Das Phänomen der staatlichen Verschuldung ist schon seit der Gründung von Staaten und in Folge dessen seit der Möglichkeit eigener Finanzpolitik Thema der politischen Diskussion. Die Aufnahme von Schulden und damit einhergehend eine Belastung nachfolgender Generationen ohne deren Zustimmung, wurde immer wieder kontrovers diskutiert. Ein demokratisches System zeichnet sich jedoch gerade durch Machtzuweisung auf Zeit aus. Es bleibt zu hinterfragen, ob dieses Prinzip durch übermäßige Verschuldung ohne die Möglichkeit der Zustimmung zukünftiger Entscheidungsträger nicht durchbrochen wird. In der Neuzeit, spätestens mit dem Aufkommen der europäischen Schuldenkrise, hat das Thema erneut an Brisanz gewonnen. Es werden in regelmäßigen Abständen neue Meldungen über drohende Zahlungsunfähigkeiten einzelner Länder veröffentlicht. Zum Zeitpunkt der Arbeit steht besonders Griechenland stark im öffentlichen Fokus. Doch wie stellt sich die Lage wirklich dar? Der Schuldenstand des griechischen Staates liegt aktuell bei 142 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, aber auch das Finanzvermögen griechischer Privathaushalte weist ein ähnliches Volumen auf. Hat die griechische Bevölkerung in Rücksicht auf die steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte und in Erwartung höherer steuerlicher Belastungen in der Zukunft vorgesorgt?
Und hat Staatsverschuldung in dieser Hinsicht überhaupt eine in solchem Maß wohlfahrtsmindernde Wirkung, wie häufig in den Medien der Eindruck erweckt wird?
Diese Arbeit liefert einen theoretischen Unterbau für die Relevanz von Staatsverschuldung.
Das Ricardianische Äquivalenztheorem, mit einem Standpunkt der von der klassischen keynesianischen Theorie abweicht, bietet hierfür einen guten Ansatzpunkt. Darauf aufbauend wird diskutiert werden, welche kritischen Modellannahmen zu hinterfragen sind. Anschließend wird untersucht, unter welchen Umständen das Modell auf die Wirklichkeit übertragbar und damit praktikabel ist. Schlussendlich wird die Theorie mit einer Analyse über die Entwicklung der gesamtstaatlichen Verschuldung und der privaten Vermögensbildung in der Bundesrepublik Deutschland nach der deutschen Wiedervereinigung abgerundet.
Inhaltsverzeichnis:
1 Staatsverschuldung - Relevanz des Themas
2 Ricardianisches Äquivalenztheorem
2.1 Zwei-Perioden-Modell mit einer Generation
2.2 Partialmodell mit zwei Perioden
2.3 Einführung von Steuern versus Aufnahme von Schulden
2.4 Unendliche Periodenlaufzeit
2.5 Modell der überlappenden Generationen
3 Kritische Punkte zum Ricardianischen Äquivalenztheorem
3.1 Unterschiede zum Modell des Keynesianismus
3.2 Alternative Sicht zur Lebenszyklushypothese
3.3 Diskussion der Modellannahmen
3.3.1 Intergenerativer Altruismus
3.3.2 Vollkommene Kapitalmärkte
3.3.3 Vollständige Information und Rationalität
3.3.4 Finanzierung durch unverzerrende Steuern
3.4 Implementierbarkeit der Theorie in der Realität
3.4.1 Todeszeitpunkt
3.4.2 Fertilität
3.4.3 Rentenmarkt
3.4.4 Anreizwirkung der Vererbung
3.4.5 Sparverhalten
3.5 Bedeutung des Theorems
4 Empirische Fakten für Deutschland
4.1 Aussagekraft des Ricardianischen Modells
4.2 Sparmotive
4.3 Statistisches Rahmenwerk
4.4 Ergebnisse
4.4.1 Trendlinie
4.4.2 Zeitraumbetrachtung
4.4.3 Schlussfolgerungen
5 Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 4.1 Verschuldung deutscher Gesamtstaat
Abbildung 4.2 Privates Reinvermögen
Abbildung 4.3 Einkommensverwendung privater Haushalte
Tabellenverzeichnis:
Tabelle 4.4 Absoluter Sparbetrag
