„Handy brumm, ergo sum“ . Dieses Zitat von Rainer Karius – frei übersetzt etwa: „Mein Handy klingelt, also bin ich“ – beschreibt in humoristischer Weise ein gesellschaftliches Phänomen, welches sich innerhalb der letzten Jahre immer mehr manifestiert hat und in modernen Industriestaaten mittlerweile zum alltäglichen Leben gehört. Die Rede ist von der Notwendigkeit ein Mobiltelefon zu besitzen und zu nutzen, sofern die Person vollumfänglich am öffentlichen und privaten Leben partizipieren möchte. Dies mag womöglich noch nicht auf alle Lebensbereiche zutreffen, doch zumindest auf die meisten, da die mobile Kommunikation den Lebensraum in der modernen Gesellschaft fast vollkommen ergriffen hat, sodass es den Anschein hat, dass ohne Handy nicht mehr aktiv am gesellschaftlichen Geschehen teilgenommen werden könne. Doch die Mobiltelefone verändern nicht nur die Art menschlichen Zusammenlebens, sie beeinflussen auch das individuelle Verhalten der Menschen, sowie deren Identität, Selbstdarstellung und Gruppenzuordnung.
In dieser Arbeit soll daher der Frage nachgegen werden, wie sich die Tatsache, dass ein elektronisches Gerät innerhalb kürzester Zeit, zu einer Instanz menschlicher Lebensführung entwickeln konnte, theoriegeleitet begründen lässt. Bezüglich der betrachteten Altersgruppe wird dabei von den Jugendlichen, im Alter zwischen 12 und 19 Jahren ausgegangen, da diese, wie sich später noch zeigen wird, zu den Hauptakteuren dieser Entwicklung zählen.
Das Ziel der Argumentation besteht darin, die Schaffung eines eigenständigen konjunktiven Erfahrungsraumes mit dem Hauptkriterium Mobiltelefonnutzer zu ergründen und wissenschaftlich nachzuverfolgen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Smartphones und die Mediatisierung der Sozialisation Jugendlicher
2.1. Technische Dimensionen und Begriffsbestimmung
2.2. Die Bedeutung des Smartphones für die Sozialisation der Jugendlichen
3. Der Einfluss mobiler Kommunikationsgeräte auf die Identitätskonstitution
3.1. Handeln mit Technik
3.2. Identitätskonstitution nach George H. Mead
3.3. Kommunikation im medienvermittelten, nichtphysischen Kontext
4. Die Bildung eigenständiger konjunktiver Transaktionsräume
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Handy brumm, ergo sum“[1]. Dieses Zitat von Rainer Karius – frei übersetzt etwa: „Mein Handy klingelt, also bin ich“ – beschreibt in humoristischer Weise ein gesellschaftliches Phänomen, welches sich innerhalb der letzten Jahre immer mehr manifestiert hat und in modernen Industriestaaten mittlerweile zum alltäglichen Leben gehört. Die Rede ist von der Notwendigkeit ein Mobiltelefon zu besitzen und zu nutzen, sofern die Person vollumfänglich am öffentlichen und privaten Leben partizipieren möchte. Dies mag womöglich noch nicht auf alle Lebensbereiche zutreffen, doch zumindest auf die meisten, da die mobile Kommunikation den Lebensraum in der modernen Gesellschaft fast vollkommen ergriffen hat, sodass es den Anschein hat, dass ohne Handy nicht mehr aktiv am gesellschaftlichen Geschehen teilgenommen werden könne. Doch die Mobiltelefone verändern nicht nur die Art menschlichen Zusammenlebens, sie beeinflussen auch das individuelle Verhalten der Menschen, sowie deren Identität, Selbstdarstellung und Gruppenzuordnung.[2]
In dieser Arbeit soll daher der Frage nachgegen werden, wie sich die Tatsache, dass ein elektronisches Gerät innerhalb kürzester Zeit, zu einer Instanz menschlicher Lebensführung entwickeln konnte, theoriegeleitet begründen lässt. Bezüglich der betrachteten Altersgruppe wird dabei von den Jugendlichen, im Alter zwischen 12 und 19 Jahren ausgegangen, da diese, wie sich später noch zeigen wird, zu den Hauptakteuren dieser Entwicklung zählen.
