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Rezension / Literaturbericht, 2012
9 Seiten, Note: 1,0
Annette Dreier
Was tut der Wind, wenn er nicht weht? - Begegnungen mit der Kleinkindpädagogik in Reggio Emilia
7. Auflage 2012. Copyright by Cornelsen Verlag, Berlin 2010. 176 Seiten. ISBN 978-3-589- 24683-0. D: 20,95 EUR.
Das Buch „Was tut der Wind, wenn er nicht weht? Begegnungen mit der Kleinkindpädagogik in Reggio Emilia“ von Annette Dreier erschien erstmals 1993. Im Jahr 2012 kam das Buch in der 7. Auflage auf den Markt. Es wurde in der Vergangenheit mehrfach überarbeitet. Die Autorin ist Professorin an der FH in Potsdam, wo sie Pädagogik im Kindesalter lehrt. Durch viele Besuche der Stadt Reggio in Italien und dem regen Austausch mit den Pädagogen vor Ort ist ihr die Reggio-Pädagogik sehr gut bekannt. Des Weiteren leitet sie Fortbildungen für Erzieherinnen und Eltern zu Themen der frühen Kindheit.
Ein zentrales Thema der Reggio-Pädagogik ist die Überzeugung, dass Kinder selbst lernende Individuen sind. Sie treten in den Austausch mit anderen Kindern und Erwachsenen und eignen sich somit ihre Umwelt an. Zahlreiche erziehungs- und bildungswissenschaftliche Erkenntnisse verdeutlichen dies.
Im Vorwort nimmt die Autorin Bezug auf die Erstausgabe dieses Buches. Zu dieser Zeit war es eines von wenigen Büchern, durch welches Interessierte einen Einblick in die Krippen und Kindergärten von Reggio Emilia erhielten. Annette Dreier verwendet bereits hier Kernbegriffe wie „die 100 Sprachen der Kinder“ oder „der Raum als dritter Erzieher“. (S. 8) Sie greift das heute erweiterte Wissen über Bildungs- und Lernprozesse junger Kinder auf. Daraus folgend wurden in allen Bundesländern Bildungsprogramme für Krippen und Kindergärten entwickelt und die Ausbildung von Erziehern/innen wurde reformiert. Sie sagt, dass diese Reformprozesse ohne Impulse aus Reggio Emilia kaum umsetzbar gewesen wären, denn dort wurden frühzeitig die gewonnenen Erkenntnisse aus der Säuglings- und Kindheitsforschung in die pädagogische Praxis umgesetzt. Des Weiteren führt die Autorin das Wissen über „…die Bedeutung von Bindungsbeziehungen für die Entwicklung junger Kinder…“ (S. 8) auf die Reggio-Pädagogik zurück und sagt aus, dass diese Pädagogik gezeigt hat, dass Erziehung und Bildung eine gemeinschaftliche Aufgabe ist.
Der nächste Teil des Buches „Einladung an die Leser“ (S. 10) befasst sich anfänglich mit einer kurzen Beschreibung über das Land Italien. Dreier berichtet über Experten auf der ganzen Welt, welche sich durch die Besuche der Krippen und Kindergärten in Reggio Emilia inspirieren ließen. Im nächsten Abschnitt bekommt der Leser einen Einblick in die
pädagogische Arbeit. Seit den 1980er Jahren ist die Konzeption der Reggio-Pädagogik weltweit bekannt. Annette Dreier beschreibt die Reggio-Pädagogik als eine Art Reformpädagogik für andere Länder. Ein wichtiger Bestandteil der Pädagogik ist, „Kinder bei ihrer Auseinandersetzung mit der Umwelt zu unterstützen, heißt für die Pädagogen in Reggio, sie weder mit festen Lern- und Förderprogrammen zu konfrontieren, noch sie bei ihren Erkundungen und Lernschritten allein zu lassen.“ (S. 11) Die Autorin möchte mit den Ausführungen zu dieser Konzeption, vor allem in Bezug auf die Umsetzung in anderen Ländern, vereinfachte Idealisierungen vermeiden und umfassende Kenntnisse über die Inhalte und Wege des reggianischen Modells vermitteln. Darüber hinaus geht sie kurz auf die Inhalte des Buches ein und beendet diesen Teil mit einer eigenen Stellungnahme gegenüber der Reggio-Pädagogik und mit einer Übersetzung der Worte von Loris Malaguzzi, Mitbegründer der Reggio-Pädagogik „Ein Kind hat hundert Sprachen.“ (S. 16)
Im ersten Kapitel „Reggio Emilia: Die Stadt, die Region und die vorschulische Erziehung“ (S. 18) befasst sich die Autorin mit der Entstehung des ersten Kindergartens in Reggio 1945, welcher noch heute existiert. Die Frage „Wohin wollen wir unsere Kinder nach dem Krieg erziehen?