1 Staatsverschuldung - Relevanz des Themas
Das Phänomen der staatlichen Verschuldung ist schon seit der Gründung von Staaten und in Folge dessen seit der Möglichkeit eigener Finanzpolitik Thema der politischen Diskussion. Die Aufnahme von Schulden und damit einherge- hend eine Belastung nachfolgender Generationen ohne deren Zustimmung, wurde immer wieder kontrovers diskutiert. Ein demokratisches System zeich- net sich jedoch gerade durch Machtzuweisung auf Zeit aus.1 Es bleibt zu hin- terfragen, ob dieses Prinzip durch übermäßige Verschuldung ohne die Mög- lichkeit der Zustimmung zukünftiger Entscheidungsträger nicht durchbrochen wird. In der Neuzeit, spätestens mit dem Aufkommen der europäischen Schuldenkrise, hat das Thema erneut an Brisanz gewonnen. Es werden in re- gelmäßigen Abständen neue Meldungen über drohende Zahlungsunfähigkei- ten einzelner Länder veröffentlicht. Zum Zeitpunkt der Arbeit steht besonders Griechenland stark im öffentlichen Fokus. Doch wie stellt sich die Lage wirklich dar? Der Schuldenstand des griechischen Staates liegt aktuell bei 142 Prozent des Bruttoinlandsproduktes,2 aber auch das Finanzvermögen griechischer Pri- vathaushalte weist ein ähnliches Volumen auf.3 Hat die griechische Bevölke- rung in Rücksicht auf die steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte und in Erwartung höherer steuerlicher Belastungen in der Zukunft vorgesorgt? Und hat Staatsverschuldung in dieser Hinsicht überhaupt eine in solchem Maß wohlfahrtsmindernde Wirkung, wie häufig in den Medien der Eindruck er- weckt wird?
Diese Arbeit liefert einen theoretischen Unterbau für die Relevanz von Staats- verschuldung. Das Ricardianische Äquivalenztheorem, mit einem Standpunkt der von der klassischen keynesianischen Theorie abweicht, bietet hierfür ei- nen guten Ansatzpunkt. Darauf aufbauend wird diskutiert werden, welche kritischen Modellannahmen zu hinterfragen sind. Anschließend wird unter- sucht, unter welchen Umständen das Modell auf die Wirklichkeit übertragbar und damit praktikabel ist. Schlussendlich wird die Theorie mit einer Analyse über die Entwicklung der gesamtstaatlichen Verschuldung und der privaten Vermögensbildung in der Bundesrepublik Deutschland nach der deutschen Wiedervereinigung abgerundet.
2 Ricardianisches Äquivalenztheorem
Das im Folgenden untersuchte Theorem geht auf den englischen Ökonomen David Ricardo zurück, welcher den Sachverhalt der Staatsschuldneutralität 1817 erstmals beschrieb.4 Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Thematik leis- tete in den 1970er Jahren der Amerikaner Robert Barro, welcher das Thema aufnahm und noch detaillierter untersuchte.5 Sie beschreiben ein finanzpoliti- sches Phänomen, bei welchem die Besteuerung der Bevölkerung und die Auf- nahme eines staatlichen Kredites gleichwertige Finanzierungsinstrumente für öffentliche Ausgaben sind. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus der Tatsache, dass rational handelnde Individuen staatliche Verschuldung in der Gegenwart mit höheren Steuerzahlungen in der Zukunft gleichsetzen.6 Die Individuen berücksichtigen bei ihren Konsumentscheidungen, dass irgendwann auch die aufgenommenen Staatsschulden beglichen werden müssen. Dies geschieht entweder durch eine staatliche Ausgabenkürzung oder durch höhere Steuern in der Zukunft. Staatsverschuldung verschiebt demnach nur die zu leistenden Steuerzahlungen auf einen späteren Zeitpunkt, beziehungsweise auf spätere Generationen. Steuerfinanzierung und Kreditfinanzierung sind deshalb hin- sichtlich ihrer Auswirkungen auf reale Wirtschaftsgrößen vollkommen äquiva- lent.7 Der vorherige optimale Konsumplan der Individuen bleibt bestehen, alleine das Sparverhalten und daraus resultierend das Erbverhalten werden angepasst.8 Die staatliche Intervention beeinflusst daher den Wachstumspfad der Volkswirtschaft nicht.9