Das Ziel der Argumentation besteht darin, die Schaffung eines eigenständigen konjunktiven Erfahrungsraumes mit dem Hauptkriterium Mobiltelefonnutzer zu ergründen und wissenschaftlich nachzuverfolgen. Dazu wird am Anfang die Mediatisierung jugendlicher Lebenswelten, unter Einbeziehung der technischen Dimensionen des Themenfeldes, untersucht. Im Anschluss daran erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Mediatisierung für die Sozialisation der betreffenden Altersgruppe. Im darauffolgenden Abschnitt liegt das Hauptaugenmerk auf den Auswirkungen der mobilen Kommunikation auf die Identitätskonstitution. Dazu soll zunächst eine Darstellung des Verständnisses vom Handeln mit Technik nach Bruno Latour erfolgen, um darauf aufbauend die Identitätsbildung nach Georg H. Mead unter dem Einfluss der technischen Entwicklung zu beleuchten. Abschließend werden die Begrifflichkeiten des konjunktiven Erfahrungs- bzw. Transaktionsraumes kurz vorgestellt, damit daraus folgend eine Zusammenführung der vorangegangenen Betrachtungen unterschiedlicher Theorien, zur Beantwortung der zu Anfang gestellten Frage möglich wird.
2. Smartphones und die Mediatisierung der Sozialisation Jugendlicher
Mobile Kommunikationsmedien und digitale Vernetzung sind aus dem alltäglichen Leben innerhalb der modernen Gesellschaft kaum mehr wegzudenken. Die betrifft lange nicht mehr nur den Bereich der Arbeit und des öffentlichen Lebens, sondern insbesondere auch den privaten Lebensraum. Empirisch lassen sich diese Aussagen beispielsweise durch die jährlich stattfindenden Erhebungen des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (MpFS) begründen. In der neuesten verfügbaren Veröffentlichung für das Jahr 2011 wird der Anteil der 12 bis 19-Jährigen, welche mit einem Mobiltelefon ausgestattet sind, auf 96 Prozent beziffert. Bei einem Viertel der Handybesitzer handelt es sich dabei um ein sogenanntes Smartphone[3]. Für die Altersgruppe der über 18-Jährigen beträgt dieser Anteil in 2011 sogar ein Drittel.[4] Obwohl die aktuelle Studie für 2012 noch nicht veröffentlicht wurde, so kann dem bereits erhältlichen Pressebericht entnommen werden, dass sich diese Entwicklung rapide fortsetzt. Demnach besitzen im aktuellen Erhebungszeitraum beinahe doppelt so viele Kinder und Jugendliche ein Smartphone, wie noch im vorangegangenen Jahr.[5]
Allein aus der nahezu flächendeckenden Versorgung generiert sich ein berechtigtes Erkenntnisinteresse, wobei hier noch nicht einmal das Nutzungsverhalten zur näheren Betrachtung herangezogen wurde. Bevor dies erfolgen kann, soll zunächst eine auf technischen Dimensionen basierende Begriffsbestimmung stattfinden, um in der Folge auf eine homogene Verständnisgrundlage zurückgreifen zu können.
2.1. Technische Dimensionen und Begriffsbestimmung
Die technischen Innovationen, welche für die heute als selbstverständlich erscheinende orts- und zeitunabhängige Erreichbarkeit vonnöten waren, gehen zurück bis ins 19. Jahrhundert, als Guglielmo Marconi die erste drahtlose Telegrafieübertragung auf Grundlage von elektromagnetischen Wellen realisierte. Dem folgte eine immer dynamischer werdende Abfolge technischer Entwicklungen, deren Darstellung den Rahmen dieser Arbeit mehr als ausfüllen würde. Maßgeblich für die Realisierung einer endverbrauchertauglichen Mobiltelefonie waren die Fortschritte der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. In diesen wurden mit der Digitalisierung der Mobilfunknetze nicht nur die Gerätedimensionen, sondern auch die Übertragungs- und Gesprächsqualität deutlich praxisgerechter und damit die Voraussetzungen für die massenhafte Verbreitung mobiler Endgeräte gegebe.[6] Spätestens im Übergang zum 21. Jahrhundert erfolgte der vollkommene gesellschaftliche Durchbruch. Von 1998 bis zum Jahr 2006 stieg die Verteilung der Mobiltelefone von knapp 20 auf über 100 Prozent.[7]
