Mobil sein – ein Wunsch den heutzutage nicht nur wir Individuen
verspüren, sondern ein Anliegen das im Zeitalter der
Globalisierung auch und insbesondere die Wirtschaftsakteure
betrifft. In Europa feiern wir in diesem Jahr „20 Jahre
Binnenmarkt“ und ein starker Binnenmarkt – so heißt es in der
Politik - sei die europäische Antwort auf die Globalisierung. Doch
ein vollkommener Binnenmarkt setzt voraus, dass jegliche
Mobilitätshemmnisse eliminiert werden. Und obwohl die
Verwirklichung des Binnenmarktes als Prinzip im Primärrecht
verankert ist, kann noch nicht von einem Idealzustand gesprochen
werden. Weil Standortbedingungen und weitere Vorzüge in
anderen Mitgliedstaaten der EU oft vielversprechend scheinen,
sind Unternehmen immer mehr daran interessiert, sich über die
Grenzen hinweg zu situieren. Und die im Primärrecht verankerte
Niederlassungsfreiheit gewährt ihnen auch gerade dieses Recht.
Allerdings existiert bislang auf Europaebene keine flächendeckende Gesetzgebung. Vielfach führt Rechtsunsicherheit daher zu einer zumindest faktischen Hemmung der Mobilität für Gesellschaften. Der europäische Binnenmarkt ist eben nicht nur eine Wirtschaftsform, sondern auch ein Rechtsbegriff, der nicht automatisch von selbst entsteht. Er ist ein komplexes wirtschaftliches und rechtliches System, dessen Funktionieren oft gegen vielfältige Proteste von Staaten, Unternehmen und Arbeitnehmern durchgesetzt werden muss. (...)
Bedeutsame Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) wie etwa „Daily Mail“, „Centros“, „Inspire Art“ oder
„Cartesio“ haben vereinzelt zwar etwas Licht ins Dunkel
gebracht, jedoch besteht nach wie vor Verunsicherung und
Zurückhaltung auf Seiten der Gesellschaften. Zu dem zentralen,
aber seit langem unvollendeten Vorhaben des europäischen
Gesellschaftsrechts zählt daher auch das Projekt einer
Sitzverlegungsrichtlinie. Mit seinem kürzlich ergangenen VALEUrteil hat sich der EuGH nun wieder mit der europäischen
Unternehmermobilität auseinandergesetzt.
Gegenstand dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, was sich aus
dieser Rechtsprechung für die Sitzverlegungsrichtlinie ergibt.
Hierzu möchte ich anhand der Leitentscheidungen des EuGH die
bisherigen unternehmerischen Möglichkeiten zu grenzüberschreitenden Umstrukturierungen aufzeigen. Im Anschluss soll das Urteil und dessen neuer Regelungsgehalt untersucht werden, um dann dessen Auswirkungen auf die Sitzverlegungsrichtlinie und deren nötige inhaltliche Ausgestaltung bestimmen zu können.
Gliederung
I. Einführung
II. Status quo ante - die bisherigen Ansätze die Mobilitätsfrage zu lösen
1. Die Historie der Sitzverlegung
2. Die neusten Entwicklungen
III. Das Urteil „VALE"
1. Der Ausgangsfall
2. Die vier Vorlagefragen und die Entscheidung des EuGH
3. Der Regelungsgehalt des VALE-Urteils
4. Der neue Regelungsgehalt des VALE-Urteils
5. Der nach dem VALE-Urteil noch verbleibende Regelungsgehalt
a) Anforderungen an die grenzüberschreitende Sitzverlegung
b) Begriffsbestimmungen
IV. Was ergibt sich aus dem VALE-Urteil für die Sitzverlegungsrichtlinie?
1. Die Auswirkungen von EuGH-Urteilen auf das Sekundärrecht
2. Die Sitzverlegungsrichtlinie - überflüssig oder überfällig?
a) Die Notwendigkeit der Richtlinie aus Sicht der Praxis
b) Die Notwendigkeit der Richtlinie aus rechtlicher Sicht
3. Zwischenergebnis
4. Ansichten anderer EU-Länder
5. Alternativen zu einer Richtlinie
a) Einheitliches Gesellschaftskollisionsrecht
b) Wettbewerb der Rechtsordnungen
c) Weitere europäische Gesellschaftsformen
6. Die inhaltliche Ausgestaltung der Richtlinie
a) Geltungsbereich, Art. 1 des Vorentwurfes
b) Definition, Art. 2 des Vorentwurfes
c) Kernbestimmung, Art. 3 des Vorentwurfes
d) Verfahren, Art. 4, 5 und 6 des Vorentwurfes
e) Schutzvorschriften, Art. 7 und 8 des Vorentwurfes
f) Publizität und formeller Ablauf, Art. 9 ff des Vorentwurfes
g) Erfordernis von Identität, Art. 11 Abs. 2 des Vorentwurfes
h) Ausschluss aus Anwendungsbereich, Art. 13 des Vorentwurfes
7. Das Scheitern der bisherigen Vorschläge
V. Fazit