Durch welche Herangehensweise David Ricardo und Robert Barro zu ihren Schlussfolgerungen gelangten, soll in den folgenden Unterkapiteln in verschiedenen Modellwelten theoretisch dargelegt werden.10
2.1 Zwei-Perioden-Modell mit einer Generation
In diesem einfachen Anfangsmodell soll ein Individuum unter Staatstätigkeit betrachtet werden. Die Modellwelt besteht über zwei Perioden. In der ersten Periode ist das Individuum jung in der zweiten alt. Die Modellwelt endet nach der zweiten Periode, weshalb das Individuum und der Staat ihr Budget bis zum Ende derselben ausgleichen müssen. Es soll davon ausgegangen werden, dass dieses Individuum unter den Annahmen des „homo oeconomicus“ han- delt. Es trifft demzufolge völlig rationale Entscheidungen, verfügt über voll- ständige Informationen und strebt nach größtmöglichem Nutzen.11 Wenn die- ses Individuum in der ersten Periode nun eine Steuererleichterung durch Staatsverschuldung finanziert bekommt, resultiert daraus ein höheres verfüg- bares Einkommen in dieser Periode. Gleichzeitig wird das Individuum seine Erwartungshaltung gegenüber der Ausgangssituation ohne staatlichen Eingriff anpassen und in der zweiten Periode höhere Steuern antizipieren. Daraus resultiert ein niedrigeres verfügbares Einkommen in Periode Zwei. Der Staat sieht sich der Problematik gegenüber, die in der ersten Periode aufgenomme- ne Verschuldung in der zweiten Periode nivellieren zu müssen. Er ist deshalb auf die Generierung höherer Einnahmen angewiesen, was zu einer größeren Steuerbelastung des Individuums in der zweiten Periode führt. Da wir in die- sem Modell nur ein Individuum betrachten, gehen wir davon aus, dass dieses sämtliche Staatsanleihen besitzt.12 Wenn der Barwert der staatlichen Zinszah- lungen und der staatlichen Pro- Kopf Verschuldung nun dem Barwert der er- warteten Steuerzahlung entspricht, wird das Individuum seinen ursprüngli- chen optimalen Konsumplan in der ersten Periode nicht verändern. Es wird die zusätzlichen Mittel der Steuererleichterung sparen, um die höheren Steu- ern in der zweiten Periode zu bezahlen und damit weiterhin seinen maxima- len Lebenskonsum zu erreichen.13
2.2 Partialmodell mit zwei Perioden
In diesem weiteren Modell, welches wiederum über zwei Perioden geht, lebt nun in jeder Periode eine andere Generation. In der ersten Periode die Eltern- generation und in der zweiten Periode die Kindergeneration. Jede Generation lebt dabei nur eine Periode lang. Alle Haushalte sind identisch und die Indivi- duen der Elterngeneration haben jeweils genau einen Nachkommen, was Be- dingung für eine konstante Bevölkerungszahl ist. Beide Generationen können für ihren Arbeitseinsatz einen Marktlohn von wi mit i = 1,2 erzielen. Die Gene- ration der Eltern kann diesen Lohn entweder konsumieren (c1) oder an ihre Kinder vererben (z). Die Budgetrestriktion der Eltern lautet deshalb:
w1 = c1 + z (2.1)
Die Kindergeneration kann für ihren Konsum (c2) nun auf ihren Marktlohn (w2) und das verzinste Erbe der Eltern zurückgreifen. Die Budgetrestriktion der Kinder sieht dann folgendermaßen aus:
w2 + (1 + r) z = c2 (2.2)
Hier steht r für den Zinssatz, dieser ist durch das Partialmodell exogen vorge- geben.