Nach 2006 gewann die Geräteklasse der sogenannten Smartphones immer mehr an Bedeutung. Dies führte dazu, das klassische Mobiltelefone[8] immer weiter in den Hintergrund rückten. Begrifflich setzt sich dieser Gerätetyp zusammen aus den englischen Wörtern smart, was übersetzt so viel bedeutet wie klug oder gewandt, sowie phone, was mit Telefon übersetzt werden kann. Dies impliziert, dass es sich hierbei um ein multifunktionales Endgerät handelt, welches über die originäre Fähigkeit des Telefonierens, bzw. des Versendens von Kurznachrichten hinaus noch weitere Funktionen bereithält.[9] Maske (2012) unterteilt die Fähigkeitsvielfalt moderner Smartphones in vier Bereiche: Kommunikation, Multimedialität, Organisation und ortsbezogene Funktionen.[10] Neben den zusätzlichen Funktionsangeboten gegenüber klassischen Mobilfunkgeräten, insbesondere im multimedialen Bereich, verfügen moderne Smartphones über wesentlich umfangreichere Kommunikationsfunktionen. Hochgeschwindigkeits-Internetanbindung, Integration sozialer Netzwerke, E-Mail und Instant-Messaging[11] sind mittlerweile zum technischen Leistungsstandard avanciert.[12]
Die Menschen, welche mobile Endgeräte verwenden, werden, sowohl im wissenschaftlichen, als auch im alltäglichen Kontext, zumeist als Nutzer bezeichnet. Burkart (2007) kritisiert an diesem Wort, dass es „zu eindimensional und zu rationalistisch [sei; R.M.], weil es einen >>Nutzen<< unterstellt, der dem Phänomen nicht gerecht wird, bei dem doch auch – oder sogar in erster Linie – Faszination und Leidenschaft im Spiel sind“[13]. Obgleich die kritische Hinterfragung der Bezeichnung in dieser Ausarbeitung nicht thematisiert werden soll, wird hier schon aufgrund der Namensgebung ein weiterer Aspekt moderner Mobilfunknutzung angesprochen, nämlich der der Emotionalität. Obgleich das Mobiltelefon bereits zu Beginn seiner Entwicklung ein Symbol für Status und Wohlstand darstellte[14], weshalb dem auch eine gewisse emotionale Qualität zugeschrieben werden könnte, so bleibt diese Eigenschaft auch nach der Entwicklung zum Massenprodukt erhalten.
Es stellt sich demnach die Frage, wieso ein technisches Objekt eine emotionale Reaktion verursacht, welche sogar menschliches Verhalten determinieren kann. Ein treffendes Beispiel hierfür ist die Einführung einer neuen Smartphone-Generation durch den Hersteller Apple, bei dem weltweit tausende Menschen teilweise einige Tage lang vor den Läden Schlangestehen, nur um zu den ersten Besitzern dieser Geräte zu gehören.
2.2. Die Bedeutung des Smartphones für die Sozialisation der Jugendlichen
Nach der bereits zu Beginn angeführten Studie des MpFS nutzen auch die Jugendlichen in hohem Maße die Multifunktionalität moderner Geräte. So gab beispielsweise die überwiegende Mehrheit, nämlich 81 Prozent der Befragten an, ein Mobiltelefon mit Internetzugang zu besitzen. 95 Prozent besitzen sogar mindestens eine integrierte Kamera, vier von fünf verfügen über die Möglichkeit Musik und Filme abzuspielen und ein Drittel der Produkte besitzt die Möglichkeit einer satellitengebundenen Standortbestimmung.
Die breite Ausstattung der Jugendlichen mit einem derartigen Funktionsangebot legt die Vermutung nahe, dass die Medien – und besonders die medienvermittelte Kommunikation – dazu genutzt werden, „um Themen zu bearbeiten und Fragen zu beantworten, die in ihrer [der Jugendlichen; R.M.] Lebensphase besonders relevant sind. Dazu gehören das Aushandeln von Beziehungen und die damit verbundene Persönlichkeitsentwicklung ebenso wie die Gestaltung von Schulalltag und Freizeit oder das Erarbeiten von gesellschaftlich relevanten Norm- und Wertvorstellungen“[15]. Schulz (2010) zeigt an dieser Stelle auf, dass die Smartphones eine bedeutende Rolle bei der sozialen Entwicklung von Individuen, in Verbindung mit anderen Subjekten und der Gesellschaft als Ganzes, einnehmen.[16] Mit dieser Annahme, der Verbindung von Medien, Subjekt und Gesellschaft, folgt sie dem Konsens des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses im Bereich Mediensozialisation und –Pädagogik.[17]
Obwohl die Mediensozialisationstheorie bis heute nicht herausgearbeitet werden konnte[18] lässt sich eine Gemeinsamkeit an Elementen herausstellen, welche anhand der Definition von Hurrelmann (1995) benennen lassen. Diese setzt die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums in Abhängigkeit mit den sozialen und materiellen Lebensumständen, wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der umgebenden Gesellschaft anzutreffen sind.[19] Schorb (2005) ergänzt diesen Ansatz, indem er auf die symbolische Bedeutung der Medien verweist.[20] Gleichzeitig betont er jedoch auch, dass die Medien lediglich Inhalte, Strukturen, Werte und Normen anbieten können, welche der Nutzer jedoch, im Sinne einer reflexiven Medienkompetenz[21] auch zurückweisen könne.
