite der Mutterrolle konfrontiert. Die Schattenseiten, die damit einhergehen, werden nur bedingt aufgegriffen oder sogar vollständig ausgeklammert. Vor allem die Medien fördern dieses Bild. Überall sieht man junge strahlende Mütter mit ihren glücklichen Babys. Eine werdende Mutter bekommt somit den Eindruck vermittelt, dass ein „Leben zu Dritt“ nur durch Harmonie und Zufriedenheit gekennzeichnet ist. Sie unterliegt somit einem erheblichen Trugschluss, der oftmals erst dann ersichtlich wird, wenn die Mutter nach der Geburt mit der Realität konfrontiert wird. Sehr häufig bedeutet dies, dass die junge und noch unerfahrene Mutter mit der neuen Situation zurechtkommen muss, ohne eine haltende Unterstützung von außen zu erfahren (vgl. Nispel 2001, S. 24). Viele Frauen sind zu Beginn erheblich verunsichert in ihrer neuen Rolle als Mutter und vertrauen ihren eigenen Instinkten und intuitiven Kompetenzen nicht mehr. Sie unterliegen dem Bild der perfekten Mutter, das in unserer Gesellschaft vorherrscht und als zeitgebundenes Kulturprodukt zu betrachten ist (vgl. ebd., S. 26f.). Den Frauen wird durch diesen Muttermythos suggeriert, dass sie alleine für das Glück und das Leid ihres Babys verantwortlich sind, woraus dann vielfach eine übertriebene Fürsorglichkeit resultiert. Diese Mütter setzten sich unter einen unrealistischen Erwartungsdruck, der bis zur eigenen Selbstaufgabe führt. Durch diesen hohen Perfektionsanspruch, den sie sich selbst auferlegen, geraten sie schnell an den Rand ihrer Kräfte. Somit wird die erste Grundlage für die Entstehung einer depressiven Erkrankung in der Postpartalzeit geschaffen (vgl. http:// www.liga-kind.de/pages/pap198.htm, S. 2).
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