Beide Gleichungen zusammengefasst ergeben die Budgetrestriktion der Fami- lie:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In unserer Modellwelt werden Individuen betrachtet, welche einen Nutzen- gewinn aus der Besserstellung ihrer Kinder haben. Dieses Verhalten wird als Altruismus bezeichnet.14 Die Elterngeneration bezieht in ihrer Konsument- scheidung also auch den Nutzen ihrer Nachkommen mit ein. Daraus folgt die Nutzenfunktion:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Elterngeneration hat demzufolge einen Nutzen aus ihrem eigenen Konsum und einen, je nach Grad des altruistischen Verhaltens (β), im Normalfall abge- schwächten Nutzen aus dem Konsum ihrer Kindergeneration.15 Über diese Nutzenfunktion werden die Eltern nun versuchen, den maximal möglichen Konsum zu erreichen. Wird die Budgetrestriktion (2.3) in die Nutzenfunktion (2.4) eingesetzt, erhält man folgendes Optimierungsproblem der Elterngene- ration:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im optimalen Punkt lohnt es sich für die Eltern nicht mehr, durch eine Ein- schränkung ihres eigenen Konsums den ihrer Kinder zu erhöhen. Ihr margina- ler Nutzenverlust wird im Optimum genau durch den Nutzengewinn der Kin- der aufgehoben. Diese Bedingung ergibt sich durch die erste Ableitung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie groß die Erbschaft der Elterngeneration nun ausfällt, hängt von dem altruistischen Parameter, repräsentiert durch β ab. Je größer dieser ausgeprägt ist, je stärker die Eltern also am Nutzengewinn der Kinder interessiert sind, desto größer fällt auch die Erbschaft aus.16
2.3 Einführung von Steuern versus Aufnahme von Schulden
Da das Ricardianische Modell von dem Vergleich zwischen Steuerfinanzierung und Nettokreditaufnahme handelt, soll das vorherige Modell aus Kapitel 2.2 nun um finanzpolitische Aktivitäten erweitert werden.
Es wird nun davon ausgegangen, dass der Staat in der ersten Periode ein neues Kollektivgut der Menge G zusätzlich bereitstellen will. Aus diesem Gut zieht nur die Elterngeneration einen Nutzen. Deshalb ergibt sich die folgende neue Nutzenfunktion der Eltern:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nun soll untersucht werden, wie sich eine Steuer- oder Kreditfinanzierung dieses Kollektivgutes auswirkt. Im ersten Schritt wird die Steuerfinanzierung untersucht. Dabei wird angenommen, dass nur das Arbeitseinkommen der Elterngeneration mit einem proportionalen Steuersatz (τ) besteuert wird. Weiterhin wird angenommen, dass sich durch die Besteuerung das Arbeitsan- gebot der Eltern nicht verändert.17 Dadurch steht ein gewisser Prozentsatz des Einkommens der Elterngeneration nicht mehr für Konsumzwecke oder Verer- bung zur Verfügung. Die Budgetrestriktion der Eltern verändert sich zu:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da das Kollektivgut der Kindergeneration nicht zugutekommt, verändert sich deren Budgetrestriktion nicht. Die Budgetrestriktion der Familie lautet des- halb:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nachdem das Modell nun um staatliche Aktivitäten erweitert wurde, muss auch dessen Budgetrestriktion noch ergänzt werden. Der Staat hat annahmegemäß nur Ausgaben für die Bereitstellung des Kollektivgutes (G) und besitzt als einzige Einnahmequelle die proportionale Einkommenssteuer. Durch die Normierung der Haushalte auf N = 1 lautet die Budgetrestriktion:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieses Ergebnis soll nun mit einer Kreditfinanzierung gegenübergestellt werden. Im Falle einer Kreditaufnahme fällt für die Elterngeneration keine Steuer an und der Staat verschuldet sich mit:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da das Modell nach zwei Perioden endet und die Budgets ausgeglichen werden müssen, sieht sich die Kindergeneration dem Zwang der Generierung eines Steueraufkommens in Höhe der in Periode Eins aufgenommenen Staatsschuld inklusive Verzinsung gegenüber.