“ (S. 18) beschäftigte die Dorfbewohner. Zunächst wurden die Kinder von zwei Erzieherinnen betreut, die dafür keinen Lohn bekamen. Bezug nehmend auf Malaguzzi, damals Grundschullehrer, beschreibt Dreier seinen Einstieg in die Arbeit dieses ersten Kindergartens. Vorrangiges Ziel des damaligen Konzeptes war, den Kindern nach dem Krieg etwas Gutes zu bieten. An der Entwicklung des Konzeptes waren Eltern, Pädagogen und reformwillige Kommunalpolitiker beteiligt. Nur dadurch konnte die Reggio-Pädagogik überhaupt entstehen, denn die Kindererziehung wird als gemeinschaftliche Aufgabe angesehen und liegt nicht einzig in der Verantwortung der Eltern. Diese enge Zusammenarbeit ist auf die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der Stadt Reggio zurückzuführen. Im Unterkapitel „Die Entwicklung der Stadt seit 1945: Eine politische Standortbestimmung“ (S. 21) erörtert die Autorin die Situation der Stadt aus politischer Sicht. In dem nun folgenden Unterkapitel „Die Emilia Romagna“ (S.22) befasst sich die Autorin zunächst mit der geographischen Lage der Region Emilia Romagna, zudem betrachtet sie die dort vorhandenen katholischen und kommunistischen Strukturen. Durch die 1970 eingeführte politisch moderate Regierung konnte in den Regionen eine Grundlage von wirtschaftlicher und administrativer Autonomie geschaffen werden, wodurch eine eigene Verfassung entstehen konnte, „…die den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen sollen.“ (S. 23) Damit wurde das Ziel einer bürgernahen Politik verfolgt und ein enges soziales Netz entstand. Dreier führt die Wurzeln dieses pädagogischen Ansatzes bis in die 1920er Jahre zurück, bereits damals war es den Bürgern wichtig, dass die Familien bei der Kindererziehung Unterstützung in Form von Krippen und Kindergärten bekommen. Noch einmal betont Dreier das die Krippen und Kindergärten in der Emilia Romagna „…als wichtige Bestandteile des gesamten Erziehungs- und Bildungssystems angesehen…“ (S. 25) werden. Das Konzept wurde durch zwei Gesetze politisch in die Tat umgesetzt. Nach Erlass dieser Gesetze bekamen alle Regionen Italiens Mittel zum Ausbau der Kindereinrichtungen zur Verfügung. Jedoch verwendeten ausschließlich die nördlichen Regionen Italiens diese Gelder für den tatsächlichen Zweck, im Süden fiel der Ausbau mangelhaft aus. Im letzten Unterkapitel „Vorschulische Erziehung in Reggio Emilia“ (S. 27) beschreibt die Autorin zunächst einige politische Hintergründe der Stadt, welche auf ein großes Engagement der Bürger hinweist. Sie betont noch einmal, dass seit den 1970er Jahren die Stadt Reggio zu einem Ort bildungspolitischer Reformen und zu einem Zentrum für Kindheitsfragen wurde. Abschließend nimmt sie Stellung zur Reggio-Pädagogik und sagt, dass sie nicht einfach auf andere Einrichtungen übertragen werden kann, denn dafür muss die Haltung gegenüber Kindern von Seiten der Pädagogen verändert werden und die politischen Gegebenheiten müssen stimmen.
Im zweiten Kapitel „Besuche in der Krippe Arcobaleno: Eindrücke aus der Praxis“ (S. 31) beschreibt Annette Dreier in fünf Unterkapitel folgende Themen: „Die Struktur der Krippe“ (S. 32), „Die Räume“ (S. 33), „Die Kinder“ (S. 40), „Die Erzieherinnen“ (S. 42) und „Die Eltern“ (S. 46). Zu Beginn erläutert sie die unterschiedlichen Betreuungsmöglichkeiten für Vorschulkinder, welche verschiedener Trägerschaften, wie z. B. der Kirche, dem Staat, privaten Vereinen und der Kommune unterliegen. Im weiteren Verlauf gibt die Autorin einen Überblick darüber wer in Krippen und Kindergärten arbeitet und wie dort gearbeitet wird. Darauf folgend geht sie auf die Krippe „Arcobaleno“ ein und beschreibt die Entstehung dieser Einrichtung. Die Struktur der Krippe wird im Detail dargestellt. Als nächstes befasst sich die Autorin mit einer sehr ausführlichen Beschreibung der Architektur und der Gruppenräume für Kinder. Zum Beispiel wird im salone (Eingangsbereich) die pädagogische Arbeit offen dargestellt, somit erfahren die Kinder eine Wertschätzung ihrer Tätigkeiten, Erzieherinnen können ihre Arbeit vorstellen und Eltern bekommen einen Einblick in die Aktivitäten innerhalb der Krippe. In diesem Zusammenhang geht die Autorin auf die Haltung der Erzieherinnen gegenüber den Kindern ein, denn „…jedes Kind wird mit seinen eigenen Rhythmen und Bedürfnissen ernst genommen.“ (S. 36) Die Autorin definiert: „Die gesamte Einrichtung und Gestaltung der Kindergärten und Krippen folgen in Reggio dem Prinzip des Raumes als dritter Erzieher, was meint, dass anregende Materialien und transparente räumliche Strukturen den Kindern freie Erkundungen und autonome Lernschritte ermöglichen.“ (S. 39) Im nächsten Abschnitt beschreibt Annette Dreier die Art, wie die Kinder in der Krippe „Arcobaleno“ spielen und arbeiten. Sie wählen ihre Tätigkeit eigenständig und somit wird deutlich, „…dass der Raum als dritter Erzieher“ (S. 40) anregend auf die Kinder wirkt.
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