Ein weiterer, wesentlicher Aspekt ist nach Krotz (2001) der Einfluss der Medien auf die Kommunikation und die sozialen Beziehungen zwischen den Individuen. Mit seinem Konzept der Mediatisierung beschreibt er wie durch die Allgegenwart der Medien eine medienvermittelte interpersonale Kommunikation etabliert wird, indem Medien den Lebensalltag immer stärker durchdringen. Als Folge daraus kommen den Medien vermehrt Orientierungsfunktionen zu, welche sich nachhaltig auf die Identität und die Lebensgestaltung des Individuums und demzufolge auch auf die Kultur und die Gesellschaft auswirken.[22]
Bezogen auf das Themenfeld der Mobiltelefone kann im Hinblick auf die Kommunikations- und Beziehungsstrukturen im Jugendalter davon ausgegangen werden, dass die Entwicklungsaufgaben im Sozialisationsprozess der Jugendlichen mit und über das Smartphone geleistet werden. Dies betrifft zum Einen das Eingehen, Aufrechterhalten und Koordinieren von Beziehungen im Bereich der Gleichaltrigen, aber zum anderen auch das Selbstpräsentations- und Distinktionsverhalten sowohl den Peers, als auch Eltern gegenüber.[23]
Diese Darstellungen machen deutlich, dass sich die Art und Weise, wie Jugendliche den Sozialisationsprozess durchlaufen, mit dem Einwirken der mobilen Kommunikationsgeräte, als Teil der sie umgebenden Lebenswelt, verändert. Durch die allgegenwärtige Präsenz und den permanenten Zugriff auf das Funktionsangebot, welches auch noch zeitlich und räumlich ungebunden ist, ändert sich nicht nur die dinglich-materielle Umwelt, sondern auch die Art der sozialen Beziehungsstrukturen. „Das Mobiltelefon fungiert […] als jederzeit verfügbares, persönliches Medium und als ein Beziehungsmedium, mit dem kommunikative Räume und soziale Arrangements neu konstituiert und gestaltet werden“[24] Diese Schlussfolgerung legt nahe, dass sich mit den gewandelten Bedingungen der Sozialisation auch die Identität der Individuen verändert. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, ob und wie mobile Kommunikationsmedien in die Identitätskonstitution einwirken.
[...]
[1] Online verfügbar unter http://www.gutzitiert.de/zitat_autor_rainer_karius_thema_handy_zitat_24035.html (Abgerufen am 04.11.2012)
[2] vgl. Burkart (2007), S.8ff.
[3] Zur begrifflichen Abgrenzung und technischen Beschreibung der einzelnen Geräteklassen wird auf den Abschnitt 2.1. verwiesen.
[4] vgl. MpFS (2011), S. 57.
[5] vgl. Pressemitteilung 4/12 des MpFS (2012)
[6] vgl. Burkart (2007), S. 25f.
[7] vgl. Burkart (2007), S.30.
[8] Das umgangssprachliche Wort Handy ist eine Bezeichnung, die fast ausschließlich in Deutschland Verwendung findet. Der Begriff des Mobiltelefons ist an dieser Stelle als fachlich korrekter einzuschätzen, zumal es die neueren Funktionalitäten der Smartphones ausschließt, welche im alltäglichen Sprachgebrauch ebenfalls als Handy bezeichnet werden. (vgl. dazu Burkart 2007, S. 12f.)
[9] vgl. Maske (2012), S. 207.
[10] ebd. S. 212.
[11] Instant-Messaging beschreibt eine Internet-basierte Technik zum sofortigen Nachrichtenaustausch. Textnachrichten werden dabei unmittelbar zwischen den Kommunikationsteilnehmern ausgetauscht, wodurch eine textgebundene Echtzeitkonversation möglich wird. (siehe dazu auch Rittinghouse/ Ransome 2005)
[12] vgl. Maske (2012), S.213ff.
[13] Burkart (2007), S.13, Hervorhebung im Original.
[14] vgl. Burkart (2007), S.26.
[15] Schulz (2010), S.231.
[16] vgl. Schulz (2010), S.232.
[17] vgl. Niesyto (2010), S.47.
[18] vgl. Schulz (2010), S.232; Niesyto (2010), S.47.
[19] vgl. Hurrelmann (1995), S. 114.
[20] vgl. Schorb (2005), S.387.
[21] vgl. Baacke (1997), S.96ff.
[22] vgl. Krotz (2001), S.34f.
[23] vgl. Schulz (2010), S.235.
[24] Schulz (2010), S.234.