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Elterngeneration hat nun als neue Anlagemöglichkeit den Erwerb von Staatsschuldtiteln. In unserem Modell sind die Renditen für alle Anlagemöglichkeiten identisch, weshalb die verzinsten Erbschaften in die Budgetrestriktion der Kindergeneration folgendermaßen einfließen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Familienbudgetrestriktion lautet dann:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nun soll gezeigt werden, ob diese beiden Alternativen wirklich äquivalent sind. Aus der Budgetrestriktion des Staates bei einer Steuerfinanzierung (3.4), dessen Budgetrestriktion bei einer Kreditaufnahme (3.5) und der Verzinsung der öffentlichen Schuld ergibt sich:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Umgeformt lautet die Beziehung dann:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wenn diese Beziehung in die Familienbudgetrestriktion im Kreditfall (3.8) ein- gesetzt wird, erhält man nach Umformung die Familienbudgetrestriktion im Steuerfall (3.3). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Steuerfinanzierung und Kreditfinanzierung in diesem Modell vollständig äquivalente Finanzierungsal- ternativen sind.18
2.4 Unendliche Periodenlaufzeit
Unser bisheriges Modell hatte eine Laufzeit von zwei Perioden. Dies ist aber nicht sehr realitätsnah, denn das Phänomen der Staatsverschuldung besteht nicht erst seit zwei Generationen. Außerdem kann bei einem Staat eher von einem unendlich lange existierenden Gebilde ausgegangen werden. Um die Äquivalenz weiterhin aufrecht zu erhalten, wird nun relevant, ob auch der Planungshorizont der Familien unbegrenzt ist. Dafür gehen wir auf die Nutzenfunktion der Eltern aus dem vorherigen Abschnitt zurück:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In den Nutzen der Eltern geht auch der Nutzen der Kinder mit ein. Wenn man dies fortführt, geht bei der Kindergeneration auch der Nutzen derer Kinder mit ein. Dies bedeutet nach rekursiver Substitution einen Nutzen für die Elterngeneration von:19
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Staat, gesetzt der Fall eines unendlich lange existierenden Gebildes und die Familien haben nun den gleichen Planungshorizont. Dann erweitert sich die Familienbudgetrestriktion im Falle der Steuerfinanzierung zu:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Ergebnis sieht komplex aus, ist aber lediglich die Erweiterung der Gleichung (3.3) um die Summe aller zukünftigen Generationen. Im Falle der staatlichen Verschuldung ergibt sich eine Budgetrestriktion der Familie von:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Was ebenfalls nur die erweiterte Summe der Gleichung (3.8) darstellt.
Die jeweils linke Seite der beiden Gleichungen stellt die Einnahmesituation der Familien im Steuer- und Kreditfinanzierungsfall dar. Sind diese nun iden- tisch, dann ist auch im Modell mit unendlichem Planungshorizont eine Steuer- finanzierung äquivalent zu einer Kreditfinanzierung. Der Unterschied der Glei- chungen besteht in der Besteuerung. Im Finanzierungsfall durch Besteuerung wird in der ersten Periode besteuert, im Szenario mit Anleihen dagegen in allen zukünftigen Perioden. Entsprechen sich die Gegenwartswerte, ist die Äquivalenz jedoch auch hier hergestellt.20
2.5 Modell der überlappenden Generationen
Im vorherigen Partialmodell kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Steuer- erhebung und die Aufnahme eines Kredites äquivalente Finanzierungsalterna- tiven darstellen. In diesem Abschnitt soll nun diskutiert werden, ob dieses Ergebnis auch bei dem ursprünglich auf Paul A. Samuelson zurückgehende Modell der „Overlapping Generations“ (OLG) auftritt.21 Die Annahmen in die- ser Modellwelt lauten:
- Neoklassische Produktionsfunktion
- Nutzenmaximierende Individuen
- Unendliche Anzahl an Perioden in der Modellwelt
- Zu jedem Zeitpunkt zwei identisch lang lebende Generationen
- Lebenszyklushypothese, darum im Grundsatz keine Vererbung22
Der entscheidende Unterschied zu unserem vorherigen Partialmodell liegt im unterschiedlichen Planungshorizont der Individuen und des Staates.23 Das OLG- Modell läuft zwar über eine unendliche Anzahl an Perioden, weshalb der Staat auch über diesen Zeithorizont plant, aber die Individuen berücksichtigen aufbauend auf der Lebenszyklushypothese nur ihren eigenen Lebenszeitraum. Das Nutzenniveau ihrer Nachkommen ist für sie irrelevant, weshalb durch Staatsverschuldung die Generation bessergestellt wird, in welcher die Schuld- titel aufgenommen werden. Das liegt an der Tatsache, dass diese Generation eine Ausweitung ihrer Konsummöglichkeiten bezieht, aber die Kreditrückzah- lungen nachfolgende Generationen leisten müssen. Die profitierende Genera- tion berücksichtigt nämlich nicht mehr die in den zukünftigen Generationen anfallenden Zinssteuerzahlungen. Staatsverschuldung bewirkt also Einkom- menseffekte, welche sich auf die eine Generation positiv und auf die andere negativ auswirken.24
Annahmegemäß wird hierbei allerdings die Existenz von Erbschaften außer Acht gelassen. Durch das Modellieren einer intergenerativen Verkettung wie in Kapitel 2.4, sind aber auch in dieser Modellwelt altruistisch motivierte Kon- sumverzichte zu erklären. Wenn die Elterngeneration durch eine Erbschaft suggeriert, dass auch das Wohlergehen ihrer Kinder mit in ihr Nutzenkalkül einfließt, kann ebenso eine optimale Lösung erreicht werden.25 Die Elternge- neration würde im Falle einer Ausweitung der staatlichen Verschuldung eine Erbschaft implementieren, welche genau um die zukünftige Zinssteuer erhöht wird. Dadurch wäre die Äquivalenz der Kredit- bzw. Steuerfinanzierung wie- der hergestellt.26
3 Kritische Punkte zum Ricardianischen Äquivalenz- theorem
3.1 Unterschiede zum Modell des Keynesianismus
Das in Kapitel 2 vorgestellte Modell steht im Widerspruch zu dem nach John M. Keynes benannten keynesianischen Ansatz.27 Dieser geht von einem konjunkturell stimulierenden Effekt von staatlicher Verschuldung aus. Durch eine Kreditaufnahme und damit eine Erleichterung der privaten Haushalte, fühlen diese sich reicher und weiten ihren Konsum aus.28 Finanzpolitik soll hier als kompensatorischer Nachfragemagnet genutzt werden,29 um mit antizyklischem Handeln konjunkturbedingte und wirtschaftliche Schwankungen auszugleichen. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler James Tobin kommentierte diesen Sachverhalt folgendermaßen:30
„ How is it possible that society merely by the device of incurring a debt to itself can deceive itself into believ ing that it is wealthier? “
[...]
1 Fuest & Thöne (2008): S. 26
2 Eurostat (2011a)
3 Zarco (2009)
4 Vgl. Ricardo (1817)
5 Vgl. Barro (1974) & Barro (1979)
6 Brümmerhoff (2007) S. 627 & S. 628
7 Wellisch (1999) S. 71
8 Michel (2004) S. 38
9 Elmendorf & Mankiw (1999) S. 1641
10 Basierend auf Wellisch (1999) S. 72 - S. 73
11 Franz (2004) S. 4 - S. 6
12 Barro beschreibt aus Vereinfachungsgründen die Ausgabe der Anleihen als eine Art „helico- pter drop“, damit stellen sie einen „lump-sum“ Transfer (Pauschaltransfer) dar; Vgl. Barro (1974)
13 Basierend auf Fehr (2004): S. 94 & S. 95
14 siehe auch Kapitel 3.3.1
15 Da die Erbschaft auf freiwilliger Basis geschieht wird von wirksamem intergenerativem Altruismus gesprochen; Vgl. Michel (2004) S.12 - S. 14
16 Basierend auf Fehr (2004): S. 96 - S. 98
17 Das Arbeitsangebot wird als unelastisch angenommen. Vgl. dazu Kapitel 3.3.4
18 Basierend auf Fehr (2004): S. 98 & S. 99
19 Vgl. Hindriks & Myles (2006) S. 652
20 Basierend auf Ihori (1996) S. 19 ff.
21 Vgl. Samuelson (1958)
22 Vgl. dazu Kapitel 3.2
23 Fehr (2004) S. 100
24 Fehr (2004) S. 100
25 Ihori (1996) S. 39
26 Barro (1974) S. 1100 - S. 1104
27 Vgl. Keynes (1936)
28 Barro (1974) S. 1095
29 Neck (2005) S. S. 97
30 Tobin (1971) S. 91